Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 230 Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes

1. Vortrag Dornach 19. Oktober 1923

Vogel, Löwe, Rind repräsentieren, ätherisch besehen, den menschlichen Kopf, seine Brust, seinen Stoffwechsel.
Der Kokon des Seidenspinners ist gesponnenes Sonnenlicht. In der Eibildung des Vogel schiebt sich der Vorgang der Verpuppung zusammen.
Vogelfedern entsprechen unseren augenblicklichen Gedanken; Schmetterlingsflügel unseren Erinnerungsgedanken.

Es ist in unseren Betrachtungen öfter gesagt worden und spielte auch in den letzten Vorträgen über den Jahreslauf und das Michael-Problem eine gewisse Rolle, daß der Mensch in seinem ganzen Bau, in seinen Lebensverhältnissen, eigentlich in allem, was er ist, eine kleine Welt darstellt, einen Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos, daß er wirklich in sich enthält alle Gesetzmäßigkeit der Welt, alle Geheimnisse der Welt. Nur müssen Sie sich nicht vorstellen, daß das vollständige Verstehen dieses ja ganz abstrakten Satzes ein einfaches ist. Man muß schon sozusagen in die Mannigfaltigkeit der Weltengeheimnisse eindringen, um dann diese Geheimnisse im Menschen wiederzufinden.

Nun wollen wir heute einmal diese Sache so betrachten, daß wir auf der einen Seite von gewissen Ausgangspunkten aus uns die Welt anschauen und dann den Menschen anschauen, um zu finden, wie der Mensch als eine kleine Welt in der großen Welt darinnen ist. Natürlich ist dasjenige, was man von der großen Welt sagen kann, ja immer ein kleiner Ausschnitt. Es kann nie ein Vollständiges darstellen, sonst müßte man in der Betrachtung wenigstens die ganze Welt durchwandeln.

Sehen wir zuerst einmal hin auf dasjenige, was sich uns am allernächsten Oberen, wenn ich so sagen darf, darstellt. Sehen wir auf diejenige menschliche Umgebung, die in der Tierreihe das Leben sozusagen in den Lüften hat, und zwar diejenige Klasse, welche in der auffallendsten Art das Leben in den Lüften hat: das ist das Vogelgeschlecht.

Es kann einem nicht entgehen, daß der Vogel, der in den Lüften wohnt, der aus den Lüften seine Daseinsbedingungen schöpft, als Tier wesentlich anders gebaut ist als die Tiere, die unmittelbar über dem Erdboden wohnen, oder die etwa gar unter dem Erdboden wohnen. Und wenn wir hinschauen auf das Vogelgeschlecht, so finden wir uns natürlich nach allgemeinen, menschlich üblichen Ansichten genötigt, beim Vogel auch von Kopf und Gliedmaßen und dergleichen zu sprechen.

Aber das ist eigentlich im Grunde eine recht unkünstlerische Betrachtungsweise. Und darauf habe ich schon öfter aufmerksam gemacht,

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daß, wenn man die Welt eigentlich wirklich kennenlernen will, man bei dem intellektualistischen Begreifen nicht stehenbleiben kann, daß das Intellektualistische allmählich hinübergleiten muß in das künstlerische Auffassen der Welt.

Nun, da werden Sie doch nicht den wirklich im Verhältnis zum Haupte, zum Kopfe der anderen Tiere doch außerordentlich verkrüppelten sogenannten Vogelkopf als einen wirklichen Kopf auffassen. Gewiß, äußerlich intellektualistisch betrachtet, kann man sagen: Der Vogel hat einen Kopf, einen Rumpf, der Vogel hat Gliedmaßen.

Aber bedenken Sie, wie verkümmert, sagen wir zum Beispiel in bezug auf die Beine eines Kamels oder eines Elefanten die Vogelbeine sind, und wie verkümmert gegenüber meinetwillen dem Haupte eines Löwen, eines Hundes, der Vogelkopf ist. Es ist fast gar nichts Ordentliches darinnen in einem solchen Vogelkopf; es ist eigentlich im Grunde genommen kaum mehr darinnen als das, was beim Hund oder meinetwillen beim Elefanten oder bei der Katze die vordere Maulpartie ist. Ich möchte sagen, ein wenig komplizierter die Mundpartie eines Säugetieres, das ist der Vogelkopf.

Und was die Gliedmaßen eines Säugetieres sind, das ist ja vollständig verkümmert beim Vogel. Gewiß, eine unkünstlerische Betrachtungsweise spricht einfach davon, die vorderen Gliedmaßen seien zu Flügeln umgestaltet. Aber das alles ist eben durchaus unkünstlerische Anschauung, unimaginative Anschauung. Will man die Natur wirklich verstehen, will man in den Kosmos wirklich eindringen, so muß man die Dinge schon tiefer, vor allen Dingen in ihren Gestaltungsund Bildungskräften betrachten.

Die Anschauung, daß einfach der Vogel auch einen Kopf und Rumpf und Gliedmaßen habe, führt niemals dazu, zum Beispiel die Anschauung des Ätherleibes eines Vogels wirklich begreifen zu können. Denn geht man über durch imaginative Anschauung von dem Sehen dessen, was am Vogel physisch ist, zu dem, was am Vogel ätherisch ist, so hat man eben im ätherischen Vogel nur einen Kopf.

