Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 107 Geisteswissenschaftliche Menschenkunde

14. Vortrag Berlin, 26. Januar 1909

Krankheit als Vergangenheits- und als Zukunftskarma.
Notwendigkeit von Krankheit zur Erlangung von Überwindungskräften.

Wir wollen fortfahren in unseren Betrachtungen, die uns einem Begreifen des Wesens des Menschen und seiner Aufgabe in der Welt von einem tieferen Gesichtspunkte aus immer näher und näher bringen sollen. Sie werden sich erinnern, daß in dem einen der in diesem Winter hier gehaltenen Zweigvorträge gesprochen wurde von der vierfachen Art, in welcher die Krankheit beim Menschen zunächst überhaupt möglich ist, und daß damals darauf hingedeutet worden ist, daß wir erst später zur Besprechung dessen kommen würden, was man nennen kann die eigentlich karmische Verursachung der Krankheit. Heute wollen wir wenigstens zu einem gewissen Teil auf diese karmische Verursachung der Krankheit zu sprechen kommen.

Wir haben damals ausgeführt, daß uns jene Einteilung des Menschenwesens in die vier Glieder, physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Jch, zugleich die Möglichkeit geboten hat, über die Krankheitserscheinungen eine gewisse Übersicht zu schaffen, nämlich da­durch, daß wir darauf aufmerksam gemacht haben, daß jedes dieser Menschenglieder seinen Ausdruck findet in gewissen Organen und Organ-Komplexen des physischen Leibes selber. Also daß das Ich im physischen Leibe seinen wesentlichen Ausdruck hat im Blut, der astralische Leib im Nervensystem, der Ätherleib in alledem, was wir das Drüsensystem nennen und was dazu gehört, und daß der physische Leib sich selbst ausdrückt als physischer Leib. Wir haben alsdann dargestellt die Erkrankungen, die aus dem Ich als solchem urständen und die daher äußerlich physisch sich als Unregelmäßigkeit in den Blutfunktionen darstellen. Wir haben darauf hingewiesen, wie dasjenige, was in Unregelmäßigkeiten des astralischen Leibes seine Ursache hat, durch Unregelmäßigkeiten im Nervensystem seinen Ausdruck findet und wie wiederum das, was im Ätherleib seinen Urgrund hat, im Drüsensystem zum Ausdruck kommt und daß wir dann im physischen Leibe diejenigen Krankheiten zu erkennen haben, die vorzugsweise äußere Ursachen haben. Damit haben wir

204
aber den Blick in bezug auf das Kranksein doch nur hingelenkt auf alles das, was mit des Menschen einzelnem Lebenslauf zwischen Geburt und Tod zusammenhängt. Nun ahnt der, der den Weltenlauf geisteswissenschaftlich zu betrachten vermag, daß Krankwerden beim Menschen auch in einer gewissen Beziehung mit seinem Karma zusammenhängen muß, also mit jenem großen Ursachengesetz, das die geistigen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Verkörperungen darstellt. Aber die Wege des Karmas sind sehr verschlungen, sind sehr mannigfaltig, und man muß in die feinen Gliederungen der karmischen Zusammenhänge eingehen, wenn man überhaupt etwas davon verstehen will, wie diese Dinge zusammenhängen.

Wir wollen heute einiges von dem besprechen, was überhaupt zunächst für den Menschen interessant ist zu wissen, nämlich, wie Erkrankungen zusammenhängen mit Ursachen, die in früheren Leben durch den Menschen selbst gelegt worden sind. Dazu müssen wir nun auf das Wirken des Karmagesetzes im menschlichen Lebenslauf mit ein paar Worten einleitend zurückkommen. Wir werden einiges von dem zu erwähnen haben, was die meisten von Ihnen schon aus anderen Vorträgen wissen, aber wir müssen es uns ganz genau vor die Seele führen, wie die karmischen Ursachen von einem Leben ins andere in ihren Wirkungen hinübergebracht werden. Da müssen wir mit einigen Worten noch einmal auf das zurückkommen, was eigentlich geistig mit dem Menschen in der Zeit geschieht, die auf den Tod des Menschen folgt.

Wir wissen, daß beim Durchgang durch die Todespforte der Mensch zunächst diejenigen Erlebnisse hat, die davon herrühren, daß er mit dem Tode zum erstenmal in einer Lage ist, in der er das ganze Leben hindurch nicht war. Er ist mit seinem Ich und seinem astralischen Leib verbunden mit dem Ätherleib ohne den physischen Leib. Den physischen Leib hat er sozusagen abgelegt. Während des Lebens tritt das ja nur in Ausnahmefällen ein, wie wir öfter erwähnt haben. Während des Lebens ist im schlafenden Zustande, wenn der Mensch seinen physischen Leib abgelegt hat, auch der Ätherleib abgelegt, so daß diese Verbindung von Ich, astralischem Leib und

205
Ätherleib nur nach dem Tode einige Zeit vorhanden ist, die da nur nach Tagen zählt. Wir haben auch die Erlebnisse erwähnt, die in dieser Zeit unmittelbar nach dem Tode folgen. Wir haben darauf hingewiesen, daß da der Mensch fühlt, als ob er immer größer und größer würde, als ob er hinauswüchse aus dem Raumesinhalt, den er eingenommen hatte, und alle Dinge umspannen würde. Wir haben erwähnt, wie das Bild des eben verflossenen Lebens in einem großen Tableau vor ihm steht. Dann folgt nach einiger Zeit, die sich für den Menschen nach Tagen bemißt und individuell verschieden ist, das Ablegen des zweiten Leichnams, des Ätherleibes, der dann in den allgemeinen Weltenäther aufgenommen wird, mit Ausnahme jener Fälle, die wir bei Besprechung intimer Reinkarnationsfragen erwähnt haben, wo der Ätherleib in einer gewissen Weise aufbewahrt wird, um später verwendet zu werden. Aber eine Essenz dieses Ätherleibes als die Frucht dessen, was wir im Leben erfahren, erlebt und durchgemacht haben, bleibt zurück.

