Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 230 Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes

3. Vortrag Dornach 21. Oktober 1923

Das Haupt ist substanziell physisch, kräftemäßig aber geistig; Gliedmaßen und Stoffwechsel sind substanziell geistig, kräftemäßig aber physisch.
Im Tod muß der Mensch der Erde seine geistige Substanz, die er ihr schuldet, vorenthalten; zugleich vergiftet er sie mit seiner Kopfmaterie.
Die Tierwelt gleicht seine Schuld aus: Der Vogel trägt Geistsubstanz in den Kosmos; die Kuh schenkt sie der Erde.

Wir haben versucht, den Menschen wiederum von einem gewissen Gesichtspunkte aus in das Weltenall hineinzustellen. Wir wollen heute eine Betrachtung anstellen, die das Ganze, ich möchte sagen, zusammenfassen kann. Wir leben innerhalb unseres physischen Lebens auf der Erde, sind umgeben von denjenigen Ereignissen und Tatsachen, welche da sind durch den physischen Stoff der Erde, der in der verschiedensten Weise geformt, gestaltet wird zu den Wesen der Naturreiche, zu der menschlichen Gestalt selber.

In alledem west eben der physische Stoff der Erde. Nennen wir ihn heute einmal, diesen physischen Stoff, weil wir gleich nachher von seinem Gegensatze werden sprechen müssen, die physische Substanz der Erde, dasjenige also, was den verschiedenen Gestaltungen der Erde stofflich zugrunde liegt, und unterscheiden wir davon das, was als der Gegensatz dieser physischen Substanz im Weltenall vorhanden ist, die geistige Substanz, die zum Beispiel unserer eigenen Seele zugrunde liegt, die aber auch sonst im Weltenall denjenigen Gestaltungen zugrunde liegt, die sich als geistige mit den physischen Gestaltungen verbinden.

Man kommt nicht zurecht, wenn man nur von einem physischen Stoff oder einer physischen Substanz spricht. Sie brauchen ja nur daran zu denken, daß wir in das Gesamtbild unserer Welt hineinstellen mußten die Wesenheiten der höheren Hierarchien. Diese Wesenheiten der höheren Hierarchien haben nicht Erdensubstanz, nicht physische Substanz in dem, was wir bei ihnen Leiblichkeit nennen würden. Sie haben eben geistige Substanz. So daß wir sehen können auf das Irdische, und wir werden physische Substanz gewahr; so daß wir sehen können auf das Außerirdische, und wir werden geistige Substanz gewahr.

Heute kennt man wenig von geistiger Substanz, und so spricht man auch von demjenigen Erdenwesen, das zugleich der physischen und der geistigen Welt angehört, von dem Menschen, so, als ob er eben nur physische Substanz hätte. Das ist aber nicht der Fall. Der Mensch trägt durchaus in sich geistige und physische Substanz, und er trägt sogar

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diese geistige und physische Substanz in einer so eigenartigen Weise in sich, daß es zunächst überraschend sein muß für denjenigen, der auf solche Dinge nicht gewöhnt ist zu achten.

Wenn wir nämlich dasjenige am Menschen in Betracht ziehen, was gerade den Menschen überführt in die Bewegung, was also am Menschen Gliedmaßen sind, und was sich dann von den Gliedmaßen aus nach innen fortsetzt als die Stoffwechseltätigkeit, so ist es unrichtig, wenn wir da in der Hauptsache von physischer Substanz reden. Sie werden gleich nachher das noch genauer durchschauen. Wir reden von dem Menschen nur richtig, wenn wir gerade seine sogenannte niedere Natur so sehen, daß ihr eine im Grunde genommen geistige Substanz zugrunde liegt. So daß, wenn wir uns schematisch den Menschen aufzeichnen wollen, wir das in der folgenden Weise tun müssen.

Wir müssen sagen: Der untere Mensch stellt uns eigentlich ein Gebilde in geistiger Substanz vor, und je weiter wir gegen das Haupt des Menschen zu kommen, desto mehr ist der Mensch aus physischer Substanz gebildet. Das Haupt ist im wesentlichen aus physischer Substanz gebildet.

Aber die Beine, von denen müssen wir doch sagen, trotzdem es grotesk klingt: sie sind im wesentlichen aus geistiger Substanz gebildet; wie gesagt, so grotesk es klingt. So daß, wenn wir gegen das Haupt zu gehen, wir den Menschen so zeichnen müssen (es wird gezeichnet), daß wir die geistige Substanz in die physische Substanz übergehen lassen; und insbesondere ist die physische Substanz in dem Haupte des Menschen enthalten.

