Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 152 Vorstufen zum Mysterium von Golgatha

Die vier Christus-Opfer. Die dei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha. Basel, 1.Juni 1914

Drei mal bereits, in der Lemuris, in der frühen und in der späten Atalantis hat sich der Christus jeweils in einen Erzengel verseelt, um die Sinne, die Organe und die seelischen Funktionen zu harmonisieren.
Mit dem vierten Opfer auf Golgatha bewahrte er unser Ich vor der Zerstreuung in die Elementarkräfte.

Für unsere gegenwärtige Kultur ist vor allen Dingen nötig, daß wir immer mehr und mehr gewinnen, indem wir die Ergebnisse der Gei­steswissenschaft auf uns wirken lassen, eine neue Christus-Erkenntnis. Und gerade dieser neuen Christus-Erkenntnis ist manches so feindlich, was heute das Amtssiegel des Christlichen trägt. Notwendig ist, daß immer mehr und mehr ein Verständnis erworben wird dafür, wie wir für unsere Kultur eine Schule der Selbstlosigkeit brauchen. Eine Erneuerung der Moral, eine Vertiefung des menschlichen sittlichen Lebens kann nur kommen durch die Schulung der Selbstlosigkeit. Diese Schule der Seibstiosigkeit kann der Mensch nach den Bedingungen des gegenwärtigen Zeitenzyklus nur durchmachen, wenn er sich ein Verständnis erwirbt für wirkliche Seibstlosigkeit, ein durchdringendes Verständnis sich erwirbt für wirkliche Selbstlosigkeit.

Nun können wir, wenn wir die Weltenevolution, die Weitenentwickelung durchgehen, kein tieferes Verständnis finden für Selbstlosigkeit als dasjenige, was uns durch die Erscheinung des Christus auf Erden gegeben worden ist. Und den Christus erkennen, heißt die Schule der Selbstlosigkeit durchmachen. Christus erkennen, heißt sich bekanntmachen mit all denjenigen Impulsen der Menschheitsentwickelung, die so in unsere Seele hineinträufeln, daß sie alles, was in dieser Seele zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, durchglühen, durchwärmen und auf­rufen zum aktiven Seelensein, zur Selbstlosigkeit. Unter dem Einfluß des Materialismus ging die Selbstlosigkeit der Menschheit in einer Weise verloren, wie es in zukünftigen Zeiten der Menschheit erst erkannt werden wird. Aber durch die Vertiefung in das Mysterium von Golgatha, die Durchdringung der Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha mit unserem ganzen Gefühl, unserem ganzen seelischen Wesen, können wir uns wiederum eine Kultur der Selbstlosigkeit aneignen.

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Und wir können sagen: Was Christus für die Erdenentwickelung getan hat, ist beschlossen in dem Grundimpuls der Selbstlosigkeit, und was er werden kann für die bewußte Entwickelung der menschlichen Seele, ist die Schule der Selbstlosigkeit! Das werden wir am besten gewahr, wenn wir das Mysterium von Golgatha in seinem großen Zusammenhang betrachten.

Dieses Mysterium von Golgatha ist so, wie wir es kennen, einmal verlaufen innerhalb der physischen Erdenentwickelung. Einmal ver­leiblichte sich diejenige Wesenheit, die wir als die Christus-Wesenheit anerkennen, in einem menschlichen Leibe, in dem Leibe des Jesus von Nazareth. Aber drei Vorstufen hat dieses Mysterium von Golgatha. Dreimal ist vorher etwas geschehen, allerdings noch nicht auf der Erde, aber in der geistigen Welt. Und gewissermaßen haben wir drei Mysterien von Golgatha, von denen wir sagen müssen, daß sie noch nicht auf dem physischen Plan sich vollzogen haben. Das vierte erst hat sich auf dem physischen Plan abgespielt und ist dasjenige, von dem uns die Evangelien und die Paulinischen Briefe Kunde geben. Vorbereitet ist dieses größte Erdenereignis durch drei überirdische Ereignisse. Diese überirdischen Ereignisse fielen so, daß das eine in der alten lemurischen Zeit liegt, zwei liegen in der atlantischen Zeit. Das vierte Ereignis liegt in der nachatlantischen Zeit und ist unser Mysterium von Golgatha.

Die drei vorhergehenden sind Ereignisse, die sich nicht auf der Erde abgespielt haben, sondern in der überirdischen Welt, aber die Kraft dieser Ereignisse ist auf die Erde heruntergedrungen. Wir wollen versuchen zu verstehen, wie die Kräfte der drei, das Mysterium von Golgatha vorbereitenden überirdischen Ereignisse in die Menschheitsentwickelung hereingewirkt haben. In bezug auf unser sittliches Leben, unser Weltverständnis und in bezug auf dasjenige, was innerhalb unserer Bewußtseinsseele sich abspielt, müssen wir erst selbstlos werden. Das ist eine Aufgabe der jetzigen Kultur gegen die Zukunft hin. Die Menschheit muß immer selbstloser und selbstloser werden, darin liegt die Zukunft der richtigen sittlichen Lebenstaten, die Zukunft aller Liebestaten, die durch die Erdenmenschheit geschehen können. Unser bewußtes Leben ist auf

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dem Wege zur Selbstlosigkeit oder muß auf dem Wege zur Selbstlosigkeit sein.