Vom ätherischen Vogel aus ist der Vogel nur Kopf; vom ätherischen Vogel aus begreift man sogleich, daß der Vogel sich nicht vergleichen läßt mit Kopf, Rumpf und Gliedmaßen anderer Tiere, sondern daß er aufzufassen ist als ein bloßer Kopf, der eben umgestaltet ist, der als Kopf umgestaltet ist. So daß der

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eigentliche Vogelkopf nur Gaumen und die vorderen Partien, die Mundpartien darstellt, und dasjenige, was weiter nach rückwärts geht, alle die rippenähnlich und rückgratähnlich aussehenden Teile des Skeletts, das ist anzusehen als zwar metamorphosierter, umgestalteter, aber doch als Kopf. Der ganze Vogel ist eigentlich Kopf.

Das rührt davon her, daß in der Tat, wenn wir einen Vogel verstehen wollen, wir sehr, sehr weit zurückgehen müssen in der Erden-, in der planetarischen Erdenentwickelung. Der Vogel hat eine lange planetarische Geschichte hinter sich. Der Vogel hat eine viel längere planetarische Geschichte hinter sich als zum Beispiel, sagen wir das Kamel. Das Kamel ist ein viel später entstandenes Tier als jeglicher Vogel.

Während sie in früheren Erdperioden, Mondperioden, Sonnenperioden eben durchaus noch alles das an sich hatten, was dann in sie übergegangen ist von innen nach auswärts bis zur Haut, hat sich später im Vogelgeschlecht im wesentlichen das ausgebildet, was Sie heute in den Federn sehen, was Sie im hornigen Schnabel sehen. Das Äußere des Vogels ist späteren Ursprungs, ist dadurch gekommen, daß der Vogel seine Kopfnatur verhältnismäßig früh ausgebildet hat, und unter den Bedingungen, in die er dann in späteren Zeiten der Erdenentwickelung hineingekommen ist, konnte er nur noch außen dasjenige hinzufügen, was in seinem Gefieder liegt. Dieses Gefieder ist dem Vogel zum Beispiel vom Mond und der Erde gegeben worden, während er seine übrige Natur aus viel früheren Zeiten hat.

Aber die Sache hat noch eine viel tiefere Seite. Schauen wir uns einmal den Vogel in den Lüften, sagen wir, den majestätisch dahinfliegenden Adler an, dem gewissermaßen wie ein äußeres Gnadengeschenk die Sonnenstrahlen mit ihrer Wirkung sein Gefieder gegeben haben - ich werde die anderen Wirkungen noch nennen -, seinen hornigen Schnabel gegeben haben; schauen wir uns diesen Adler an, wie er in den Lüften fliegt. Da wirken auf ihn gewisse Kräfte. Die Sonne hat nicht nur jene physischen Licht- und Wärmekräfte, von denen wir gewöhnlich sprechen.

Ich habe Sie aufmerksam gemacht damals, als ich über

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die Druidenmysterien sprach, daß von der Sonne auch geistige Kräfte ausgehen. Auf diese geistigen Kräfte müssen wir hinschauen. Sie sind es, welche den verschiedenen Vogelgeschlechtern ihre Vielfarbigkeit, die besondere Gestaltung ihres Gefieders geben. Wir begreifen, wenn wir dasjenige, was die Sonnenwirkungen sind, geistig durchschauen, warum der Adler gerade sein Gefieder hat.

Dann, wenn wir uns so richtig versenken in diese Adlernatur, wenn wir verstehen, inneres künstlerisches Naturverständnis zu entwickeln, welches das Geistige mitenthält, wenn wir hinschauen können, wie künstlerisch herausgebildet wird aus den Sonnenimpulsen, die verstärkt sind durch andere Impulse, die ich nachher nennen werde, wenn wir das sehen, wie gleichsam diese Sonnenimpulse hinfluten über den Adler, schon bevor er aus dem Ei gekrochen ist, wie sie das Gefieder herauszaubern oder eigentlich, besser gesagt, hineinzaubern in seine Fleischesgestalt, und uns dann fragen: Was bedeutet denn das für den Menschen?

Ja, das bedeutet für den Menschen dasjenige, was sein Gehirn zum Träger der Gedanken macht. Und Sie sehen richtig hin in den Makrokosmos, in die große Natur, wenn Sie den Adler so ansehen, daß Sie sagen: Der Adler hat sein Gefieder, seine vielfarbigen, bunten Federn; in denen lebt dieselbe Kraft, die in dir lebt, indem sie dein Gehirn zum Gedankenträger macht. Dasjenige, was dein Gehirn faltet, was dein Gehirn fähig macht, jene innere Salzkraft aufzunehmen, die die Grundlage des Denkens ist, was dein Gehirn überhaupt dazu macht, dich zu einem Denker zu bilden, das ist dieselbe Kraft, die dem Adler in den Lüften sein Gefieder gibt.

So fühlen wir uns verwandt, indem wir denken, gewissermaßen den menschlichen Ersatz in uns fühlend für das Adlergefieder; unsere Gedanken strömen von dem Gehirn so aus, wie ausfluten von dem Adler die Federn.

Wenn wir von dem physischen Niveau heraufgehen in das astralische Niveau, dann müssen wir den paradoxen Satz aussprechen: Auf dem physischen Plan bewirken dieselben Kräfte die Federnbildung, die auf dem astralischen Plan die Gedankenbildung bewirken. Die Federnbildung geben sie dem Adler; das ist der physische Aspekt der Gedankenbildung. Dem Menschen geben sie die Gedanken; das ist der astralische Aspekt der Federnbildung. Solche Dinge liegen manchmal in

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einer wunderbaren Weise im Genius der Volkssprache ausgedrückt.