Wir leben nun weiter das Leben, das bedingt ist durch dieses Zusammensein des Ichs mit dem astralischen Leib, ohne daß der Mensch nun an den physischen Leib gebunden ist. Jetzt folgt die Zeit, die man gewöhnt geworden ist in der geisteswissenschaftlichen Literatur die Kamaloka-Zeit zu nennen, die wir auch öfter genannt haben die Zeit des Herauswachsens, des Abgewöhnens des Zusammenhanges mit dem physischen Leibe oder überhaupt mit dem physischen Dasein.

Wir wissen, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes geschritten ist, zunächst in seinem astralischen Leib alle die Kräfte noch hat, die er in dem Augenblick des Todes in seinem astralischen Leib hatte. Denn abgelegt hat er nur den physischen Leib, das Instrument des Genießens und Handelns. Den hat er nicht mehr, den astralischen Leib aber hat er noch. Er hat noch den Träger der Leidenschaften, Triebe, Begierden und Instinkte. Er verlangt nach dem Tode genau dieselben Dinge - aus Gewöhnung könnte man sagen -, die er im Leben verlangt hat. Nun ist es im Leben so, daß der Mensch durch das Instrument des physischen Leibes sein Verlangen, seine Begierde befriedigt. Dieses Instrument hat er nach dem Tode nicht mehr, er entbehrt daher die Möglichkeit, das alles zu befriedigen.

206
Das macht sich dann so lange als eine Art Durst nach dem physischen Leben geltend, bis der Mensch gewöhnt geworden ist, nur noch in der geistigen Welt als solcher zu leben, das zu haben, was man aus der geistigen Welt haben kann. Bis der Mensch das gelernt hat, lebt er in dem, was man die Zeit des Abgewöhnens, die Zeit des Kamaloka nennt.

Nun haben wir schon den ganz eigenartigen Verlauf dieser Zeit des Lebens angeführt. Wir haben gesehen, daß in dieser Zeit das Leben des Menschen rückwärts verläuft. Das ist etwas, was für den geisteswissenschaftlichen Anfänger zunächst schwer zu verstehen ist. Der Mensch durchläuft die Zeit des Kamaloka - ungefähr ein Drittel der Zeit des gewöhnlichen Lebens nimmt sie in Anspruch - rückwärts.

Nehmen wir an, ein Mensch stirbt im vierzigsten Lebensjahr, so durchläuft er alle die Ereignisse, die er während des Lebens durchgemacht hat, in der rückwärtigen Folge. Also zuerst erlebt er die Zeit seines neununddreißigsten Jahres, dann kommt das achtunddreißigste, siebenunddreißigste, sechsunddreißigste Jahr und so weiter an die Reihe. Es ist also wirklich so, daß er das Leben umgekehrt durchläuft bis zum Moment der Geburt.

Das liegt dem schönen Satze der christlichen Botschaft zugrunde, der da sagt, wann eigentlich der Mensch in die geistige Welt eintritt oder in die Reiche der Himmel: «Ehe ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht kommen in die Reiche der Himmel!» Das heißt, der Mensch lebt zurück bis in die Zeit, wo er seine Kindheitsaugenblicke erlebt, und dann kann er, da er alles wieder rückwärts absolviert hat, in das Devachan oder in das Reich der Himmel eintreten und seine weitere Zeit in der geistigen Welt zubringen. Das ist schwer vorzustellen, weil man so sehr gewöhnt ist, daß die Zeit, wie im Verlauf auf dem physischen Plan, etwas Absolutes ist, so daß schon einiges dazu gehört, sich in diese Vorstellungen einzuleben. Aber das wird schon geschehen.

Nun müssen wir uns vor die Seele führen, was der Mensch eigentlich im Kamaloka tut. Wir könnten da natürlich Vieles und Mannigfaltiges ausführen. Heute soll uns aber nur interessieren, was sich gerade zuspitzt auf unsere Frage nach der karmischen Verursachung der Krankheiten. Es darf also durchaus nicht das, was jetzt gesagt

207
wird, als alleinige Erlebnisart des Kamaloka betrachtet werden, sondern als eine unter vielen.

Zunächst können wir uns veranschaulichen, wie diese Kamalokazeit im Sinne der Zukunft von dem Menschen benützt wird, wenn wir uns vorstellen, der Mensch, der im vierzigsten Lebensjahr gestorben ist, hätte im zwanzigsten Lebensjahr irgend etwas vollbracht, was einem andern Menschen geschadet hat. Wenn jemand im Verlaufe eines Lebens so etwas vollbringt, was einem andern Menschen schadet, so hat das für den ganzen menschlichen Lebenslauf eine gewisse Bedeutung. Solch eine Sache, die der Mensch vollbringt zum Schaden seiner Mitmenschen oder auch anderer Mitwesen oder überhaupt zum Schaden der Welt, stellt für den Menschen ein Entwickelungshindernis dar, ein Hindernis, vorwärtszukommen in der Entwickelung.

