Rudolf Steiner (1861-1925):
GA 138 Ägyptische Mythen und Mysterien
8. Vortrag Leipzig, 10. September 1908
Entstehung der vier Menschentypen.
Entstehung der Geschlechter.
Übergangsformen der menschlichen Fortpflanzung.
Wir haben nunmehr bedeutungsvolle Entwickelungsvorgänge des menschlichen Organismus kennengelernt. Wir haben diesen Organismus verfolgt von seiner Entstehung an bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich der Mond von der Erde entfernt hat. Wenn man «Zeitpunkt» sagt, so ist das natürlich in ungenauem Sinne gesprochen, denn diese Vorgänge nehmen recht lange Zeiträume in Anspruch.
Von dem ersten Moment, wo der Mond anfing Miene zu machen, herauszugehen, bis zum letzten, wo er sich vollständig herausgelöst hatte, verflossen lange Zeiträume, und mancherlei ging in der Entwickelung währenddem noch vor sich. Ungefähr aber haben wir den Menschen bis zum Herausgehen des Mondes betrachtet.
Diese Gestalt des Menschen haben wir verstanden, die Gestalt, die nach unten hin, ungefähr von der Mitte des menschlichen Leibes ab, von der Hüfthöhe etwa, schon eine Gestaltung zeigte, die der heutigen nicht ganz unähnlich ist. Man würde mit heutigen Augen immerhin schon, wenn auch als weiche Teile, diesen Leib haben sehen können, während die oberen Teile nur für ein hellseherisches Bewußtsein zu schauen gewesen wären.
Wir haben schon darauf hingewiesen, wie Sage, Religion und Kunst in dem Kentaur etwas von der damaligen Menschennatur erhalten haben. Und in den einzelnen Teilen des Leibes haben wir Glieder des Menschen kennengelernt, welche sich allmählich entwickelt haben zu den Füßen, Unterschenkeln, Knien, Oberschenkeln, die uns damals repräsentieren die Tierformen unserer Erde, solche Tierformen, die aber auf einer bestimmten Entwickelungsstufe stehengeblieben sind, über welche der Mensch aber hinausgeschritten ist. Nun wollen wir uns darüber einmal ganz genau verständigen.
In den uralten Zeiten, als die Sonne erst herausging, da waren noch keine Tierformen entstanden. Als die Sonne herausgegangen war, war die höchste Form der damaligen Tiere eine Art von Tieren, welche auf der Stufe der heutigen Fische standen. Wenn nun gesagt wird, daß die menschlichen Füße dieser Fischform entsprechend waren, und
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wenn wir die Füße mit den Fischen im Zusammenhange gesehen haben, was bedeutet das eigentlich? Das bedeutet, daß damals solche Gestalten zurückgeblieben sind, die wie die Fische herumgeschwommen sind in der Wassererde, daß in der Zeit vom Menschen physisch wahrnehmbar nur die Füße ausgebildet waren. Das andere war in feiner ätherischer Form nur vorhanden.
Das, was geschildert worden ist als die Kelchform oder Blütenform, das Leuchtorgan, war ganz ätherisch, eine durchleuchtete Luftform, und nur der unterste Teil des Menschen war so, daß er wirklich die Wassererde durchsetzte wie die Fische, die zurückgeblieben sind.
Danach gab es höhere Tiere, die festgehalten werden dadurch, daß man im Bilde spricht vom Wassermann, dem Menschen, der den Körper bis zum Unterschenkel herauf sichtbar erhielt. Es hat sich der Mensch also so gebildet, daß er auf jeder Stufe seines Daseins gewisse Tierformen zurückließ, über die er nach und nach hinausschritt. Und als der Mond sich zu entfernen anfing, war der Mensch so weit, daß er zwar die untere Hälfte, die niedere Natur schon physisch ausgebildet hatte, die obere Natur aber in sich ganz bildungsfähig war.