Wenn man eine Feder oben abschneidet und herausnimmt das, was da drinnen ist, so nennt das Volk das die Seele. Gewiß werden, manche eine äußerliche Bezeichnung in diesem Namen Seele sehen. Es ist keine äußere Bezeichnung, sondern eine Feder enthält für denjenigen, der die Sache durchschaut, etwas Ungeheures: sie enthält das Geheimnis der Gedankenbildung.


Sehen wir jetzt weg von dem Adler, der in den Lüften wohnt, sehen wir, um wieder einen Repräsentanten zu haben, ein solches Säugetier wie den Löwen an.

Man kann eigentlich den Löwen nur verstehen, wenn man ein Gefühl dafür entwickelt, welche Freude, welche innere Befriedigung der Löwe hat, mit seiner Umgebung zu leben. Es gibt eigentlich kein Tier, welches nicht löwenverwandt ist, das eine so wundervolle, geheimnisvolle Atmung hat.

Es müssen überall beim tierischen Wesen die Atmungsrhythmen zusammenstimmen mit den Zirkulationsrhythmen, nur daß die Zirkulationsrhythmen schwer werden durch den an ihnen hängenden Verdauungsapparat, die Atmungsrhythmen leicht werden dadurch, daß sie anstreben, hinauf in die Leichtigkeit der Gehirnbildungen zu kommen.

Es ist beim Vogel so, daß dasjenige, was in seinem Atmen lebt, eigentlich zugleich in seinem Kopfe lebt. Der Vogel ist ganz Kopf, und er trägt sozusagen den Kopf äußerlich für die Welt hin. Seine Gedanken sind die Formen seines Gefieders. Es gibt eigentlich für ein richtiges Naturgefühl, das in Schönheit leben kann, nichts Rührenderes, als die innige Verwandtschaft dessen zu fühlen, was Menschengedanke ist, wenn er so ganz konkret wird, wenn er so ganz innerlich lebendig wird, mit einem Vogelgefieder. Derjenige, der in solchen Dingen eine innere Praxis hat, der weiß ganz genau, wann er pfauenmäßig denkt und wann er adlermäßig denkt und wann er spatzenhaft denkt.

Die Dinge sind durchaus so, daß mit Ausnahme davon, daß das eine astralisch, das andere physisch ist, sich die Dinge in einer wunderbaren Art entsprechen. Es ist so. So daß man sagen kann: Der Vogel hat ein so überwiegendes Leben in der Atmung, daß das andere, Blutzirkulation und so weiter, fast verschwindet. Alle Schwere der Verdauung, ja selbst die Schwere der Blutzirkulation ist eigentlich von dem In-sich-Fühlen beim Vogel weggefegt, ist nicht da.


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Beim Löwen ist das so, daß eine Art von Gleichgewicht besteht zwischen dem Atmen und der Blutzirkulation. Allerdings, die Blutzirkulation wird auch beim Löwen schwer gemacht, aber nicht so schwer wie, sagen wir bei dem Kamel oder bei dem Rind. Da ist die Verdauung etwas, was die Blutzirkulation ungemein belastet. Beim Löwen, der einen verhältnismäßig sehr kurzen Verdauungsapparat hat und der ganz so gebaut ist, daß die Verdauung auch möglichst schnell sich vollzieht, ist das so, daß die Verdauung keine starke Belastung ist für die Zirkulation.

Dagegen ist es wiederum so, daß nach der anderen Seite im Löwenkopf eine solche Entfaltung des Kopfmäßigen ist, daß die Atmung im Gleichgewichte mit dem Zirkulationsrhythmus gehalten ist. Der Löwe ist dasjenige Tier, das am allermeisten einen inneren Rhythmus des Atmens und einen Rhythmus des Herzschlages hat, die sich innerlich die Waage halten, die sich innerlich harmonisieren.

Der Löwe hat deshalb auch, wenn wir, ich möchte sagen, auf sein subjektives Leben eingehen, diese eigentümliche Art, mit einer schier unbegrenzten Gier seine Nahrung zu verschlingen, weil er eigentlich froh ist, wenn er sie drunten hat. Er ist gierig auf die Nahrung, weil ihm natürlich der Hunger viel mehr Pein macht als einem anderen Tiere; er ist gierig auf die Nahrung, aber er ist nicht versessen darauf, ein besonderer Gourmand zu sein.

Er ist gar nicht darauf versessen, viel zu schmecken, weil er ein Tier ist, das seine innere Befriedigung aus dem Gleichmaß von Atmung und Blutzirkulation hat. Erst wenn der Fraß beim Löwen übergegangen ist in das Blut, das den Herzschlag reguliert, und dieser Herzschlag in ein Wechselverhältnis kommt mit der Atmung, an der der Löwe wieder seine Freude hat, indem er den Atmungsstrom mit einer tiefen inneren Befriedigung in sich hereinnimmt, erst dann, wenn er in sich fühlt die Folge des Fraßes, dieses innere Gleichgewicht zwischen Atmung und Blutzirkulation, dann lebt der Löwe in seinem Elemente. Er lebt eigentlich ganz als Löwe, wenn er die tiefe innere Befriedigung hat, daß ihm sein Blut heraufschlägt, daß ihm seine Atmung hinunterpulsiert. Und in diesem gegenseitigen Berühren zweier Wellenschläge lebt der Löwe.

