Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 107 Geisteswissenschaftliche Menschenkunde

17. Vortrag Berlin, 27. April 1909

Lachen und Weinen als Möglichkeit und Ausdruck des Ich.

Wir haben im Verlaufe dieses Winters eine ganze Reihe von geisteswissenschaftlichen Betrachtungen angestellt, die alle von einer be­stimmten Absicht durchdrungen waren, von der Absicht, uns den Menschen in seinem ganzen Wesen immer näher und näher zu brin­gen. Von den verschiedensten Seiten her haben wir das große Menschenrätsel betrachtet. Heute soll es unsere Aufgabe sein, über etwas recht Alltägliches zu sprechen. Aber vielleicht gerade dadurch, daß wir einmal an etwas recht Alltägliches anknüpfen, wird sich uns zeigen, wie die Rätsel des Lebens im Grunde genommen auf Schritt und Tritt uns begegnen können, wie wir sie nur fassen sollen, um durch ihre Bewältigung in die Tiefen der Weltordnung hineinzuschauen. Denn das Geistige und das Höchste überhaupt ist nicht irgendwo in einer unbekannten Ferne zu suchen, sondern es offenbart sich uns im Alleralltäglichsten. Im Kleinsten können wir das Größte suchen, wenn wir es nur verstehen. Und deshalb sei heute in den Zyklus unserer diesjährigen Wintervorträge einverleibt eine Betrachtung über das alltägliche Thema des Lachens und des Weinens vom geisteswissenschaftlichen Standpunkte aus.

Lachen und Weinen sind gewiß im Menschenleben ganz alltägliche Dinge. Ein Verständnis dieser Erscheinungen im tieferen Sinne kann aber nur die Geisteswissenschaft geben, und zwar aus dem Grunde, weil nur die Geisteswissenschaft hineinführen kann in des Menschen tiefste Wesenheit, in jenen Teil des Menschen, durch den er sich erst deutlich abhebt von den anderen Reichen, die ihn auf diesem Erdenrund umgeben. Gerade dadurch, daß der Mensch auf diesem Erdenrund den größten und den intensivsten Anteil an der Göttlichkeit erlangt hat, ragt er ja hinaus über seine irdischen Mitgeschöpfe. Daher wird auch nur ein Wissen und eine Erkenntnis, die sich zum Geistigen erheben, des Menschen Wesenheit wirklich ergründen können. Lachen und Weinen sollten nur einmal richtig gewürdigt und beobachtet werden, denn sie allein sind schon geeignet, das Vorurteil

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hinwegzuräumen, das den Menschen seiner Wesenheit nach gar zu nahe dem Tiere bringen möchte.

Es mag von jener Denkungsart, die so gern den Menschen möglichst nahe der Tierheit bringen möchte, noch so sehr betont werden, daß wir in den mancherlei Verrichtungen der Tiere eine hohe Intelligenz finden, eine Intelligenz, die oft weit dasjenige sogar an Sicherheit übertrifft, was der Mensch durch seinen Verstand hervorbringt. Das wundert den Geisteswissenschafter gar nicht besonders. Denn er weiß, wenn das Tier eine intelligente Tätigkeit vollführt, daß diese nicht von dem Individuellen des Tieres herrührt, sondern von der Gruppenseele. Es ist natürlich sehr schwierig, den Begriff der Gruppenseele für die äußere Beobachtung begreiflich zu machen, zur Überzeugung zu bringen, wenn es auch durchaus nicht unmöglich ist.

Aber eines sollte eben beobachtet werden, denn es ist einer jeden äußeren Beobachtung zugänglich, wenn man sie nur umfänglich genug machen will: das Tier weint nicht und lacht nicht. Gewiß, es werden sich auch da wieder Menschen finden, welche behaupten, auch das Tier lache, auch das Tier weine. Aber man kann solchen Menschen eben nicht helfen, die sich nun einmal keinen Begriff davon verschaffen wollen, was eigentlich Lachen und Weinen ist, und die, weil sie nicht wissen, was Lachen und Weinen ist, es auch dem Tiere zuschreiben. Der wirkliche Seelenbeobachter weiß, daß es das Tier nicht zum Weinen, sondern höchstens zum Heulen, und nicht zum Lachen, sondern nur zum Grinsen bringen kann. Diesen Unterschied müssen wir ins Auge fassen, zwischen Heulen und Weinen und zwischen Grinsen und Lachen. Wir müssen bis zu sehr bedeutsamen Ereignissen zurückgehen, wenn wir ein Licht werfen wollen auf das, was die eigentliche Natur von Lachen und Weinen ausmacht.

Es ist aus Vorträgen, die an verschiedenen Orten, auch in Berlin, gehalten worden sind, namentlich aus dem Vortrag über die Natur der Temperamente, erinnerlich, daß man im Menschenleben zweierlei Strömungen zu unterscheiden hat: die eine Strömung, die alles das an menschlichen Eigenschaften und Merkmalen umfaßt, was man durch Vererbung erhält von seinen Eltern und anderen Vorfahren und was wiederum vererbt werden kann auf die Nachkommen. Die

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andere Strömung setzt sich zusammen aus den Eigenschaften und Merkmalen, die der Mensch dadurch hat, daß er mit einer Individua­lität ins Dasein tritt. Sie umgibt sich mit den vererbten Merkmalen nur wie mit einer Hülle; ihre Eigenschaften und Merkmale stammen her aus den verflossenen Lebensläufen des Menschen, aus den vorhergehenden Inkarnationen.