In einer gewissen Beziehung aber gibt es in uns schon wesenhaft Selbstloses. Und es wäre das größte Unglück des Erdenmenschen, wenn er mit Bezug auf gewisse Teile seines Wesens so selbstsüchtig sein müßte, wie er es in vieler Beziehung heute noch sein muß in bezug auf sein moralisches, intellektuelles und gefühlsmäßiges Leben. Wenn die Selbstsucht zum Beispiel in demselben Grad unsere Sinne ergreifen würde oder ergreifen könnte, wie sie unsere Moral ergreift, so wäre dies das größte Unglück für den Erdenmenschen. Denn unsere Sinne wirken an unserem Leibe so, daß in dieser Sinneswirkung sich Selbstlosigkeit ausspricht.

Wir haben Augen in unserm Leibe. Durch diese Augen sehen wir. Aber wir sehen nur dadurch, daß tatsächlich die Augen selbstlos sind, daß wir sie gar nicht spüren. Wir tragen sie in uns, wir sehen gleichsam durch die Augen hindurch die Dinge, aber die Augen selbst sind ausgelöscht als solche in unserem Wahrnehmen. So ist es auch mit den anderen Sinnen. Wir nehmen die Welt dadurch wahr, daß unser Sinnensystem selbstlos ist.

Nehmen wir einmal an, unsere Augen wären selbstsüchtig. Was würde dann mit dem Menschen geschehen? Wir würden uns zum Beispiel einer blauen Farbe nähern, und indem wir uns ihr nähern, würde unser Auge, weil das Auge so wirken würde, daß es nicht die Farbe durchlassen, sondern sie unmittelbar im Auge selbst erschöpfen würde, von dem Blau, indem es sich ihm näherte, ausgesogen werden. Wie eine Saugkraft würde man es im Auge empfinden, wenn das Auge so selbstsüchtig werden könnte, wie wir in unserem moralischen, intellektuellen Gefühle eben sind.

Wenn wir uns einer roten Farbe nähern und unser Auge sich nicht selbstlos verhalten würde, sondern Anspruch darauf machen würde, die Wirkung des Rot in sich zu erleben, so würde das Rot wie stechend auf unser Auge wirken. Und wenn unser Auge selbstsüchtig würde, so wäre es so, daß wir gegenüber allen Eindrücken einen Saug- oder Stechschmerz hätten. Wir wären uns bewußt, daß wir Augen haben, aber wir würden bloß Saug- oder Stechschmerzen wahrnehmen. In Wirklichkeit ist es für den heutigen Menschen so, daß er durch die Welt geht und weiß, daß Farben- und Lichtwirkungen da sind. Aber er

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braucht nicht an das Auge zu denken. Es löscht sich selbstlos aus während des Wahrnehmens. Und ebenso ist es mit den andern Sinnen.

In unseren Sinnen waltet Selbstlosigkeit. Aber zu dieser Selbstlosigkeit wären die Sinne nicht gekommen, schon in der lemurischen Zeit wäre ihnen die Selbstlosigkeit genommen worden, wenn Luzifer frei für sich hätte wirken können in dieser alten lemurischen Zeit. Der Geist, von dem mit Recht das biblische Wort gesagt wird: Euer Auge wird geöffnet sein -, dieser Geist hat notwendig gemacht, daß der Mensch in eine Sphäre des Erdenlebens versetzt worden ist, in welcher seine Augen, wenn sie sich so entwickelt hätten, wie sie sich unter dem Einflusse Luzifers hätten entwickeln mussen, selbstsüchtig geworden wären. Und bei jedem Eindruck und so wurde es auch für die andern Sinne sein - hätte der Mensch gerufen: Ach, hier sticht es! und er hätte nicht die rote Farbe in seiner Umgebung wahrgenommen, oder er hätte gesagt: Ach, es saugt an mir und hatte nicht die blaue Farbe wahrgenommen, sondern im Auge die saugende Wirkung.

Abgewendet worden ist noch in der lemurischen Zeit diese Gefahr von der Menschheitsentwicklung dadurch, daß sich - aber jetzt nicht auf der Erde, sondern in den überirdischen Welten - diejenige Wesenheit, die später durch das Mysterium von Golgatha sich in dem Leib des Jesus von Nazareth verleiblicht hat, dazumal verseelt - ich kann nicht sagen verleiblicht - hat in ein Erzengelwesen, ein Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi. So lebte, während die Erde ihr lemurisches Zeitalter durchmachte, in geistigen Höhen ein Wesen, welches - man möchte sagen, durch eine Art Vorbotschaft der Johannestaufe - dadurch entstanden ist, daß ein Erzengel seine Seelischheit hingeopfert hat und der Christus dieses Erzengelwesen durchdrang. Dadurch aber löste er eine Kraft aus, die in die menschliche Erdenentwickelung hereinwirkte.

Und das Ergebnis dieser Einwirkung war eine Beruhigung der Sinne, ein Harmonischwerden der Sinne. Und wenn wir uns heute unserer Sinne so bedienen können, daß diese Sinne selbstlos sind, werden wir - wenn wir in bezug auf diese Tatsache verstanden haben und der Weltenordnung dankbar gemacht worden sind - hinschauen in alte Zeiten und werden sagen: Das, was wir als Sinnenmenschen sind, was möglich macht, daß wir nicht Schmerz durch unsere Sinne, sondern

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die herrliche Natur um uns herum empfinden, das rührt von dem ersten Christus-Opfer her. Dadurch, daß er sich verseelt hat in einem Erzengel, bringt er die Wirkung hervor, welche die Gefahr der Selbstsucht der Sinne von der Menschheitsentwickelung ablenkte. Das war die erste Vorstufe des Mysteriums von Golgatha.