Sehen Sie sich ihn an, diesen Löwen, wie er läuft, wie er springt, wie er seinen Kopf hält, selbst wie er blickt, so werden Sie sehen, daß

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das alles zurückführt auf ein fortwährendes rhythmisches Wechselspiel von etwas Aus-dem-Gleichgewicht-Kommen und wieder Ins-Gleichgewicht-Kommen. Es gibt vielleicht kaum etwas, was so geheimnisvoll einen anmuten kann als dieser merkwürdige Löwenblick, der so viel aus sich herausschaut, der herausschaut aus sich etwas von innerlicher Bewältigung, von Bewältigung von entgegengesetzt Wirksamem. Das ist dasjenige, was der Löwenblick nach außen schaut: diese Bewältigung des Herzschlages durch den Atmungsrhythmus in einer schier ganz vollkommenen Weise.

Und wiederum, wer Sinn für künstlerische Auffassung von Gestaltungen hat, der schaue sich das Maul des Löwen an, diesen Bau im Maul des Löwen, der so zeigt: der Herzschlag pulsiert herauf bis zu diesem Maul, aber die Atmung hält ihn zurück. Wenn Sie sich dieses Gegenseitig-sich-Berühren von Herzschlag und Atmung ausmalen, so kommen Sie auf das Löwenmaul.

Der Löwe ist eben ganz Brustorgan. Er ist wirklich das Tier, welches in seiner äußeren Gestalt, in seiner Lebensweise das rhythmische System ganz zum Ausdrucke bringt. Der Löwe ist so organisiert, daß sich dieses Wechselspiel von Herzschlag und Atmen auch in dem gegenseitigen Verhältnis von seinem Herzen und seiner Lunge zum Ausdrucke bringt.

So daß wir wirklich sagen müssen:


Und jetzt lenken wir den Blick ab von alledem, was sich uns darbietet oben in den Lüften als das Vogelgeschlecht; was eigentlich, weil es in der Luft, die in der unmittelbaren Umgebung der Erde ist, mit dem Luftkreislauf lebt wie im Löwen; sehen wir uns das Rind an.

Ich habe schon öfter in anderen Zusammenhängen darauf hingewiesen, wie reizvoll es ist, eine gesättigte Herde, hingelagert auf der Weide, zu betrachten, dieses Geschäft des Verdauens zu beobachten, das sich in der Lage wiederum, in dem Augenausdruck, in jeder Bewegung ausdrückt.



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Versuchen Sie es einmal, eine Kuh, die auf der Weide liegt, anzuschauen, wenn meinetwillen etwas da oder dort irgendein Geräusch gab. Es ist ja so wunderbar, zu sehen, wie die Kuh den Kopf hebt, wie in diesem Heben das Gefühl liegt, daß das alles schwer ist, daß man den Kopf nicht leicht heben kann, wie ein ganz Besonderes noch da drinnen liegt. Man kann, wenn man eine Kuh so in einer Störung auf der Weide den Kopf hochheben sieht, auf nichts anderes kommen, als sich sagen: Diese Kuh ist erstaunt darüber, daß sie den Kopf zu etwas anderem als zum Abgrasen heben soll. Warum hebe ich denn jetzt eigentlich den Kopf? Ich grase ja nicht, und es hat keinen Zweck, den Kopf zu heben, wenn ich nicht grase.

Sehen Sie nur, wie das ist! Das ist im Kopfheben des Tieres drinnen. Aber es ist nicht nur im Kopfheben des Tieres drinnen. Sie können sich nicht vorstellen, daß der Löwe den Kopf so hebt, wie die Kuh ihn hebt. Das ist in der Form des Kopfes drinnen. Und geht man weiter, geht man auf die ganze Form des Tieres ein - es ist ja das ganze Tier der, ich möchte sagen ausgewachsene Verdauungsapparat! Die Schwere der Verdauung lastet so auf der Blutzirkulation, daß das alles Kopf und Atmung überwältigt. Es ist ganz Verdauung, das Tier. Es ist wirklich, wenn man das nun geistig anschaut, unendlich wunderbar, wenn man den Blick hinaufwendet zum Vogel, und dann herunterschaut auf die Kuh.

Natürlich, wenn man die Kuh physisch noch so hoch hebt, sie wird kein Vogel. Aber wenn man zu gleicher Zeit das Physische an der Kuh übergehen lassen könnte - zunächst indem man sie in die Lüfte bringt, die der Erde unmittelbar nahe sind, in das Luft-Feuchtige, und wenn man das zugleich überführen könnte in eine Verwandlung ihrer Äthergestalt, die nun angemessen wäre dem Feuchtigen, und sie dann weiterheben würde und würde sie bis zum Astralischen bringen können, dann würde hoch oben die Kuh ein Vogel. Astralisch würde sie ein Vogel.

Sehen Sie, da drängt sich einem eben das Wunderbare auf, daß man sich sagt, wenn man das nun durchschaut: Was der Vogel da oben astralisch hat aus seinem Astralleib, was da arbeitet, wie ich gesagt habe, an der Gestaltung seines Gefieders, das hat die Kuh ins Fleisch, in die Muskeln, in die Knochen hineingebracht. Physisch geworden ist an

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der Kuh dasjenige, was astralisch ist am Vogel. Es sieht natürlich in der Astralität anders aus, aber es ist so.