Der Mensch ist also im wesentlichen eine Zweiheit:

So unterscheiden wir den eigentlichen Wesenskern des Menschen, der von Leben zu Leben geht, von Inkarnation zu Inkarnation, und alles das, was den Menschen umhüllt, was sich um seinen Wesenskern herum anlegt, und was aus den vererbten Merkmalen besteht.

Nun ist zwar durchaus vor des Menschen Geburt der eigentliche individuelle Wesenskern, der von Inkarnation zu Inkarnation geht, mit dem Menschen als physischem Wesen schon verbunden, so daß man nicht etwa glauben darf, daß, wenn ein Mensch einmal geboren ist, seine Individualität unter normalen Umständen noch ausgetauscht werden könnte. Es ist die Individualität vor der Geburt bereits mit dem Menschenleibe verbunden.

Aber etwas anderes ist es, wann dieser Wesenskern, diese Individualität des Menschen anfangen kann, an dem Menschen zu arbeiten, an dem Menschen zu gestalten. Wenn also das Kind geboren ist, so ist bereits in dem Kinde, wie gesagt, der individuelle Wesenskern. Aber er kann vor der Geburt als solcher nicht dasjenige geltend machen, nicht das zur Wirkung bringen, was er im letzten Leben, oder überhaupt in den verflossenen Leben, sich als Fähigkeiten angeeignet hat; er muß warten bis nach der Geburt. So daß wir sagen können: Vor der Geburt sind tätig am Menschen die Ursachen für alle diejenigen Merkmale und Eigenschaften, die zu den vererbten gehören, die wir erben können von Vater, Mutter und den anderen Vorfahren. - Obwohl, wie gesagt, des Menschen Wesenskern bei alledem schon dabei ist, so kann er doch erst in das ganze Getriebe eingreifen, wenn das Kind zur Welt gekommen ist.

Dann, wenn das Kind sozusagen das Licht der Welt erblickt hat,

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beginnt dieser individuelle Wesenskern des Menschen den Organismus umzugestalten; natürlich versteht sich das unter allgemeinen Verhältnissen, in Ausnahmefällen ist es wieder anders. Da arbeitet er sich das Gehirn und die anderen Organe so um, daß sie Werkzeuge werden können dieses individuellen Wesenskernes. Deshalb sehen wir, wie das Kind bei seiner Geburt mehr diejenigen Eigenschaften an sich trägt, die es durch Vererbung erlangt hat, und wie dann immer mehr und mehr die individuellen Eigenschaften sich hineinarbeiten in das Allgemeine des Organismus.

Wenn wir sprechen wollen von einer Arbeit der Individualität an dem Organismus vor der Geburt, so würde das in ein ganz anderes Kapitel gehören. Wir können zum Beispiel auch davon sprechen, daß schon das Aussuchen des Elternpaares eine Arbeit der Individualität wäre. Aber auch dies ist im Grunde genommen ja eine Arbeit von außen. Alles Arbeiten vor der Geburt wäre von seiten des individuellen Wesenskernes ein Arbeiten von außen durch Vermittlung zum Beispiel der Mutter und so weiter. Aber das eigentliche Arbeiten des individuellen Wesenskernes an dem Organismus selbst beginnt eben erst, wenn das Kind das Licht der Welt erblickt hat. Deshalb, weil es so ist, kann auch dieses eigentlich Menschliche, das Individuelle, erst nach der Geburt im Menschen allmählich seinen Ausdruck finden.

Das Kind hat deshalb zunächst noch gewisse Eigenschaften mit der Tierheit gemeinsam, und das sind ja gerade solche Eigenschaften, die ihren Ausdruck in dem finden, was wir heute besprechen wollen, im Lachen und Weinen. In der allerersten Zeit nach der Geburt kann das Kind im wirklichen Sinne des Wortes nicht lachen und weinen. In der Regel ist es erst der vierzigste Tag nach der Geburt, wo das Kind zur Träne kommt, und dann auch zum Lächeln, weil dasjenige, was sich aus den früheren Leben hinübergelebt hat, da erst arbeitet, von da ab sich erst hineinsenkt in das Innere des Leiblichen und von da ab das Leibliche zu seinem Ausdruck macht.

Gerade das ist es, was dem Menschen seine Erhabenheit über das Tier gibt, daß wir beim Tiere nicht sagen können, eine individuelle Seele zieht sich von Inkarnation zu Inkarnation. Was dem Tier zugrunde liegt, das ist die Gruppenseele, und wir können nicht sagen, was individuell beim

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Tiere ist, verkörpere sich wieder. Es zieht sich zurück in die Gruppenseele und wird etwas, was nur in der Gruppenseele des Tieres weiterlebt. Beim Menschen nur bleibt erhalten, was er sich in der einen Inkarnation erarbeitet hat, und das geht dann, wenn der Mensch durch das Devachan gegangen ist, in eine neue Inkarnation ein. In dieser neuen Inkarnation arbeitet es den Organismus allmählich um, so daß er nicht nur ein Ausdruck der Eigentümlichkeiten seiner physischen Vorfahren ist, sondern daß er ein Ausdruck wird für die individuellen Anlagen, Talente und so weiter.