Das ist überhaupt der Sinn der menschlichen Erdenpilgerschaft, daß jederzeit die Grundkraft der menschlichen Seele, die von Wiederverkörperung zu Wiederverkörperung geht, auf Weiterkommen angelegt ist, nach Emporentwickelung strebt. Und die Entwickelung schreitet so vor, daß der Mensch immer und immer wieder sozusagen sich Hindernisse in den Weg legt. Würde die Grundkraft - es ist ja schon einmal die Grundkraft in der Seele, die diese Seele zur Wieder-Vergeistigung bringen soll - ganz allein tätig sein, so würde nur eine ganz kurze Erdenzeit für den Menschen nötig sein. Dann würde aber die ganze Erdenentwickelung ganz anders verlaufen sein; es würde aber auch der Sinn der irdischen Entwickelung nicht erreicht worden sein. Man darf nicht so denken, daß man sagt: es wäre besser für den Menschen, wenn er sich keine Hindernisse in den Weg legte. Dadurch allein, daß er sich Hindernisse und Hemmnisse in den Weg legt, wird er stark, macht er Erfahrungen. Dadurch, daß er die Hindernisse, die er sich selber in den Weg gelegt hat, auch wieder ausmerzt und überwindet, wird er erst das starke Wesen am Ende der Erdenentwickelung, das er werden muß. Es ist durchaus im Sinne der Erdenentwickelung gelegen, daß er sich selbst die Steine in den Weg legt. Und würde er sich keine Kraft erringen müssen, um die Hindernisse wieder fortzuschaffen, dann würde er aber auch die Kraft nicht haben, die er dazu nötig hätte. Das heißt, die Welt würde dieser Kraft,

208
die er dadurch entwickelt, überhaupt verlustig gehen.

Wir müssen ganz davon absehen, was an Gutem und Bösem mit solchen Hinder­nissen und Hemmnissen verbunden ist. Wir müssen allein darauf hinblicken, daß es die Weisheit der Welt von Anfang an in der menschlichen Erdenentwickelung darauf abgesehen hat, dem Menschen die Möglichkeit zu bieten, daß er sich Hindernisse in den Weg legen kann, damit er sie wieder wegräumen und dann die große starke Kraft für Späteres in der Welt haben kann. Man möchte sogar sagen: Die Weisheit der Weltenienkung hat den Menschen böse werden lassen, hat ihm die Möglichkeit des Bösen, des Schadens gegeben, damit er im Gutmachen des Schadens, in der Überwindung des Bösen, im Verlauf der karmischen Entwickelung ein stärkeres Wesen wird, als er sonst geworden wäre, wenn er wie von selbst sein Ziel erreichen würde. So muß man die Bedeutung und Berechtigung der Hemmnisse und Hindernisse einsehen.

Wenn also ein Mensch nach dem Tode sein Leben im Kamaloka zurücklebt und bei irgendeinem Schaden ankommt, den er im zwan­zigsten Lebensjahr einem Mitmenschen zugefügt hat, dann erlebt er diesen Schaden ebenso, wie er die Freude, das Gute, wiedererlebt, das er seinen Mitwesen zugefügt hat. Nur erlebt er dann einen solchen Schmerz, den er einem anderen zugefügt hat, an seinem eigenen astralischen Leib. Also nehmen wir an, er hätte im zwanzigsten Lebensjahr jemanden geschlagen, er hätte jemandem wehegetan, so hat der andere es gespürt. Beim Zurückleben spürt es der, der den Schmerz verursacht hat, genau ebenso an seinem astralischen Leib, wie der andere, dem er den Schmerz zugefügt hat, ihn gespürt hatte, als er ihn bekommen hat. Also man macht in der geistigen Welt objektiv alles durch, was man in der Außenwelt selber verursacht hat. Dadurch nimmt man in sich die Kraft, die Tendenz auf, diesen Schmerz in einer der folgenden Inkarnationen wieder auszugleichen. Es ist das so, daß man an dem eigenen astralischen Leib merkt, wenn man da zurückerlebt: So tut es, was man da getan hat! Und man merkt, daß man sich damit einen Stein in den Weg gelegt hat zu der weiteren Entwickelung. Der Stein muß fort! Sonst kann man nicht über ihn hinwegkommen. In diesem Moment nimmt man die Absicht, die Tendenz

209
auf, diesen Stein auch fortzuschaffen, so daß, wenn man die Kamaloka-Zeit durchlebt hat, man eigentlich mit lauter Absichten in der Kindheitszeit ankommt, nämlich mit der Absicht, alles das, was man an Hindernissen im Leben geschaffen hat, auch wieder fortzu­schaffen. Man ist ganz erfüllt von lauter Absichten. Daß man diese Absichten als Kraft in sich hat, das bewirkt die ganz eigenartige Gestaltung der künftigen Lebensläufe.