Lernen wird der Mensch allmählich das tiefe, bedeutsame religiöse Gefühl entwickeln, wenn er hinschaut auf die Herrlichkeit der Natur, wenn er hinaufschaut zum Sternenhimmel, auf alles dasjenige, was das Sonnenlicht bescheint, was im tierischen, im mineralischen, im pflanzlichen Reich um uns herum ist, sagen lernen wird der Mensch: Daß ich so die Welt um mich herum schauen kann, daß ich so hineingestellt bin in diese Welt, daß meine Sinne nicht Quellen von Schmerzen sind, sondern das Werkzeug der Wahrnehmung der Herrlichkeit der Welt, das verdanke ich dem ersten Opfer, das von seiten des Christus als Vorbereitung vorangegangen ist dem Mysterium von Golgatha.

Und vor uns erblicken wir perspektivisch eine Zeit, in der die Natur-betrachtung, der Naturgenuß durchchristet sein wird, wo die Menschen fühlen werden, sich sagen werden, wenn sie hinausgehen und sich eriaben an dem herrlichen Frühling, an den Schönheiten des Sommers oder an sonstigen Herrlichkeiten der Natur: Indem wir das alles aufnehmen können, was Herrliches die Natur um uns ausbreitet, müssen wir uns bewußt sein: Nicht wir, der Christus in unseren Sinnen ist es, der uns geeignet macht, also die herrliche Natur zu empfinden.

Und es war in den ersten Zeiten der atlantischen Entwickelung, da wollte sich - jetzt durch Luzifer und Ahriman bewirkt - die Selbstsucht eines andern Systems der menschlichen Organisation bemächtigen, nämlich der Lebensorgane. Versuchen wir einmal, uns das We­sentliche unserer Lebensorganisation von diesem Gesichtspunkt aus vor Augen zu führen. Was ist denn dieses Wesentliche? Man braucht nur zu denken, wie es dem Menschen ergeht, wenn dieses Wesentliche der Lebensorgane beeinträchtigt ist. Und es ist beeinträchtigt, wenn organische Erkrankungen der Lebensorgane auftreten. Da beginnt der Mensch zu erleben die Selbstsucht seiner Lunge, seines Herzens, Magens und anderer Organe. Da beginnen die Zeiten, wo der Mensch, erst indem er den Schmerz fühlt, weiß, er hat einen Magen, ein Herz,

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wo er es weiß im unmittelbaren Bewußtsein: Kranksein heißt, ein Organ ist selbstsüchtig geworden, führt ein eigenes Leben in unserem Organismus. In dem gewöhnlichen normalen Menschenleben ist das nicht der Fall. Da leben in der Gesamtorganisation des Menschen die einzelnen Organe des Menschen selbstlos. Und unsere alltägliche Verfassung hält uns nur dann sicher in der Welt aufrecht, wenn wir mit selbstlosen Organen durch die Welt gehen können, wenn wir nicht spüren, daß wir Magen, Lunge und so weiter haben, sondern wenn wir sie haben, ohne sie zu spüren, wenn sie nicht selbst sich gleich geltend machen, sondern wenn sie im ganzen Organismus dienende Glieder sind.

Bei anderer Gelegenheit, ein andermal werden wir davon sprechen, warum Krankheit durch die Selbstsucht der Organe bewirkt wird, heute soll nur auf den normalen Zustand hingewiesen werden. Wäre es nur auf Ahriman und Luzifer angekommen, so wären ganz andere Zustände eingetreten schon in der atlantischen Entwickelung. Jedes einzelne menschliche Organ wäre selbstsüchtig geworden und etwas ganz Merkwürdiges hätte sich ereignet.

Nehmen wir an, der Mensch näherte sich irgendeiner Frucht, also etwas, was in der Außenwelt ist und was von uns genossen werden kann oder was in irgendeiner Beziehung zu unserer Leibesorganisation steht. Es wird einmal gerade diese Beziehung zu unseren Lebensorganen ein Gegenstand des mcdizmischen Studiums sein, wenn die Wissenschaft sich wird anregen lassen von der Geisteswissenschaft. Dann wird man wissen, daß, wenn der Mensch zum Beispiel sich Kirschen pflückt vom Baum und sie ißt, gerade das, was mit den Kirschen in die Organisation übergeht, eine besondere Beziehung zu gewissen Organen hat, andere Früchte haben andere Beziehungen zu andern Organen. Alles was in die menschliche Organisation hineinkommt, hat gewisse Beziehungen zu dieser Organisation. Wenn das erfüllt worden wäre, was durch Ahriman und Luzifer hätte geschehen sollen in der atlantischen Zeit, dann hätten wir zum Beispiel Kirschen gepflückt, und im höchsten Maße hätte das Organ, das zu den Kirschen Beziehung hat, eine Gier gehabt. Eine unendliche Gier wäre da zum Ausdruck gekommen, und der Mensch hätte gespürt das betreffende Organ, das selbstsüchtig sich herausstellen

