Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 107 Geisteswissenschaftliche Menschenkunde

19. Vortrag Berlin, 17. Juni 1909

Drei Grundbegriffe: Evolution - Involution - Schöpfung aus dem Nichts.

Heute soll einiges gegeben werden zur Ergänzung der mannigfaltigen okkulten Tatsachen und Ausblicke, die wir in diesem Winter hier gepflegt haben. Es ist oft betont worden, in welcher Weise dasjenige, was wir Geisteswissenschaft nennen, eingreifen soll in das Menschenleben und wie es Leben, Handlung, Tat werden kann. Heute aber sollen einzelne ergänzende Blicke geworfen werden auf die großen Entwickelungsvorgänge des Weltenalls, wie sie sich im Menschen ausdrücken. Und zuerst möchte ich Ihren Blick hinlenken auf eine Tatsache, die Ihnen viel Aufklärung geben kann über das Wesen der Weltentwickelung, wenn Sie sie nur im richtigen Sinne sehen wollen.

Betrachten Sie einmal den Unterschied der Tier- von der Menschenentwickelung zunächst rein äußerlich. Sie brauchen sich nur ein einziges Wort zu sagen und eine einzige Idee vorzuhalten, so werden Sie bald den Unterschied merken zwischen dem Begriff der tierischen und der menschlichen Entwickelung. Sie brauchen sich nur vorzuhalten das Wort «Erziehung».

Eine eigentliche Erziehung ist in der tierischen Welt unmöglich. Man kann ja das Tier bis zu einem gewissen Grade durch Dressur zu solchen Verrichtungen bringen, die abweichen von dem, was dem Tier instinktiv eingeprägt ist, was von vornherein als Anlage in ihm sitzt und sich dann auslebt. Aber man muß wirklich schon sehr weit gehen in bezug auf jenen Enthusiasmus, den man entwickeln kann als ausgesprochener Hundeliebhaber, wenn man hinwegleugnen will den ganz radikalen Unterschied zwischen der menschlichen Erziehung und dem, was wir mit dem Tier vornehmen können. Nun brauchen wir uns nur an eine wichtige Erkenntnis unserer anthroposophischen Weltanschauung zu erinnern und es wird uns auch die Grundlage dieser zunächst oberflächlichen Tatsache anschaulich werden.

Wir wissen, daß der Mensch sich in sehr komplizierter Weise nach und nach heranentwickelt. Wir haben es wiederholt hervorgehoben,

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wie der Mensch in den ersten sieben Jahren seines Lebens, bis zum Zahnwechsel, in ganz anderer Art seine Entwickelung zu besorgen hat als später bis zum vierzehnten, dann wieder vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahr. Das alles soll heute nur ganz obenhin berührt werden, denn es ist Ihnen schon bekannt. Wir wissen, daß für den, der geisteswissenschaftlich die Dinge betrachtet, eine mehrmalige Geburt des Menschen eintritt.

Der Mensch wird geboren in die physische Welt hinein, wenn er den Leib der Mutter verläßt, er streift von sich ab die physische Mutterhülle. Dann aber wissen wir, daß der Mensch, wenn er die physische Mutterhülle abgestreift hat, noch immer eingeschlossen ist in einer anderen, zweiten, ätherischen Mutterhülle. Wenn das Kind so heranwächst bis zum siebenten Jahre, da ist dasjenige, was wir den Ätherleib des Kindes nennen, allseitig umgeben von äußeren Ätherströmungen, die der Umwelt angehören, geradeso wie der physische Leib bis zur Geburt umgeben ist von der physischen Mutterhülle.

Und mit dem Zahnwechsel wird hinweggestreift diese Ätherhülle, und dann ist erst der ätherische Leib geboren, mit dem siebenten Jahre. Dann aber ist noch immer der astralische Leib ein­gehüllt in die astralische Mutterhülle, die abgestreift wird mit der Geschlechtsreife. Danach entwickelt sich der Astralleib des Menschen frei bis zu dem einundzwanzigsten oder zweiundzwanzigsten Jahre, wo das eigentliche Ich des Menschen im Grunde genommen erst geboren wird, wo der Mensch erst zur vollständigen inneren Intensität erwacht, wo aus dem Innern erst dasjenige sich herausarbeitet, was sich als ein Ich entwickelt hat durch die verschiedenen Inkarnationen, die er früher durchgemacht hat.

Für das hellseherische Bewußtsein stellt sich da eine ganz besondere Tatsache heraus. Betrachten Sie einmal ein ganz junges Kind durch ein paar Wochen, vielleicht auch Monate hindurch. Da sehen Sie das Haupt, den Kopf dieses Kindes umgeben von ätherischen, astralischen Strömungen und Kräften. Diese ätherisch-astralischen Strömungen und Kräfte werden aber allmählich undeutlicher und verlieren sich nach einiger Zeit. Was geht da eigentlich vor? Was da vorgeht, können Sie eigentlich schon erschließen ohne hellseherische Beobachtung,

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aber die hellseherische Beobachtung bestätigt das, was jetzt gesagt wird.

Sie können sich sagen, daß das Gehirn des Menschen unmittelbar nach seiner Geburt noch nicht so ist wie später, nach einigen Wochen oder Monaten. Das Kind nimmt zwar die Außenwelt schon wahr, aber in seinem Gehirn ist noch nicht solch ein Instrument gegeben, daß es die äußeren Eindrücke in einer bestimmten Weise miteinander verbinden kann. Da sind einzelne Verbindungsnerven, die von einer zur anderen Gehirnpartie verlaufen und die erst ausgebildet werden, wenn das Kind schon geboren ist. Diese Verbindungsstränge, durch die der Mensch allmählich lernt, das, was er in der Außenwelt sieht, gedanklich zu verknüpfen, werden erst nach und nach ausgebildet, nachdem das Kind schon geboren ist. Ein Kind wird, sagen wir meinetwegen, eine Glocke hören, wird auch die Glocke sehen, aber nicht gleich wird es den Gehör- und Gesichtseindruck verbinden zu dem Urteil: Die Glocke tönt. - Das lernt es erst allmählich, weil die Partie im Gehirn, welche das Instrument ist für die Wahrnehmung des Tones, und die Partie welche das Instrument ist für die Gesichtswahrnehmung, erst im Laufe des Lebens miteinander verbunden werden. So daß erst dadurch ein Urteil möglich wird und es sagen kann: Das, was ich da sehe, ist dasselbe, was auch tönt.

So also werden solche Verbindungsstränge im Gehirn ausgebildet, und diejenigen Kräfte, welche die Verbindungsstränge herausgliedern, sind in den ersten Wochen der kindlichen Entwickelung für den Hellseher zu sehen wie etwas, was das Gehirn noch extra einhüllt. Aber das, was das Gehirn einhüllt, geht hinein in das Gehirn und lebt später im Gehirn drinnen, arbeitet nicht mehr von außen, sondern im Innern des Gehirns. Dieses, was da in den ersten Wochen der kindlichen Entwickelung äußerlich arbeitet, könnte nicht weiter arbeiten an der ganzen Entwickelung des heranwachsenden Menschen, wenn es nicht geschützt wäre durch die verschiedenen Hüllen. Denn wenn das, was ich zuletzt geschildert habe, was da von außen arbeitet und dann hineingeht in das Gehirn drinnen ist, dann entwickelt es sich unter der schützenden Hülle zuerst des Äther-, dann des astralischen Leibes, und erst mit dem zweiundzwanzigsten Jahre wird das, was da von außen gearbeitet hat, von innen heraus tätig. Was zuerst außer

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dem Menschen war in den ersten Monaten seines Daseins, was dann hineingeschlüpft ist, das wird hüllenlos tätig erst im zwanzigsten bis zweiundzwanzigsten Jahre, da wird es frei, dann entwickelt es die Intensität, die schon erwähnt wurde.