Nehmen wir an, der B hat in seinem zwanzigsten Jahre dem A einen Schaden zugefügt. Jetzt muß er selbst den Schmerz erleben, und er nimmt die Absicht mit sich, das in einem künftigen Lebenslauf an dem A wieder gutzumachen, und zwar in der physischen Welt, denn da ist der Schaden zugefügt worden. Daß er diese Kraft, das heißt den Willen zum Gutmachen, in sich hat, bildet ein Anziehungsband zwischen dem B und dem A, der den Schaden zugefügt erhalten hat, und dieses Anziehungsband führt sie im kommenden Leben wieder zusammen. Jene geheimnisvolle Anziehungskraft, die Mensch zu Mensch führt im Leben, die rührt von dem her, was so in Kamaloka aufgenommen und an Kräften gebildet worden ist. Wir werden zu den Menschen im Leben geführt, an denen wir irgend etwas gutzumachen haben oder mit denen wir überhaupt irgend etwas zu tun haben gerade durch das, was wir in Kamaloka durchgemacht haben.

Nun können Sie sich vorstellen, daß das, was wir als Ausgleichung für ein Leben an Kamaloka-Kräften in uns aufgenommen haben, durchaus nicht immer in einem einzigen Leben wieder gutgemacht werden kann. Da kann es dann so sein, daß wir in einem Leben zu einer großen Anzahl von Menschen Beziehungen angeknüpft haben und daß uns die nächstfolgende Kamaloka-Zeit die Möglichkeit gegeben hat, mit diesen Menschen wieder zusammenzukommen. Nun hängt das ja auch wieder von den andern Menschen ab, ob wir schon in dem nächsten Leben mit dem andern wieder zusammenkommen. Das verteilt sich dann auf viele Leben. In dem einen Leben haben wir dieses gutzumachen, in dem andern Leben etwas anderes und so weiter. Es darf durchaus nicht so vorgestellt werden, als ob wir im nächsten Leben gleich alles wieder gutmachen könnten. Das hängt durchaus auch davon ab, daß der andere das entsprechende Anziehungsband in seiner Seele entwickelt.

210
Nun wollen wir einmal genauer das Wirken des Karma betrachten und namentlich an einem Falle uns vorlegen. Wir nehmen im Kamaloka die Absicht auf, dieses oder jenes im nächsten oder in einem der nächsten Leben auszuführen. Was sich da in unsere Seele ver­pflanzt als eine Kraft, das bleibt in der Seele, das geht nicht wieder von der Seele fort. Wir werden wiedergeboren mit all den Kräften, die wir in uns aufgenommen haben. Das ist ganz unumgänglich.

Nun gibt es nicht bloß solche Dinge im Leben zu tun im karmischen Zusammenhange, die sich darauf beziehen, daß wir an einem andern etwas gutmachen, obwohl das, was zu sagen ist, sich auch darauf beziehen kann. Wir haben manches an Hemmnissen uns in den Weg gelegt, wir haben einseitig gelebt, unser Leben nicht ordentlich genützt, haben bloß diesem oder jenem Genusse, dieser oder jener Arbeit gelebt und haben andere Möglichkeiten, die sich uns im Leben geboten haben, vorübergehen lassen und haben dadurch andere Fähigkeiten nicht ausgebildet. Das ist auch etwas, was karmische Ursachen im Kamaloka-Leben in uns wachruft. So leben wir uns in das nächste Leben hinein.

Nun werden wir wiedergeboren, mit null Jahren. Nehmen wir an, wir leben bis in unser zehntes, bis in unser zwanzigstes Jahr. In unserer Seele liegt alles das, was wir an Kamaloka-Kräften in uns aufgenommen haben, und wenn es ausgereift ist für das Leben, kommt es dann heraus. Für eine bestimmte Zeit unseres Lebens tritt zweifellos immer irgendwie eine innere Nötigung auf, das auch auszuführen. Also nehmen wir an, in unserm zwanzigsten Jahre tritt ein innerer Drang, ein innerer Trieb auf, irgendeine Tat auszuführen, weil wir diese Kraft im Kamaloka aufgenommen haben. Also bleiben wir dabei, weil es der einfachste Fall ist: es tritt da der innere Trieb auf, an einem Menschen etwas gutzumachen. Der Mensch ist da, das Anziehungsband hat uns mit ihm zusammengeführt. Wir könnten es aus äußeren Gründen ganz gut machen.

Aber es kann ein Hindernis dennoch geben: der Ausgleich könnte eine Tat von uns fordern, der wir durch unsere Organisation nicht gewachsen sind. Wir sind in unserer Organisation auch abhängig von den Vererbungskräften. Das gibt immer eine Disharmonie in jedem Leben. Wenn der Mensch geboren wird, steht er auf der einen Seite in den Vererbungskräften

211
drinnen. Er erbt für den physischen Leib und für den Ätherleib die Eigenschaften, die er in der Ahnenreihe herauf erben kann. Diese Vererbung ist natürlich durchaus nicht ganz ohne äußere Beziehung zu dem, was unsere Seele sich karmisch vorgeschrieben hat. Denn unsere Seele, die herunterkommt aus der geistigen Welt, wird hingezogen zu demjenigen Elternpaar, zu der Familie, wo Eigenschaften vererbt werden können, die am verwandtesten sind zu den Bedürfnissen der Seele. Aber sie sind ja nie ganz gleich mit den Bedürfnissen dieser Seele. Das kann in unserem Leib nicht sein. Da gibt es immer ein gewisses Nichtzusammenstimmen zwischen dem, was an Vererbungskräften da ist, und dem, was die Seele in sich selbst auf Grund ihrer vergangenen Leben hat. Und es handelt sich lediglich darum, daß die Seele stark genug ist, um alle die in der Vererbungslinie gegebenen Widerstände zu überwinden, daß es ihr möglich ist, ihre Organisation im Laufe des ganzen Lebens so auszugestalten, daß sie das überwindet, was in ihr nicht passend ist. Darin sind die Menschen sehr verschieden.