Dann haben wir gesehen, wie vom Monde aus eingreift das, was wir in der Wirkung des Mondlichts in der Gestalt kennengelernt haben, welche die Ägypter Osiris genannt haben, was durch die verschiedene Gestaltung des Mondes einwirken kann auf den Menschen, und wie da eingegliedert wird vom Monde aus das, was das wichtigste Gebilde des Oberleibes ist, die Nerven, die die Veranlasser des heutigen Oberleibes sind. Die Nerven, die vom Rückenmark ausgehen, die bildeten den Oberleib aus.
Da kommt durch jene Töne, die Osiris-Apollo auf der Menschernleier spielt, zunächst des Menschen Mitte, die Hüftenmitte zur Ausbildung. Alles das, was hat stehenbleiben müssen auf diesem Punkte, über den da der Mensch hinausschritt, das ist stehengeblieben in der Weiterentwickelung bei der Amphibienform.
Solange der Mond mit der Erde verbunden war, hat er die Entwickelung des Menschen mehr oder weniger herabgetrieben. Die Form der Fische stand mit der Sonne noch in einem Zusammenhang, daher kommen die heutigen Empfindungen des gesunden Menschen den Fischen gegenüber.
Bedenken wir, welche Freude es dem Men-
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schen machen kann, wenn er einen schönen, glänzenden Fischleib, wenn er schöne, leuchtende Wassertiere sieht, wie ihn diese Formen erfreuen können, und denken wir daran, wie der Mensch ein Gefühl von Antipathie empfihdet, wenn er das sieht, was zwar höher steht als die Fische, was als Amphibium, als Frosch, Kröte, Schlange kriecht und sich herumwindet.
Zwar sind die heutigen Amphibien ganz in die Dekadenz gekommene Formen der damaligen Zeit, aber solche Formen hatte der Mensch einmal in seiner unteren Leiblichkeit. Solange der Mensch nur seine untere Leiblichkeit hatte, bis zur Hüfte, war er nur eine Art Lindwurm, erst später bildete er vom Oberleib aus, als dieser sich fest herausformte, das menschliche Untere um. Wir können sagen: die Fischgesta1t gibt wieder die Form, auf deren Höhe der Mensch stand durch jene Kräfte, die er noch bekam, als die Sonne noch mit der Erde vereint war; bis dahin, als die Sonne herausging, stand der Mensch auf der Höhe der Fische.
Nun gingen die großen Wesen, die Führer der Evolution, indem sie ihre Sonne gestalteten, hinaus, um sich erst in einer viel späteren Zeit wieder mit der Erde zu vereinigen. Und einer der Geister, der mit ihr hinausging, der höchste der lenkenden Sonnengeister, ist Christus.
Da stehen wir vor einem Ereignis, demgegenüber wir ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht empfinden, wenn wir erfahren, daß bis dahin der Mensch vereint war mit der Wesenheit, die da einst als edelster Geist mit der Sonne aus der Erde fortging. Man hat empfunden, daß man durch die Fischgestalt einmal charakterisieren konnte die Zeit der Herausgehens der Sonne aus der Erde und dann die Gestaltung durch den Christus selbst. Früher war der Mensch in der Erde mit der Sonne verbunden, und als sie fortging, sah er die Gestalt, die er den Sonnengeistern verdankte, bewahrt in der Fischgestalt.
Als er weiterschritt, waren die Sonnengeister nicht mehr bei ihm. Der Christus ist herausgegangen aus der Erde damals, als der Mensch Fischgestalt hatte. Diese Gestalt ist nun festgehalten von den Eingeweihten der ersten christlichen Entwickelung. In den römischen Katakomben war dieses Fischsymbolum als das Symbolum des Christus vorhanden, und es sollte erinnern an das große kosmische Ereignis der Entwickelung in der Zeit, als noch mit ihnen vereinigt war in der Erde der Christus.