Nun betrachten wir jetzt einmal diese menschliche Entwickelung, die so nach und nach vor sich geht. Vergleichen wir sie mit der Ent­wickelung der Pflanze. Von der Pflanze wissen wir, sie hat hier in der physischen Welt, wo sie zunächst vor uns auftritt, nur ihren physi­schen und Ätherleib, dagegen hat sie den astralischen Leib um sich herum; aber im Innern nur den physischen und Ätherleib. Die Pflanze schlüpft heraus aus dem Samen, es bildet sich ihr physischer Leib aus und danach entwickelt sich auch ihr Ätherleib nach und nach. Aber die Pflanze hat eben nur noch diesen Ätherleib.

Nun haben wir gesehen, daß des Menschen Ätherleib noch immer den astralischen Leib um sich herum hat bis zur Geschlechtsreife und daß dann der astralische Leib des Menschen erst eigentlich geboren wird. Die Pflanze kann aber nach ihrer Geschlechtsreife keinen solchen astralischen Leib gebären, denn sie hat ja keinen. Die notwendige Folge davon ist, daß die Pflanze nichts mehr hat bei der Geschlechtsreife, was nun weiterentwickelt werden soll. Sie hat in der physischen Welt ihre Aufgabe erfüllt, wenn die Geschlechtsreife eintritt. Nachdem sie befruchtet ist, stirbt sie ab. Ja, Sie können beobachten, daß sogar bei gewissen niederen Tieren ein Ähnliches der Fall ist. Sie können beobachten, wie bei niederen Tieren wirklich noch nicht in demselben Maße wie bei höheren Tieren der Astralleib schon ganz hineingezogen ist in den physischen Leib. Niedere Tiere zeichnen sich gerade dadurch aus, daß der astralische Leib noch nicht ganz im physischen Leibe ist. Nehmen Sie die Eintagsfliege; sie entsteht, lebt bis zur Befruchtung, wird befruchtet und stirbt. Warum? Weil das ein Wesen ist, welches ähnlich wie die Pflanze seinen astralischen Leib zum großen Teil außer sich hat und daher nichts mehr entwickeln kann, wenn die Geschlechtsreife eingetreten ist. In einer gewissen Beziehung ähnlich entwickeln sich Mensch, Tier und Pflanze bis zur Geschlechtsreife. Die Pflanze hat nun nichts mehr, was eine Entwickelungsaufgabe hätte in der physischen Welt, sie stirbt nach der Geschlechtsreife.

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Das Tier hat nun noch den astralischen Leib, aber kein Ich. Das Tier hat also nach der Geschlechtsreife noch einen gewissen Fonds von Entwickelungsmöglichkeit. Der astralische Leib wird frei, und solange der astralische Leib nunmehr frei sich entwickelt, solange die Entwickelungsmöglichkeiten in ihm sind, so lange dauert noch beim höheren Tier nach der Geschlechtsreife die Weiterentwickelung.

Nun aber hat der astralische Leib beim Tiere in der physischen Welt kein Ich in sich. Das Ich des Tieres ist ein Gruppen-Ich, es umfaßt immer eine ganze Gruppe und befindet sich in der astralischen Welt als Gruppen-Ich. Dieses Gruppen-Ich in der astralischen Welt hat ganz andere Entwickelungsmöglichkeiten als das Tier hier in der physischen Welt. Aber das, was das Tier als Astralleib besitzt, hat eine ganz eng umgrenzte Entwickelungsmöglichkeit. Diese Entwickelungsmöglichkeit hat das Tier als Anlage in sich, schon wenn es die Welt betritt. Der Löwe hat etwas, was in seinem astralischen Leib als eine Summe von Trieben, Instinkten und Leidenschaften sich auslebt. Und was da lebt in seinem astralischen Leib an Trieben, Begierden und Leidenschaften, das kann sich ausleben. Das lebt so lange, bis ein Ich geboren werden könnte; aber dies ist nicht da, es ist auf dem Astralplan. Wenn daher das Tier gerade auf der Stufe angekommen ist, wo der Mensch das einundawanzigste Lebensjahr betritt, da ist seine Entwickelungsmöglichkeit ganz erschöpft.

Es ist natürlich die Lebensdauer nach den Verhältnissen verschieden; denn die Tiere werden nicht alle einundawanzig Jahre alt. Aber das, was eigentlich tierische Entwickelung ist, das lebt der Mensch aus bis zu seinem einundzwanzigsten Jahre, wo das Ich geboren wird. Natürlich dürfen Sie jetzt nicht sagen, daß die menschliche Entwickelung bis zum einundzwanzigsten Jahre eine tierische ist, denn das ist sie nicht, sondern das, was da frei wird mit einundzwanzig Jahren, das ist schon drinnen im Menschen von Anfang an, schon seit der Empfängnis, das wird nun aber frei. Weil also im Menschen von allem Anfang an etwas da ist, was dann vom einundzwanzigsten Jahre an frei wird, deshalb ist der Mensch von Anfang an keine tierische Wesenheit, sondern es arbeitet in ihm von Anfang an dieses Ich, wenn auch unfrei.

Und dieses Ich ist es, was eigentlich

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erzogen werden kann. Denn dieses Ich, mit dem, was es erarbeitet am astralischen, ätherischen und physischen Leib, ist es, was von Inkarnation zu Inkarnation schreitet. Würde diesem Ich in einer neuen Inkarnation nichts Neues dazugegeben werden, so würde der Mensch bei seinem physischen Tode nichts mitnehmen können aus seinem letzten Leben zwischen Geburt und Tod. Und wenn er nichts mitnehmen könnte, würde er in dem folgenden Leben auf genau derselben Stufe stehen wie im vorigen. Dadurch, daß man den Menschen während seines Lebens eine Entwickelung durchlaufen sieht und dadurch, daß er sich erwirbt, in sich aufnimmt das, was das Tier nicht aufnehmen kann, weil die Entwickelungsmöglichkeit des Tieres mit seinen Anlagen abgeschlossen ist, bereichert er fortwährend sein Ich, dadurch steigt er von Inkarnation zu Inkarnation immer höher und höher. Deshalb, weil der Mensch in sich das Ich trägt, das mit dem einundzwanzigsten Jahre erst geboren wird, aber schon vorher arbeitet, deshalb ist bei ihm eine Erziehung anwendbar, deshalb kann aus ihm noch etwas anderes gemacht werden, als was er seiner Anlage nach war von allem Anfang an.

Der Löwe bringt seine Löwennatur mit und lebt sie aus. Der Mensch bringt seine Natur nicht nur als allgemeine Menschen-Gattungsnatur mit, sondern er bringt mit auch das noch, was er schon als Ich erworben hat in der letzten Inkarnation. Das kann aber immer weiter und weiter durch Erziehung und durch das Leben umgewandelt werden, so daß es mit einem neuen Einschlag versehen ist, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht und dann sich vorzubereiten hat für eine neue Inkarnation. Das ist es, was wir festhalten müssen: daß der Mensch neue Entwickelungstatsachen in sich aufnimmt und sich fortwährend bereichert.