Nun ist es gerade die Tätigkeit des Ich in dem Organismus, welche bei einem Wesen, wie es der Mensch ist, Lachen und Weinen hervorruft. Nur bei einem Wesen, das sein Ich innerlich hat, bei dem das Ich also nicht Gruppen-Ich ist wie beim Tier, sondern innerlich im Organismus sitzt, ist Lachen und Weinen möglich. Denn Lachen und Weinen ist eben nichts anderes als ein feiner, ein intimer Ausdruck der Ichheit in der Leiblichkeit. Was geschieht zum Beispiel, wenn der Mensch weint? Weinen kann nur dann entstehen, wenn das Ich sich in irgendeiner Beziehung schwach fühlt gegenüber dem, was es in der Außenwelt umgibt. Wenn das Ich nicht im Organismus ist, also wenn es nicht individuell ist, dann kann das Sich-schwach-Fühlen gegenüber der Außenwelt nicht eintreten. Der Mensch als der Besitzer einer Ichheit fühlt einen gewissen Mißklang, eine gewisse Disharmonie in seinem Verhältnis zur Außenwelt. Und dieses Fühlen der Disharmonie kommt zum Ausdruck dadurch, daß er sich dagegen wehrt, daß er sozusagen ausgleichen will. Wie gleicht er aus? Dadurch, daß sein Ich den astralischen Leib zusammenzieht. Wir können sagen: In der Trauer, die sich im Weinen auslebt, fühlt sich das Ich in einer gewissen Disharmonie mit der Außenwelt, die es dadurch auszugleichen sucht, daß es den astralischen Leib in sich selber zusammenzieht, seine Kräfte gleichsam zusammenpreßt. - Das ist der geistige Vorgang, der dem Weinen zugrunde liegt.

Nehmen Sie zum Beispiel das Weinen als einen Ausdruck der Trauer. Trauer müßte man in jedem einzelnen Falle genau betrachten, wenn man auf ihren Grund kommen will. Trauer ist zum Beispiel der Ausdruck des Verlassenseins von etwas, mit dem man bisher zusammen war. Das harmonische

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Verhältnis des Ich zur Außenwelt würde vorhanden sein, wenn dasjenige, was wir verloren haben, noch da wäre. Die Disharmonie tritt ein, wenn wir etwas verloren haben und das Ich sich verlassen fühlt. Nun zieht das Ich die Kräfte seines astralischen Leibes zusammen, drückt gleichsam den astralischen Leib zusammen, um sich zu wehren gegen sein Verlassensein. Das ist der Ausdruck einer Trauer, die zum Weinen führt, daß das Ich, das vierte Glied der menschlichen Wesenheit, den astralischen Leib, das dritte Glied, in seinen Kräften zusammenzieht.

Was ist das Lachen? Das Lachen ist etwas, dem der entgegengesetzte Vorgang zugrunde liegt. Das Ich sucht den astralischen Leib in einer gewissen Weise schlaff werden zu lassen, seine Kräfte mehr in die Breite gehen zu lassen, ihn auszudehnen. Während durch das Zusammenziehen der weinerliche Zustand hervorgerufen wird, wird durch das Erschlaffenlassen, durch das Ausdehnen des astralischen Leibes das Lachen herbeigeführt. Das ist der geistige Befund. Jedesmal wenn Weinen vorliegt, kann das hellseherische Bewußtsein konstatieren ein Zusammenpressen des astralischen Leibes durch das Ich. Jedesmal wenn Lachen vorliegt, kommt ein Ausdehnen, wie ein Breiterwerden, ein Bauchigerwerden des astralischen Leibes zustande durch das Ich.

Nur dadurch, daß das Ich innerhalb der menschlichen Wesenheit tätig ist, daß es nicht als Gruppen-Ich von außen wirkt, kommt Lachen und Weinen zustande. Weil nun das Ich erst nach und nach in dem Kinde anfängt tätig zu sein, weil bei der Geburt das Ich eigentlich noch nicht tätig ist, noch nicht sozusagen die Fäden ergriffen hat, die von innen aus den Organismus dirigieren, deshalb kann das Kind in den ersten Tagen nicht lachen und nicht weinen, sondern lernt es erst in dem Maße, als das Ich Herr wird über die inneren Fäden, die zuerst im astralischen Leibe tätig sind. Und weil wiederum alles das, was geistig ist, beim Menschen seinen Ausdruck findet in der Leiblichkeit, weil die Leiblichkeit eben nur die Physiognomie der Geistigkeit, der verdichtete Geist ist, so drücken sich diese Eigenschaften, die jetzt geschildert worden sind, eben auch in leiblichen Vorgängen aus. Und wir lernen diese leiblichen Vorgänge verstehen aus dem Geiste heraus, wenn wir uns folgendes klarmachen.

