Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 138 Ägyptische Mythen und Mysterien

5. Vortrag Leipzig, 7. September 1908

Die Entwicklung des Menschen von der polarischen Erdepoche an bis kurz nach der Erde-Mond-Trennung.
Beginn der Luftatmung / des Todesbewußtseins. Typhon und Osiris.

Wir haben bisher in diesen Vorträgen versucht, uns ein Bild zu machen von unserer Erdenentwickelung im Zusammenhange mit der des Menschen, weil wir auseinandersetzen mußten, wie die Vergangenheit der Erde, wie die Tatsachen unserer Erdenentwickelung sich in der Erkenntnis der einzelnen Kulturperioden der nachatlantischen Zeit widerspiegeln. Wir konnten gerade die tiefsten Erlebnisse des Schülers der Rishis dahin charakterisieren und zeigen, wie sich diese inneren Erlebnisse eines solchen Einzuweihenden als innere, hellsichtig geschaute Bilder darstellten derjenigen Verhältnisse und Vorgänge, die sich abspielten in unserer Urerde, als diese noch in sich enthielt die Sonne und den Mond. Wir haben auch gesehen, welch eine hohe Stufe der Einweihung ein solcher Schüler der indischen Kultur erreichen mußte, um sich ein solches Weltanschauungsbild schaffen zu können, ein Bild, das wie eine Wiederholung dasteht von dem, was sich in urferner Vergangenheit abgespielt hat. Wir haben auch gesehen, was die Griechen dachten, als sie auf ihren Alexanderzügen bekannt wurden mit dem, was also ein indischer Einzuweihender erlebte, in dessen Seele sich erhob das Bild der göttlich-geistigen, schaffenden Kraft, das sich auszudrücken begann im Urnebel, als Sonne und Mond noch mit der Erde vereint waren. Dieses Bild, das Brahman der Inder, das den Griechen erschien wie Herakles, dieses Bild versuchten wir uns als eine innere Wiederholung der Tatsachen, die sich tatsächlich in der Vergangenheit abgespielt haben, vor die Seele zu führen.

Es ist auch schon betont worden, daß die aufeinanderfolgenden Entwickelungsperioden der Erde sich spiegelten in der persischen und in der ägyptischen Kulturpenöode. Was also in der zweiten Epoche geschah, als sich die Sonne herauszog aus der Erde, das wurde im Bilde bei den Eingeweihten der Perser in Erscheinung gebracht. Und das, was sich abspielte, als nach und nach der Mond herausging, das wurde Weltanschauung und Einweihungsprinzip bei den Ägyptern, Chaldäern, Babyloniern, Assyrern.

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Nun müssen wir uns, um ganz genau in die Seele des alten Ägypters hineinschauen zu können - denn das ist uns ja das Wichtigste, und die Persereinweihung werden wir nur wie eine Vorbereitung anschauen -, wir müssen uns noch einmal genauer darauf einlassen, wie es eigentlich mit unserer Erde zuging während der Zeiten, als sich Sonne und Mond von der Erde trennten.

Wir wollen jetzt ein Bild von der Erde selbst entwerfen, das sich nach und nach herausbildete, als die Sonne wegging und als später auch der Mond wegging. Es soll abgesehen werden von den großen kosmischen Ereignissen, und wir wollen sehen, was auf der Erde selbst geschieht.

Wenn wir noch einmal auf die Erde im Urzustande zurückblicken, als sie mit Sonne und Mond vereinigt war, so würden wir da nicht finden unsere Tiere, unsere Pflanzen und ganz und gar nicht unsere Mineralien. Das, woraus die Erde ursprünglich gestaltet war, war zunächst nur der Mensch, waren nur Menschenkeime. Zwar ist es richtig, daß auch schon die tierischen und pflanzlichen Keime angelegt wurden auf der alten Sonne und auf dem alten Monde, daß auch diese schon im Urzustande der Erde enthalten waren, aber sie waren gewissermaßen noch schlafende Keime, keine Keime, denen man hätte ansehen können, daß sie wirklich etwas hervorbringen könnten.