Bis zur Fischform war der Mensch vorgeschritten, als die Sonne sich trennte: die ersten Christen empfanden den Hinweis auf die Menschen-Christus-Gestalt im Fischsymbol als etwas ungeheuer Tiefes. Wie weit ist solch ein bedeutendes Zeichen, das wir erblicken als ein Symbolum einer kosmischen Entwickelungsepoche, wie weit ist es entfernt von jenen äußerlichen Auslegungen, die oft gegeben werden.
Es waren die wahren Symbole solche, die sich auf geistige, höhere Realitäten beziehen. Den ersten Christen «bedeuteten» sie nicht nur etwas. Ein solches Symbol ist ein Bild von diesem oder jenem, was man wirklich schauen kann in der geistigen Welt, und kein Symbolum ist richtig gedeutet, bevor man nicht hinweisen kann auf das, was dafür in der geistigen Welt zu erschauen ist. Alle Spekulation hat höchstens einen vorbereitenden Zweck; der Ausdruck «es bedeutet» ist noch nicht zutreffend, sondern das Symbolum erkennt man erst wirklich, wenn man zeigt, daß darin ein geistiger Tatbestand abgezeichnet ist.
Nun wollen wir in der Menschheitsentwickelung weitergehen. Die verschiedensten Formen hat der Mensch angenommen, und als er bis zur Hüfthöhe sich entwickelt hatte, da war er am häßlichsten in seiner physischen Form. Diese Form, die der Mensch damals hatte, ist dekadent erhalten in der Schlange. Die Zeit, in welcher der Mensch es bis zur Amphibiumform gebracht hatte, als der Mond noch in der Erde war, das ist die Zeit der Schande, des Verderbens in der Entwickelung der Menschheit.
Wäre der Mond damals nicht hinausgegangen aus der Erde, dann wäre das Menschengeschlecht einem grauenhaften Schicksale verfallen, dann wäre es immer mehr in die Form des Greulichen, Bösen gefallen. Daher ist die Seelenempfindung, die das nalve, unverdorbene Gemüt hat gegenüber der Schlange, die jene Gestalt festhält, wo der Mensch am tiefsten stand, diese Empfindung der Antipathie etwas, was seine volle Berechtigung hat. Gerade das unverdorbene Gemüt, das nicht sagt, es sei in dem Natürlichen nichts Häßliches, das empfindet Abscheu vor der Schlange deshalb, weil sie das Dokument der Menschenschande ist. Das ist nicht im moralischen Sinne gemeint, sondern deutet hin auf den tiefsten Punkt der Entwickelung der Menschheit.
Nunmehr mußte der Mensch über diesen Tiefstand hinausgelangen. Er konnte das nur, indem er die Tierform verließ und indem er auch
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seinen geistigen, oberen Teil anfing zu verdichten. Wir haben gesehen, daß alle oberen Teile sich entwickeln konnten nur durch die Einwirkung der Isis- und Osiriskräfte. Damit die Osiriskräfte in ihm wirkten, damit der obere Teil sich entwickelte, handelte es sich zunächst um etwas sehr Wichtiges: darum, daß der obere Teil des Menschen die Möglichkeit fand, das Rückenmark aus der horizontalen Lage in die vertikale Lage zu bringen.
Das alles geschah durch den Einfluß der Isis und des Osiris. Von Stufe zu Stufe wurde der Mensch geführt von Sonne und Mond, die sich die Waage hielten. Als der Mensch bis zur Hälfte physisch geworden war, da hielten sich Sonne und Mond die Waage; daher wird die Hüftmitte als die Waage bezeichnet. Die Sonne war damals zugleich im Zeichen der Waage.
Nun darf man sich nicht vorstellen - das muß ausdrücklich beachtet werden -, daß nachdem die Sonne im Zeichen des Skorpion gestanden hatte und darauf im Zeichen der Waage, daß auch gleich darauf die Hüfte sich entwickelt hätte. Dann würde man den Gang der Entwickelung sich viel zu schnell vorstellen. Die Sonne durchläuft in einer Zeit von 25920 Jahren den ganzen Tierkreis. Die Sonne ging einmal im Frühling auf im Widder, vorher im Zeichen des Stieres. Der Frühlingspunkt rückte immer weiter; die Sonne durchmaß mit ihrem Frühlingspunkt das Sternbild des Stieres und so weiter.