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Das Tier hat eine Gruppenseele, wir können auch sagen ein Gruppen-Ich. Durch dieses Gruppen-Ich wird ihm seine Form aufgeprägt. Warum hat denn das Tier eine so bestimmte, in sich selbst abgeschlossene Form? Weil ihm aus der astralischen Welt heraus diese Form aufgeprägt wird, und weil es diese Form dann im wesentlichen so beibehalten muß. Beim Menschen ist eine Form vorhanden, die - wie wir öfter betont haben - gleichsam alle anderen Tierformen in sich begreift in harmonischer Abgeschlossenheit. Aber diese ganze harmonische Menschenform, die physische Menschenleiblichkeit, muß in sich beweglicher sein als die tierische Leiblichkeit. Sie darf nicht so in der Form erstarrt sein wie die tierische Leiblichkeit.

Wir können das ja schon an der beweglichen Physiognomie des Menschen sehen. Sehen Sie sich die im Grunde genommen unbewegliche Physiognomie des Tieres an, wie sie Ihnen entgegentritt in ihrer Starrheit. Und sehen Sie sich dagegen die bewegliche Menschenform an mit ihren Änderungen in den Gesten, in der Physiognomie und so weiter Sie werden sich daraus sagen können, daß der Mensch innerhalb der Grenzen, die ihm allerdings angewiesen sind, eine gewisse Beweglichkeit hat, daß es ihm überlassen worden ist in einer gewissen Weise, selber die Form sich aufzuprägen dadurch, daß sein Ich in ihm wohnt.

Es wird nicht leicht jemandem einfallen, anders als höchstens vergleichsweise davon zu sprechen, daß in demselben Maße wie beim Menschen die Intelligenz im Antlitze eines Hundes oder eines Papageien individuell ausgedrückt ist. Im allgemeinen ja, aber nicht individuell, weil beim Hunde, bei Papageien, Löwen oder Elefanten eben der allgemeine Charakter überwiegt. Beim Menschen finden wir den individuellen Charakter in seinem Gesicht geschrieben. Und wir sehen, wie sich seine besondere individuelle Seele immer mehr und mehr plastisch ausbildet in seiner Physiognomie, besonders in dem, was in seiner Physiognomie beweglich ist. Dem Menschen ist diese Beweglichkeit geblieben, weil sich der Mensch selbst seine Form von innen geben kann. Es ist die Erhabenheit des Menschen gegenüber den anderen Reichen, daß er an sich bilden und formen kann.

In dem Augenblick, wo der Mensch durch sein Ich das allgemeine Verhältnis der Kräfte in seinem astralischen Leibe ändert, da tritt das

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auch leiblich in dem Ausdruck seiner Physiognomie zutage. Der gewöhnliche Gesichtsausdruck, die gewöhnliche Anspannung der Muskeln, die der Mensch vom Morgen bis zum Abend hat, müssen sich ändern, wenn das Ich eine Änderung in den Kräften des astra­lischen Leibes vornimmt. Wenn das Ich den astralischen Leib, statt ihn in der gewöhnlichen Spannung zu halten, schlaff werden läßt, ihn ausdehnt, dann wird er auch mit geringeren Kräften auf den Ätherleib und den physischen Leib wirken, und die Folge davon ist, daß gewisse Muskeln, welche bei dem gewöhnlichen Kräfteverhältnis diese oder jene Lage haben, eine andere Lage einnehmen. Wenn daher bei einem gewissen Gemütsausdruck der astralische Leib schlaffer gemacht wird vom Ich, so müssen gewisse Muskeln eine andere Spannung haben als im gewöhnlichen Lebensverlauf.

Daher ist im Lachen eben nichts anderes gegeben als der physische Ausdruck, der physiognomische Ausdruck jenes Schlaffwerdens des astralischen Leibes, das durch das Ich selber eintritt. Der astralische Leib ist es, der von innen heraus unter dem Einfluß des Ich die Muskeln des Menschen in jene Lagen bringt, daß sie den Tagesausdruck haben. Läßt der astralische Leib seine Spannkraft nach, so dehnen sich die Muskeln aus und der Ausdruck des Lachens tritt ein. Das Lachen ist unmittelbar ein Ausdruck des innerlichen Arbeitens des Ich an dem astralischen Leibe. Wenn der astralische Leib zusammengepreßt wird vom Ich unter dem Eindrucke der Trauer, dann setzt sich dieses Zusammenpressen in den physischen Leib hinein fort, und die Folge davon ist nichts anderes als das Sezernieren, das Absondern der Tränen, die in gewisser Beziehung wie ein Abfluß des Blutes sind unter dem Einfluß des zusammengepreßten astralischen Leibes.