Das wollen wir also festhalten. Jetzt aber wollen wir die Erde einmal selbst anschauen. Die Erde war, als sie noch Sonne und Mond in sich hatte, nur eine Art großer ätherischer Dunstnebel von gewaltiger Ausdehnung, und darinnen waren triebkräftig die Menschenkeime, schlafend aber die Keime der anderen Wesen: Tiere, Pflanzen und Mineralien. Deshalb, weil nur Menschenkeime da waren, aber noch keine Augen, konnte auch kein Auge äußerlich diese Vorgänge sehen, so daß die hier gegebene Beschreibung nur sichtbar werden kann im Rückblick für den hellsehenden

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Menschen. Diese Beschreibung wird unter der hypothetischen Voraussetzung gemacht, daß das einer gesehen hätte, wenn er damals auf einem Punkt des Weltenraums sich hätte befinden und zuschauen können.

Auch auf dem alten Saturn hätte ein physisches Auge gar nichts bemerkt. Damals, im Urzustand, war die Erde nur ein Dunstnebel, der nur als Wärme empfunden worden wäre. Aus dieser Masse, aus diesem Uräthernebel gliederte sich allmählich ein leuchtender Dunstball, der schon hätte gesehen werden können, wenn es damals ein Auge gegeben hätte. Und wenn man mit einem Gefühlssinn sozusagen hätte hineindringen können, wäre er erschienen wie ein erwärmter Raum; etwa wie das Innere eines Backofens würde er sich ausgenommen haben.

Sehr bald aber wurde diese Nebelmasse leuchtend. Und dieser Dunstball, der sich da herausgebildet hatte, der hatte in sich alle die Keime, von denen eben gesprochen worden ist. Wir müssen uns klar sein, daß in diesem Dunstnebel nicht etwas vorlag wie ein heutiger Nebel oder wie heutige Wolkengebilde, sondem alle heute fest gewordenen und flüssigen Substanzen waren darinnen aufgelöst. Alle Metalle, alle Mineralien, alles, alles war in Dunst- und Nebelform, in einer sehr durchsichtigen Form, in einer durchleuchteten Dunstform darin vorhanden. Durchleuchteter Dunst war da, von Wärme und Licht durchdrungen. Denken Sie sich da hinein. Das was aus dem ätherischen Nebel geworden war, das war ein durchleuchtetes Gas. Und dieses hellte sich immer mehr und mehr auf, und gerade durch die Verdichtung der Gase wurde das Licht immer stärker, so daß in der Tat einmal dieser Dunstnebel wie eine große Sonne erschien, die in den Weltenraum hinausleuchtete.

Diesen Zeitpunkt gab es durchaus einmal, als die Erde noch die Sonne in sich hatte, als sie noch lichtdurchglänzt und durchstrahlt war und in den Weltenraum ihr Licht hinausstrahlte. Dieses Licht aber machte es möglich, daß nicht nur der Mensch in jener ursprünglichen Anlage mit der Erde lebte, sondern daß in der Fülle des Lichtes lebten alle anderen höheren Wesen, die nicht einen physischen Leib annahmen, aber mit der Entwickelung des Menschen verbunden sind: Engel, Erzengel, Urkräfte. Aber nicht nur diese waren darin;

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in der Lichtfülle lebten auch noch höhere Wesenheiten: die Gewalten oder Exusiai oder Geister der Form, die Mächte oder Dynamis oder Geister der Bewegung, die Herrschaften oder Kyriotetes oder Geister der Weisheit und jene Geister, die genannt werden die Throne oder Geister des Willens, und endlich in loserer Verbindung mit der Lichtfülle, sich immer mehr von ihr losringend, die Cherubim und die Seraphim.

Ein von einer ganzen Hierarchie niederer und höchster, erhabenster Wesenheiten bevölkerter Weltenkörper war die Erde. Und das, was als Licht hinausstrahlte in den Raum, das Licht, womit der Erdenkörper durchdrungen wurde, das war nicht nur Licht, sondern auch das, was später die Erdenmission war: das war die Kraft der Liebe. Das hatte das Licht als seinen wichtigsten Bestandteil in sich. Wir müssen uns also vorstellen, daß nicht nur Licht ausgestrahlt wird, nicht nur physisches Licht, sondern daß dieses Licht durchseelt, durchgeistigt ist mit der Kraft der Liebe.