Ungefähr 747 vor Christi Geburt trat die Sonne wieder in den Widder; in unserer Zeit geht sie im Frühling im Sternbild der Fische auf. Nun bedeutet die Zeit, in der die Sonne durch ein Sternbild geht, schon etwas, aber es würde ein solcher Zeitraum nicht ausreichen für jene Veränderung, die vorgehen mußte, damit der Mensch von der Sexualität unter dem Zeichen des Skorpion bis zur Höhe der Hüftentwickelung unter dem Zeichen der Waage fortschritt.
Man würde eine falsche Vorstellung haben, wenn man dächte, daß das durch einen Durchgang der Sonne geschieht. Die Sonne geht einmal ganz herum durch den Tierkreis, und erst nach diesem ganzen Umlauf geschieht der Fortschritt. In früheren Zeiten mußte sie noch öfter umlaufen, bis ein Fortschritt geschah. Deshalb darf man nicht jene bekannten Zeitrechnungen der nachatlantischen Epoche für ältere Epochen anwenden. Die Sonne mußte erst ganz herumgehen, in älteren
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Zeiten sogar mehrmals, bevor die Entwickelung ein Stück nach aufwärts rückte. Für diejenigen Glieder, die eine stärkere Ausbildung nötig hatten, dauerte eben die Zeit länger.
Immer höher steigt der Mensch nun durch diese Entwickelung. Die nächste Stufe, wo das, was man als untere Glieder des menschlichen Rumpfes bezeichnet, gebildet wurde, bezeichnet man mit dem Zeichen der Jungfrau.
Wir werden die Entwickelung am besten verstehen, wenn wir uns darüber klar sind, daß, während der Mensch immer menschenähnlicher wird, daß da wieder auf gewissen Stufen tierische Wesenheiten stehenblieben. So ist schon einmal gesagt worden, daß der Mensch auch Lunge und Herz und Kehlkopf durch die Einwirkung der Mondeskräfte entwickelt hat. Ich habe auch gezeigt, inwiefern Osiris und Isis daran beteiligt sind.
Nun müssen wir uns klar sein, daß die höheren Organe des Menschen, wie Herz, Lunge, Kehlkopf und so weiter, daß alle diese Glieder sich nur ausbilden konnten dadurch, daß die höheren Glieder des Menschen: Ätherleib, Astralleib und auch das Ich, als die eigentlichen geistigen Glieder des Menschen schon in bestimmter Weise mitwirkten. Viel mehr als in den vorhergehenden Epochen wirkten seit dem Standpunkt, der erreicht war in der Waage, diese höheren Glieder mit. Daher konnten die mannigfaltigsten Formen entstehen.
Es konnte zum Beispiel der Ätherleib besonders stark wirken, oder der Astralleib, oder sogar das Ich. Ja, es konnte auch vorkommen, daß der physische Leib ein Übergewicht hatte über die drei anderen Glieder. Es bildeten sich dadurch vier Menschentypen aus. Es bildeten sich eine Anzahl solcher Menschen, die den physischen Leib besonders ausgebildet hatten. Dann gab es Menschen, die vom Ätherleib aus ihr Gepräge erhalten hatten, auch Menschen, deren astrale Natur vorherrschte. Auch Ich-Menschen gab es, ausgeprägte Ich-Menschen. In jedem Menschen stellte sich also das dar, was in ihm vorwiegend war.
In den alten Zeiten, als diese vier Formen entstanden, da würde man grotesken Gestalten begegnet sein, und der Hellseher entdeckt dann das, was in den verschiedenen Typen vorhanden war. Es gibt Darstellungen, die allerdings weniger öffentlich sind, in denen die Erinnerung daran erhalten geblieben ist.