So sind die Vorgänge. Daher kann nur ein Wesen lachen und weinen, das imstande ist, in seine Wesenheit hinein das individuelle Ich aufzunehmen und durch dieses individuelle Ich in sich selber zu wirken. Da also beginnt die Individualität des Ich, wo das Wesen imstande wird, die Kräfte des astralischen Leibes von innen heraus entweder mehr anzuspannen oder schlaffer werden zu lassen. Jedesmal dann, wenn wir einem Menschen gegenüberstehen, der uns anlächelt oder der da weint,

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stehen wir mit diesen Tatsachen dem Beweise gegenüber von der Erhabenheit des Menschen über das Tier. Denn im astralischen Leibe des Tieres arbeitet das Ich von außen. Daher können alle Spannungsverhältnisse des tierischen astralischen Leibes auch nur von außen bewirkt werden, und es kann nicht das Innerliche in einem solchen Dasein nach außen sich abformen, wie es beim Lachen und Weinen zum Ausdruck kommt.

Aber es zeigt sich uns noch viel mehr am Vorgange des Lachens und Weinens, wenn wir den Atmungsprozeß des Lachenden und des Weinenden beobachten. Da zeigt sich uns in aller Tiefe, was hier vorliegt.

Wenn Sie das Atmen des Weinenden beobachten, so werden Sie sehen, es besteht im wesentlichen in einem langen Ausatmen und in einem kurzen Einatmen. Umgekehrt ist es beim Lachen: einem kurzen Ausatmen entspricht ein langes Einatmen. Also der Atmungsprozeß ist etwas, was sich ändert beim Menschen unter dem Einfluß jener Vorgänge, welche wir eben jetzt beschrieben haben. Und Sie brauchen nur ein wenig mit Ihrer Phantasie nachzudenken, so werden sich Ihnen leicht die Gründe ergeben, warum dies so sein muß.

In dem Prozeß des Weinens wird der astralische Leib durch das Ich zusammengezogen, zusammengedrückt. Die Folge davon ist wie ein Auspressen der Atemluft: ein langes Ausatmen. Beim Prozeß des Lachens ist ein Erschlaffen des astralischen Leibes vorhanden. Da ist es gerade so, wie wenn Sie aus irgendeinem Raum die Luft auspumpen, die Luft verdünnen, da pfeift die Luft hinein. So ist es bei dem langen Einatmen unter dem Einflusse des Lachens. Da sehen wir gleichsam in der Veränderung des Atmungsprozesses das Ich wirksam innerhalb des astralischen Leibes. Das, was beim Tier außerhalb ist, das Gruppen-Ich, belauschen wir in seiner Wirksamkeit beim Menschen, indem wir sehen, wie bei dieser eigentümlichen Tätigkeit auch der Atmungsprozeß anders wird. Deshalb wollen wir einmal diesen Vorgang in seiner universellen Bedeutung hinstellen.

Wir können sagen: Beim Tier liegt ein Atmungsprozeß vor, der sozusagen streng von außen geregelt ist, der dem inneren individuellen Ich in der heute geschilderten Beziehung nicht unterliegt. Das, was den Atmungsprozeß unterhält, was ihn eigentlich regelt, das

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nannte man zum Beispiel in der alttestamentlichen Geheimlehre die «Nephesch». Das ist in Wahrheit das, was man die «tierische Seele» nennt. Also was beim Tier ein Gruppen-Ich ist, das ist die Nephesch. Und in der Bibel heißt es ganz richtig: Und der Gott blies - oder hauchte - dem Menschen die Nephesch - die tierische Seele - ein, und der Mensch ward eine lebendige Seele in sich selber.

Dies versteht man natürlich sehr häufig falsch, weil man in unserer Zeit solche tiefen Schriften nicht lesen kann, denn man liest einseitig. Wenn zum Beispiel dasteht: Und der Gott hauchte dem Menschen die Nephesch ein, die tierische Seele -, so heißt das nicht, er schuf sie in diesem Moment, sondern sie war schon da. Daß sie vorher nicht da war, das steht nicht da. Sie war vorhanden, äußerlich. Und was der Gott tat, war, daß er das, was vorher als Gruppenseele äußerlich vorhanden war, dem Menschen in das Innere verlegte. Das ist das Wesentliche, daß man einen solchen Ausdruck in seiner wirklichen Gründlichkeit versteht. Man könnte fragen: Was entstand denn dadurch, daß die Nephesch in das menschliche Innere verlegt wurde? Dadurch wurde es möglich, daß der Mensch jene Erhabenheit über das Tier erlangte, die es ihm möglich machte, sein Ich innerlich tätig zu entfalten, zu lachen und zu weinen und damit Freude und Schmerz in der Weise zu erleben, daß sie an ihm selber arbeiten.

Da kommen wir zu der bedeutsamen Wirkung, welche Schmerz und Freude im Leben haben. Hätte der Mensch sein Ich nicht in sich, dann könnte er Schmerz und Freude nicht innerlich erleben, sondern diese Schmerzen und Freuden müßten wesenlos an ihm vorüberziehen. Da er aber sein Ich in sich hat und von innen heraus seinen astralischen Leib und damit seine ganze Leiblichkeit bearbeiten kann, so werden Schmerz und Freude zu wirkenden Kräften an ihm selber. Was wir in einer Inkarnation als Schmerz und Freude erleben, das einverleiben wir uns, das tragen wir hinüber in die andere Inkarnation, das wirkt und schafft an uns. Daher könnte man sagen: Schmerz und Freude wurden zu schöpferischen Weltenkräften in dem Augenblick, wo der Mensch weinen und lachen lernte, das heißt, in dem Augenblick, wo des Menschen Ich in sein Inneres verlegt worden ist. - Hier haben wir etwas Alltägliches: Weinen und Lachen.