Dagegen ist die geistige Substanz besonders schön ausgebreitet, möchte ich sagen, da, wo der Mensch seine Beine in den Raum hineinstreckt, oder seine Arme in den Raum hineinstreckt. Es ist wirklich so, wie wenn das für Arm und Bein die Hauptsache wäre, daß da diese geistige Substanz sie erfüllt, ihr Wesentliches ist. Es ist wirklich so, daß für Arm und Bein die physische Substanz gewissermaßen da nur in der geistigen Substanz drinnen schwimmt, während das Haupt in der Tat sozusagen ein kompaktes Gebilde aus physischer Substanz ist.

Wir haben aber an einem solchen Gebilde, wie der Mensch es ist, nicht bloß zu unterscheiden die Substanz, sondern wir haben in seiner Gestaltung die Kräfte zu unterscheiden. Auch da müssen wir wiederum unterscheiden zwischen geistigen Kräften und irdisch-physischen Kräften.

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Nun ist es bei den Kräften gerade umgekehrt.

Geistige Kräfte durchspielen das Haupt, physische Kräfte durchspielen die geistige Substanz des Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen. Nur dadurch kann der Mensch völlig verstanden werden, daß man in ihm unterscheidet seine oberen Gebiete, sein Haupt und auch die oberen Brustgebiete, welche eigentlich physische Substanz sind, durcharbeitet von geistigen Kräften - ich möchte sagen, die niedersten geistigen Kräfte arbeiten in der Atmung -, und den unteren Menschen müssen wir ansehen als ein Gebilde von geistiger Substanz, in der physische Kräfte drinnen arbeiten.

Nur müssen wir natürlich uns klar darüber sein, wie es sich bei diesen Dingen eigentlich beim Menschen verhält. Der Mensch erstreckt nämlich seine Hauptesnatur in seinen ganzen Organismus, so daß der Kopf allerdings auch dasjenige, was er dadurch ist, daß er physische Substanz, durcharbeitet von geistigen Kräften, ist, daß er dies sein ganzes Wesen auch in das Untere des Menschen hinein erstreckt.

Das, was der Mensch durch seine Geistessubstanz ist, in der physische Kräfte arbeiten, wird wiederum heraufgespielt nach dem oberen Menschen. Was da im Menschen wirkt, das durchdringt sich gegenseitig. Aber verstehen kann man den Menschen doch nur, wenn man ihn in dieser Weise als physisch-geistiges Substantielles und Dynamisches, das heißt Kräftewesen, betrachtet.

Das hat schon auch seine große Bedeutung. Denn wenn man von den äußeren Erscheinungen absieht und auf das innere Wesen eingeht, so zeigt sich uns zum Beispiel, daß keine Unregelmäßigkeit eintreten darf in dieser Verteilung des Substantiellen und des Kräftemäßigen beim Menschen.

Dringt zum Beispiel in dasjenige, was reine Substanz, rein geistige Substanz sein soll beim Menschen, der physische Stoff, die physische Substanz ein, macht sich also zum Beispiel im Stoffwechselsystem die physische Substanz zu stark geltend, die eigentlich nach dem Haupte hin führt, wird gewissermaßen der Stoffwechsel zu stark von der Haupteswesenheit durchdrungen, dann wird der Mensch krank, dann entstehen ganz bestimmte Krankheitstypen.

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Und die Aufgabe der Heilung besteht dann darin, diese im geistig Substantiellen sich breitmachende physische Substanzgestaltung wiederum zu paralysieren, herauszutreiben.

Andererseits, wenn das Verdauungssystem des Menschen in seiner eigentümlichen Art, durcharbeitet zu sein von physischen Kräften in geistiger Substanz, wenn dieses hinaufgeschickt wird nach dem Haupte, dann wird das menschliche Haupt zu stark, wenn ich mich so ausdrücken darf, spiritualisiert, dann tritt eine zu starke Spiritualisierung des Hauptes ein. Dann muß man dafür sorgen, weil das einen Krankheitszustand darstellt, genügend physische Ernährungskräfte dem Haupte zuzusenden, so daß diese beim Haupte so ankommen, daß sie nicht spiritualisiert werden.

Wer auf den gesunden und kranken Menschen blickt, wird die Nützlichkeit dieser Unterscheidung sehr bald einsehen können, wenn es ihm überhaupt um die Wahrheit, nicht bloß um den äußeren Schein zu tun ist. Aber in dieser Sache spielt noch etwas wesentlich anderes.