Das ist schwer vorzustellen für ein heutiges Gemüt. Gibt es doch heute Menschen, die die Sonne so beschreiben, als ob da so ein gasförmiger Ball wäre, der einfach Licht ausstrahlte. So etwas Materielles, so ein rein materielles Vorstellen herrscht heute einzig und allein von der Sonne. Ausgenommen sind davon nur die Okkultisten. Wer heute eine Beschreibung der Sonne liest, so wie sie in den populären Büchern dargestellt ist, in Büchern, die die geistige Nahrung unzähliger Menschen bilden, der hat nicht das Wesen der Sonne kennengelernt. Das was in diesen Büchern steht, das ist in bezug auf die Sonne genausoviel wert, wie wenn jemand als das Wesen des Menschen einen Leichnam beschreibt. So wahr der Leichnam der Mensch ist, so wahr ist das, was in der Astrophysik von der Sonne beschrieben ist, die Sonne.

Gerade so wie der das Wichtigste beim Menschen wegläßt, der den Leichnam beschreibt, so beschreibt der Physiker, der heute die Sonne beschreibt, nicht ihr Wesen, wenn er mit Hilfe der Spektralanalyse die inneren Bestandteile der Sonne gefunden zu haben glaubt; das was beschrieben ist, ist nur äußerer Leib der Sonne. In jedem Sonnenstrahle strömt auf alle Erdenwesen hernieder die Kraft höherer Wesenheiten, welche die Sonne bewohnen, und mit dem Lichte des Sonnenstrahls

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schwebt selber hernieder die Kraft der Liebe, dieselbe Kraft, die hier auf der Erde von Mensch zu Mensch, von Herzen zu Herzen strömt. Es kann die Sonne niemals bloß physisches Licht auf die Erde senden; dasselbe, was die heißeste und inbrünstigste Liebesempfindung ist, ist unsichtbar im Sonnenlichte vorhanden. Mit ihm strömen der Erde zu die Kräfte der Throne, der Seraphim, der Cherubim und der ganzen Hierarchie der höheren Wesenheiten, die auf der Sonne wohnen und die es nicht nötig haben, irgendeinen anderen Körper als das Licht zu haben. Weil aber das alles, was heute in der Sonne vorhanden ist, damals noch mit der Erde verbunden war, so waren auch alle die höheren Wesen mit der Erde selbst verbunden. Auch heute noch sind sie mit der Entwickelung der Erde verbunden.

Dann müssen wir bedenken, daß der Mensch, der das niederste von den höheren Wesen war, damals schon im Keim vorhanden war als das neue Kind der Erde, getragen und gehegt von diesen hohen Wesen, im Schoße dieser göttlichen Wesen lebend. Der Mensch, der in jener Zeit lebte, in welcher wir jetzt mit unseren Betrachtungen in der Erdenevolution stehen, mußte, weil er noch im Schoße dieser Wesenheiten war, auch damals einen viel feineren Leib haben. Und da ergibt sich dem hellsehenden Bewußtsein, daß der Leib des damaligen Menschen nur bestanden hat aus einer feinen Dunst- und Dampfform, einem Luft- oder Gasleib, einem vom Lichte ganz durchstrahlten, ganz durchsetzten Gasleib. Denken wir uns eine regelmäßig gestaltete Wolke, wie eine nach oben sich erweiternde, kelchartige Bildung, und denken wir uns diesen Kelch durchglüht und durchleuchtet von dem inneren Lichte, und wir haben die damaligen Menschen, die eben erst anfangen in dieser Erdenentwickelung ein dumpfes Bewußtsein zu haben, ein Bewußtsein, wie es heute die Pflanzenwelt hat. Nicht wie die Pflanzen im heutigen Sinne waren die Menschen; sie waren durchleuchtete und durchwärmte Wolkenmassen in Kelchesform und ohne feste Grenzen, nicht durch feste Grenzen getrennt von der Gesamterdenmasse.