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würde aus dem Gesamtorganismus, aber die andern Organe würden dafür ebenso selbstsüchtig dagegen streiten in seinem Or­ganismus. Oder nehmen wir einen andern Fall: es sei irgend etwas da, was dem Menschen schädlich ist. Geradeso wie die Dinge der Außenwelt gewisse Beziehungen zum Menschen haben im guten Sinn, so haben andere Dinge der Außenwelt nachteilige Beziehungen. Wenn der Mensch sich irgendeiner giftigen Pflanze näherte oder etwas anderem, was nur nachteilige Beziehungen zu diesem oder jenem Organ hätte, so würde er diese Beziehung durch die innere Tätigkeit des Organes spüren, und dies würde sich ausdrücken in einem furchtbaren, quälenden Angstgefühl. Der Mensch würde fühlen: vor ihm ist etwas, was da auf sein Organ so wirkt, daß es sich gleichsam ausgebrannt fühlt.

Nehmen wir jetzt nicht dasjenige, was der Mensch ißt, nehmen wir die Luft, die uns umgibt. Alles was in der Luft auftritt, hat Beziehung zu unseren Organen. Wenn das in Erfüllung gegangen wäre, was Ahriman und Luzifer gewollt haben, wenn der Mensch nur soauf sich angewiesen wäre, so würde er gejagt werden durch die Welt zwischen tierischster Begierde nach dem, was dem einen oder andern Organ zuträglich ist, und furchtbarem Ekel vor dem, was dem einen oder andern Organ schädlich ist. Stellen wir uns vor, wenn wir so hineingestellt wären in die Welt, mit solchen Leibesorganen, daß wir im höchsten Maße ein Spielball wären für jedes angenehme Aroma, dem wir, wenn schon es eine Stunde entfernt ist, nachlaufen würden, oder ein Ekelgefühl nötigte uns schon von weither, daß wir entflöhen. Wenn wir so wie ein Kautschukball hin- und hergeworfen würden, denken Sie sich, wie könnten wir uns da entwickeln in der Welt?

Daß das nicht so kam, daß unsere Lebensorgane abgedämpft worden sind, daß sie harmonisiert worden sind, ist die Folge davon, daß sich in der Zeit, in der der Mensch die erste atlantische Entwickelung durchmachte, in überirdischen Sphären die zweite Vorstufe des Mysteriums von Golgatha ereignete. Wieder verseelte sich die Christus-Wesenheit in einer Erzengeiwesenheit, und das, was dadurch bewirkt wurde, das strahlte in die Erdenatmosphäre herunter. Da entstand jene Harmomsierung, jene Abdämpfung der Lebensorgane, die die Organe im Menschen

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selbstlos macht. In unserem Zusammensein mit der Außenwelt würden wir fortwährend die Ursache haben von den schlimmsten Er­krankungen, wir könnten gar nicht gesund sein, wenn nicht dieses zweite Christus-Ereignis eingetreten wäre.

Und wiederum wird sich - das tritt uns als eine Perspektive für die Zukunft entgegen - die Menschheit, wenn sie sich wird durchdringen können mit einem wirk­lichen Verständnis von der geistigen Welt, ein Dankbarkeitsgefühl aneignen gegenüber den geistigen Wesenheiten, von denen der Mensch abhängt. Es wird sich die Menschheit erfüllen mit jenem wahren Frommsein, durch das sie sagen wird: Ich empfinde es, daß ich ein physischer Mensch mit der Selbstlosigkeit der Organe nur sein kann dadurch, daß nicht ich allein in der Welt mich entwickelt habe, sondern der Christus in mir, der mir meine Organe so gestaltet hat, daß ich Mensch sein kann! - So lernen wir immer mehr und mehr, daß wir im Grunde genommen alles dasjenige, was uns zum Menschen macht, im allerumfassendsten Sinne so auffassen müssen, daß wir sagen: Nicht ich, der Christus in mir. - Der Christus hat gesorgt für die ganze Menschheitsentwickelung in den drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha, die er verrichtet hat vor dem eigentlichen Mysterium von Golgatha.

Es war in den letzten Zeiten der atlantischen Entwickelung, da stand die Menschheit vor einer dritten Gefahr. Da sollte in Unordnung kommen Denken, Fühlen und Wollen. Die Selbstsucht sollte einziehen in Denken, Fühlen und Wollen. Was würde dadurch entstanden sein? Nun, der Mensch würde dieses oder jenes gewollt haben, würde diesen oder jenen Willensimpulsen nachgegangen sein, einem andern Impuls würde sein Denken, wieder einem andern sein Fühlen nach-gegangen sein. Notwendig war es für die Menschheitsentwickelung, daß Denken, Fühlen und Wollen sich als selbstlose Dinge der Gesamtheit der Seele einfügten. Unter dem bloßen Einfluß von Luzifer und Ahriman würden sie das nicht gekonnt haben. Da würden Denken, Fühlen, Wollen selbstsüchtig geworden sein, sie hätten gleichsam das harmonische Wirken der Seele zerrissen. Da trat dann, gegen Ende der atlantischen Entwickelung, das dritte Christus-Ereignis ein. Wiederum verseelte sich die Christus-Wesenheit in einem Erzengelwesen,

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und die Kraft, die in der überirdischen Welt dadurch entstand, daß der Christus ein Erzengelwesen durchdrang, die ermöglichte die Harmonisierung von Denken, Fühlen und Wollen. Wahrhaftig, so wie die physischen Sonnenstrahlen auf die Erde wirken müssen, damit nicht alles Pflanzenleben verdorrt, so muß von überirdischen Welten der Sonnen-geist spiegelnd auf die Erde herein wirken, wie ich es jetzt geschildert habe. Auf der dritten Stufe hat er harmonisiert Denken, Fühlen und Wollen, so wie sie für das normale Menschenleben harmonisiert werden mußten.