Bei den Menschen zum Beispiel, bei denen die physische Natur besonders stark wurde und auf die oberen Teile gewirkt hatte, bei denen drückte sich das in ihrem oberen Teil als Gepräge aus. Es hatte dann etwas sich gebildet, was der niederen Bildung ganz angepaßt war, und durch das, was da tätig war, kam die Gestalt heraus, die wir festgehalten sehen in dem apokalyptischen Bilde des Stieres; nicht eines heutigen Stieres, der ist eine dekadente Form. Das was in einer gewissen Zeit vorwiegend vom physischen Leibe bestimmt war, ist auf der Stufe der Stierheit stehengeblieben. Das hat also im Stier seinen Repräsentanten und in all dem, was zu dieser Tiergattung gehört: Kühe, Rinder und so weiter.
Die Menschengruppe, bei welcher der physische Leib nicht so stark ausgeprägt war, sondern der Ätherleib, bei denen insbesondere alles das stark wurde, was man dem Herzen mehr zugeneigte Teile des Rumpfes nennen möchte, diese Menschenstufe ist auch in der Tierheit erhalten. Diese Stufe, über die der Mensch hinausschritt, ist im Löwen erhalten. Der Löwe erhält in sich den Typus, der sich herausgebildet hat aus der Gruppe der Menschen, bei denen der Ätherleib intensiv wirksam war.
Jene Menschenstufe, bei der der Astralleib den Ätherleib und den physischen Leib überwältigt hat, diese Gruppe ist uns - freilich entartet - in dem beweglichen Vogelgeschlecht erhalten und ist in der Apokalypse im Bilde des Adlers dargestellt. Die vorwiegende Astralität ist hier abgestoßen; sie erhob sich vom Boden als das Vogelsein.
Und da, wo das Ich stark wurde, da entwickelte sich ein Wesen, das in der Tat genannt werden darf eine Vereinigung der drei anderen Naturen, weil das Ich alle drei Glieder harmonisierte. Bei dieser Gruppe hat der Hellseher in der Tat das vor sich, was in der Sphinx festgehalten ist, wo die Sphinx insbesondere den ausgeprägten Löwenleib hat, dann die Adlerflügel, aber auch etwas Stierartiges - bei den ältesten Darstellungen der Sphinx war sogar der Reptilienschwanz vorhanden, der auf die alte Reptiliengestalt hinweist -, und nach vorne haben wir die Menschengestalt, die die anderen Teile harmonisiert.
Das sind die vier Typen, in denen in der atlantischen Zeit aber das Menschliche überwiegt, indem sich erst nach und nach, zu immer größerer
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Einheit, aus der Adlerhaftigkeit, der Löwenhaftigkeit und der Rinderhaftigkeit die Menschengestalt bildete, die diese Naturen in sich harmonisierte. Sie bildeten sich in eins um in die volle Menschengestalt, und diese bildete sich nach und nach zu der Gestalt um, wie sie in der Mitte der Atlantis vorhanden war.
Da geschah nun noch etwas durch alle diese Vorgänge. Wir denken uns, daß sozusagen harmonisch ineinander aufgingen vier verschiedene Elemente, vier Gestalten im Menschen. Das eine ist da im physischen Leib, in der Stiernatur: es sind die überwiegenden Kräfte, die bis zur Evolutionsepoche der Waage sich bildeten; dann haben wir im Ätherleib die Löwennatur; dann im Astralleib, in den überwiegenden Kräften des Astralen, die Adler- oder Geiernatur, und endlich die überwiegenden Kräfte des Ich, die eigentliche Menschennatur.
Irgendeins von diesen vier Gliedern hatte bei den einzelnen Wesen die Oberhand bekommen. Dadurch entstanden die vier Typen. Aber noch andere Kombinationen konnte man antreffen. So zum Beispiel konnte der physische Leib, der Astralleib und das Ich gleichmäßig herrschen und die Oberhand über den Ätherleib haben. Das ist ein besonderer Typus der Menschheit.