Wiederum, wenn ich umgekehrt dasjenige, was der Astralität eines Vogels angehört, herunterfallen ließe, dabei die Umwandelung ins Ätherische und Physische vornehmen würde, dann würde der Adler eine Kuh werden, weil das, was astralisch am Adler ist, verfleischt, verkörperlicht ist in der Kuh, die am Boden liegt, wenn sie verdaut; denn es gehört zu diesem Verdauen bei der Kuh, eine wunderbare Astralität zu entwickeln.

Die Kuh wird schön im Verdauen. Es liegt, astralisch angesehen, etwas ungeheuer Schönes darinnen in diesem Verdauen. Und wenn man so aus den gewöhnlichen Philisterbegriffen heraus eben in Philisteridealismus sich sagt: Das Verdauungsgeschäft ist das niedrigste -, dann wird man Lügen gestraft, wenn man von einer höheren Warte aus in geistiger Anschauung dieses Verdauungsgeschäft bei der Kuh anschaut. Das ist schön, das ist großartig, das ist etwas ungeheuer Geistiges.

Zu dieser Geistigkeit bringt es der Löwe nicht; der Vogel erst recht nicht. Beim Vogel ist das Verdauungsgeschäft fast etwas ganz Physisches. Man findet natürlich den Ätherleib im Verdauungsapparat des Vogels, aber man findet sehr wenig, fast gar nichts von Astralität in den Verdauungsvorgängen des Vogels.

Dagegen bei der Kuh ist in den Verdauungsvorgängen etwas, was, astralisch angesehen, ganz großartig ist, eine ganze Welt ist. Und da hat man, wenn man jetzt das Ähnliche beim Menschen ansehen will, wiederum diese Korrespondenz zwischen dem, was die Kuh einseitig ausbildet, die physische Verfleischung eines gewissen Astralischen, da hat man das beim Menschen harmonisch zu dem anderen hinzuverwebt in seinen Verdauungsorganen und in ihrer Fortsetzung, in den Gliedmaßen.

So daß wirklich das, was ich schaue hoch oben in den Lüften im Adler, was ich schaue da, wo das Tier sich unmittelbar an der Luft erfreut wie beim Löwen, was ich schaue dann, wenn das Tier verbunden ist mit den unterirdischen Erdenkräften, die weiterwirken in seinen Verdauungsorganen, wenn ich also statt in die Höhe, hinunter in die Tiefe schaue und verständnisvoll von da aus das Wesen der Kuh durchdringe, dann habe ich die drei Gestalten, die im Menschen zu einer Harmonie vereinigt sind und sich dadurch ausgleichen:

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Wenn man so heute hinschaut auf diese Dinge und wiederum darauf kommt, wie der Mensch eigentlich aus der ganzen Natur heraus geboren ist und in sich die ganze Natur wiederum trägt, so wie ich es dargestellt habe, wie er das Vogelreich, das Löwenreich, das Kuhwesen in sich trägt, dann bekommt man die einzelnen Bestandteile dessen, was der abstrakte Satz sagt: Der Mensch ist eine kleine Welt.

Er ist schon eine kleine Welt, und die große Welt ist in ihm, und all das Getier, welches in den Lüften wohnt, und das Getier, welches um die Erde herum in der kreisenden Luft sein hauptsächlichstes Element hat, und das Getier, welches unter dem Erdboden in den Kräften der Schwere seIn hauptsächlichstes Element hat, sie wirken im Menschen zu einer harmonischen Ganzheit zusammen. Und der Mensch ist dann die Zusammenfassung von Adler, Löwe, Stier oder Kuh.

Wenn man das wiederum aus neuerer Geisteswissenschaft heraus erforscht, durchschaut, dann bekommt man diesen großen Respekt, von dem ich öfter gesprochen habe, vor den alten instinktiven hellseherischen Einsichten in den Kosmos; dann bekommt man den großen Respekt zum Beispiel vor so etwas, wie das gewaltige Bild ist von dem Bestehen des Menschen aus Adler, Löwe, Kuh oder Stier, die zusammen, entsprechend sich harmonisierend, den Menschen als eine Ganzheit bilden.

Aber bevor ich übergehe dazu - das kann auch morgen sein -, die einzelnen Impulse zu besprechen, die zum Beispiel in den Kräften, die den Adler umschweben, sind, die in den Kräften sind, die den Löwen umschweben, welche die Kuh umschweben, möchte ich noch eine andere Korrespondenz des Innerlich-Menschlichen mit dem, was draußen im Kosmos ist, besprechen.

Wir bekommen ja jetzt nach dem, was wir schon wissen, die Vorstellung davon. Das menschliche Haupt sucht das seiner Natur Entsprechende: es muß den Blick hinaufrichten zu dem Vogelgeschlecht.

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Die menschliche Brust, der Herzschlag, die Atmung muß, wenn es sich begreifen will als Geheimnis in den Naturgeheimnissen, hinwenden den Blick zu so etwas, was der Löwe ist. Der Mensch muß seinen Stoffwechselapparat versuchen zu verstehen aus der Konstitution, aus der Organisation des Rindes.