Das, was da spielt, als was der Mensch sich fühlt dadurch, daß er ein so geartetes Wesen ist, wie ich es dargestellt habe, das bleibt zunächst bei dem gewöhnlichen heutigen Bewußtsein eben im Unterbewußtsein. Da ist es schon vorhanden. Da tritt es als eine Art Stimmung, Lebensstimmung des Menschen auf. Aber zum vollen Bewußtsein bringt es doch nur die geistige Anschauung, und diese geistige Anschauung kann ich Ihnen nur so schildern:


Derjenige, der aus der heutigen InitiationswIssenschaft heraus dieses Geheimnis vom Menschen weiß, daß eigentlich das hauptsächlichste, das wesentlichste Organ, welches der physischen Substanz bedarf, das Haupt ist, damit es diese physische Substanz mit den geistigen Kräften durcharbeiten kann, und wer weiter weiß, daß im Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen das Wesentliche die geistige Substanz ist, die der physischen Kräfte bedarf, der Schwerkräfte, der Gleichgewichtskräfte und der anderen physischen Kräfte, um zu bestehen, derjenige, der so dieses Geheimnis des Menschen geistig durchschaut und dann zurückblickt auf dieses menschliche irdische Dasein, der kommt eigentlich sich als Mensch selber wie ein ungeheurer Schuldner gegenüber der Erde vor.

Denn auf der einen Seite muß er sich sagen, er bedarf, damit er sein Menschenwesen aufrecht erhalten

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kann, gewisser Bedingungen; aber durch diese Bedingungen wird er eigentlich der Schuldner der Erde. Er entzieht fortwährend etwas der Erde. Er kommt nämlich darauf, sich sagen zu müssen: Das, was er an geistiger Substanz in sich trägt während des Erdendaseins, das braucht eigentlich die Erde.

Das sollte er eigentlich, wenn er durch den Tod geht, der Erde zurücklassen, denn die Erde bedarf zu ihrer Erneuerung fortwährend geistiger Substanz. Er kann es nicht, denn er würde seinen Menschenweg durch die Zeit nach dem Tode nicht zurücklegen können. Er muß diese geistige Substanz mitnehmen für das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, weil er sie braucht, weil er sozusagen verschwinden würde nach dem Tode, wenn er diese geistige Substanz nicht mitnehmen würde durch den Tod.

Nur dadurch kann er jene Veränderungen durchmachen, die er durchmachen muß, daß er diese geistige Substanz seines Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen durch die Pforte des Todes hinüberträgt in die geistige Welt. Und so würde der Mensch nicht künftigen Inkarnationen unterliegen können, wenn er der Erde das, was er ihr eigentlich schuldet, diese geistige Substanz, geben würde.

Er kann es nicht. Er bleibt ein Schuldner. Das ist etwas, was zunächst durch nichts zu verbessern ist, soweit die Erde in ihrem Mittelzustande ist. Am Ende des Erdendaseins wird es anders sein.

Es ist einmal so, meine lieben Freunde, daß derjenige, der mit der Geistesschau das Leben ansieht, nicht allein jene Schmerzen und Leiden, meinetwillen auch jenes Glück und jene Freude hat, die so das gewöhnliche Leben gibt, sondern daß mit dem Schauen des Geistigen kosmische Gefühle, kosmische Leiden und Freuden auftreten. Und Initiation ist nicht trennbar von dem Auftreten solcher kosmischer Leiden, zum Beispiel wie das ist, daß man sich sagt: Einfach dadurch, daß ich mein Menschenwesen aufrecht erhalte, muß ich mich zum, Schuldner der Erde gestalten. Ich kann der Erde das nicht geben, was ich ihr eigentlich, wenn ich kosmisch ganz rechtschaffen wäre, geben müßte.


Ein Ähnliches ist mit dem, was in der Kopfsubstanz da ist. Dadurch, daß das ganze Erdenleben hindurch geistige Kräfte in der materiellen Kopfsubstanz arbeiten, dadurch wird diese Kopfsubstanz der Erde entfremdet. Der Mensch muß ja die Substanz für seinen Kopf der Erde

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entnehmen. Aber er muß auch, um Mensch zu sein, diese Substanz seines Kopfes fortwährend mit den geistigen Kräften des Außerirdischen durchdringen.

Und wenn der Mensch stirbt, ist, es für die Erde etwas außerordentlich Störendes, daß sie jetzt zurücknehmen muß die Kopfmaterie des Menschen, die ihr so fremd geworden ist. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist und er seine Hauptessubstanz der Erde übergibt, dann wirkt diese Hauptessubstanz, die eigentlich durchaus vergeistigt ist, die geistige Ergebnisse in sich trägt, im Grunde genommen im Ganzen des Erdenlebens vergiftend, eigentlich störend dieses Erdenleben.