Nun fragen wir uns : Was geschieht denn da eigentlich, wenn der Mensch sich äußerlich durch solche Entwickelungstatsachen berei­chert? Da müssen wir zunächst einmal zu drei sehr wichtigen Begriffen, die nur etwas schwer zu fassen sind, aufsteigen. Und da wir hier in einem Zweige sind, der jahrelang gearbeitet hat, so wird es wohl die Möglichkeit geben, auch zu etwas höheren Begriffen aufzu­steigen, die schwieriger zu begreifen sind.

Um uns die drei Begriffe zu verschaffen, betrachten Sie zunächst die ganze ausgewachsene Pflanze,

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nehmen Sie meinetwegen ein Maiglöckchen. Da haben Sie die Pflanze in einer Form vor sich. Dann können Sie aber dieselbe Pflanze noch in einer anderen Form vor sich haben, als kleines Samenkörnchen. Denken Sie, Sie nehmen das Samenkorn, da haben Sie ein ganz kleines Gebilde vor sich. Wenn Sie das vor sich hinlegen, da können Sie sagen: Ja, in dem Samenkorn steckt alles drinnen, was ich später sehe als Wurzel, Stengel, Blätter und Blüten. Ich habe also einmal die Blume vor mir als Samenkorn und dann auch als ausgewachsene Pflanze. Aber ich könnte das Samenkorn nicht vor mir haben, wenn es nicht durch ein vorhergehendes Maiglöckchen hervorgebracht worden wäre.

Doch für das hellseherische Bewußtsein ist noch etwas anderes der Fall. Wenn das hellseherische Bewußtsein das ausgewachsene Maiglöckchen betrachtet, sieht es das physische Maiglöckchen durchzogen von einem Ätherleib, einer Art Lichtströmungsleib, der es von oben bis unten durchzieht. Aber es ist beim Maiglöckchen so, daß der Ätherleib nicht sehr weit herausragt aus diesem physischen Pflanzenleib und sich nicht stark von demselben unterscheidet. Wenn Sie aber das kleine Samenkörnchen des Maiglöckchens nehmen, so finden Sie das physische Samenkorn klein, aber ein wunderschöner Ätherleib gliedert sich ein in dieses Korn, strahlig rings herum, und zwar so, daß an dem einen Ende des Ätherleibes das Samenkorn sitzt, so wie sich bei einem Kometen der Kern zum Schweif verhält. Das physische Samenkorn ist eigentlich nur ein verdichteter Punkt in dem Licht- oder Ätherleib des Maiglöckchens. Wenn der, der auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, das ausgewachsene Maiglöckchen vor sich hat, dann ist für ihn das Wesen, das zuerst verborgen war, entwickelt. Wenn er das Samenkörnchen vor sich hat, wo das Physische ganz klein und nur das Geistige groß ist, sagt er: Das eigentliche Wesen des Maiglöckchens ist im physischen Samenkorn eingewickelt. So haben wir, wenn wir das Maiglöckchen anschauen, zwei Zustände zu unterscheiden. Ein Zustand ist, wo das ganze Wesen des Maiglöckchens Involution ist: der Same enthält das Wesen eingewickelt, involviert. Indem es herauswächst, geht es in die Evolution über, dann aber schlüpft das ganze Wesen des Maiglöckchens wieder in das werdende, neue Samenkorn hinein. So wechseln

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Evolution und Involution in der Aufeinanderfolge der Zustände des Wesens einer Pflanze. Während der Evolution verschwindet das Geistige immer mehr und mehr und das Physische wird mächtig, während der Involution wird das Physische immer mehr schwinden, und das Geistige wird mächtiger und mächtiger.

In einer gewissen Beziehung können wir davon sprechen, daß beim Menschen die Evolution und Involution abwechselt, nur noch krasser. Da haben Sie den Menschen vor sich zwischen Geburt und Tod: ein physischer Leib und ein Ätherleib decken sich als das Physische, das Geistige deckt sich auch in einer gewissen Weise - der Mensch ist als irdisches Menschenwesen evolviert. Wenn Sie aber den Menschen durch die Pforte des Todes gehen sehen - hellseherisch beobachtet -, da läßt er im physischen Leben nicht einmal so viel übrig, wie das Samenkorn eines Maiglöckchens ist, da verschwindet für Sie auch das Physische so vollständig, daß Sie es nicht mehr sehen, und es ist alles in das Geistige hineingewickelt. Der Mensch geht jetzt durch das Devachan, da ist er in seiner Involution in bezug auf seine irdische Wesenheit. Evolution ist zwischen Geburt und Tod, Involution zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in bezug auf die irdische menschliche Wesenheit.

Aber es ist nun ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Menschen und der Pflanze. Wir können bei der Pflanze sprechen von Evolution und Involution, aber wir müssen beim Menschen auch noch von einem Dritten sprechen, was dazukommt. Würden wir nicht von einem Dritten sprechen, so würden wir die ganze Entwickelung eines Menschen nicht vollständig umfassen können. Weil die Pflanze immer durch Involution und Evolution geht, deshalb geschieht es, daß jede neue Pflanze eine Wiederholung der alten ist, ganz gleich ist der alten. Es wickelt sich immer das Wesen des Maiglöckchens in das Samenkorn hinein und wieder heraus. Was ist nun aber beim Menschen der Fall?

Wir haben gerade erkannt, daß der Mensch neue Elemente der Entwickelungsmöglichkeit während seines Lebens zwischen Geburt und Tod aufnimmt. Da bereichert er sich. Deshalb ist es beim Menschen nicht so wie bei der Pflanze. Des Menschen folgende Evolution auf der Erde ist nicht eine bloße Wiederholung der vorhergehenden,

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sondern es ist eine Erhöhung seines Daseins damit verknüpft. Das, was der Mensch aufnimmt zwischen der Geburt und dem Tode, das wickelt er auch ein zu dem, was schon früher da war. Und deshalb kommt nicht eine bloße Wiederholung vor, sondern es erscheint dasjenige, was evolviert, auf einer höheren Stufe.

Woher kommt eigentlich das, was der Mensch aufnimmt? Wie ist es zu verstehen, daß er etwas Neues bekommt und aufnimmt? Ich bitte jetzt ganz genau zu folgen, wir kommen zu einem allerwichtigsten und auch allerschwierigsten Begriff. Und nicht umsonst sage ich das in einer der letzten Stunden, denn Sie haben den ganzen Sommer Zeit, um darüber nachzudenken. Man soll über solche Begriffe Monate und Jahre nachdenken, denn dann kommt man nach und nach auf die ganze Tiefe, die darin liegt. Woher kommt das, was sich da dem Menschen immerfort einfügt? Wir wollen uns einmal begreiflich machen durch ein einfaches Beispiel, woher das kommt.