Aber der Mensch hat

So daß also auch seelisch der Mensch ein Abbild ist der mit dem Vogelgeschlecht die Welt durchwebenden Vorstellungen, die sich im Gefieder der Vögel ausdrücken; der die Erde umkreisenden Gefühlswelt, die sich im inneren Ausgleichsleben zwischen Herzschlag und Atmung beim Löwen findet, die gemildert ist beim Menschen, die aber beim Menschen eben das innerliche Mutvolle - die griechische Sprache hatte das Wort mutvoll für die Herzenseigenschaften, für die Brusteigenschaften gebildet - darstellt. Und wenn er seine Willensimpulse finden will, die vorzugsweise in seinem Stoffwechsel sitzen, wenn er diese äußerlich gestaltet, schaut er hin auf dasjenige, was fleischlich in der Kuh gestaltet ist.

Das, was heute grotesk, paradox klingt, was vielleicht wahnsinnig erscheint für eine Zeit, die so gar kein Verständnis mehr hat für die geistigen Zusammenhänge der Welt, enthält aber doch eine Wahrheit, auf die alte Gebräuche hindeuten. Sehen Sie, es ist doch eine auffallende Erscheinung, daß jener Mahatma Gandhi, den jetzt mehr schlecht als recht Romain Rolland in einer wenig erfreulichen Schrift der Welt beschrieben hat, daß jener Mahatma Gandhi, der seine Tätigkeit zwar ganz nach außen gewendet hat, aber dabei, innerhalb des indischen Volkes, ich möchte sagen, wie ein nach Indien hinüber versetzter Aufklärer des 18. Jahrhunderts gegenüber der alten Hindureligion dasteht, daß der in seinem aufklärerischen Hinduismus aber eines bewahrt hat: die Verehrung der Kuh. Von der könne man nicht abkommen, sagt der Mahatma Gandhi, der, wie Sie wissen, von den Engländern sechs Jahre schweren Kerkers bekommen hat für seine politische Tätigkeit in Indien. Die Verehrung der Kuh behält er bei.

Solche Dinge, die mit einer Zähigkeit in geistigeren Kulturen sich erhalten haben, begreift man nur, wenn man diese Zusammenhänge kennt, wenn man wirklich weiß, welche ungeheuren Geheimnisse in

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dem Verdauungstier, der Kuh, leben, und wie man verehren kann, ich möchte sagen, ein irdisch gewordenes und deshalb nur niedrig gewordenes, ein irdisch gewordenes hoch Astralisches in der Kuh. Aus solchen Dingen heraus begreift man auch die religiöse Verehrung, die im Hinduismus der Kuh zukommt, während sie aus all dem rationalistischen und intellektualistischen Begriffsgestrüppe, das man daran hängt, niemals begriffen werden kann.

Und so sehen wir eben, wie Wille, Gefühl, Gedanke gesucht werden können draußen im Kosmos, gesucht werden können im Mikrokosmos in ihrer Korrespondenz.


Aber sehen Sie, wir haben auch noch mancherlei andere Kräfte im Menschen, und wir haben mancherlei anderes in der Natur draußen. Da bitte ich Sie, einmal folgendes zu beachten. Beachten Sie einmal jene Metamorphose, die durchgemacht wird von dem Tiere, das dann ein Schmetterling wird.

Sie wissen, der Schmetterling legt sein Ei. Aus dem Ei kommt die Raupe heraus. Die Raupe also ist aus dem Ei herausgekommen; das Ei enthält ringsum geschlossen alles dasjenige, was Anlage des späteren Tieres ist.

Nun kommt die Raupe aus dem Ei. Sie kommt an die lichtdurchflossene Luft. Das ist die Umgebung, in die sie hineinkommt, die Raupe. Da müssen Sie eben ins Auge fassen, wie eigentlich diese Raupe nun in der sonnendurchleuchteten Luft lebt. Das müssen Sie dann studieren, wenn Sie, sagen wir, des Nachts im Bette liegen, die Lampe angezündet haben und eine Motte nach der Lampe fliegt, dem Lichte zufliegt und den Tod findet im Lichte. Dieses Licht wirkt auf die Motte so, daß sie sich unterwirft dem Tod-Suchen. Damit haben wir schon die Wirkung des Lichtes auf das Lebendige.

Nun, die Raupe - ich deute diese Dinge nur aphoristisch an, wir werden sie morgen und übermorgen etwas genauer betrachten - kann nicht zur Lichtquelle hinauf, um sich hineinzustürzen, zur Sonne nämlich, aber sie möchte es; sie möchte es ebenso stark, wie es die Motte will, die sich in die Flamme neben Ihrem Bette wirft und darinnen umkommt. Die Motte wirft sich in die Flamme und findet den Tod im physischen Feuer. Die Raupe sucht ebenso die Flamme, jene Flamme, die ihr entgegenkommt von der Sonne. Aber sie kann sich nicht in die

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Sonne werfen; der Übergang ins Licht und in die Wärme bleibt bei ihr etwas Geistiges. Die ganze Sonnenwirkung geht auf sie über als eine geistige. Sie verfolgt jeden Sonnenstrahl, diese Raupe, sie geht bei Tag mit dem Sonnenstrahl mit.

Geradeso wie sich die Motte einmal ins Licht stürzt und ihre ganze Mottenmaterie hingibt dem Lichte, so webt die Raupe ihre Raupenmaterie langsam in das Licht hinein, setzt bei Nacht ab, webt bei Tag weiter, und spinnt und webt um sich herum den ganzen Kokon. Und im Kokon, in den Kokonfäden haben wir darinnen dasjenige, was aus ihrer eigenen Materie die Raupe, indem sie fortspinnt im strömenden Sonnenlicht, aus sich heraus webt.