Der Mensch muß sich eigentlich sagen, wenn er diese Dinge durchschaut: rechtschaffen wäre es von ihm, diese Substanz nun mitzunehmen gerade durch die Pforte des Todes, weil sie eigentlich viel besser passen würde in die geistige Region hinein, die der Mensch durchschreitet zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Das kann er nicht. Denn der Mensch würde, wenn er diese vergeistigte Erdensubstanz mitnehmen würde, sich fortwährend einen Feind schaffen für all seine Entwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Es wäre das Furchtbarste, was dem Menschen passieren könnte, wenn er diese vergeistigte Kopfsubstanz mitnehmen würde. Das würde fortwährend an der Vernichtung seiner geistigen Entwickelung zwischen dem Tod und einer neuen Geburt arbeiten.

So muß man sich sagen, wenn man diese Dinge durchschaut: Man wird auch dadurch ein Schuldner an der Erde; denn etwas, was man ihr verdankt, aber unbrauchbar für sie gemacht hat, muß man fortwährend zurücklassen, kann es nicht mitnehmen. Das, was man ihr lassen soll, entzieht man ihr; dasjenige, was man mitnehmen soll, was man unbrauchbar für sie gemacht hat, das übergibt man mit seinem Erdenstaub dieser Erde, die in ihrem Gesamtleben, als Gesamtwesen ungeheuer darunter leidet.

Es ist schon so,daß sich zunächst gerade durch die Geistesschau etwas auf die Menschenseelen lagert, was wie eine ungeheure tragische Empfindung ist. Und nur wenn man größere Zeiträume übersieht, die Entwickelung ganzer Systeme überschaut, dann stellt sich einem der Ausblick dar, daß man zum Beispiel, wenn die Erde einmal ihrem Ende entgegengegangen sein wird, diese Schuld in den späteren Stufen der

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Menschheitsentwickelung, in der Jupiter-, Venus-, Vulkanstufe, sozusagen wird ausgleichen, ablegen können.

Also nicht nur dadurch, daß man ein einzelnes Erdenleben durchmacht, schafft man Karma, sondern man schafft Karma, Weltenkarma, kosmisches Karma überhaupt dadurch, daß man Erdenmensch ist, daß man die Erde bewohnt und aus der Erde seine Substanzen zieht.

Da ist es dann möglich, von dem Menschen hinwegzuschauen und auf die übrige Natur zu schauen und zu sehen, wie zwar der Mensch, ich möchte sagen, diese Schuld auf sich laden muß, von der ich Ihnen eben jetzt erzählt habe, wie aber dennoch fortwährend durch die kosmischen Wesenheiten ein Ausgleich geschaffen wird. Da dringt man ein in wunderbare Geheimnisse des Daseins, in Geheimnisse, die in der Tat, wenn man sie zusammenfaßt, erst das werden, was man als Vorstellung bekommt von der Weisheit der Welt.


Wenden wir den Blick vom Menschen weg auf etwas, worauf wir in den letzten Tagen vielfach diesen Blick gewendet haben, wenden wir den Blick zur Vogelwelt, die uns repräsentiert war in den letzten Tagen durch den Adler. Wir sprachen von dem Adler als dem Repräsentanten der Vogelwelt, als demjenigen Tier, das sozusagen zusammenfaßt die Eigenschaften und Kräfte der Vogelwelt. Und indem wir den Adler betrachten, betrachten wir eigentlich dasjenige, was im kosmischen Zusammenhange der ganzen Vogelwelt obliegt. Ich werde also in Zukunft einfach vom Adler sprechen.

Ich habe Ihnen davon gesprochen, wie eigentlich der Adler dem Kopf des Menschen entspricht, und wie diejenigen Kräfte, die im Menschenkopf die Gedanken auslösen, bei dem Adler das Gefieder auslösen. So daß eigentlich in dem Adlergefieder die sonnendurchströmten Luftkräfte, die lichtdurchströmten Luftkräfte wirken. Das schimmert in dem Adlergefieder: die Luftkraft lichtdurchdrungen.

Nun hat der Adler, dem man ja manche schlimmen Eigenschaften zuschreiben kann, eben doch die merkwürdige Eigenschaft in bezug auf sein kosmisches Dasein, daß gewissermaßen außerhalb seiner Haut, in der Gestaltung des Gefieders alles dasjenige bleibt, was diese sonnendurchwirkten Luftkräfte an ihm bilden. Was da geschieht, merkt man nämlich erst, wenn der Adler stirbt.