Dann gab es Wesen, bei denen die Oberhand hatten der Ätherleib, der Astralleib und das Ich, während der physische Leib weniger ausgebildet war, so daß wir solche Menschen haben, bei denen die Oberhand über den physischen Leib die höheren Glieder haben.
Die anderen Typen verschwanden immer mehr und mehr, nur diese beiden blieben und bildeten sich aus zu den männlichen und weiblichen Formen.
Wodurch war denn das möglich, daß allmählich sich gerade diese beiden Formen herausbildeten? Das geschah wiederum durch die verschiedene Art der Einwirkung von den Isis- und Osiriskräften.
Wir haben gesehen, daß sich uns in den Neumondphasen, dann, wenn der Mond finster ist, das Isisprinzip charakterisiert, aber daß Osiris in den leuchtenden Volimondphasen charakterisiert ist. Isis und
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Osiris sind geistige Wesen auf dem Monde, aber ihre Taten finden wir auf der Erde. Wir finden sie auf der Erde, weil durch diese Taten sich die Menschenrasse in zwei Geschlechter teilte.
Die Wirkung von Isis und Osiris auf die Menschheit geschieht durch die Nervenstränge, durch deren Einwirkung die Menschheit gebildet wird in einen männlichen und einen weiblichen Teil. Das wird in der Sage dadurch dargestellt, daß Isis den Osiris sucht; das Männliche und das Weibliche suchen sich auf der Erde. Wir sehen immer wieder, daß in diese Sagen hineingeheimnißt sind wunderbare Vorgänge der kosmischen Entwickelung.
Erst als die Waage überschritten war, bildeten sich allmählich in den oberen Gliedern des Menschen die Differenzierungen heraus, die wir mit männlich und weiblich bezeichnen.
Der Mensch ist viel länger eingeschlechtlich geblieben als die Tiere. Was bei den übrigen Tieren schon längst geschehen war, das trat hier beim Menschen jetzt erst ein.
Es gab eine Zeit, in der sozusagen eine einheitliche Menschengestalt da war, in der nichts da war von jener Fortpflanzungsart, wie sie sich später ausbildete, in der die Natur des Menschen noch beide Geschlechter in einer Wesenheit darstellte. «Und Gott schuf den Menschen männlich-weiblich» steht in der Bibel, nicht «ein Männlein und ein Fräulein». Er schuf beide in einem. Die denkbar schlechteste Übersetzung ist es, wenn gesagt wird: er schuf «ein Männlein und ein Fräulein». Denn das ist ohne Sinn den wirklichen Tatsachen gegenüber.
So blicken wir in eine Zeit, in der die menschliche Natur noch eine Einheit war, wo jeder Mensch jungfräulich gebärend war. Diese Stufe der Menschheitsentwickelung stellt uns die ägyptische Tradition aus dem Schauen der Eingeweihten heraus dar. Ich habe schon darauf hinweisen können, daß die älteren Darstellungen der Isis folgende sind: Isis nährt den Horus, hinter ihr aber steht noch eine zweite Isis mit Geierflügeln, eine Isis, die dem Horus das Henkelkreuz reicht, zur Hindeutung darauf, daß der Mensch aus einer Zeit stammt, als diese Typen noch getrennt waren, so daß später in den Menschen auch die
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andere astralische Wesenheit eingetaucht ist.
Diese zweite Isis deutet darauf hin, wie einstmals das astralische Element vorherrschte. Das, was später mit der Menschenform vereinigt ist, wird uns hier dargestellt hinter der Mutter als die Astralgestalt, die Geierflügel gehabt haben würde, wenn sie nur der Astralität gefolgt wäre. Die Zeit aber, in der der Ätherleib überwog, wird dahinter, in einer dritten, löwenköpfigen Isis dargestellt.
Diese dreifache Isis wird uns so aus tiefem Schauen heraus dargeboten.