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Aber wir verstehen es nicht, wenn wir nicht wissen, wie es sich mit dem eigentlichen geistigen Teil des Menschen verhält, was sich eigentlich da abspielt zwischen dem Ich und dem astralischen Leib, wenn der Mensch weint oder lacht.

Nun aber ist das, was den Menschen bildet, in einer fortwährenden Entwickelung begriffen. Daß der Mensch lachen und weinen kann im allgemeinen, das kommt davon her, daß er von seinem Ich aus an seinem astralischen Leib arbeiten kann. Das ist gewiß richtig. Aber auf der anderen Seite waren des Menschen physischer Leib und auch der Ätherleib eben schon veranlagt zu einem Arbeiten des Ich in seinem Inneren, als der Mensch in die erste irdische Inkarnation eintrat. Der Mensch konnte es.

Wenn man ein individuelles Ich in ein Pferd hineinpressen könnte, so würde es sich da höchst unglücklich fühlen, weil es gar nichts machen könnte, weil es da keinen Ausdruck finden könnte für die individuelle Arbeit des Ich. Denken Sie sich ein individuelles Ich in einem Pferde. Das individuelle Ich würde arbeiten wollen an dem astralischen Leib des Pferdes, ihn zusammenziehen oder ihn ausdehnen wollen und so weiter. Aber wenn ein astralischer Leib mit einem physischen Leib und einem Ätherleib verbunden ist, so bilden der physische und der Ätherleib, wenn sie sich nicht den Formen des astralischen Leibes anpassen können, ein furchtbares Hindernis. Man kämpft da wie gegen eine Mauer. Das Ich in der Pferdenatur würde zusammenziehen wollen den astralischen Leib, physischer Leib und Ätherleib würden aber nicht mitgehen, und die Folge wäre, daß das Pferd wahnsinnig würde unter dem Nichtmitgehen des physischen Leibes und des Ätherleibes.

Der Mensch mußte zu einer solchen Tätigkeit von vornherein veranlagt werden. Das war nur dadurch zu machen, daß er von Anfang an einen solchen physischen Leib erlangte, der wirklich ein Instrument für ein Ich werden konnte und nach und nach beherrscht werden konnte durch das Ich. Daher kann auch folgendes eintreten: Der physische Leib und der Ätherleib können in sich beweglich sein, sozusagen richtige Ich-Träger, aber das Ich kann sehr unentwickelt sein, kann noch nicht die richtige Herrschaft ausüben über physischen Leib und Ätherleib. Das kann man daran sehen, daß sich

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physischer Leib und Ätherleib wie eine Hülle für das Ich ausnehmen, aber doch nicht so, daß sie ein vollständiger Ausdruck des Ich sind.

Das ist der Fall bei solchen Menschen, deren Lachen und Weinen unwillkürlich eintritt, die bei jeder Gelegenheit meckern und die Lachmuskeln nicht in ihrer Gewalt haben. Die zeigen dadurch ihre höhere Menschlichkeit im physischen Leibe und Ätherleibe, aber auch zu gleicher Zeit, daß sie ihre Menschlichkeit noch nicht unter die Gewalt des Ich gebracht haben. Daher wirkt das meckernde Lachen so unangenehm. Es zeigt, daß der Mensch durch das, wofür er nichts kann, höher steht als durch das, wofür er schon etwas kann.

Immer wirkt es besonders fatal, wenn ein Wesen sich nicht auf der Höhe dessen erweist, was ihm geworden ist von außen. So sind auch Lachen und Weinen in einer gewissen Beziehung durchaus der Ausdruck der menschlichen Egoität, was auch schon daraus hervorgeht, daß sie nur dadurch entstehen können, daß das Ich in der menschlichen Wesenheit wohnt. Weinen kann ein Ausdruck des furchtbarsten Egoismus sein, denn Weinen ist in einer gewissen Weise nur zu häufig eine Art innerlicher Wollust. Der Mensch, der sich verlassen fühlt, zieht mit seinem Ich den astralischen Leib zusammen. Er sucht sich innerlich stark zu machen, weil er sich äußerlich schwach fühlt. Und er fühlt dann diese innerliche Stärke dadurch, daß er etwas kann, nämlich die Tränen hervorbringen. Und immer ist ein gewisses Gefühl der Befriedigung - ob man es sich nun gesteht oder nicht gesteht - mit dem Hervorbringen der Tränen verbunden. Wie unter gewissen anderen Verhältnissen eine Art Befriedigung hervorgerufen wird, wenn einer einen Stuhl zerschlägt, so ist beim Tränenvergießen häufig nichts anderes vorhanden als die Wollust des innerlichen Hervorbringens, die Wollust in der Maske der Tränen, wenn der Mensch es sich auch nicht zum Bewußtsein bringt.