Es gibt Seelen, die durch ihre vorherigen Lebensläufe sehr stark geworden sind. Es muß eine solche Seele eben in den allerpassendsten Leib hineingeboren werden, nicht in den absolut passenden Leib. Sie kann nun so stark sein, daß sie alles, was zu ihr nicht paßt, annähernd überwindet, aber es braucht das nicht immer der Fall zu sein. Wir wollen im einzelnen das verfolgen und dazu unser Gehirn betrachten.

Wenn wir dieses Instrument unseres Vorstellungs- und Gedankenlebens betrachten, so erben wir es als äußeres Instrument aus unserer Vorfahrenreihe. Es ist so und so in seinen feineren Wölbungen und Windungen herausgestaltet aus der Vorfahrenreihe. Bis zu einem gewissen Grade wird die Seele immer durch eine innere Kraft das überwinden können, was nicht zu ihr paßt, und ihr Werkzeug ihren Kräften sich anpassen können; aber nur bis zu einem gewissen Grade. Die stärkere Seele kann das mehr, die schwächere Seele kann es weniger. Und haben wir gar durch Verhältnisse, die eintreten können, die Unmöglichkeit, durch unsere Seelenkräfte die widerstrebenden Fügungen und Organisationen des Gehirns zu überwinden, dann können wir das Instrument nicht ordentlich handhaben. Dann tritt das

212
ein, was wir nennen können: die Unmöglichkeit, dieses Instrument zu handhaben, in gewisser Beziehung ein geistiger Defekt, eine geistige Erkrankung, wie man es so nennt. Es tritt auch das ein, was man ein melancholisches Temperament nennt, dadurch daß gewisse Organisationen in uns nicht überwunden werden können durch die Kräfte der Seele, die dazu nicht stark genug sind.

Also jetzt, in der Mitte der Inkarnation - am Anfang und am Ende der Inkarnation ist das anders -, haben wir in uns immer ein gewisses Unangemessensein des Instrumentes gegenüber den Kräften der Seele. Das ist ja immer der geheimnisvolle Grund zu der inneren Zwiespältigkeit und Disharmonie der Menschennatur. Alles, was der Mensch oftmals denkt über den Grund seiner Unbefriedigtheit, ist ja gewöhnlich nur Maske. In Wahrheit liegen die Gründe da, wo eben jetzt hingedeutet worden ist. So also sehen wir, wie das Verhältnis der Seele, dessen, was von Verkörperung zu Verkörperung lebt, zu dem steht, was wir in der Vererbungslinie empfangen.

Nun stellen wir uns einmal vor, wir seien wiedergeboren, und unsere Seele drängt im zwanzigsten Jahre dazu, diese oder jene Tat gutzumachen. Der betreffende Mensch ist auch da, aber unsere Seele ist außerstande, jene inneren Widerstände zu überwinden, welche die Tat ausführen lassen könnten. Wir müssen ja immer unsere Kräfte in Bewegung setzen, wenn wir irgendeine Tat ausführen sollen. Das merkt zumeist der Mensch nicht, daß da in seinem Wesen etwas vorgeht, davon braucht er zunächst auch nichts zu merken. Es kann sich durchaus folgendes zutragen. Ein Mensch lebt in der Welt. In seiner Seele, zwanzig Jahre nach seiner Geburt, lebt der Trieb und Drang, irgend etwas auszugleichen. Die Möglichkeit des Ausgleichens wäre auch da, die äußeren Umstände wären da. Aber er ist innerlich nicht fähig, seine Organe so zu gebrauchen, daß er das ausführen könnte, was er ausführen sollte.

Das alles, was jetzt gesagt worden ist, braucht der Mensch nicht zu wissen, aber die Wirkung wird er gewahr. Die Wirkung tritt nun auf als diese oder jene Erkrankung, und hier liegt der karmische Zusammenhang zwischen dem, was im früheren Leben geschehen ist, mit der Erkrankung. Der ganze Krankheitsprozeß wird nun bei dieser

213
geistigen Verursachung so ablaufen, daß er dahin führt, für ein nächstes Mal, wenn die Umstände wieder da sind, diesen Menschen tüchtig zu machen, um das auszugleichen.

Also wir sind im zwanzigsten Jahre untüchtig, unfähig, dieses oder jenes auszuführen. Der Trieb aber, der Drang ist da, die Seele will es tun. Was tut nun die Seele anstelle dessen? Sie kämpft sozusagen gegen ihr unbrauchbares Organ, sie läuft Sturm gegen ihr unbrauchbares Organ und die Folge ist, daß sie es sozusagen zertrümmert, daß sie es zerstört. Das Organ, das eigentlich verwendet werden müßte, um die Tat nach außen zu tun, das wird unter dem Einfluß dieser Kräfte zerstört, und die Folge davon ist, daß der Reaktionsprozeß eintreten muß, den wir jetzt den Heilungsprozeß nennen, daß die Kräfte des Organismus aufgerufen werden müssen, um das Organ wieder aufzubauen. Dieses Organ, das zertrümmert ist, weil es nicht so war, wie es hätte sein sollen, damit der Mensch seine entsprechende Arbeit tun könnte, wird jetzt durch die Krankheit gerade so gebaut, wie es die Seele braucht zur Ausführung dieser Tat, für die es jetzt unter Umständen nach der Krankheit schon zu spät sein kann. Dafür hat jetzt aber die Seele eine ganz andere Kraft in sich aufgenommen, nämlich bei der entsprechenden Wiederverkörperung im Wachstum und in der ganzen Entwickelung dieses Organ so zu gestalten, daß bei der nächsten Wiederverkörperung diese Tat ausgeführt werden kann. So also kann die Krankheit das sein, was uns gerade in einem Leben tüchtig macht, um in einem anderen Leben das auszuführen, was uns karmisch obliegt.