Nehmen Sie an, Sie hätten einen Menschen vor sich, der zwei anderen gegenübersteht. Nehmen wir alles das, was zur Entwickelung gehört, zusammen. Nehmen wir den einen Menschen, der die zwei anderen betrachtet, vor uns und sagen wir: er ist durch frühere Inkarnationen hindurchgegangen, er hat das herausentwickelt, was frühere Inkarnationen in ihn hineingelegt haben. Das ist auch bei den beiden anderen Menschen der Fall, die vor ihm stehen. Nehmen wir nun aber an, dieser Mensch sagt sich jetzt folgendes: Der eine Mensch neben dem anderen nimmt sich hier doch sehr schön aus. - Es gefällt ihm, daß gerade diese zwei Menschen nebeneinanderstehen. Ein anderer Mensch brauchte gar nicht dieses Wohlgefallen zu haben. Das Wohlgefallen, das der eine an dem Zusammenstehen hat, das hat gar nichts zu tun mit den Entwickelungsmöglichkeiten der beiden anderen, denn das haben sie sich nicht erworben, daß sie nebeneinanderstehend dem dritten gefallen. Das ist etwas ganz anderes, das hängt allein davon ab, daß er gerade den beiden Menschen gegenübersteht.

Sie sehen also, der Mensch bildet sich im Innern das Gefühl der Freude über das Zusammenstehen der beiden, die vor ihm stehen. Dieses Gefühl ist durch gar nichts bedingt, was mit der Entwickelung zusammen­hängt. Solche Dinge gibt es in der Welt, die nur dadurch entstehen,

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daß die Tatsachen zusammengeführt werden. Es handelt sich nicht darum, daß die beiden Menschen durch ihr Karma verbunden sind. Diese Freude, die er daran hat, daß die beiden Nebeneinanderstehenden ihm gefallen, wollen wir in Betracht ziehen.

Nehmen wir noch einen anderen Fall. Nehmen wir an, der Mensch stehe hier an einem bestimmten Punkte der Erde und richte seine Blicke in den Himmelsraum hinein. Da sieht er eine gewisse Sternenkonstellation. Würde er fünf Schritte weiter stehen, würde er etwas anderes sehen. Dieses Anschauen ruft in ihm das Gefühl der Freude hervor, die ganz etwas Neues ist. So macht der Mensch eine Summe von Tatsachen durch, die ganz neu sind, die gar nicht durch seine frühere Entwickelung bedingt sind. Alles, was das Maiglöckchen bringt, liegt in der früheren Entwickelung bedingt. Das ist aber nicht der Fall mit dem, was aus der Umgebung auf die Menschenseele wirkt. Der Mensch hat eine ganze Menge Angelegenheiten, die nichts zu tun haben mit einer früheren Entwickelung, sondern die dadurch da sind, daß der Mensch durch gewisse Verhältnisse in Berührung kommt mit der Außenwelt. Aber dadurch, daß der Mensch diese Freude hat, ist sie in ihm etwas geworden, ist sie für ihn ein Erlebnis geworden. Es ist etwas entstanden in der Menschenseele, was durch nichts Früheres bestimmt ist, was aus dem Nichts heraus entstanden ist. Solche Schöpfungen aus dem Nichts entstehen fortwährend in der menschlichen Seele. Es sind die Erlebnisse der Seele, die man nicht durch Tatsachen erlebt, sondern durch Relationen, durch Beziehungen zwischen den Tatsachen, die man sich selber herausbildet. Ich bitte, wohl zu unterscheiden zwischen Erlebnissen, die man aus den Tatsachen, und denjenigen, die man aus den Beziehungen zwischen den Tatsachen hat.

Das Leben zerfällt wirklich in zwei Teile, die ohne Grenze ineinanderlaufen: in solche Erlebnisse, die streng durch frühere Ursachen, durch Karma bedingt sind, und in solche, die nicht durch Karma bedingt sind, sondern neu in unseren Gesichtskreis hereintreten. Es gibt zum Beispiel ganze Gebiete im menschlichen Leben, die in dieses Kapitel fallen.

Nehmen Sie an, Sie hören, irgendwo habe jemand gestohlen. Nun natürlich ist dasjenige, was da geschehen ist, diese

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ganze Tat also, durch diese oder jene karmischen Vorgänge bedingt. Nehmen wir aber an, Sie wissen bloß vom Diebstahl, kennen nicht den, der gestohlen hat; deshalb ist es doch in der objektiven Welt eine ganz bestimmte Persönlichkeit, die gestohlen hat. Sie wissen aber nichts von ihr. Aber der Dieb kommt nicht zu Ihnen, um zu sagen: «Sperrt mich ein, ich habe gestohlen», sondern Sie müssen sich aus allerlei Indizien Tatsachen zusammenstellen, die Ihnen den Beweis liefern können, daß dieser oder jener der Dieb ist. Das, was Sie da für Begriffe durchmachen, hat nichts zu tun mit den objektiven Tatsachen. Das hängt von ganz anderen Dingen ab, auch davon, wie gescheit oder nicht gescheit Sie sind. Das, was Sie sich da zurechtlegen, macht auch nicht, daß das der Dieb ist, sondern es ist ein Vorgang, der ganz in Ihnen abläuft, der sich zugesellt zu dem, was äußerlich da ist. Im Grunde ist alle Logik etwas, was äußerlich zu den Dingen hinzukommt. Und alle Geschmacksurteile, alle Urteile, die wir über das Schöne fällen, sind solche Dinge, die hinzukommen. Fortwährend bereichert also der Mensch sein Leben durch das, was nicht durch vorhergehende Ursachen bedingt ist, was er erlebt dadurch, daß er sich in diese oder jene Beziehung zu den Dingen bringt.

Wenn wir nun rasch in unseren Gedanken das ganze Menschenleben durchgehen und vor unser Auge treten lassen, wie es sich ent­wickelt hat durch den alten Saturn, Sonne und Mond bis zu unserer Erdenentwickelung hin, so finden wir, daß auf dem Saturn noch nicht die Rede davon sein konnte, daß der Mensch sich in solcher Weise Beziehungen gegenüberstellen konnte. Da war bloß Not­wendigkeit. So war es auf der Sonne und auch auf dem Monde, und wie es auf dem Monde mit dem Menschen war, so ist es heute noch mit dem Tier. Das Tier erlebt nur das, was durch vorhergehende Ursachen bedingt ist. Ganz neue Erlebnisse, die nicht bedingt sind durch vorhergehende Ursachen, hat nur der Mensch. Deshalb ist nur der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes einer Erziehung fähig. Der Mensch allein fügt zu dem, was karmisch bedingt ist, immer Neues hinzu. Erst auf der Erde erlangt der Mensch die Möglichkeit, Neues hinzuzufügen. Auf dem Monde war seine Entwickelung noch nicht so weit, daß er zu dem, was in seiner Anlage

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war, Neues hätte hinzufügen können. Da stand er, obwohl er kein Tier war, auf der Stufe der tierischen Entwickelung. Er war in dem, was er vornahm, durch äußere Ursachen bedingt.

Aber er ist es auch heute, bis zu einem gewissen Grade; denn nur langsam schleichen sich in den Menschen diejenigen Erlebnisse hinein, welche freie Erlebnisse sind. Und sie schleichen sich um so mehr hinein, als der Mensch auf einer hohen Entwickelungsstufe steht. Nehmen Sie die Bilder des Raffael und denken Sie, ein Hund stünde davor. Er sieht das, was objektiv da ist, er sieht das, was sich ergibt aus den Bildern selber, insoferne sie sinnliche Objekte sind. Nehmen Sie aber an, ein Mensch tritt diesen Bildern gegenüber, so sieht dieser etwas ganz anderes darin; er sieht das, was er sich nur bilden kann dadurch, daß er sich in früheren Inkarnationen schon höher entwickelt hat. Und nun nehmen Sie einen genialen Menschen, zum Beispiel einen Goethe; der sieht noch viel mehr, der weiß, was das zu bedeuten hat, warum das eine so und das andere so gezeichnet ist. Je höher der Mensch entwickelt ist, desto mehr sieht er. Also je mehr der Mensch in seiner Seele schon bereichert ist, desto mehr fügt er solche Relationen von Seelenerlebnissen hinzu. Diese werden Eigentum seiner Seele, sie werden das, was in seiner Seele sich ablagert. Das alles ist aber erst seit der Erdenentwickelung mit der Menschheit möglich geworden. Nun geschieht aber folgendes.