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Wenn der Adler stirbt, wird einem erst klar, was für eine merkwürdige, ich möchte sagen, oberflächliche Verdauung der Adler hat gegenüber der gründlichen Verdauung der Kuh mit ihrem Wiederkäuen. Die Kuh ist wirklich das Verdauungstier - wiederum als Repräsentant für viele aus dem Tiergeschlechte. Da wird gründlich verdaut.

Der Adler verdaut wie jeder Vogel oberflächlich. Es wird alles nur angefangen sozusagen, das Verdauungsgeschäft nur angefangen. Und ich möchte sagen, es ist im Adlersein dieses Verdauen, wenn wir auf das Ganze sehen, eigentlich ein Nebengeschäft des Daseins; es wird überall im Adler als ein Nebengeschäft behandelt.

Dagegen verläuft gründlich im Adler alles, was auf sein Gefieder verwendet wird. Bei anderen Vögeln ist gerade das noch stärker. Da wird mit ungeheurer Sorgfalt alles in den Federn ausgearbeitet. Und solch eine Vogelfeder ist eigentlich ein wunderbares Gebilde.

Da kommt nämlich am stärksten zustande dasjenige, was man irdische Materie nennen möchte, die der Adler der Erde entnimmt, und die von den oberen Kräften durchgeistigt wird, aber so, daß es nicht angeeignet wird von dem Adler; denn der Adler macht keinen Anspruch auf Reinkarnation. Ihn braucht es daher nicht zu genieren, was dann geschieht durch das, was da durch die oberen geistigen Kräfte an der irdischen Materie in seinem Gefieder bewirkt wird; ihn braucht nicht zu genieren, wie das nun weiterwirkt in der geistigen Welt.

So sehen wir denn, wenn der Adler stirbt und sein Gefieder nun auch zugrunde geht - wie gesagt, es gilt das für jeden Vogel -, daß da die vergeistigte irdische Materie in das Geisterland hinausgeht, zurückverwandelt wird in geistige Substanz.

Sie sehen, wir haben eine merkwürdige verwandtschaftliche Beziehung in bezug auf unser Haupt zum Adler. Was wir nicht können, der Adler kann es: Der Adler schafft fortwährend von der Erde fort dasjenige, was in der Erde durch die geistigen Kräfte an physischer Substanz vergeistigt wird.

Das ist es auch, weshalb wir mit unserer Empfindung so merkwürdig den Adler in seinem Flug betrachten. Wir empfinden ihn als etwas Erdenfremdes, als etwas, was mit dem Himmel mehr zu tun hat als mit der Erde, obwohl er ja von der Erde seine Substanz holt. Aber wie holt er sie?


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Er holt sie so, daß er für die Erdensubstanz nur ein Räuber ist. Ich möchte sagen, es ist nicht im gewöhnlichen banalen Gesetz des Erdendaseins vorgesehen, daß der Adler auch noch etwas bekommt. Er stiehlt sich, er raubt sich seine Materie, wie überhaupt das Vogelgeschlecht vielfach die Materie raubt.

Aber er gleicht aus, der Adler. Er raubt sich seine Materie, aber er läßt sie vergeistigen von den Kräften, die als geistige Kräfte in den oberen Regionen sind, und er entführt nach seinem Tode diese vergeisteten Erdenkräfte, die er geraubt hat, ins Geisterland. Mit den Adlern zieht die vergeistigte Erdenmaterie hinaus ins Geisterland.

Das Leben der Tiere ist auch nicht abgeschlossen, wenn sie sterben. Sie haben ihre Bedeutung im Weltenall. Und fliegt der Adler als physischer Adler, so ist er gewissermaßen nur ein Sinnbild seines Daseins; so fliegt er als physischer Adler. Oh, er fliegt weiter nach seinem Tode! Es fliegt die vergeistigte physische Materie der Adlernatur hinein in die Weiten, um sich zu vereinigen mit der Geistmaterie des Geisterlandes.

Sie sehen, man kommt auf wunderbare Geheimnisse im Weltenall, wenn man diese Dinge durchschaut. Dann erst sagt man sich, warum denn eigentlich diese verschiedenen Tier- und anderen Gestaltungen der Erde da sind. Sie haben alle ihre große, ihre ungeheure Bedeutung im ganzen Weltenall.


Gehen wir jetzt zu dem anderen Extrem, das wir auch in diesen Tagen betrachtet haben, gehen wir zu der von dem Hindu so verehrten Kuh. Da haben wir allerdings das andere Extrem. Wie der Adler dem menschlichen Kopfe sehr ähnlich ist, ist die Kuh sehr ähnlich dem menschlichen Stoffwechselsystem. Sie ist das Verdauungstier.