Das war einmal die Gestalt des Menschen, eine Gestalt, die ein physischer Lichtleib war, teilhaftig noch der Kräfte des Lichtes. Deshalb konnten sich, wegen der Feinheit des Leibes, nicht nur hineinsenken

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ein eigener Ätherleib und Astralleib, nicht nur das Ich in den ersten Anfängen, sondern auch die höheren geistigen Wesenheiten, die mit der Erde verbunden waren. Damals wurzelte der Mensch noch sozusagen nach oben in den göttlich-geistigen Wesen, und diese durchdrangen ihn. Es ist wirklich nicht leicht, die Herrlichkeit der Erde von damals zu schildern und eine Vorstellung zu geben von jener Zeit.

Wir müssen uns die Erde als eine lichtdurchglänzte Kugel vorstellen, von lichttragenden Wolken umstrahlt, wunderbare Lichterscheinungen von wunderbarem Farbenspiel erzeugend. Wenn man eine fühlende Hand hätte hineinstrecken können in diese Erde, man hätte Wärmeerscheinungen wahrgenommen, auf und ab wogend die durchglühten, durchleuchteten Massen, darin alle heutigen Menschenwesen, umwebt und umwogt von all den geistigen Wesenheiten, nach außen hin in grandioser Mannigfaltigkeit strahlendes Licht aussendend! Außen der Erdenkosmos in seiner großen Mannigfaltigkeit, innen der lichtumflossene Mensch, in Verbindung mit den göttlich-geistigen Wesenheiten, von ihnen ausgehend und Ströme von Licht in die äußere Lichtsphäre strahlend. Der Mensch hing wie an einer aus dem Göttlichen entspringenden Nabelschnur an diesem Ganzen, an dem Lichtschoß, dem Weltenschoß unserer Erde. Ein gemeinsamer Weltenschoß war es, in dem die Lichtpflanze Mensch damals lebte, sich einsfühlend mit dem Lichtmantel der Erde. So war der Mensch in dieser feinen Dunstpflanzenform wie an der Nabelschnur der Erdenmutter hängend, so war er gehegt und gepflegt von der ganzen Mutter Erde. Wie in einem gröberen Sinne heute das Kind gehegt und gepflegt ist im mütterlichen Leibe als Kindeskeim, so war damals gehegt und gepflegt der Menschenkeim. So lebte der Mensch damals in der urfernen Erdenzeit.

Darin begann die Sonne sich herauszulösen, die feinsten Substanzen mit sich nehmend. Es gab eine Zeit, in der die hohen Sonnenwesenheiten die Menschen verließen, da alles, was heute zur Sonne gehört, unsere Erde verließ und die gröberen Substanzen zurückließ. Und verbunden war dieses Hinausgehen der Sonne damit, daß der Dunst sich abkühlte zu Wasser, und wir haben, während wir früher die Dunsterde hatten, nun die Wasser-Erdkugel.

In der Mitte waren

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die Urwasser, jedoch nicht von Luft umgeben; langsam gingen die Wasser über in dichte, dicke Nebel, die sich allmählich verfeinerten. So haben wir die damalige Erde als Wassererde, also darin auch Stoffe in weichem Zustande, umdunstet von Nebeln, die immer feiner wurden, bis hinauf in die höchsten Sphären, wo die Nebel ganz fein wurden. So haben wir einmal unsere Erde vor uns.

So war sie verändert, und die Menschen mußten nun sozusagen die früher lichtdurchglühte Gasgestalt hineinsenken in die trüben Wasser und sich dort verkörpern als geformte Wassermassen im Wasser, wie vorher als Luftformen in der Luft. Der Mensch wurde eine Wassergestalt, jedoch keineswegs ganz. Niemals war der Mensch ganz ins Wasser hinuntergetaucht. Das ist ein wichtiger Moment. Es ist beschrieben worden, wie die Erde in der Mitte Wassererde war, der Mensch war nur teilweise ein Wasserwesen, er ragte hinein in die Dunsthülle, so daß er halb Wasser-, halb Dampfwesen war.