Jetzt hat die Raupe, die zur Puppe geworden ist, sich die Sonnenstrahlen, die sie nur verkörperlicht hat, aus ihrer eigenen Raupensubstanz um sich herumgewoben. Die Motte verbrennt schnell im physischen Feuer. Die Raupe stürzt sich hinein, sich opfernd, in das Sonnenlicht, und webt um sich in der Richtung des jeweiligen Sonnenlichts, das sie verfolgt, die Bild S. 23 Fäden des Sonnenlichts.

Wenn Sie den Kokon des Seidenspinners nehmen und sehen ihn an: das ist gewobenes Sonnenlicht, nur daß das Sonnenlicht verkörpert ist durch die Substanz der seidenspinnenden Raupe selber. Damit aber ist der Raum innerlich abgeschlossen. Das äußere Sonnenlicht ist überwunden gewissermaßen. Aber dasjenige, was vom Sonnenlichte, wie ich Ihnen gesagt habe, in die Kromlechs hineingeht - ich habe es Ihnen bei den Auseinandersetzungen über die Druidenmysterien gesagt -, das ist jetzt da innerlich. Und jetzt hat die Sonne, während sie früher die physische Gewalt ausübte und die Raupe

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zum Spinnen ihres eigenen Kokons veranlaßte, Gewalt über das Innerliche, schafft aus dem Innerlichen heraus den Schmetterling, der nun auskriecht. Und der Kreislauf beginnt von neuem. Sie haben auseinandergelegt vor sich dasjenige, was im Vogelei zusammengeschoben ist.

Vergleichen Sie mit diesem ganzen Vorgang den Vorgang beim eierlegenden Vogel. Da wird innerhalb des Vogels selber noch durch einen Vorgang, der metamorphosiert ist, die Kalkschale herum gebildet. Da wird die Substanz des Kalkes von den Kräften des Sonnenlichtes verwendet, um eben den ganzen Prozeß desjenigen zusammenzuschieben, was hier auseinandergelegt ist in Ei, Raupe, Kokon. Das alles ist zusammengeschoben da, wo sich, wie zum Beispiel im Vogelei, direkt die harte Schale ringsherum bildet.

Da, durch dieses Zusammenschieben eines auseinandergelegten Prozesses, ist der ganze Embryonalvorgang beim Vogel eben ein anderer. Beim Schmetterling haben Sie auseinandergelegt, was beim Vogel sich vollzieht bis hierher, bis zum dritten Stadium; das haben Sie auseinandergelegt beim Schmetterling in die Eibildung, Raupenbildung, Puppenbildung, Kokonbildung. Da können Sie es äußerlich anschauen. Und dann schlüpft der Schmetterling aus.

Wenn man jetzt den ganzen Vorgang astralisch verfolgt, was sieht man dann? Ja, dann stellt der Vogel in seiner ganzen Bildung einen menschlichen Kopf dar. Das Organ der Gedankenbildung stellt er dar.

Was stellt der Schmetterling dar, der auch in den Lüften wohnt, aber in seiner Embryonalbildung etwas ungeheuer Komplizierteres ist? Man kommt darauf, daß der Schmetterling dasjenige darstellt, was sozusagen die Kopffunktion in ihrer Fortsetzung zeigt, die Kräfte des Kopfes gewissermaßen ausgedehnt auf den ganzen Menschen. Da geschieht dann etwas im ganzen Menschen, was einem anderen Vorgang in der Natur als der Vogelbildung entspricht.

Im menschlichen Haupte haben wir, wenn wir das Ätherische und Astralische dazunehmen, etwas sehr Ähnliches wie in der Eibildung, nur metamorphosiert. Aber wenn wir bloß die Funktion des Kopfes hätten, würden wir nur augenblickliche Gedanken bilden. Es würden sich nicht die Gedanken mehr in uns hinuntersetzen, den ganzen Menschen in Anspruch nehmen und dann als Erinnerungen wieder auftauchen.

Schaue ich meine augenblicklichen Gedanken an, die ich mir

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an der Außenwelt bilde, und schaue zum Adler auf, dann sage ich: In dem Gefieder des Adlers sehe ich außer mir die verkörperten Gedanken; in mir werden es Gedanken, aber es werden die augenblicklichen Gedanken.

Sehe ich auf dasjenige, was ich in mir trage als meine Erinnerungen, so geht ein komplizierterer Prozeß vor sich. Unten im physischen Leib geschieht, auf eine allerdings geistige Art, eine Art Eibildung, die allerdings etwas ganz anderes ist im Ätherischen, etwas, was äußerlich physisch der Raupenbildung ähnlich ist, im astralischen Leib, was innerlich ähnlich ist der Puppenbildung, der Kokonbildung; und dasjenige, was, wenn ich eine Wahrnehmung habe, in mir einen Gedanken auslöst, hinunterschiebt, das ist so, wie wenn der Schmetterling ein Ei legt.

Die Umwandlung ist etwas Ähnliches wie das, was mit der Raupe vor sich geht: das Leben im Ätherleib opfert sich hin dem geistigen Lichte, umwebt gewissermaßen den Gedanken mit innerem, astralem Kokongewebe, und da schlüpfen die Erinnerungen aus. Wenn wir das Vogelgefieder sehen in den augenblicklichen Gedanken, so müssen wir den Schmetterlingsflügel, den in Farben schillernden Schmetterlingsflügel, auf geistige Art zustande gekommen sehen in unseren Erinnerungsgedanken.