Und, so sonderbar es klingt, dieses Verdauungstier besteht eigentlich wesenhaft aus geistiger Substanz, in die nur eingespannt und eingestreut ist die physische Materie, die aufgezehrt wird. Da ist in der Kuh die geistige Substanz (es wird gezeichnet), und die physische Materie dringt hier überall ein und wird von der geistigen Substanz aufgenommen, verarbeitet. Damit das ganz gründlich geschieht, ist das Verdauungsgeschäft der Kuh ein so ausführliches, gründliches. Es ist das gründlichste Verdauungsgeschäft, das man sich denken kann, und in dieser Beziehung besorgt wirklich die Kuh am gründlichsten das Tiersein. Die Kuh

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ist gründlich Tier. Sie bringt tatsächlich das Tiersein, diesen Tieregoismus, diese Tier-Ichheit aus dem Weltenall auf die Erde in den Bereich der Schwerkraft der Erde herunter.

Kein anderes Tier hat dasselbe Verhältnis zwischen dem Blutgewichte und dem gesamten Körpergewichte wie die Kuh; entweder hat es weniger oder mehr Blut im Verhältnis zum Körpergewichte als die Kuh; und Gewicht hat mit der Schwere zu tun, und das Blut mit der Egoität. Nicht mit dem Ego, das hat ja nur der Mensch, aber mit der Egoität, mit dem Einzelsein.

Das Blut macht auch das Tier zum Tiere, das höhere Tier wenigstens. Man möchte sagen: die Kuh hat das Weltenrätsel gelöst, wie man gerade das richtige Verhältnis hält zwischen der Schwere des Blutes und der Schwere des ganzen Körpers, wenn man so gründlich wie möglich Tier sein will.

Sehen Sie, die Alten haben nicht umsonst den Tierkreis «Tierkreis» genannt. Der ist zwölfgliedrig, verteilt gewissermaßen sein gesamtes Sein auf zwölf einzelne Teile. Diese Kräfte, die aus dem Kosmos, von dem Tierkreis kommen, die gestalten sich eben aus in den Tieren.

Aber die anderen Tiere richten sich nicht so genau darnach. Die Kuh hat das Zwölftel ihres Körpergewichtes in ihrem Blutgewicht. Das Gewicht des Blutes bei der Kuh ist das Zwölftel ihres Körpergewichtes, beim Esel nur das Dreiundzwanzigstel, beim Hund das Zehntel. Alle anderen Tiere haben ein anderes Verhältnis. Beim Menschen ist das Blut ein Dreizehntel des Körpergewichtes.

Sie sehen, die Kuh hat es abgesehen darauf, in der Schwere das ganze Tiersein auszudrücken, so gründlich als möglich Kosmisches auszudrücken. Was ich in diesen Tagen immer gesagt habe, daß man es am astralischen Leib der Kuh sieht, daß sie eigentlich das Obere im Physisch-Materiellen verwirklicht, das drückt sich selbst darin aus, daß sie in ihrem eigenen inneren Gewichtsverhältnisse die Zwölfteilung aufrecht erhält. Da ist sie kosmisch drinnen.

Alles an der Kuh ist so, daß in die geistige Substanz hineingearbeitet werden die Kräfte der Erde. Der Erdenschwere wird es aufgedrungen, sich im Tierkreisverhältnis in der Kuh zu verteilen. Die Erdenschwere muß sich fügen, ein Zwölftel auf die Egoität entfallen zu lassen. Alles zwingt die Kuh herein in die irdischen Verhältnisse, was sie an geistiger Substanz hat.

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So ist die Kuh, die auf der Weide liegt, in der Tat geistige Substanz, welche die Erdenmaterie in sich aufnimmt, absorbiert, sich ähnlich macht.

Wenn die Kuh stirbt, dann ist diese geistige Substanz, die die Kuh in sich trägt, fähig, mit der Erdenmaterie zur Wohltat des Lebens der ganzen Erde von dieser Erde aufgenommen zu werden. Und man tut recht, wenn man der Kuh gegenüber die Empfindung hat: Du bist das wahre Opfertier, denn du gibst im Grunde genommen der Erde fortwährend das, was sie braucht, ohne das sie nicht weiter bestehen könnte, ohne das sie verhärten und vertrocknen würde. Du gibst ihr fortwährend geistige Substanz und erneuerst die innere Regsamkeit, die innere Lebendigkeit der Erde.

Und wenn Sie schauen auf der einen Seite die Weide mit den Kühen, auf der anderen Seite den fliegenden Adler, dann haben Sie da merkwürdige Gegenbilder: der Adler, der die für die Erde unbrauchbar gewordene Erdenmaterie - weil diese Materie vergeistigt ist - hinausträgt in die Weiten des Geisterlandes, wenn er stirbt; die Kuh, wenn sie stirbt, welche die Himmelsmaterie der Erde gibt und so die Erde erneuert.