Unten im Wasser konnte der Mensch unmöglich von der Sonne erreicht werden, die Wassermasse war so dick, daß das Sonnenlicht nicht durchdringen konnte. In den Dunst konnte das Licht der Sonne etwas hineindringen, so daß der Mensch lebte zum Teil im dunkeln, lichtberaubten Wasser und teilweise im lichtdurchglühten Dunst. Von etwas war jedoch das Wasser nicht beraubt, von etwas, das wir jetzt genauer beschreiben müssen.

Von Anfang an war die Erde nicht nur glühend, leuchtend, sondern auch tönend, und der Ton war in der Erde geblieben, so daß, als das Licht hinausging, innerlich das Wasser zwar dunkel wurde, innerlich aber auch vom Ton durchdrungen wurde, und der Ton war es, der dem Wasser gerade die Gestaltung, die Form gab, wie man das ja an dem bekannten physikalischen Experiment kennenlernen kann. Wir sehen, daß der Ton ein Gestaltendes ist, eine formende Kraft, weil durch den Ton die Teile gegliedert oder geordnet werden. Der Ton hat eine formende Kraft, und die war es, die auch den Leib aus dem Wasser heraus geformt hat. Das war die Kraft des Tones, die noch in der Erde geblieben war. Es ist der Ton, der Klang, der die Erde durchklingt, es ist der Ton, aus dem heraus sich formte die Menschengestalt.

Hindringen konnte das Licht nur zu dem Teil des Menschen,

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der da aus dem Wasser hinausragte. Unten ein Wasserleib, oben ein Dampfleib, den das äußere Licht berührte, zu dem im Lichte die Wesen, die mit der Sonne herausgegangen waren, Zugang hatten. Vorher fühlte sich der Mensch in ihrem Schoße, als die Sonne noch mit der Erde vereinigt war; jetzt schienen sie im Licht auf ihn nieder und durchstrahlten ihn mit ihrer Kraft. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß in dem, was nach der Trennung der Sonne zurückgeblieben war, auch die Kräfte waren, die die Erde von sich trennen mußte, die Kräfte des Mondes.

Wir haben also eine Zeit, wo gerade die Sonne herausgegangen war, wo allmählich jener Pflanzenmensch untertauchen mußte in die physische Wassererde. Das ist die Stufe, die der Mensch damals in seinem Leibe erreicht hatte, die wir heute degeneriert festgehalten sehen in den Fischen.

Wenn wir heute das Wasser von Fischen durchzogen sehen, so sind diese Fische Überreste jener Menschen, natürlich in einer dekadenten Form. Wir müssen uns etwa einen Goldflsch denken, in phantastischen Pflanzenformen, mit großer Beweglichkeit, aber mit dem Gefühl von Wehmut, weil das Licht dem Wasser genommen war. Es war eine tiefe, tiefe Sehnsucht, die entstand. Das Licht war nicht mehr da; das Verlangen nach dem Licht rief die Sehnsucht hervor.

Es gab einen Augenblick in der Erdenentwickelung, in dem die Sonne noch nicht ganz heraus war aus der Erde, da kann man jene Gestalt noch durchglüht sehen von Licht, die Menschen im oberen Teil noch auf der Sonnenstufe, unten schon in der Gestalt, die in der Fischform festgehalten worden ist. Dadurch nun, daß der Mensch mit der Hälfte seines Wesens in der Dunkelheit lebte, dadurch war da unten eine recht niedere Menschennatur, denn in dem Teile, mit dem er untertauchte, hatte er die Mondeskräfte in sich. Wenn das auch nicht nur Lava war, wie im heutigen Monde, es waren schwarze, erstarrte, finstere Kräfte. Da konnten auch nur die schlechtesten Partien des Astralischen untertauchen.