Von diesem Gesichtspunkt aus werden wir aber auch noch etwas anderes verstehen: daß nämlich eine Übergangszeit gewesen sein muß von der Geschlechtseinheit zu der Geschlechtstrennung, daß in der Tat ein gewisser Zwischenzustand hat da sein können zwischen jener jungfräulichen Fortpflanzung, bei welcher die Befruchtung eintrat infolge von den in der Erde lebenden Kräften, die zugleich die Befruchtungsstoffe waren, und der anderen Art der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung.
Diese zweigeschlechtliche Fortpflanzung rückte erst vollständig in der Mitte der atlantischen Epoche heran. Früher war eine Zwischenstufe da.
In dieser Zwischenstufe, da fand in einer gewissen Epoche eine Änderung des Bewußtseins statt. Da ging der Mensch in viel längeren Zeiträumen als heute durch einen Wechsel des Bewußtseins. Das war eine Zeit, in der das Bewußtsein besonders stark war, in dem der Mensch sich während der Nacht als geistiges Wesen bei seinen geistigen Genossen erlebte. Das Tagesbewußtsein war dagegen schwach.
Diese Bewußtseinslage wechselte mit einer anderen Periode, da das Bewußtsein stark wurde, welches der Mensch hat, wenn er im physischen Leibe ist, und wo das seelische Leben, wenn der Mensch dann nachts den physischen Plan verließ, schwächer wurde.
Nun gab es Zeiten der Menschheitsentwickelung, in denen wir eine Übergangsstufe sehen müssen. Da war das Bewußtsein für die physische Welt noch herabgedämpft. Und es war in diesem herabgedämpften Bewußtseinszustande, wo die Befruchtung eintrat. In den Zeiten des herabgedämmerten Bewußtseins, wenn der Mensch herausstieg aus der physischen Welt in die geistige Welt, da fand die Befruchtung statt, und der Mensch merkte sie nur durch einen symbolischen Traumesakt.
In einer zarten, edlen Weise empfand er, daß Befruchtung
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eingetreten war im Schlafe, und nur ein zarter, wundersamer Traum, wie der Mensch zum Beispiel einen Stein warf und der Stein in die Erde fiel und dann aus der Erde eine Blume entstand, war im Bewußtsein des Menschen.
In dieser Zeit muß uns besonders interessieren, daß auch in Betracht kamen diejenigen, die schon früher eine spätere Stufe erreicht hatten. Wenn wir sagen, daß gewisse Wesen auf der Stierstufe stehen blieben, andere auf der Löwenstufe, andere auf der Adlerstufe und so weiter, was heißt denn das? Das heißt, wenn die Wesen hätten warten können und ihre ganze volle Liebe zur physischen Welt erst viel später hätten ausbilden wollen, dann würden sie Menschen geworden sein.
Wenn der Löwe nicht zu früh hätte hineingewollt in die irdische Sphäre - er wäre Mensch geworden, ebenso die anderen bis dahin abgespaltenen Tiere. Sagen wir das noch einmal so: Alles das, was Mensch war zu der Zeit, als der Löwe sich bildete, sagte sich entweder: Nein, ich will die niederen Substanzen noch nicht aufnehmen, ich will nicht hinunter in die physische Menschheit - oder: Herunter will ich; ich will, daß das wird, was entwickelt ist.
Wir denken uns also zwei Wesenheiten; die eine bleibt noch oben im Luftätherreich und reicht nur in den irdischen Teilen herunter auf die Erde, die andere strebt danach, ganz auf die Erde hinunterzusteigen. Diese letztere wurde vielleicht Löwe, die erstere wurde Mensch.
So wie die Tiere stehenblieben, so blieben nun auch Menschen stehen. Das waren nicht die besten Menschen, die zu früh Mensch wurden; die besseren haben warten können. Sie sind lange dabeigeblieben, nicht hinunterzusteigen auf die Erde, um da in Bewußtheit den Befruchtungsakt zu vollziehen; sie blieben in dem Erkennen, wo der Befruchtungsakt ein Traum war.