So blicken wir hinaus und fühlen die Natur ungeheuer verwandt mit uns. So denken wir und sehen die Welt des Gedankens in den fliegenden Vögeln. Und so erinnern wir uns, so haben wir ein Gedächtnis, und sehen die Welt der in uns lebenden Erinnerungsbilder in den im Sonnenlichte schimmernd flatternden Schmetterlingen. Ja, der Mensch ist ein Mikrokosmos und enthält die Geheimnisse der großen Welt draußen. Und es ist so, daß wir gewissermaßen dasjenige, was wir von innen anschauen, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unseren Willen, unsere Erinnerungsvorstellungen, daß wir das, wenn wir es von der anderen Seite, von außen, makrokosmisch ansehen, in dem Reiche der Natur wiedererkennen.


Das heißt hinschauen auf die Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit läßt sich mit bloßen Gedanken nicht begreifen, denn dem bloßen Gedanken ist die Wirklichkeit gleichgültig; er hält nur auf die Logik. Aber mit derselben Logik kann man das Verschiedenste in der Wirklichkeit belegen. Um das zu veranschaulichen, lassen Sie mich mit einem Bilde

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schließen, das dann den Übergang zu den morgigen Auseinandersetzungen bilden soll.

Es gibt bei einem afrikanischen Negerstamme, den Fellatas, ein sehr schönes Bild, welches vieles darstellt.

Es begaben sich einmal ein Löwe, ein Wolf und eine Hyäne auf die Wanderung. Sie trafen eine Antilope. Die Antilope wurde von einem der Tiere zerrissen. Sie waren gut miteinander befreundet, die drei Tiere, und nun handelte es sich darum, diese zerrissene Antilope zu teilen unter dem Löwen, dem Wolf und der Hyäne.

Da sagte der Löwe zunächst zur Hyäne: Teile du. - Die Hyäne hatte ihre Logik. Sie ist dasjenige Tier, welches sich nicht an das Lebende hält, welches sich an das Tote hält. Ihre Logik wird wohl durch diese Art ihres Mutes, eher ihrer Feigheit, bestimmt sein. Je nachdem dieser Mut so oder so ist, geht er so oder so auf das Wirkliche. Die Hyäne sagte: Wir teilen die Antilope in drei gleiche Teile. Einen Teil bekommt der Löwe, einen Teil bekommt der Wolf, einen Teil bekommt die Hyäne, ich selber.

Da zerriß der Löwe die Hyäne, machte sie tot. Jetzt war sie weg. Und nun sollte geteilt werden. Da sagte der Löwe zum Wolf: Sieh einmal, mein lieber Wolf, jetzt müssen wir ja anders teilen. Teile du jetzt. Wie würdest du teilen? - Da sagte der Wolf: Ja, wir müssen jetzt anders teilen, es kann nicht mehr jeder dasselbe bekommen wie früher, und da du uns von der Hyäne befreit hast, mußt du selbstverständlich als Löwe bekommen das erste Drittel. Das zweite Drittel hättest du ja sowieso bekommen, wie die Hyäne sagte, und das dritte Drittel mußt du bekommen, weil du das weiseste und tapferste unter allen Tieren bist.

So teilte der Wolf nun. Da sagte der Löwe: Wer hat dich so teilen gelehrt? - Da sagte der Wolf: die Hyäne hat mich so teilen gelehrt! - Und der Löwe fraß den Wolf nicht auf und nahm die drei Teile nach der Logik des Wolfes.

Ja, die Mathematik, das Intellektualistische war gleich bei der Hyäne und beim Wolf. Sie machten eine Dreiteilung, sie dividierten. Aber sie wendeten diesen Intellekt, die Mathematik, in verschiedener Weise auf die Wirklichkeit an. Dadurch änderte sich auch das Schicksal wesentlich. Die Hyäne wurde gefressen, weil sie in der Beziehung ihres Teilungsprinzipes zur Wirklichkeit eben etwas anderes gab als der Wolf, der nicht gefressen wurde, weil er in dem Verhältnis seiner Hyänenlogik - er

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sagt ja selbst, die Hyäne habe es ihn gelehrt - diese Logik auf eine ganz andere Wirklichkeit bezog. Er bezog sie eben so auf die Wirklichkeit, daß der Löwe nicht mehr nötig hatte, auch ihn zu fressen.

Sie sehen: Hyänenlogik da, Hyänenlogik auch beim Wolf; aber in der Anwendung auf die Wirklichkeit wird das Intellektualistische, das Logische ein ganz Verschiedenes.

So ist es mit allen Abstraktionen. Sie können mit Abstraktionen alles in der Welt machen, je nachdem Sie sie in dieser oder jener Weise auf die Wirklichkeit anwenden. Daher muß man schon auf so etwas hinschauen können wie die Realität im Entsprechen des Menschen als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos. Nicht nur logisch muß man den Menschen betrachten können, sondern in e1nem Sinne, der niemals ohne das Überführen des Intellektualismus in das Künstlerische der Welt zu erreichen ist. Dann aber, wenn Sie vom Intellektualistischen gewissermaßen die Metamorphose vollziehen können ins künstlerische Erfassen und das Künstlerische als Erkenntnisprinzip ausbilden können, dann finden Sie das, was im Menschen auf eine menschliche Art, nicht auf eine naturhafte Art lebt, im Makrokosmos draußen, in der großen Welt. Dann finden Sie die Verwandtschaft des Menschen mit der großen Welt in einem wahrhaften Sinne.