Aber oben war eine Dunstgestalt, gleichsam der Kopfteil, in den hineinstrahlte das Licht von außen und ihm die Form gab, so daß der Mensch aus einem niederen und einem höheren Teil bestand. Schwimmend, schwebend bewegte er sich in dieser Dunstatmosphäre. Die dichte Dunstatmosphäre der Erde war

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noch nicht Luft, sie war Dunst, also noch nicht Luft, durch die die Sonne hätte dringen können. Die Wärme konnte durchdringen, aber nicht das Licht. Der Sonnenstrahl konnte nicht die ganze Erde küssen, sondern nur die Oberfläche, der Erdenozean blieb dunkel. In diesem Ozean waren aber die Kräfte, die später als Mond herausgegangen sind.

Dadurch nun, daß die Lichtkräfte eindrangen, drangen auch die Götter in die Erde ein. So daß wir unten den götterlosen, gottverlassenen Wassermantel, nur durchdrungen von der Kraft des Tones haben, ringsherum den Dunst, in den sich hineinerstrecken die Kräfte der Sonne. So daß der Mensch in dem Dunstkörper, der über die Wasserfläche hinausragte, doch immer noch ein Mitbürger war dessen, was zu ihm strahlte als Licht und Liebe aus der geistigen Welt.

Warum durchdrang jedoch den finsteren Wasserkern die tönende Welt? Aus dem Grunde, weil einer der hohen Sonnengeister zurückgeblieben war, verbunden hatte sein Dasein mit der Erde. Das ist derselbe Geist, den wir kennen als Jahve oder Jehova. Jahve allein blieb bei der Erde, er opferte sich, er war es, dessen inneres Wesen als formender Ton die Wassererde durchklang. Aber weil die schlechtesten Kräfte als Ingredienzien in der Wassererde verblieben waren, weil diese Kräfte furchtbare Elemente waren, kam der Dunstteil des Menschen immer mehr herunter, und aus der ehemaligen Pflanzengestalt entstand allmählich ein Wesen, das auf der Stufe eines Amphibiums stand.

In der Sage und Mythe ist diese Gestalt, die viel tiefer steht als die spätere Menschheit, geschildert als der Drache, als der Menschenmolch, als der Lindwurm. Und der andere Teil des Menschen, der ein Bürger des Lichtes war, der wird dargestellt als ein Wesen, das nicht herunterkam, das die niedere Natur bekämpft, das zum Beispiel als Michael, als der Drachentöter, als heiliger Georg, den Drachen bekämpfend dargestellt wird. Auch noch in der Gestalt des Siegfried mit dem Drachen haben wir, allerdings umgeformt, Bilder dessen, was damals in jener Zweiteilung Menschenanlage war.

Hinein kam in den oberen Teil der Erde und somit auch in den oberen Teil des physischen Menschen die Wärme, und bildete

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etwas wie einen feurigen Drachen. Aber darüber erhob sich der Ätherleib, in dem die Kraft der Sonne festgehalten wurde. So haben wir eine Gestalt, die das Alte Testament recht gut dargestellt hat in der Gestalt der verführerischen Schlange, die auch ein Amphibium ist.

Nun rückte die Zeit immer mehr heran, in der die niedersten Kräfte herausgeschleudert wurden. Mächtige Katastrophen erschütterten die Erde, und für den Okkultisten erscheinen die Basaltbildungen als Überreste jener reinigenden Kräfte, die dazumal den Erdenkörper erschütterten, als der Mond sich von der Erde trennen mußte.

Das war aber auch die Zeit, in der sich immer mehr verdichtete der Wasserkern der Erde, und in der allmählich der feste, mineralische Kern entstand. Die Erde wurde auf der einen Seite verdichtet durch den Herausgang des Mondes, auf der anderen Seite gaben jedoch die oberen Partien ihre schwereren, gröberen Substanzen an die unteren Partien ab, und oben entstand immer mehr und mehr das, was zwar noch immer von Wasser durchsetzt war, was aber nach und nach ähnlich wurde unserer Luft. So bekam die Erde allmählich einen festen Kern in der Mitte, und Wasser war darum herum. Zuerst war der Nebel noch undurchdringlich für die Sonnenstrahlen, aber dadurch, daß der Nebel Substanzen abgab, wurde er immer dünner und dünner. Später, erst viel später ist Luft daraus geworden, und allmählich konnten die Sonnenstrahlen, die früher die Erde selbst nicht erreichen konnten, allmählich konnten sie durchdringen.