Der Mensch entwickelt sich in seiner Weise durch die folgenden Zeiten. Wir wissen, daß die Erde abgelöst wird von Jupiter, Venus und Vulkan. Während dieser Entwickelung wird beim Menschen die Summe der Erlebnisse, die er also über die früheren Ursachen hinaus erlebt hat, immer größer und größer, sein Inneres wird immer reicher und reicher. Immer weniger Bedeutung wird das haben, was er sich aus alten Ursachen, aus der Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit mitgenommen hat. Er entwickelt sich heraus aus früheren Ur­sachen, er streift das ab. Und wenn der Mensch mit der Erde auf dem Vulkan angelangt sein wird, dann wird er abgestreift haben alles das, was er aufgenommen hat während der Saturn-, Sonnen- und Monden-entwickelung. Das wird er alles abgeworfen haben.

Jetzt kommen wir zu einem schwierigen Begriff; er soll durch

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einen Vergleich erläutert werden. Denken Sie, Sie sitzen in einem Wagen, denken Sie, Sie haben ihn geschenkt bekommen oder ge­erbt. Sie fahren in diesem Wagen aus. Ein Rad am Wagen wird schadhaft. Sie ersetzen das alte Rad durch ein neues. Jetzt haben Sie den alten Wagen, aber ein neues Rad. Nehmen wir an, nach einiger Zeit wird wieder ein zweites Rad schadhaft, Sie wechseln es aus und haben jetzt den alten Wagen und schon zwei neue Räder. In ähnlicher Weise ersetzen Sie das dritte, vierte Rad und so weiter, und Sie können sich doch leicht vorstellen, daß Sie eines Tages tatsächlich nichts mehr haben von dem alten Wagen, sondern alles durch Neues ersetzt haben. Sie haben nichts mehr von dem, was Sie geerbt oder geschenkt erhalten haben, Sie sitzen wieder da drinnen, aber im Grunde genommen ist es ein ganz neues Fahrzeug.

Und jetzt übertragen Sie das auf die menschliche Entwickelung. Während der Saturnzeit hat der Mensch erhalten die Anlage seines physischen Leibes, er hat sie nach und nach ausgebildet, auf der Sonne den Ätherleib, auf dem Monde den Astralleib, auf der Erde das Ich. Er bildet sie nach und nach aus. Aber er entwickelt immer mehr und mehr in diesem Ich, was neue Erlebnisse sind, und streift ab das, was er geerbt hat, was ihm früher gegeben worden ist durch Saturn, Sonne und Mond. Und es wird eine Zeit eintreten - das ist die Zeit der Venusentwickelung -, wo der Mensch alles abgeworfen haben wird, was ihm gegeben haben die Götter auf der Monden-, Sonnen-, Saturn- und der ersten Hälfte der Erdenentwickelung. Alles das wird er abgeworfen haben, wie in unserem Vergleiche die einzelnen Stücke abgeworfen sind von dem Wagen. Und ersetzt hat er alles nach und nach durch das, was er aufgenommen hat aus den Verhältnissen heraus, was vorher nicht da war. Der Mensch wird also nicht auf der Venus ankommen können und sagen: Jetzt ist alles das noch in mir aus der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung - denn das wird er nun schon alles abgestreift haben. Und er wird am Ende seiner Entwickelung noch das an sich tragen, was er nicht erhalten, sondern sich selber erarbeitet hat, was er aus dem Nichts heraus gebildet hat.

Da haben Sie das Dritte, was zu Evolution und Involution hinzukommt, da haben Sie die Schöpfung aus dem Nichts. Evolution, Involution und die Schöpfung aus

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dem Nichts heraus, das ist es, was wir ins Auge fassen müssen, wenn wir die ganze Größe und Majestät menschlicher Entwickelung ins Auge fassen wollen. Und so können wir verstehen, wie uns die Götter erst als Fahrzeug gegeben haben unsere drei Leiber, wie sie nach und nach aufgebaut haben dieses Fahrzeug und dann uns die Fähigkeit gegeben haben, dieses Fahrzeug nach und nach wieder zu überwinden, wie wir wieder Stück für Stück vom Fahrzeug wegwerfen dürfen, weil die Götter uns Stück für Stück zu ihrem Ebenbilde machen wollen, zu dem, was sich sagen kann: Mir ist die Anlage gegeben zu dem, was ich werden soll, aber aus dieser Anlage heraus habe ich mir eine neue Wesenheit geschaffen.

Das, was der Mensch also in einer fernen Zukunft als ein großes wunderbares Ideal erblickt, nicht nur das Bewußtsein seiner selbst zu haben, sondern das Bewußtsein von der Schöpfung seiner selbst zu haben, das haben große, höherstehende Geister schon früher ent­wickelt. Und das, was der Mensch erst in einer fernen Zukunft erleben wird, das entwickeln gewisse Geister, die an unserer Entwickelung vorher beteiligt waren, schon jetzt in dieser Zeit.

Da haben wir gesagt, daß während der Saturnentwickelung die Throne ausgegossen haben dasjenige, was wir nennen die Menschheitssubstanz, und daß hineingegossen haben in diese Menschheitssubstanz die Geister der Persönlichkeit das, was wir die Kräfte der Persönlichkeit nennen. Aber die Geister der Persönlichkeit, die damals mächtig genug waren, ihren Persönlichkeitscharakter einzugießen in diese von den Thronen ausgegossene Substanz, diese Geister sind seitdem höher und höher gestiegen. Heute sind sie so weit, daß sie zu ihrer Weiterentwickelung nicht mehr physische Substanz brauchen. Sie haben auf dem Saturn gebraucht, um überhaupt leben zu können, die physische Saturnsubstanz, die zugleich die Anlage war zur menschlichen Substanz, sie haben auf der Sonne gebraucht die ätherische Substanz, die ausgeflossen ist zum Ätherleib des Menschen, auf dem Monde die astralische Substanz, hier auf der Erde brauchen sie unser Ich.

Aber nunmehr werden sie weiterhin brauchen das, was dieses Ich selber ausgestaltet, was der Mensch aus den reinen Verhältnissen Neues schafft, das, was nicht mehr physischer, Äther-, astralischer Leib,

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nicht mehr Ich als solches ist, sondern was vom Ich ausgeht, was das Ich hervorbringt. Das werden die Geister der Persönlichkeit benut­zen, und sie benutzen es schon heute, um darin zu leben. Sie haben auf dem Saturn gelebt in dem, was heute unser physischer Leib ist, auf der Sonne in dem, was heute unser Ätherleib ist, auf dem Monde in dem, was heute unser Astralleib ist. Seit der Mitte der atlantischen Zeit haben sie begonnen zu leben in dem, was die Menschen aus ihrem Ich als ein Höheres hervorbringen können.

Was bringen die Menschen aus ihrem Ich Höheres hervor? Dreierlei.