Was wäre aus dem Menschen geworden, wenn dieses dritte Christus-Ereignis nicht eingetreten wäre? Furienhaft würde er erfaßt worden sein von seinen wilden Begierden, von seinem Willensleben. Rasend hätte er werden können, trotzdem auf der andern Seite wiederum sein Verstand selbstsüchtig höhnisch gedacht hätte über dasjenige, was rasend der Wille vollbringt. Das ist abgewendet worden durch das dritte Christus-Ereignis, da der Christus zum dritten Mal als Christus-Wesenheit in der äußeren Seele eines Erzengels war, eines Wesens aus der Hierarchie der Archangeloi.

Die Menschheit hat sich eine Erinnerung erhalten daran, wie die menschliche Leidenschaft und das menschliche Denken harmonisiert worden sind durch die Kräfte, die damals herunterwirkten aus den überirdischen Welten. Und dieses Erinnerungszeichen ist vorhanden, wird nur nicht in richtiger Weise verstanden. St. Georg, der den Drachen besiegt, oder Michael, der den Drachen besiegt, ist das Zeichen, das gebildet worden ist für das dritte Christus-Ereignis, da in Erzengelgestalt sich verseelt hat der Christus. Und der Drache, den er zertritt, ist derjenige, der in Unordnung gebracht hat das menschliche Denken, Fühlen und Wollen. Alle, die auf St. Georg mit dem Drachen oder auf Michael mit dem Drachen oder auf ähnliche Angelegenheiten hinblicken, sprechen in Wahrheit von dem dritten Christus-Ereignis.

Und die Griechen, welche in ihrer wunderbaren Mythologie etwas geschaffen haben wie Nachbilder desjenigen, was sich am Ende der atlantischen Zeit in der geistigen Welt zugetragen hat, verehrten den Sonnengeist als den Harmonisator von Denken, Fühlen und Wollen in den Menschen. Du Sonnengeist - so sagten sich diejenigen Menschen

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in Griechenland, die etwas davon gewußt haben -, du hast dich in ätherischer Geistgestalt - denn so ist die Gestalt derer, die wir heute Archangeloi nennen - verseelt. Da hast du dasjenige, was sonst wild und unbeherrscht in der menschlichen Seele als Denken, Fühlen und Wollen durcheinanderrasen würde, zur Harmonie entfaltet auf deiner wunderbaren Leier, auf der du die Töne der menschlichen Seele harmonisch erklingen läßt!

Da wurde der Sonnengeist der Schutzgeist der im Menschen wild stürmenden Leidenschaften, wenn sie, wie es geschehen konnte, auflebten in den wilden Dämpfen, die aus dem Innern der Erde aufsteigen, die durch die Erde brechen. Und wenn nun ein Mensch sich ihnen aussetzen würde und nur diese Dämpfe auf sich wirken ließe, er würde wild durcheinanderrasen haben in sich Denken, Fühlen und Wollen. So setzte der Grieche die Pythia über solche, die Leidenschaften von der Erde aus durch Luzifer und Ahriman in Unordnung bringenden Dämpfe, aber Apollo überleuchtete die Pythia, besiegte die Wildheit der Leidenschaften - und sie wurde zur Weissagerin.

In dem Sonnengeist des Apollo empfand der Grieche den Christus des dritten Christus-Ereignisses. Und in dem Verhältnis dazu der die Leidenschaften beherrschenden Stimmung der Pythia, in diesem Schutz, den der Gott Apollo der Pythia angedeihen ließ, in ihm sah der Grieche die Wirkung des dritten Christus-Opfers: die Harmonisierung der in Unordnung kommenden menschlichen Leidenschaften durch das dritte Christus-Ereignis. Der Sonnengeist Apollo aber ist im Grunde genommen dasselbe für die Griechen, was im Bilde dargestellt wurde als Michael oder St. Georg, der den Drachen besiegt.

So sehen wir, daß es einen Sinn hatte, wenn Justin, der Märtyrer, einen merkwürdigen Ausspruch tut. Einen Ausspruch, der, da ihn der Märtyrer getan hat, doch auch als christlich angesehen werden darf, trotzdem verschiedene heutige Vertreter des Christentums ihn verketzern würden. Justin sagte: Heraklit und Sokrates und Plato waren auch Christen, aber nur solche, wie man Christ sein konnte bevor eben das Mysterium von Golgatha sich vollzogen hatte. Die Theologen von heute wissen nichts mehr davon, aber die ersten Zeiten des Christentums, die christlichen Märtyrer wußten es noch, daß die alten griechischen

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Weisen, wenn sie auch vielleicht nicht den Namen des Christus angewandt haben, doch, wenn man gefragt hätte: Wer war Apollo? - aus ihrem Mysterienwissen heraus geantwortet hätten: Der große Sonnengeist, der später in einem Menschen leben wird, der tritt in Apollo uns so entgegen, daß er wie in einer Erzengelgestalt in ihm verseelt ist.