Hier haben wir einen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen der Krankheit, die im Grunde ein Prozeß ist zur Aufwärtsentwickelung, einen karmischen Zusammenhang zwischen der Krankheit und dieser Aufwärtsentwickelung. Damit die Seele die Kraft entwickelt, daß ein Organ so gestaltet werden kann, wie es gebraucht wird, muß dieses Organ, das ungeeignet ist, zertrümmert und wieder aufgebaut werden durch die Seelenkräfte. Da kommen wir an ein Gesetz, das schon besteht im menschlichen Lebenslauf und das etwa so bezeichnet werden muß: Der Mensch muß sich seine Kraft dadurch erwerben, daß er Widerstände in der physischen Welt Stück für Stück überwindet. Dadurch haben wir uns im Grunde alle unsere Kräfte erworben, daß

214
wir in früheren Lebensläufen dieses oder jenes an Widerständen überwunden haben. Unsere heutigen Tüchtigkeiten sind das Resultat unserer Krankheiten in früheren Lebensläufen.

Nehmen wir an, um besonders deutlich zu sein, eine Seele ist noch nicht tüchtig genug, das Mittelgehirn zu gebrauchen. Auf welchem Wege kann sie sich die Fähigkeit erwerben, das Mittelgehirn ordentlich zu gebrauchen? Nur dadurch kann sie es, daß sie die Unfähigkeit, dieses Mittelgehirn zu gebrauchen, vorher merkt, dadurch das Mittel-gehirn zertrümmert und es wieder aufbaut; und an dem Wiederaufbau lernt sie gerade die Kraft erwerben, die sie nach dieser Richtung hin braucht. Alles das, was wir selbst einmal durch Zerstörung und Wiederaufbau durchgeführt haben, können wir. Das haben alle diejenigen gefühlt, die in diesem oder jenem Religionsbekenntnis der Erde dem Zerstören und der Wiederherstellung eine ganz bedeutsame Wesenheit zuerkannt haben. «Shiva» sind in dem indischen Religionsbekenntnis die waltenden Mächte, die zerstören und wiederherstellen.

Da haben wir schon eine der Arten, wie karmisch sozusagen Krankheitsprozesse herbeigeführt werden. Für diejenigen Prozesse, bei denen weniger die Individualität des Menschen als das, wie der Mensch im allgemeinen ist, in Betracht kommt, liegt schon ohnedies so etwas vor, wodurch die Krankheiten allgemeiner auftreten. Wir sehen zum Beispiel Kinderkrankheiten zu gewissen Zeiten ganz typisch auftreten. Sie sind nichts anderes als der Ausdruck dafür, daß das Kind, während es seine Kinderkrankheiten durchmacht, einen gewissen Teil seiner Organe von innen heraus beherrschen lernt und dann für alle folgenden Inkarnationen beherrschen kann. Als einen Prozeß, der den Menschen tüchtig macht, sollten wir die Krankheiten ansehen. Da kommen wir zu einer ganz anderen Art, über die Krankheiten zu denken. Natürlich darf man nicht daraus schließen, daß, wenn jemand von einem Eisenbahnzug überfahren wird, das ebenso erklärt werden muß. Alles das ist immer außerhalb der Krankheit zu suchen, außerhalb dessen, was eben charakterisiert worden ist. Aber es gibt noch einen andern Fall von karmischer Verursachung der Krankheit, der nicht minder interessant ist und der von uns auch nur

215
verstanden werden kann, wenn wir die Verhältnisse im Leben etwas genauer charakterisieren.

Nehmen Sie an, Sie lernen im Leben dieses oder jenes, was man so im Leben lernt. Man muß es zuerst lernen, denn die wichtigsten Erwerbungen im Leben werden durchaus zuerst erlernt. Der Prozeß des Erlernens ist der absolut notwendige Prozeß. Aber damit ist es niemals abgetan, denn das Lernen ist auch der äußerlichste Prozeß. Wenn wir etwas in uns aufgenommen haben, so handelt es sich darum, daß wir noch lange nicht, wenn wir das Betreffende gelernt haben, auch schon alles das erlebt haben, was das Erlernte an uns tun soll. Wir werden ins Leben hineingeboren mit ganz bestimmten Fähigkeiten, die wir uns teilweise durch unsere Vererbung, teilweise durch unsere früheren Lebensläufe erworben haben. Der Umkreis unserer Fähigkeiten ist ja ein begrenzter. In jedem Leben vermehren wir unsere Erfahrungen und Erlebnisse. Was wir da erfahren, ist nicht so mit uns verbunden wie das, was wir in das Leben mit hineingebracht haben als Temperament, Naturanlage und so weiter. Was wir gelernt haben während des Lebens zunächst als Gedächtnis und Gewohnheit, das ist loser mit uns verbunden. Es tritt daher auch im Leben in vereinzelten Teilen hervor. Erst nach dem Leben tritt es hervor an dem Ätherleib, in dem großen Erinnerungstableau. Das müssen wir jetzt uns einverleiben, das muss zu uns hinzukommen.