Erstens das, was wir nennen das gesetzmäßige Denken, unser logisches Denken. Es ist etwas, was der Mensch zu den Dingen hinzu-bringt. Wenn der Mensch nicht bloß in die Außenwelt hinausschaut, nicht bloß beobachtet, wenn er nicht bloß dem Dieb nachläuft, um ihn zu finden, sondern so, daß sich ihm die Gesetzmäßigkeit der Beobachtung ergibt, sich Gedanken macht, die nichts mit dem Dieb zu tun haben, aber doch den Dieb einfangen, dann lebt der Mensch in der Logik, der wahren Logik. Diese Logik ist etwas, was durch den Menschen hinzukommt zu den Dingen. Indem der Mensch sich hingibt dieser wahren Logik, schafft das Ich über sich selbst hinaus.

Das Ich schafft zweitens über sich hinaus, indem es Wohlgefallen und Mißfallen entwickelt an dem Schönen, Erhabenen, Humoristi­schen, Komischen, kurz an dem, was der Mensch selber hervorbringt. Sagen wir, Sie erblicken draußen in der Welt etwas, was Ihnen dumm vorkommt. Sie lachen darüber. Daß Sie darüber lachen, hängt ganz und gar nicht von Ihrem Karma ab. Es könnte ein Dummer dazukommen, dem könnte gerade das, worüber Sie lachen, gescheit vorkommen. Das ist etwas, was sich aus der eigentümlichen Stellung von Ihnen selbst ergibt. Oder sagen wir, Sie sehen einen Helden, gegen den die Welt anstürmt, der sich zunächst erhält, aber doch zuletzt tragisch zugrunde geht. Das, was Sie da sehen, ist durch Karma bestimmt, was Sie aber als Gefühl der Tragik dabei empfinden, das ist neu. Denknotwendigkeit ist das erste, Wohlgefallen, Mißfallen ist das zweite.

Das dritte ist die Art, wie Sie sich gedrängt fühlen zu handeln

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unter den Einflüssen von Verhältnissen.
Auch das ist nicht bloß karmisch bedingt, wie Sie sich gedrängt fühlen zu handeln, sondern von Ihrem Verhältnis zur Sache.

Nehmen wir an, es wären zwei Menschen auf der einen Seite so zueinander gestellt, daß sie durch ihr Karma bestimmt wären, etwas zusammen abzutragen. Aber zugleich sei die Entwickelung des einen weiter vorgeschritten als die des anderen. Der eine, der weiter vorgeschritten ist, wird abtragen, der andere wird sich das für später aufbewahren und wird später abtragen. Der eine wird Herzensgüte entwickeln, der andere wird nicht mitempfinden.

Das ist etwas Neues, was zur Entwickelung kommt. Sie dürfen nicht alles als bedingt betrachten, sondern es hängt davon ab, ob wir uns in unseren Handlungen von den Gesetzen der Gerechtigkeit und Billigkeit lenken lassen oder nicht. Es kommen immer neue Dinge dazu in unserer Moralität, in der Art unserer Pflicht­erfüllung und in unserem moralischen Urteil. In unserem moralischen Urteil insbesondere liegt das Dritte, wodurch der Mensch über sich hinausschreitet, wodurch sich das Ich immer mehr erhöht. Das schafft das Ich in unsere Erdenwelt herein und das geht nicht zugrunde, was so in die Erde hereingeschafft wird. Was die Menschen hereinschaffen von Epoche zu Epoche, von Zeitalter zu Zeitalter an Ergebnissen des logischen Denkens, des ästhetischen Urteilens, der Pflichterfüllung, das bildet einen fortlaufenden Strom, das gibt die Materie und den Stoff ab, in den sich einbetten die Geister der Persönlichkeit in ihrer heutigen Entwickelung.

So leben Sie Ihr Leben, so entwickeln Sie sich selber. Und während Sie sich entwickeln, da schauen auf Sie herunter die Geister der Persönlichkeit und fragen Sie fortwährend: Gibst du mir auch etwas, was ich gebrauchen kann zu meiner eigenen Entwickelung? Und je mehr der Mensch an Gedankeninhalt, Gedankenreichtum entwickelt, je mehr er versucht, sein ästhetisches Urteil zu verfeinern, seine Pflicht zu erfüllen über das, was Karma ergibt, hinaus, desto mehr Nahrung haben die Geister der Persönlichkeit, desto mehr opfern wir ihnen hin, desto leibdichter werden diese Geister der Persönlichkeit.

Was stellen sie dar, diese Geister der Persönlichkeit? Etwas, was man in der menschlichen Weltanschauung nennt ein Abstraktum: den Zeitgeist,

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den Geist der verschiedenen Epochen. Für den, der auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, ist dieser Zeitgeist eine wirkliche Wesenheit. Es schreiten die Zeitgeister, die nichts anderes sind als die Geister der Persönlichkeit, durch die Zeiten. Wenn wir zurück­blicken in alte Zeiten, in die indische, persische, chaldäisch-babylonische, griechisch-lateinische bis in unsere Zeit herein, so finden wir, daß sich, abgesehen von den Nationen, abgesehen von allen anderen Verschiedenheiten der Menschen, immer ändert das, was wir den Zeitgeist nennen. Anders dachte und fühlte man vor fünftausend Jahren, anders vor dreitausend Jahren, anders heute. Und das, was da sich wandelt, das sind die Geister der Zeit oder Geister der Persönlichkeit, wenn wir im Sinne der Geisteswissenschaft sprechen.

Diese Geister der Persönlichkeit machen eine Entwickelung durch im Übersinnlichen so, wie das Menschengeschlecht eine Entwickelung durchmacht im Sinnlichen. Aber das, was das Menschengeschlecht ins Übersinnliche hinein entwickelt, das ist Speise und Trank für diese Geister der Persönlichkeit, das genießen sie. In einer Zeit, in der die Menschen dahinleben würden ohne Entfaltung eines Gedankenreichtums, ohne Gefallen oder Mißfallen, ohne ein Pflichtgefühl, das hinausgeht über den bloßen karmischen Trieb, in einer solchen Zeit hätten die Geister der Persönlichkeit nichts zu essen, sie würden mager werden. So steht unser Leben in Beziehung zu solchen Wesen, die unsichtbar unser Leben durchweben und durchleben.

Ich sagte Ihnen, daß der Mensch Neues hinzufügt zur Entwickelung, gleichsam zur Involution und Evolution hinzu aus dem Nichts heraus schafft, daß er aber nichts herausschaffen könnte aus dem Nichts, wenn er nicht vorher die Ursachen bekommen hätte, in die er sich hineingelegt hat wie in ein Fahrzeug. In der Saturnentwickelung ist ihm dieses Fahrzeug gegeben worden; Stück für Stück wirft er es über Bord und entwickelt sich in die Zukunft hinein. Er muß aber die Grundlage dazu empfangen haben, und wenn ihm nicht von den Göttern zuerst die Grundlage geschaffen worden wäre, hätte er nichts ausführen können, was aus dem Nichts geschaffen werden kann. Daß die Verhältnisse der Umwelt auf uns so wirken können, daß sie wirklich fruchtbar sind für unsere Weiterentwickelung, das

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hängt an einem solchen Ereignisse, an einer guten Grundlegung. Denn was ist denn dadurch möglich geworden, daß der Mensch Neues aus den Verhältnissen heraus schaffen kann, daß der Mensch die Beziehungen, in die er hineingestellt ist, zu einer Grundlage machen kann für neue Dinge, die er sich selber schafft, daß der Mensch imstande geworden ist, etwas zu denken, was über die Dinge hinausgeht, die er in der Umwelt erlebt, mehr zu fühlen, als was rein objektiv vor ihm steht? Was ist dadurch geworden, daß der Mensch imstande ist, über sein drängendes Karma hinaus zu wirken und zu leben in der Pflicht der Wahrheit, Billigkeit und Herzensgüte?