Und dann kam das vierte, das irdische Mysterium, das von Golgatha. Dieselbe Christus-Wesenheit, die sich dreimal in Erzengelgestalt verseelt hat, dieselbe Christus-Gestalt verleiblicht sich dann durch das Ereignis, das wir die Johannestaufe im Jordan nennen, in dem Leibe des Jesus von Nazareth.

Ich gebe zu, daß es Ihnen sonderbar erscheinen wird, wenn ich sage: Dreimal hat sich diese Wesenheit in Erzengelgestalt verseelt und dann in Menschengestalt verleiblicht. Denn schematischer wäre es, zu sagen, zwischen der Verseelung in einer Erzengelgestalt und der Verleiblichung läge eine Verseelung in einer Engelgestalt, das heißt es würde sich der Christus auf einer der Stufen in einer Engelgestalt verseelt haben. So kommt es einem vor.

Aber wenn die Menschen einem auch unterstellen, daß die Dinge, die aus der Geisteswissenschaft kommen, erdichtet sind, wahrhaftig, es ist nicht so. Das können Sie ja auch aus andern Dingen entnehmen. Und wenn Sie mich fragen: Wie kommt es, daß der Christus nicht herunterstieg von Hierarchie zu Hierarchie und dann erst zum Menschen herunterstieg -, wenn Sie mich heute darum fragen, so muß ich Ihnen antworten: Das weiß ich nicht, weil ich überhaupt nicht kombiniere. Sondern die Tatsachenforschung ergibt, daß der Christus sich dreimal einer Erzengelgestalt - die Engelgestalt wurde ausgelassen - und dann einer Menschengestalt bediente. Ich überlasse es späterer Forschung, festzustellen, warum das so ist. Heute weiß ich es noch nicht, aber es ist so. Wenn man erdichten wollte, würde man es - das können Sie aus dem eben Gesagten entnehmen - ganz anders machen.

Es trat also die vierte Stufe des Mysteriums von Golgatha ein. Dieses Mysterium von Golgatha hat eine andere Gefahr abgewendet, die Gefahr, die darin bestanden hätte, daß durch den Einfluß Luzifers und Ahrimans das Ich des Menschen in Unordnung gekommen wäre.

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Weil das Ich in dieser Zeit Platz greifen sollte in der menschlichen Entwickelung, suchte man die Harmonie herzustellen zwischen diesem Ich und den Kräften des Kosmos, so daß das Ich nicht ein Spielball werde der Kräfte des Kosmos. Es hätte ein Spielball werden können zwischen diesen Kräften. Es wäre so ausgebildet worden, daß es nicht bei sich hätte sein Selbst behalten können, und wenn man es diesen Kräften überliefert hätte, so wäre das, was von der Seele kommt, hingerissen worden von allen elementarischen Kräften, die von Wind, Luft, Wellengang abstammen. Sie hätten den Menschen überall hingerissen.

Michelangelo hat es gemalt. Sehen Sie sich die Bilder an, die Michelangelo gemalt hat. Er hat das gemalt, was dem Menschen gedroht hat. Es trat hervor in den Sibyllen. Wunderbar hat er es gemalt, wie sie denjenigen Menschentypus darstellen, der sein Ich in Unordnung kommen fühlt, so daß, wenn dieses Ich in Unordnung kommt, alle möglichen wunderbaren Weisheiten hervorkommen können, aber so, daß der Mensch sie nicht dirigieren kann. Sehen Sie sich an, wie Michelangelo sie gemalt hat. Sie stellen dar die verschiedenen Stufen des durch Unordnung des Ich an die Elementarwesen Hingegebenen.

Auf der andern Seite aber kommt auch anderes auf. In denselben Raum hat er hineingemalt die sinnenden Gestalten des Prophetismus, denen man es ansieht, daß sie dasjenige aufleuchten lassen, was die Ordnung des Ich gegenüber dem Kosmos erhält. Es ergreift uns wunderbar, wenn wir den Drang nach dem Ich sehen in den Propheten, und auf der andern Seite die menschlichen Wesen sehen, die durch das Ich selber in Unordnung gekommen sind, und dann den Christus selber in diesem Raume sehen, den Christus, der sich in einem menschlichen Leibe verleiblicht, und der das Ich, das in die Welt kommen sollte, in Ordnung zu bringen hat.

Ja, Geisteswissenschaft wird uns gerade tiefer und immer tiefer zeigen,

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wie dieses Ich des Menschen durch das vierte Christus-Ereignis, das Mysterium von Golgatha, zur Selbstlosigkeit kommen kann. Die Sinne haben gesagt: Nicht ich, der Christus in uns. Die Lebensorgane haben gesagt: Nicht ich, der Christus in uns. Die Gemütsorgane haben gesagt: Nicht ich, der Christus in uns. Des Menschen moralisches und intellektuelles Leben muß lernen zu sagen: Nicht ich, der Christus in mir. - Jeder Schritt in die geistige Welt hinein zeigt uns dieses.