Also nehmen wir an, wir haben in unserm Leben etwas gelernt und werden wiedergeboren. Indem wir wiedergeboren werden, kann es durchaus sein, daß wir vermöge der Vererbung oder der sonstigen Verhältnisse, auch vielleicht deshalb, weil unser Lernen nicht har­monisch verlaufen ist und wir eines gelernt haben, aber das, was wir brauchten, um auf die Höhe des Erlernten zu kommen, nicht gelernt haben, bei der Wiedergeburt nach einer Richtung hin das entwickeln, was wir gelernt haben, aber nach einer andern Richtung hin nicht. Nehmen wir an, wir haben im Leben etwas gelernt, das notwendig machte, daß in einem folgenden Leben eine ganz bestimmte Partie unseres Gehirns so oder so organisiert ist, oder daß in dem Blutkreislauf dieses oder jenes so oder so verläuft, und nehmen wir nun an, wir hätten die andern Dinge, die noch dazu notwendig sind, nicht mitgelernt.

216
Das ist aber durchaus nicht gleich ein Mangel. Der Mensch muß sprunghaft in seinem Leben vorgehen und muß erfahren und erkennen, daß er etwas in einseitiger Weise getrieben hat.

Nun wird er wiedergeboren mit den Früchten dessen, was er gelernt hat, aber ihm fehlt die Möglichkeit, alles an sich so auszugestalten, daß sich alles auch ausleben kann, so daß er das Erlernte im Leben auch ausführen kann. Es kann zum Beispiel so sein, daß ein Mensch sogar bis zu einem gewissen Grade eingeweiht war in die großen Geheimnisse des Daseins während einer Verkörperung. Jetzt wird er so wiedergeboren, daß diese Kräfte da heraus wollen, die da in ihn hineinverpflanzt worden sind. Aber nehmen wir an, er hat gewisse Kräfte unmöglich entwickeln können, die dann die entsprechende Harmonie der Organe hervorrufen können. Da tritt an einem bestimmten Lebenspunkt durchaus das auf, daß das heraus will, was er früher gelernt hat. Aber es fehlt ein Organ, das dazu notwendig ist, um das auch auszuführen.

Was ist die Folge davon? Es muß eine Krankheit auftreten, eine Krankheit, deren karmische Ursache sehr, sehr tief liegen kann. Und es muß wiederum sozusagen ein Teil des Organismus zertrümmert werden und neu aufgebaut werden. Dann spürt die Seele an diesem Aufbauen, welches die richtigen Kräfte sind nach einer andern Richtung hin, und nimmt dieses Gefühl, welches die richtigen Kräfte sind, mit. Wenn das von einem solchen Lernen oder gar von einer Einweihung herrührt, ist es dann allerdings gewöhnlich so, daß dann die Früchte sich in dem betreffenden Leben selber zeigen. Da tritt also eine Krankheit auf, so daß die Seele spürt, daß ihr dies oder jenes fehlt. Und dann kann zum Beispiel unmittelbar nach der Krankheit das auftreten, was man sonst nicht hätte bekommen können. Es kann so sein, daß man in dem vorhergehenden Leben bis zu einer gewissen Erleuchtung hätte steigen können, nun ist aber ein Knopf in dem Gehirn nicht aufgegangen, und man hat die Kraft nicht entwickelt, die diesen Knopf hätte aufgehen lassen können. Da kommt nun unweigerlich das, daß dieser Knopf zertrümmert werden muß. Das kann dann eine schwere Krankheit bewirken. Dann wird das betreffende Glied wieder aufgebaut und die Seele spürt dabei die Kräfte, die notwendig sind, um den betreffenden

217
Knopf aufgehen zu lassen; und man hat hinterher die Erleuchtung, die man haben soll. Krankheitsprozesse kann man durchaus als ganz bedeutungsvolle Vorboten ansehen.

Da kommen wir allerdings auf Dinge, wozu unsere profane Welt heute die Nase rümpfen wird. Aber schon mancher hat etwas erfahren können wie eine fortwährende Unbefriedigtheit, wie wenn etwas da in der Seele wäre, was nicht heraus kann, was das Leben geradezu innerlich unmöglich macht. Es kommt dann eine schwere Krankheit, und die Überwindung dieser schweren Krankheit bedeutet, daß etwas ganz Neues im Leben eintritt, was wie eine Erlösung wirkt, daß tatsächlich der Knopf aufgegangen ist und das Organ gebraucht werden kann. Das lag nur daran, daß das Organ nicht brauchbar war. Allerdings haben für den heutigen Lebenszyklus die Menschen noch viele solcher Knöpfe, und sie können nicht alle gleich aufgehen. Wir brauchen nicht immer gleich an Erleuchtung zu denken, es tritt das auch an vielen untergeordneten Lebensprozessen auf.