Dadurch, daß der Mensch imstande geworden ist, logisch zu denken, Denknotwendigkeit auszubilden, ist auch die Möglichkeit des Irrtums geschaffen worden. Dadurch, daß der Mensch Gefallen finden kann am Schönen, ist auch die Möglichkeit geschaffen, daß er das Häßliche, das Schmutzige der Weltentwickelung einfügt. Dadurch, daß der Mensch imstande ist, über das bloße Karma den Begriff einer Pflicht sich zu setzen und zu erfüllen über das Karma hinaus, ist auch die Möglichkeit des Bösen, der Pffichtwidrigkeit geschaffen worden. So ist der Mensch dadurch gerade, daß er die Möglichkeit hat, aus den bloßen Verhältnissen heraus zu schaffen, hineinversetzt worden in eine Welt, in der er auch schaffen und weben kann an seinem Geistigen, so daß dieses Geistige voll wird von Irrtum, Häßlichkeit und Bösem. Und es mußte nun nicht nur die Möglichkeit geschaffen werden, daß der Mensch aus diesen Verhältnissen heraus überhaupt schafft, sondern es mußte die Möglichkeit gegeben werden, daß der Mensch aus diesen Verhältnissen heraus durch sein Ringen und Streben allmählich das Richtige, das Schöne schafft, allmählich diejenigen Tugenden schafft, die wirklich weiterführen in der Entwickelung.

Das Schaffen aus Verhältnissen heraus nennt man in der christlichen Esoterik das Schaffen im Geiste. Und das Schaffen aus richtigen, schönen und tugendhaften Verhältnissen heraus nennt man in der christlichen Esoterik den Heiligen Geist. Der Heilige Geist beseligt den Menschen, wenn er imstande ist, aus dem Nichts heraus das Richtige oder Wahre, das Schöne und Gute zu schaffen. Damit

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aber der Mensch imstande geworden ist, im Sinne dieses Helligen Geistes zu schaffen, mußte ihm ja erst die Grundlage gegeben werden, wie zu allem Schaffen aus dem Nichts.

Diese Grundlage ist ihm gegeben worden durch das Hereintreten des Christus in unsere Evolution. Indem der Mensch auf der Erde das Christus-Ereignis erleben konnte, wurde er fähig, aufzusteigen zum Schaffen im Heiligen Geist. So ist es Christus selbst, welcher die eminenteste, tiefste Grundlage schafft. Wird der Mensch so, daß er feststeht auf dem Boden des Christus-Erlebnisses, daß das Christus-Erlebnis der Wagen ist, in den er sich begibt, um sich weiterzuentwickeln, so sendet ihm der Christus den Heiligen Geist, und der Mensch wird fähig, im Sinne der Weiterentwickelung das Richtige, Schöne und Gute zu schaffen.

So sehen wir, wie gleichsam als letzter Abschluß dessen, was dem Menschen eingeprägt worden ist durch Saturn, Sonne und Mond, auf der Erde das Christus-Ereignis gekommen ist, welches dem Menschen das Höchste gegeben hat, was ihn fähig macht, in die Per­spektive der Zukunft hinein zu leben und immer mehr heraus zu schaffen aus den Verhältnissen, aus dem, was nicht da und nicht dort ist, sondern davon abhängt, wie der Mensch sich stellt zu den Tatsachen seiner Umwelt, was im umfassendsten Sinne der Heilige Geist ist. Das ist wiederum solch ein Aspekt der christlichen Esoterik. Es hängt die christliche Esoterik zusammen mit dem tiefsten Gedanken, den wir haben können von aller Entwickelung, mit dem Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts.

Deshalb wird auch jede wahre Entwickelungstheorie niemals den Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts fallenlassen können. Neh­men wir an, es wäre nur Evolution und Involution, so wäre eine ewige Wiederholung da, wie es bei der Pflanze ist, so würde auf dem Vulkan nur dasjenige da sein, was auf dem Saturn seinen Anfang genommen hat. So aber kommt zur Evolution und Involution die Schöpfung aus dem Nichts hinzu und in die Mitte unserer Entwickelung hinein. Nachdem Saturn, Sonne und Mond vergangen sind, tritt auf die Erde der Christus als das große Bereicherungselement, welches bewirkt, daß auf dem Vulkan etwas ganz Neues da ist, etwas, was noch nicht da war auf dem Saturn.

Derjenige, der nur von

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Evolution und Involution spricht, der wird von der Entwickelung so sprechen, als wenn sich alles nur wiederholen würde wie ein Kreis­lauf. Solche Kreisläufe aber können nimmermeht die Weltenentwickelung wirklich erklären. Nur wenn wir zur Evolution und Involution diese Schöpfung aus dem Nichts hinzunehmen, die den Verhältnissen, die da sind, Neues einfügt, dann kommen wir zu einem wirklichen Verständnis der Welt.

Die niederen Wesenheiten zeigen höchstens einen Anflug von dem, was wir nennen könnten die Schöpfung aus dem Nichts. Ein Mai­glöckchen wird immer wieder Maiglöckchen; höchstens könnte der Gärtner von außen etwas hinzufügen, wozu das Maiglöckchen nie­mals aus sich selbst gekommen wäre. Dann gäbe es etwas, was in bezug auf das Maiglöckchen-Wesen eine Schöpfung aus dem Nichts wäre. Der Mensch aber ist selber imstande, sich einzufügen diese Schöpfung aus dem Nichts. Der Mensch wird aber erst dadurch dazu imstande, daß er sich zu dieser Freiheit des Selbstschaffens durch die freieste Tat, die sein Vorbild werden kann, hinauferhebt.

Was ist die freieste Tat? Die freieste Tat ist diese, daß das schöpferische weise Wort unseres Sonnensystems selber in sich beschlossen hat, in einen menschlichen Leib hineinzugehen und an der Erdenentwickelung teilzunehmen durch eine Tat, die in keinem vorhergehenden Karma lag. Als der Christus beschloß, in einen Menschenleib zu gehen, wurde er nicht durch ein vorhergehendes Karma gezwungen, sondern er tat es als eine freie Tat, die lediglich begründet war in der Vorschau zur künftigen Menschheitsentwickelung, die aber vorher noch nie dagewesen war, die zuerst in ihm entstand als ein Gedanke aus dem Nichts heraus, aus der Vorschau. Es ist ein schwerer Gedanke, aber die christliche Esoterik wird das niemals außer acht lassen, und alles beruht darauf, daß man den Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts zu Evolution und Involution hinzuzufügen vermag.

Dann aber, wenn man das vermag, bekommt man auch große Lebensideale, die sich vielleicht nicht über solche Weiten erstrecken, die man als kosmische Weiten bezeichnen kann, sondern die im Grunde ziemlich stark zusammenhängen mit der Frage: Warum ver­einigen wir uns zum Beispiel zu einer Anthroposophischen Gesellschaft?