Ich wollte heute dieses auseinandersetzen, damit wir bei einer andern Gelegenheit, die wir hoffentlich recht bald haben werden, einzelne okkulte Belege für diese Tatsachen liefern können und damit wir zeigen können, wie das, was wir da Geisteswissenschaft nennen, in unser moralisches und intellektuelles Leben so sich hineinergießen wird, daß der Mensch ein Schüler der Selbstlosigkeit wird, daß der Christus in uns lebt, daß wir den Christus lebendig fühlen in jedem Worte, das über Geisteswissenschaft gesprochen wird.

Nur eines sei noch angeführt. Sie wissen, daß wir seit dem Jahre 1909 in München unsere Mysteriendramen aufgeführt haben. Man mag das, was wir zur Darstellung auf der Mysterienbühne gebracht haben, gut oder schlecht finden, darum kann es sich jetzt nicht han­deln. Aber dasjenige, was getan worden ist, brauchte eine gewisse Kraft, eine Kraft, welche an den Menschen nicht so ohne weiteres herankommt dadurch, daß er Mensch auf Erden ist.

Sehen Sie, wenn wir jetzt in Dornach arbeiten können, wenn wir unsere verschiedenen Arten von Harthölzern verarbeiten wollen, brauchen wir Muskelkraft. Wir können nicht sagen, daß wir diese Muskelkraft uns bewußt geben können. Sie kommt von unserem Leibe, von dem, was wir in der Seele können. Wir haben sie nicht in der Hand. Auch das haben wir nicht alles in der Hand, was wir im Geistigen verrichten und wozu wir spirituelle Kraft brauchen. Das hängt nicht aliein ab von unsern Talenten als Mensch, so wie es nicht von unsern Talenten abhängt, ob wir etwas tun können, sondern auch von der Muskelkraft unseres Leibes. So brauchen wir spirituelle Kräfte, die ebenso außer uns sind wie die Muskelkräfte außer unserer Seele sind.

Ich weiß, daß Flachlinge kommen und sagen können: Du bist ein Tor, du glaubst, daß dir spirituelle Kräfte von außen kommen, während sie nur aufsteigen aus dem

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eigenen Innern. - Mögen sie mich für einen Toren halten. Ich finde sie gerade von der Gescheitheit der Menschen, die nicht den Hunger von einem Stück Brot unterscheiden können. Ich weiß, wie spirituelle Kräfte von außen in den Menschen einfließen. So wie man, nur wenn man verrückt ist, glauben kann, daß der Hunger selber das Brot erzeugt, das ihn stillt, so wenig wie das der Fall ist, so wenig erzeugt die Kraft nnserer Seele diejenigen Kräfte, die wir zum spirituellen Wirken brauchen : sie müssen in uns hereinffießen, müssen uns zufließen. Und ebenso wie wir ganz genau wissen, daß der Hunger in uns ist und das Brot von außen kommt, wenn wir nicht verrückt sind, ebenso weiß derjenige, der in geistigen Welten lebt, was in ihm ist und was von außen kommt. Und ich für meine Person fühlte seit dem Jahre 1909 immer mehr und mehr, wenn es sich darum handelte, in aller Stille und Ruhe dasjenige zu entwickeln, was für die Mysterienspiele notwendig war, ich fühlte die spirituelle Kraft, die von außen kam. Ich wußte ruhen das geistige Auge einer spirituellen Wesenheit auf demjenigen, was getan worden ist. Und ich spreche es aus als ein unmittelbares Erlebnis.

In den ersten Zeiten, als wir in Deutschland arbeiteten auf dem Felde unserer Geisteswissenschaft, kam zu uns eine befreundete Per­sönhchkeit, die mit einem wunderbaren Enthusiasmus aufnahm, was wir damals geben konnten. Aber nicht nur mit einem wunderbaren hingebenden Enthusiasmus nahm sie auf, was dazumal möglich war zu geben über Menschheitsentwickelung, kosmische Geheimnisse, über Reinkarnation und Karma, sondern sie verband damit zugleich einen wunderbaren ästhetischen Sinn. In Schönheit getaucht war alles, was man lehrend und unterredend mit dieser Persönlichkeit durchging. Wir waren damals noch wenige. In solchem Raum uns zu drücken, wie das heute der Fall ist, hatten wir noch nicht nötig. Und die Dinge, die wir heute vor großem Zuhörerkreis sprechen, bei deren Besprechung waren wir nur drei: ich mit zwei andern Personen.

Die eine dieser Personen verließ uns schon 1904 auf dem physischen Plan, ging in die geistige Welt. Wie es so ist: solche Personen machen eine Entwickelung durch nach dem Tode. Im Jahre 1907, als wir zu unserem Kongreß die Schurésche Rekonstruktion des Mysteriums von

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Eleusis aufführten, war noch nichts von solchem Einfluß wahrnehmbar. 1909 fing es an, und immer mehr kam es in den letzten Jahren. Genau wußte ich, das ist die Individualität jener uns so befreundeten Persönlichkeit, die man wahrhaftig objektiv, rein wegen solcher Eigenart, liebhaben konnte. Entrückt in die geistige Welt wirkte sie wie ein Schutzengel für das, was wir zu leisten hatten zur Vermählung des Ästhetischen mit dem Esoterischen in unsern Mysterien. Und gut behütet fühlte man so von dieser Persönlichkeit, die 1904 entrückt war in die geistige Welt, dasjenige, was dann übergegangen ist in unsere irdische Wirksamkeit, was hereingeflossen ist in Erdenwirksamkeit und was uns durchdrungen hat, zu dem wir dankbar emporblicken, indem es durch das Ruhen des Seelenauges einer geistigen Persönlichkeit auf unseren Taten zum Ausdruck kam. Aber dann, wenn es sich darum handelte, dasjenige mit der Persönlichkeit zu pflegen, was man nennen kann: Zwiesprache - man kann es Zwiesprache nennen, weil es eine Art von Wechselwirkung ist -, wenn das eintreten sollte, war es immer wiederum so, daß jene Persönlichkeit offenbarte: sie könne um so besser den Weg finden zu unserer Erdenwirksamkeit, je mehr wir uns durchdringen mit dem Gedanken des Christus in der Erdenentwickelung.