Diese Menschen lebten, wie man sagt, im Paradiese. Und die Menschen, die am frühesten auf die Erde stiegen, würden wir finden mit besonders stark ausgebildeter Körperlichkeit, mit rohem, brutalem Gesichtsausdruck, während wir die Menschen, die erst die edleren Teile gestalten wollten, auch in einer viel menschlicheren Gestalt finden würden.
Das, was jetzt beschrieben worden ist, das hat sich in einer wundersamen Sage und einem Ritus erhalten. Bekannt ist der Ritus, der
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erwähnt wird bei Tacitus; die Sage von der Göttin Nerthus oder Hertha, die jedes Jahr hinuntertaucht in die Meeresfluten in einem Wagen. Diejenigen aber, die sie ziehen, müssen getötet werden.
Nerthus wurde aufgefaßt, wie man das eben auffaßt, als irgendein aus der Phantasie heraus gestaltetes Phantom, als irgendeine Göttin, der man einen Kultus auf irgendeiner Insel errichtet haben soll. Die Nerthus-Stätte hat man zu erkennen geglaubt in dem Hertha-See auf Rügen. Dort glaubte man die Stelle, wo der Wagen eingetaucht sei, gefunden zu haben.
Eine merkwürdige Phantasie. Der Name Hertha-See ist nämlich eine ganz neue Erfindung. Er hieß früher der schwarze See wegen seiner Färbung, und keinem Menschen fiel es ein, ihn Hertha-See zu nennen und ihn auf die Göttin zu beziehen.
In Wahrheit liegt viel Tieferes in dieser Sage. Nerthus ist die Übergangsstufe der jungfräulichen Befruchtung zu der späteren Menschenfortpflanzung. Nerthus, die untertaucht in ein dämmerhaftes Bewußtsein, nimmt, wenn sie in das Meer der Leidenschaft versenkt wird, das nur in einem zarten, symbolischen Akt wahr; sie nimmt nur einen Abglanz davon wahr.
Diejenigen aber, die in der Zeit, als die höhere Menschheit noch so empfand, hinuntergestiegen waren, die waren schon der ursprünglichen Naivität verlustig gegangen; die sahen schon diesen Akt und waren für das höhere Menschheitsbewußtsein verloren, die waren todeswürdig.
Die Erinnerung an dieses Ereignis der Urzeit wurde im Ritus bewahrt in zahlreichen Gegenden Europas. Man vollzog zu gewissen Zeiten bei Erinnnerungsfesten eine Zeremonie. Das war der Wagen des Nerthus-Bildes, das untertauchte in das Meer der Leidenschaft. Und man hatte sogar den grausamen Gebrauch: diejenigen, die dienen durften, die ziehen mußten, die da sehen konnten, die mußten Sklaven sein und wurden bei dem Ritus getötet, zum Zeichen, daß das die sterbliche Menschheit war, die diesen Akt sah.
Nur die Priester, die eingeweiht waren, durften der Zeremonie unbeschadet beiwohnen. So sehen wir an diesem Beispiel, daß in jener Zeit, als man das, was hier erzählt wurde, in gewissen Gegenden kannte, in diesen Gegenden der Nerthus-Kult war. In diesen Gegenden war ein Bewußtsein vorhanden, das diese Sage und den Ritus gestaltete.
So entwickelte sich die Menschheit durch die mannigfaltigsten Formen hindurch, und so wird in den Bildern dargestellt dasjenige, was reale Tatsachen sind. Es ist schon gesagt worden, daß solche Bilder nicht Allegorien sein sollen, sondern daß sie inhaltlich in einem Verhältnis stehen zu den realen Tatsachen.
Solche Bilder erschienen wie Traumbilder. So wurde auch die Osirissage zuerst geträumt, bevor der Schüler die Tatsache der Menschheitsevolution wahrhaft schaute. Und nur dasjenige, was vorbereitet auf reales Schauen, das ist im okkulten Sinne ein Symbolum. Ein Symbolum ist ein Schildern realer Vorgänge in Bildern. Und welches die Wirkung dieser Schilderungen war, davon im nächsten Vortrage.