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Da müssen wir, um das so recht zu verstehen, welches der Sinn einer Anthroposophischen Geseilschaft ist, noch einmal zurückgreifen auf den Gedanken, daß wir für die Geister der Persönlichkeit, für den Zeitgeist arbeiten. Der Mensch, wenn er hereingeboren wird durch die Geburt in diese Welt, wird zunächst durch die mannigfaltigsten Verhältnisse erzogen; diese wirken auf ihn ein und bilden so die erste Vorstufe seiner selbstschöpferischen Tätigkeit. Wenn die Menschen sich nur einmal klar würden darüber, wie das wirklich die Vorstufe ist, wie der Mensch durch seine Geburt an diesen oder jenen Ort hingestellt wird, und daß es tatsächlich wie eine große Suggestion ist, wie die Verhältnisse auf ihn wirken.

Versuchen wir uns vorzustellen, wie es ganz anders um einen Menschen bestellt wäre, wenn er statt in Konstantinopel in Rom oder in Frankfurt geboren wäre. Dadurch wäre er in verschiedene Verhältnisse hineingestellt, auch in gewisse religiöse Verhältnisse, unter deren Einwirkung sich bei ihm entwickelt ein gewisser Fanatismus für den Katholizismus oder Protestantismus. Nun aber nehmen wir an, wenn sich ein kleines Rädchen im karmischen Zusammenhange gedreht hätte und er in Konstantinopel geboren worden wäre, ob er dann nicht auch ein ganz leidlicher Türke geworden wäre? Da haben Sie das Beispiel, wie suggestiv die Verhältnisse der Umgebung auf den Menschen wirken.

Es kann aber der Mensch heraustreten aus dem bloß Suggestiven der Verhältnisse und sich vereinigen mit anderen Menschen nach von ihm selbst erwählten und eingesehenen Grundsätzen. Da sagt er sich: Jetzt weiß ich es, warum ich mit anderen Menschen zusammenwirke. Dadurch entstehen, aus dem menschlichen Bewußtsein heraus, solche Gesellschaftsverbände, in denen Material geschaffen wird für die Geister der Zeit, der Persönlichkeit. Nun ist denn ein solcher Verband die Anthroposophische Gesellschaft, wo auf Grundlage der Brüderlichkeit dieser Zusammenhang geschaffen wird. Das heißt nichts anderes, als es schafft ein jeder so an dem Verbande, daß er sich im kleinen aneignet alle die guten Eigenschaften, durch die er ein Abbild wird der ganzen Gesellschaft. Also das, was er entwickelt an Gedanken, Gefühlsreichtum, an Tugenden durch die Gesellschaft, daß er das wie eine Nahrung hinreicht den Geistern der Persönlichkeit.

So

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ist in einer solchen Gesellschaft vereinigt das, was menschliches Zusammenleben schafft, zu gleicher Zeit mit dem Prinzip der Indivi­dualität. Jeder einzelne wird durch eine solche Gesellschaft fähig gemacht, das, was er hervorbringt, als Opfer darzubringen den Geistern der Persönlichkeit. Und jeder bereitet sich vor zu jenem Standpunkt, den die Fortgeschrittensten einnehmen, die sich durch Geistesschulung so weit gebracht haben, daß ihnen als Ideal folgendes vorschwebt: Wenn ich denke, denke ich nicht, um mich zu befriedigen, sondern ich denke, damit sich daraus Nahrung schöpfen die Geister der Persönlichkeit. Ich lege dar auf dem Opferaltar der Geister der Persönlichkeit meine besten, meine schönsten Gedanken, und was ich fühle, fühle ich nicht aus einem Egoismus heraus, sondern ich fühle, weil es Nahrung sein soll für die Geister der Persönlichkeit. Und was ich an Tugenden ausüben kann, ich übe es nicht aus, um als das oder jenes zu gelten, sondern um Opfer darzubringen, Nahrung zu schaffen für die Geister der Persönlichkeit.

Damit aber haben wir als das Ideal vor uns hi gestellt diejenigen, die wir da nennen die Meister der Weisheit und des Zusammenklangs der Empfindungen. Denn so denken sie und bereiten vor jene Entwickelung des Menschen, die den Menschen immer mehr und mehr dazu bringen wird, Neues und immer Neues zu schaffen und zuletzt eine Welt der Wirkungen zu entwickeln, aus der die alten Ursachen verschwunden sind, aus der ein neues Licht strahlt in die Zukunft hinüber. Die Welt ist nicht unterworfen einer fortwährenden Wandlung, in der sie ganz andere Formen annimmt, sondern das Alte, das vervollkommnet sich, und dieses verbesserte Alte wird der Wagen des Neuen. Dann wird dieser aber abgeworfen, er verschwindet in dem Nichts, damit aus diesem Nichts ein Neues hervorgeht. Das ist der große, gewaltige Gedanke des Fortschritts, daß Neues und immer Neues entstehen kann.

Aber die Welten sind geschlossen in sich, und Sie haben gerade an dem Beispiel, das ich vorgeführt habe, gesehen, daß deshalb doch von einem wirklichen Zugrundegehen nicht geredet werden kann. Es ist gezeigt worden, wie die Geister der Persönlichkeit auf der einen Seite ihre Wirkung auf den Menschen verlieren, auf der anderen

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Seite ihre Entwickelung aber wieder aufnehmen, so daß wir es zu tun haben mit einer Welt, die sich immer verjüngt, aber von welcher wir sagen können: Das, was abgestreift wird, das würde verhindern, weiterzuschreiten, und das wird einem anderen gegeben, damit er seinerseits wieder weiterschreiten kann. Niemand soll glauben, etwas in das Nichts versinken lassen zu müssen, weil er die Möglichkeit eingegeben bekommen hat, aus dem Nichts heraus aufzubauen. Das aber, was auf dem Vulkan als ein Neues sich erweisen wird, wird immer neue Formen bilden und das Alte abwerfen, und was abgeworfen wird, wird sich seinen eigenen Weg suchen.

Evolution, Involution und Schöpfung aus dem Nichts, das sind die drei Begriffe, durch die wir uns die wahre Entfaltung, die wahre Evolution der Welterscheinungen zurechtlegen sollen. Nur dadurch kommen wir so recht zu Begriffen, die dem Menschen die Welt er­klären und ihm Gefühle der Innerlichkeit geben. Denn wenn der Mensch sich sagen müßte, er könnte nichts anderes als das schaffen, was als Ursache in ihm angelegt ist, nur das könnte er als Wirkungen ausleben, so könnte das nicht seine Kräfte stählen und seine Hoff­nungen entzünden in demselben Maße, als wenn er sich sagen kann: Ich kann Lebenswerte schaffen und zu dem, was mir als Grundlage gegeben ist, immer Neues hinzufügen; das Alte wird mich durchaus nicht hindern, neue Blüten und Früchte zu schaffen, welche in die Zukunft hinüberleben.

Das ist aber ein Stück von dem, was wir so charakterisieren können, daß wir sagen: Die anthroposophische Weltanschauung schafft dem Menschen Lebenskräfte, Lebenshoff­nung, Lebenszuversicht, denn sie zeigt ihm, daß er mitarbeiten kann in der Zukunft an Dingen, die heute nicht nur im Schoße der Ursächlichkeit, sondern im Nichts liegen, sie stellt ihm in Aussicht, daß er, im wahren Sinne des Wortes, vom Geschöpf zum Schöpfer hinarbeitet.