Würde ich in Erdenworte dasjenige kleiden, was diese Individualität immer wiederum sprach, so würde ich sagen - ich muß aber selbstverständlich nur symbolisch ausdrücken das, was in der geistigen Welt anders ist: Ich finde so gut den Weg zu euch, weil ihr immer mehr und mehr den Weg findet, eure Geisteswissenschaft zu einem Ausdruck dessen zu machen, was das lebendige Wort des Christus selber ist.

Das wird uns der Christus-Impuls werden: die lebendige Brücke zwischen dem Leben der Erde und dem Leben in überirdischen Wel­ten. Dreimal hat der Christus aus überirdischen Welten herein dem Menschen jene Wesenheit veranlagt, die er braucht, damit er recht leben kann. Dreimal hat der Christus des Menschen Sinnes-, Lebens- und Gemütsorgane selbstlos gemacht. Jetzt ist es an dem Menschen, selbstlos zu werden in intellektueller und moralischer Beziehung dadurch, daß er für dieses intellektuelle und moralische Leben verstehen lernt das Wort: Nicht ich, der Christus in mir.

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Das wird die Welt erkennen, daß das, was wir als Geisteswissenschaft verkündigen, das Wort Christi ist. Er hat gesagt: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Erde. - Die Mission der Geisteswissenschaft in unserer Zeit ist, zu eröffnen die Tore zu dem lebendigen Christus. Mit dem Verständnis der Lebenden vereinigen sich die Toten, die wissen, daß der Christus den Übergang gefunden hat vom Himmel zur Erdenwirksamkeit. Und wenn die Toten sich neigen wie die nächsten Schutzgötter den irdisch Lebenden, dann finden sie die Seelen der irdisch Lebendigen um so intensiver, um so mehr, je mehr diese Seelen selber von dem Christus-Impuls durchdrungen und durchgeistigt sind. Der Christus, er stieg als der hohe Sonnengeist aus den überirdischen Welten durch das Mysterium von Golgatha herab, damit er Wohnung finde in den Menschenseelen.

Geisteswissenschaft soll werden die Botschaft davon, wie der Christus Wohnung finden kann in den Menschenseelen. Wenn der Christus in den Menschen-Erdenseelen Wohnung finden wird, dann wird von der Erdenaura die Christus-Kraft wiederum zurückstrahlen in diejenigen Welten, die der Christus verlassen hat zum Heil der Erdenmenschen, und der ganze Kosmos wird durchchristet sein.

Zu solch tiefem Verständnis des Mysteriums von Golgatha schwingen wir uns allmählich auf durch wirkliches Durchdringen mit Gei­steswissenschaft. Wenn wir das so bedenken, und dazu bedenken, wie sie sein muß eine Schule der Selbstlosigkeit für das intellektuelle und moralische Leben der Menschheit in die Zukunft hinein, dann werden wir so intensiv durchdrungen werden von der Notwendigkeit der geisteswissenschaftlichen Verkündigung des Mysteriums von Golgatha! Dann werden wir wissen, was gemeint ist mit den geisteswissenschaftlichen Impulsen, die hereinkommen wollen in die Gegenwart. Dann wird jener Christus-Impuls die Menschheit durchdringen, den wahrhaftig alle Menschen annehmen können, weil der Christus nicht einer Nation erschienen ist, sondern weil er das hohe Sonnenwesen ist, das der ganzen Erde angehört und das in alle Menschenseelen eindringen kann, gleichgültig welcher Nation und Religion sie angehören. Mögen nach und nach recht viele Menschen den Weg finden zu solchem Verständnis des Christus-Impulses und zu solchem

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Verständnis des Mysteriums von Golgatha, dann wird vielleicht dasjenige als das christlichste erscheinen, was heute von vielen, die sich christlich abgestempelt wähnen, unchristlich genannt und verketzert wird.

Versuchen wir nicht bloß ein verstandesmäßiges Begreifen des Mysteriums von Golgatha, versuchen wir ein Ergreifen dieses Myste­riums von Golgatha mit unserer ganzen Seele, dann brauchen wir dazu die Geisteswissenschaft. Dann aber auch werden wir uns als Zugehörige unserer spirituellen Strömung, als jene Seelen wissen dürfen, welche verstehen, was der Menschheit jetzt und in der nächsten Zukunft nötig ist.

Das waren die Dinge, über die ich heute mit Ihnen sprechen wollte. Hoffentlich gelingt es in nicht allzuferner Zeit, Betrachtungen, die sich unmittelbar an diese anschließen können, wiederum in dieser Stadt pflegen zu können.