Sie sehen hier etwas wie das Auftauchen von Empfindungen aus der Initiationswissenschaft heraus. Denn man hat so gewöhnlich den Glauben: diese Initiationswissenschaft, nun, die studiert man halt, aber sie gibt eigentlich nichts als Begriffe, als Ideen. Man füllt sich seinen Kopf mit Ideen über das Übersinnliche an, wie man seinen Kopf sonst anfüllt mit Ideen über das Sinnliche.

Aber so ist es nicht. Immer weiterdringend in dieser Initiationswissenschaft kommt man dazu, Empfindungen, von denen man früher keine Ahnung hatte, die aber unbewußt doch in jedem Menschen sind, aus den Tiefen der Seele heraufzuholen; man kommt dazu, alle Wesen anders zu empfinden, als man sie vorher empfunden hat. So kann ich Ihnen eine Empfindung schildern, die eben zum lebendigen Ergreifen der Geisteswissenschaft, der Initiationswissenschaft, dazugehört.

Das ist diese, daß man sich sagen

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muß: Wenn nur der Mensch auf Erden wäre, dann müßte man, wenn man die wahre Natur des Menschen erkennt, eigentlich daran verzweifeln, daß die Erde überhaupt das bekommt, was, sie braucht, daß ihr in der richtigen Zeit die vergeistete Materie entnommen wird und Geistmaterie gegeben wird.

Man müßte eigentlich einen solchen Gegensatz zwischen dem menschlichen und dem irdischen Dasein empfinden, der sehr, sehr weh tut, der deshalb sehr, sehr weh tut, weil man sich sagt: Soll der Mensch richtig Mensch sein auf Erden, so kann die Erde nicht richtig Erde sein durch den Menschen. Mensch und Erde brauchen einander, Mensch und Erde können sich nicht gegenseitig stützen! Was das eine Wesen braucht, geht dem anderen verloren; was das andere braucht, geht dem einen verloren.

Und man hätte keine Sicherheit für den Lebenszusammenhang zwischen Mensch und Erde, wenn nicht auftauchen würde die Umwelt und man sich sagen müßte:

Sehen Sie, dadurch rundet sich die Welt sozusagen zu einem Ganzen. Schaut man bloß auf den Menschen, bekommt man Unsicherheit in seine Empfindung herein über das Erdendasein; schaut man auf das, was den Menschen umgibt, gewinnt man wieder die Sicherheit.

Jetzt werden Sie sich noch weniger wundern, daß eine so tief ins Geistige hineingehende religiöse Weltanschauung, wie der Hinduismus, die Kuh verehrt; denn sie ist das Tier, das die Erde fortwährend vergeistigt, fortwährend der Erde jene Geistsubstanz gibt, welche sie selber aus dem Kosmos entnimmt.

Und man müßte eigentlich tatsächlich das Bild real werden lassen, wie unter einer weidenden Kuhherde unten die Erde freudig erregt lebt, die Elementargeister drunten jauchzen, weil sie ihre Nahrung aus dem Kosmos versprochen erhalten durch das Dasein der Wesen, die da weiden.

Man müßte eigentlich den tanzendjauchzenden Luftkreis der Elementargeister malen, umschwebend den Adler. Dann hätte man geistige Realitäten wiederum gemalt, und man würde das Physische in den geistigen Realitäten drinnen sehen; man würde den Adler fortgesetzt sehen in seiner Aura, und in die Aura

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hereinspielend das Jauchzen der elementaren Luftgeister und Feuergeister der Luft.

Man würde diese merkwürdige Aura der Kuh sehen, die so sehr widerspricht dem irdischen Dasein, weil sie ganz kosmisch ist, und man würde das erregt Heitere der Sinne der irdischen Elementargeister sehen, die hier dessen ansichtig werden, was ihnen dadurch verlorengegangen ist, daß sie in der Finsternis der Erde ihr Dasein fristen müssen. Das ist ja für diese Geister Sonne, was in den Kühen erscheint. Diese in der Erde hausenden Elementargeister können sich nicht über die physische Sonne freuen, aber über die Astralleiber der Wiederkäuer.


Ja, meine lieben Freunde, es gibt eben noch eine andere Naturgeschichte als diejenige, die heute in den Büchern steht. Und was ist denn schließlich das Endergebnis der Naturgeschichte, die heute in den Büchern steht?