So sehen wir, daß wir hier vor der Notwendigkeit stehen, dieses oder jenes zu entwickeln und daß auch hier in der karmischen Verursachungslinie die Veranlassung zu Krankheiten liegt. Daher dürfen wir eigentlich niemals ganz zufrieden sein, wenn wir im bloßen trivialen Sinne sagen: Befällt mich eine Krankheit, so habe ich sie mir durch mein Karma zugezogen. - Denn wir sollen in diesem Falle nicht bloß an das Karma in der Vergangenheit denken, daß also die Krankheit ein Abschluß sei, sondern wir sollen sogar daran denken - die Krankheit ist ja nur das zweite Glied -, daß wir in der Krankheit die sich ergebende Ursache haben für die Schaffenskraft und Tüchtigkeit für die Zukunft. Wir mißverstehen Krankheit und Karma durchaus, wenn wir immer nur auf die Vergangenheit schauen; dadurch wird Karma etwas was man möchte sagen, nur ein ganz zufälliges Schicksalsgesetz darstellt. Karma wird aber zu einem Gesetz des Handelns, der Fruchtbarkeit des Lebens, wenn wir in der Lage sind, durch das Karma von der Gegenwart in die Zukunft zu schauen.

Das alles weist uns hin auf ein großes Gesetz, das in unserem Menschendasein waltet. Und um dieses große Gesetz heute wenigstens ein wenig zu aluien - wir werden noch später darauf zurückkommen

218
und es genauer charakterisieren -, werfen wir einen Blick zurück in die Zeit, in der der Mensch in seiner heutigen Menschenform entstanden ist, in die lemurische Zeit. Da lebte er sich herunter von dem göttlich-geistigen Dasein in das heutige äußere Dasein, umgab sich mit den Hüllen zunächst, trat so den Weg der äußeren Inkarnationen an und ging von Inkarnation zu Inkarnation vorwärts bis heute. Bevor der Mensch in die Inkarnationen eingetreten ist, war in demselben Sinne wie heute nicht die Möglichkeit gegeben, Krankheiten in sich hinein zu verpflanzen. Erst als der Mensch in sich selbst die Fähigkeit erlangte, sein Verhältnis zur Umwelt zu regeln, konnte er irren, konnte er dadurch falsche innere Organgestaltungen hervorrufen und die Möglichkeit der Erkrankung in sich verpflanzen. Vorher war es unmöglich für den Menschen, Krankheitsprozesse in sich hervorzurufen. Als noch alles unter dem Einfluß der göttlichen Mächte und Kräfte stand, als es noch nicht an ihm lag, sein Leben zu führen, da war die Möglichkeit der Erkrankung noch nicht gegeben. Dann kam diese Möglichkeit der Erkrankung.

Wo wird man daher am besten lernen können, welches die Wege der Heilung sind? Man wird das am besten lernen können, wenn man zurückzublicken vermag in jene Zeiten, wo die göttlich-geistigen Kräfte in den Menschen hineingewirkt haben und ihn mit absoluter Gesundheit, ohne die Möglichkeit der Erkrankung, ausgestattet haben, also in die Zeit vor der ersten Verkörperung des Menschen. So hat man immer gefühlt, wo man über diese Dinge etwas gewußt hat. Und nun versuchen Sie, von diesem Ausgangspunkt aus einen tiefen Blick zu tun in eine solche Sache, wie sie in den Mythologien dargestellt wird. Ich will Sie jetzt gar nicht einmal hinweisen auf die Quelle der eigentlichen Heilkunde im ägyptischen Hermes-Dienst, ich will Sie jetzt nur hinweisen auf den griechischen und römischen Äskulap-Dienst.

Äskulap, der Sohn des Apollo, ist sozusagen der Vater der griechischen Ärzte. Und was wird uns von ihm im griechischen Mythos erzählt? Der Vater bringt ihn schon in der Jugend auf jenes Gebirge, wo er der Schüler werden kann des Kentauren Chiron. Und der Kentaur Chiron ist es, der Äskulap, den Vater der Arzneikunde,

219
unterrichtet in dem, was in den Pflanzen an Heilkräften ist und sonst an Heilkräften auf der Erde sich findet. Chiron, der Kentaur, was ist er für ein Wesen? Er ist ein Wesen, das uns da charakterisiert wird als ein solches, wie sie da waren vor dem Herabstieg des Menschen vor der lemurischen Zeit: ein Wesen, halb Mensch, halb Tier. In diesem Mythos verbirgt sich das, daß dem Äskulap in dem entspre­chenden Mysterium gezeigt werden jene Kräfte, die die großen Gesundheitskräfte waren, die Gesundheit hervorbringen konnten, bevor der Mensch in die erste Inkarnation hineingetreten ist.

Und so sehen wir, wie dieses große Gesetz, wie diese große geistige Tatsache, die uns so interessieren muß beim Ausgange der Menschenpilgerschaft auf der Erde, auch in dem griechischen Mythos ausgedrückt ist. Gerade die Mythen werden sich erst zeigen als das, was sie sind: als Bilder für die tiefsten Zusammenhänge des Lebens, wenn die Menschen erst über das Abc der Geisteswissenschaft hinübergekommen sind. Gerade die Mythen sind Bilder für die tiefsten Geheimnisse des Menschendaseins.

Wenn das ganze Leben von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet wird, dann wird das ganze Leben auch unter diesen Gesichtspunkt gestellt werden und Geisteswissenschaft wird immer mehr etwas sein - das muß immer mehr und mehr hervorgehoben werden -, was sich einleben wird in alles Leben des Alltags. Die Menschen werden Geisteswissenschaft leben, und das wird dann erst die Verwirklichung dessen sein, was eigentlich mit der Geisteswissenschaft von Anfang an erstrebt worden ist. Es wird Geisteswissenschaft der große Impuls für den Aufwärtsstieg der Menschheit werden, für das wahre Heil und den wahren Menschheitsfortschritt.