Daß das Lachen in einer gewissen Weise ein Ausdruck der Egoität ist, der Ichheit, das mag daraus hervorgehen, daß eigentlich das Lachen, wenn Sie es wirklich verfolgen, immer darauf zurückzuführen ist, daß der Mensch sich erhaben fühlt über seine Umgebung und über das, was in seiner Umgebung geschieht. Warum lacht der

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Mensch? Er lacht immer dann, wenn er sich über das stellt, was er beobachtet. Diesen Satz können Sie immer bewahrheitet finden. Ob Sie über sich selbst oder über einen anderen lachen, im Grunde genommen ist Ihr Ich so, daß es sich erhaben fühlt über etwas. Und in diesem Sich-erhaben-Fühlen dehnt es die Kräfte seines astralischen Leibes aus, macht sich breiter, plustert sich auf. Das ist es, genau genommen, was wirklich dem Lachen zugrunde liegt. Deshalb kann das Lachen so gesund sein, und man darf nicht in abstracto alle Egoität, dieses Sich-Aufplustern, verdammen, denn das Lachen kann sehr gesund sein, wenn es den Menschen stärkt in seinem Selbstgefühl, wenn es berechtigt ist, wenn es den Menschen über sich hinausführt. Wenn Sie irgend etwas sehen an Ihrer Umgebung, an sich und anderen, was eigentlich ein Unsinn ist, da ist es ein Erhabensein über den Unsinn, was sich da abspielt und Sie zum Lachen bringt. Es muß das eintreten, daß der Mensch sich erhaben fühlt über irgend etwas in seiner Umgebung, und das bringt das Ich dadurch zum Ausdruck, daß es den astralischen Leib ausdehnt.

Wenn Sie im Atmungsprozeß das verstehen, was wir uns eben begreiflich zu machen versuchten in dem Satz: Und der Gott hauchte dem Menschen die Nephesch ein, und der Mensch ward eine lebende Seele -, so werden Sie auch den Zusammenhang spüren mit dem, was Lachen und Weinen ist, denn Sie wissen, daß unter Lachen und Weinen sich der Atmungsprozeß selber im Menschen verändert. Damit haben wir gezeigt, wie wirklich die alleralltäglichsten Dinge nur begriffen werden können, wenn vom Geistigen ausgegangen wird. Dadurch nur können wir Lachen und Weinen verstehen, daß wir den Zusammenhang der vier Glieder der menschlichen Wesenheit verstehen.

Denken Sie einmal, daß in den Zeiten, in denen man in gewisser Beziehung noch hellseherische Traditionen hatte und zu gleicher Zeit das Vermögen, aus einer Phantasie, aus einer richtigen Imagination heraus die Götter zu verbildlichen, daß man damals die Götter darstellte als heitere Wesenheiten, deren hauptsächlichste Eigenschaft die Heiterkeit, das Lachende in gewisser Beziehung war. Und nicht umsonst hat man denjenigen Gebieten des Weltendaseins, in denen vorzugsweise etwas wie eine übertriebene Egoität herrscht,

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Heulen und Zähneklappern zugeschrieben. Weshalb? Weil das Lachen auf der einen Seite ein Sich-Erheben bedeutet, ein Hinausführen des Ich über die Umgebung, also den Sieg des Oberen über das Untere, während das Weinen ein Sich-Ducken bedeutet, ein Sich-Zurückziehen vor dem Äußeren, ein Kleinerwerden und ein Sich-verlassen-Fühlen der Egoität, ein Sich-auf-sich-selbst-Zurückziehen. So ergreifend die Trauer im Menschenleben ist, weil wir wissen, daß diese Trauer besiegt wird und besiegt werden muß, so viel anders, nicht ergreifend, sondern hoffnungslos, erscheinen Trauer und Weinen in derjenigen Welt, in der sie nicht mehr besiegt werden können. Da erscheinen sie als der Ausdruck der Verdammnis, des In-die-Finsternis-gestoßen-Werdens.

Diese Empfindungen, die uns überkommen können, wenn wir im großen betrachten, was sich als Arbeit des Ich an sich selber am Menschen ausprägt, müssen wir wohl beachten und sie bis in ihre intimen Gestaltungen hinein verfolgen. Dann haben wir so manches begriffen, was uns im Laufe der Zeiten entgegentritt. Wir müssen ein Bewußtsein dafür haben, daß hinter der physischen Welt eine geistige ist, und daß das, was uns im Menschenleben abwechselnd erscheint als Lachen und als Weinen, wenn es uns getrennt von ihm entgegentritt, uns dann erscheint als die lichte Heiterkeit des Himmels auf der einen Seite und auf der anderen Seite als die finstere, bittere Traurigkeit der Hölle. Diese beiden Seiten liegen unserer mittleren Welt durchaus zugrunde, und wir müssen unsere mittlere Welt dadurch verstehen, daß sie ihre Kräfte aus diesen beiden Reichen herleitet.