Es ist eben erschienen die Fortsetzung jenes Buches von Albert Schweitzer, das ich einmal besprochen habe. Sie erinnern sich vielleicht an meine Besprechung dieses Büchelchens über die gegenwärtigen Kulturzustände vor einiger Zeit im «Goetheanum».

Die Vorrede dieser Fortsetzung ist eigentlich ein ziemlich trauriges Kapitel gegenwärtiger Geistesproduktion; denn, hat das erste Bändchen, das ich damals besprochen habe, wenigstens noch eine gewisse Kraft und eine Einsicht, um das zuzugeben, was unserer Kultur fehlt, so ist diese Vorrede wirklich ein recht trauriges Kapitel. Denn da renommiert Schweitzer damit, daß er der erste sei, der eingesehen habe, daß im Grunde genommen das Wissen gar nichts geben könne, daß man von irgendwo anders Weltanschauung und Ethik gewinnen müsse als von der Erkenntnis.

Nun, erstens ist ja von Grenzen der Erkenntnis viel gesprochen worden, und es gehört schon ein bißchen, wie soll ich sagen, Kurzsichtigkeit dazu, zu glauben, daß man der erste ist, der von Grenzen der Erkenntnis gesprochen hat. Das haben doch die Naturforscher in allen möglichen Tonarten getan. Also man braucht sich nicht zu rühmen, daß man diesen kolossalen Irrtum zuerst gefunden hat.

Aber wenn man davon absieht, so zeigt sich eben gerade dieses, daß ein so ausgezeichneter Denker wie Schweitzer - denn ein ausgezeichneter Denker ist er ja doch nach diesem ersten Bändchen - dazu kommt,

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zu sagen: Wenn wir Weltanschauung haben wollen, wenn wir Ethik haben wollen, da sehen wir ganz ab von Wissen und Erkenntnis; denn die geben uns doch nichts. Wissen und Erkenntnis, wie sie eben heute in den Büchern stehen und offiziell anerkannt sind, diese Wissenschaften und diese Erkenntnisse führen nicht dazu, einen Sinn - wie Schweitzer sagt - in der Welt zu entdecken. Denn im Grunde, wenn man so hinschaut, wie diese Persönlichkeiten hinschauen auf die Welt, kann einem ja nichts aufgehen, als: es ist sinnlos, daß Adler fliegen, abgesehen davon, daß man Wappentiere aus ihnen machen kann; es ist irdisch nützlich, daß Kühe Milch geben und so weiter. Aber da der Mensch auch nur ein physisches Wesen ist, so hat es nur e1ne physische Nützlichkeit; irgendeinen Sinn für das Weltenganze gibt das ja nicht.

Allerdings, wenn man eben nicht weitergehen will, so steht man nicht auf dem Niveau, wo ein Sinn der Welt erscheinen kann. Man muß eben übergehen zu dem, was einem das Geistige, was einem die Initiationswissenschaft über die Welt sagen kann; dann findet man schon diesen Sinn der Welt.

Dann findet man diesen Sinn der Welt sogar, indem man wunderbare Geheimnisse in allem Dasein entdeckt, solche Geheimnisse wie jenes, das sich abspielt mit dem sterbenden Adler und der sterbenden Kuh, zwischen denen der sterbende Löwe drinnensteht, der wiederum so in sich geistige Substanz und physische Substanz im Gleichgewichte hält durch seinen Gleichklang zwischen Atmungs- und Blutrhythmus, daß er es nun ist, der durch seine Gruppenseele regelt, wieviel Adler notwendig sind und wieviel Kühe notwendig sind, um den richtigen Prozeß nach oben und nach unten, wie ich Ihnen geschildert habe, vor sich gehen zu lassen.

Sie sehen, die drei Tiere, Adler, Löwe, Stier oder Kuh, sie sind aus einer wunderbaren instinktiven Erkenntnis heraus eben geschaffen. Ihre Verwandtschaft mit dem Menschen ist gefühlt. Denn der Mensch müßte sich eigentlich sagen, wenn er diese Dinge durchschaut:


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So wird aus mir und den drei Tieren ein Ganzes im kosmischen Zusammenhange. So lebt man sich hinein in den kosmischen Zusammenhang. So fühlt man die tiefe Verwandtschaft in der Welt und lernt erkennen, wie weise eigentlich diejenigen Kräfte sind, welche das Dasein durchwalten, in das der Mensch hineinverwoben ist, und von dem der Mensch wiederum umwallt und umwogt ist.

Sie sehen, wir konnten in dieser Weise zusammenfassen, was uns da entgegengetreten ist, indem wir aufgesucht haben die Beziehung des Menschen zu dem Dreigetier, von dem wir in den verflossenen Wochen gesprochen haben.