Jetzt kam eine Stufe unserer Erde, die wir uns recht vor die Seele stellen wollen. Früher tauchte der Mensch ins Wasser, ragte nur in Nebel heraus; jetzt durch die Verdichtung der Erde nimmt der Wassermensch allmählich die Möglichkeit an, die Form zu verdichten, ein festes Knochensystem anzunehmen. Der Mensch verhärtete sich in sich selber. Dadurch bildete sich der obere Teil des Menschen so um, daß er für das neu Eingetretene geeignet wurde. Das neu Eingetretene, was früher unmöglich war, das war die Luftatmung. Jetzt finden wir eine erste Anlage der Lunge. In dem oberen Teil war früher das, was das Licht aufnahm, das aber nicht weiterdringen konnte.

Jetzt fühlte der Mensch wieder das Licht in seinem dumpfen Bewußtsein. Er konnte das, was da herunterstrahlte, fühlen als göttliche

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Kräfte, die ihm zuströmten. Bei diesem Übergang fühlte er das, was ihm zustrahlte, in zwei Teile sich spalten: die Luft drang selbst in ihn ein, der Hauch der Luft drang in ihn ein, früher drang das Licht nur an ihn, jetzt Luft in ihn. Der Mensch, der das fühlte, mußte sich etwa sagen: Früher fühlte ich die Kraft, die über mir ist, als die Kraft, die mir gab das, was ich jetzt brauche zum Atmen. Licht war mir Atmen. - Was jetzt in ihn einströmte, war ihm wie zwei Brüder; Licht und Luft waren für ihn zwei Brüder. Jetzt war es für ihn eine Zweiheit geworden: Licht und Luft.

Der Erde Lufthauch, der in den Menschen einströmte, war auch zu gleicher Zeit die Ankündigung, daß der Mensch etwas ganz Neues fühlen lernen mußte. Solange Licht allein war, solange kannte der Mensch nicht Geburt und Tod. Früher verwandelte sich die lichtdurchglühte Wolke, und der Mensch fühlte das etwa wie das Wechseln eines Rockes, er fühlte nicht, daß er geboren wurde, nicht, daß er starb, er fühlte sich ewig, Geburt und Tod nur wie Ereignisse. Mit dem ersten Atemzuge trat das Bewußtsein von Geburt und Tod ein: Die Luft, der Lufthauch, der sich abgespaltet hat von seinem Bruder, dem Lichtstrahl - so empfand der damalige Mensch -, der abgespaltet hat dadurch auch die Wesen, die früher mit dem Lichte eingeflossen sind, der hat mir den Tod gebracht.

Wer war es denn, der da machte, daß das Bewußtsein: Zwar habe ich eine finstere Gestalt, doch bin ich verbunden mit dem ewigen Wesen - wer war es denn, der dieses Bewußtsein vertrieb, tötete? Der Lufthauch, der in den Menschen einströmte - Typhon. Typhon heißt der Lufthauch. Und indem die ägyptische Seele in sich das erlebte, was sich so abgespielt hatte, daß sich der früher gemeinsame Strahl spaltete in den Lichtstrahl und den Lufthauch, wurde für diese Seele das kosmische Ereignis ein symbolisches Bild, das sich darstellte als Ermordung des Osiris durch Typhon oder Set, den Windhauch. Ein großes kosmisches Ereignis ist verborgen im ägyptischen Mythos, der den Osiris getötet sein läßt durch Typhon. Der Ägypter fühlte den Gott, der von der Sonne kam und der sich noch vertrug mit seinem Bruder, als Osiris. Typhon war die Atemluft, die dem

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Menschen die Sterblichkeit gebracht hat.
Da sehen wir an einem der prägnantesten Beispiele, wie sich die Tatsachen der Weltentwickelung in der innerlichen Erkenntnis der Menschen wiederholen.

So hat sich abgespielt das Werden der Dreiheit von Sonne, Mond und Erde. Alles das wurde dem ägyptischen Schüler mitgeteilt, in tiefen, tiefen, bewußt geformten Bildern.