Wir werden noch mancherlei in bezug auf das Wesen des Menschen kennenlernen. Aber ich möchte sagen, eines der intimsten Kapitel über dieses Menschenwesen ist das vom Lachen und Weinen, trotzdem Lachen und Weinen so alltägliche Tätigkeiten sind. Das Tier lacht nicht und weint nicht, weil es nicht den Tropfen der Gottheit in sich hat, den der Mensch in seiner Ichheit trägt. Und wir können sagen, wenn der Mensch beginnt, in seinem Lebenslauf zu lächeln und zu weinen, so kann das für den, der die große Schrift der Natur zu lesen versteht, ein Beweis dafür sein, daß wirklich innerlich im Menschen ein Göttliches lebt, daß, wenn der Mensch lacht, der Gott in ihm

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wirksam ist, der ihn zu erheben versucht über alles Niedrige. Denn eine Erhebung ist das Lächeln und das Lachen. Und daß, wenn der Mensch weint, es auf der anderen Seite wiederum der Gott ist, der ihn ermahnt, daß dieses Ich sich verlieren könnte, wenn es sich nicht in ich selber stärken würde gegen alles Schwachwerden und Sich-verlassen-Fühlen. Der Gott im Menschen ist es, welcher der Seele seine Mahnungen erteilt im Lachen und im Weinen.

Daher, man möchte sagen, das bitterböse Gefühl, das den überkommt, der das Leben versteht, wenn er unnötig weinen sieht. Denn unnötiges Weinen verrät, daß, anstatt mit der Umwelt zu leben und zu fühlen, die Wollust, im eigenen Ich zu sein, eine zu große ist. Aber auch herbe ist die Empfindung, die einen solchen Weltenversteher befallen kann, wenn er das sonst im gesunden Lachen sich ausdrückende Erheben des Ich über seine Umgebung als Selbstzweck, als Lachen über alles mögliche, als hämisches Aburteilen bei jemandem findet. Denn dann sagt sich der Betreffende: Wenn das Ich nicht alles mitnimmt, was es aus der Umgebung herausziehen kann, wenn es nicht leben will mit der Umgebung, sondern unbegründet seine Ichheit über die Umgebung erhebt, dann wird diese Ichheit nicht die nötige Schwere haben, Schwere nach aufwärts, die man sich nur dadurch suchen kann, daß man aus seiner Umgebung alles herauszieht, was herauszuziehen ist für die Entwickelung des Ich. Und dann wird das Ich zurückfallen, wird sich nicht erheben können.

Gerade das schöne Maß zwischen Schmerz und Freude ist es, was zur menschlichen Entwickelung so ungeheuer beitragen kann. Wenn Schmerz und Freude an der Umwelt ihre Berechtigung haben, nicht im eigenen Inneren liegen, wenn das Ich gerade zwischen Schmerz und Freude fortwährend das rechte Verhältnis zur Umwelt herstellen will, dann werden Schmerz und Freude rechte Entwickelungsfaktoren für den Menschen sein können. Große Dichter finden daher häufig so schöne Worte für jenen Schmerz und für jene Freude, die nicht irgendwie in einer Überhebung oder in einem In-sich-Zusammengepreßtsein des Ich wurzeln, sondern die ihre Ursache haben in dem Verhältnis zwischen Ich und Umwelt, das von außen her aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und das nur erklärlich macht, warum der Mensch lacht,

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warum der Mensch weint. Wir können es verstehen, weil wir sehen, es ist in der Außenwelt, durch die Außenwelt das Verhältnis zwischen Ich und Außenwelt gestört. Also muß der Mensch lachen oder weinen, während - wenn es nur im Menschen liegt - wir nicht verstehen können, warum der Mensch lacht oder weint, da es dann immer unbegründeter Egoismus ist.

Daher wirkt es so schön, wenn Homer von Andromache sagt, als sie unter dem zweifachen Eindruck steht der Sorge um ihren Gemahl und der Sorge um ihren Säugling: «Sie konnte lachend weinen!» Das ist ein wunderbarer Ausdruck, man möchte sagen, für etwas Normales im Weinen. Nicht ihretwillen lacht sie, nicht ihretwillen weint sie. Es ist das richtige Verhältnis da zur Außenwelt, wenn sie zu sorgen hat auf der einen Seite um den Gemahl, auf der anderen Seite um ihr Kind. Und hier haben wir das Verhältnis zwischen Lachen und Weinen, daß sie sich die Waagschale halten: lächelnd weinen - weinend lachen. Das ist oft auch der Ausdruck beim naiven Kinde, dessen Ich noch nicht so stark in sich verhärtet ist wie später beim erwachsenen Menschen, so daß es noch weinend lachen und lachend weinen kann. Und es ist wiederum die Tatsache beim Weisen: Wer sein Ich so weit überwunden hat, daß er nicht in sich die Gründe zum Lachen und Weinen sucht, sondern sie in der Außenwelt findet, daß er auch wieder lachend weinen und weinend lachen kann. Jawohl, in dem, was tagtäglich an uns vorbeigeht, haben wir, wenn wir es verstehen, den vollen Ausdruck des Geistigen. Lachen und Weinen sind etwas, was wir im höchsten Sinne die Physiognomie des Göttlichen im Menschen nennen können.