Rudolf Steiner (1861-1925):
GA 138 Ägyptische Mythen und Mysterien
7. Vortrag Leipzig, 9. September 1908
Doppelgestalt des Menschen vor der Mondentrennung: unten amphibien-, oben blütenhaft.
Seine Entwicklung von den Füßen aufwärts und ihre Verbildlichung im Tierkreis, beginnend mit dem Sternzeichen der Fische (= Füße).
Skorpion bezeichnet den Moment der Geschlechtertrennung.
Der Osiris-Isis-Traum des ägyptischen Mysterienschülers.
Wir haben in den vorhergehenden Vorträgen eine große Reihe von Tatsachen vor unsere Seele gestellt, die sich auf die Evolution der Erde und des ganzen Sonnensystems im Zusammenhange mit der Natur des Menschen beziehen. Wir haben insbesondere in den letzten beiden Betrachtungen darauf Rücksicht genommen, jene Tatsachen der Sonnen-, Erden- und Mondenentwickelung besonders hervorzuheben, welche ihre Wiederauferstehung gefunden haben in den ägyptischen Mysterien, welche sowohl der Schüler der ägyptischen Mysterien wie auch das ganze ägyptische Volk kennenlernten. Der Schüler lernte in seinem hellseherischen Schauen in der Tat alle die Dinge kennen, die wir angeführt haben und die wir durch unsere heutige Betrachtung ergänzen werden.
Der größere Teil des Volkes, der sich nicht bis zum Hellsehen erheben konnte, der lernte in einem bedeutungsvollen Bilde das kennen, um was es sich da handelte. Dieses Bild, das hingestellt wurde als das wichtigste Bild der ägyptischen Weltanschauung, haben wir schon öfter berührt. Es ist das Bild, das die Osiris- und Isissage einschließt. Wir kennen alle dieses Bild, von dem eigentlich kein Mensch, der etwas weiß, glaubt, daß es etwas Unbedeutendes enthalte. Dieses Bild, das vor ihm hingestellt wurde, war ihm nicht nur ein Bild; und das, was die Isissage in sich einschließt, wird etwa so erzählt:
Es herrschte in früherer Zeit lange noch auf Erden, zum Segen der Menschheit, Osiris, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, welcher später charakterisiert ist in dem, daß die Sonne stand im Zeichen des Skorpion. Da war es, daß der Bruder Typhon oder Set den Osiris tötete. Er tötete ihn in der Weise, daß er ihn veranlaßte, sich in einen Kasten zu legen, welchen er schloß und dem Meere übergab. Isis, die Schwester und Gemahlin des Osiris, suchte ihren Bruder und Gemahl, und als sie ihn gefunden hatte, brachte sie ihn nach Ägypten. Aber da strebte der böse Typhon wieder nach der Vernichtung des Osiris, er zerstückelte ihn. Isis sammelte nun die einzelnen
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Teile und begrub sie an verschiedenen Orten. - Man zeigt auch heute noch in Ägypten verschiedene Osirisgräber. - Dann gebar Isis den Horus, und Horus rächte seinen Vater Osiris an Typhon. Osiris wurde wiederum in die Welt der göttlich-geistigen Wesen aufgenommen, und ist zwar nicht mehr auf der Erde tätig, aber er ist dort für den Menschen tätig, wenn dieser zwischen Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt weilt. Daher stellte man sich auch den Weg des Toten in Ägypten vor als den Weg zum Osiris.
Das ist die Sage, die zu den allerältesten Bestandteilen der ägyptischen Lebensauffassung gehört. Während manches darin sich änderte oder zugefügt wurde, hat diese Osirissage alle Kulte des Ägypterlandes so lange durchzogen, solange überhaupt die ägyptischen Religionsanschauungen gelebt haben.
Nachdem wir uns diese Sage vor Augen geführt haben, in welche gedrängt worden ist dasjenige, was als ein wirkliches Geschehnis in den heiligen Geheimnissen der Mysterienschulen der Schüler schaute, müssen wir wieder den Blick dahin zurückwenden, wo wir gestern schon begonnen haben, uns eine genauere Vorstellung zu machen von dem, was durch den Einfluß der verschiedenen Mondesgestalten im Menschen verursacht worden ist.
Es ist von den achtundzwanzig Nervensträngen gesprochen worden, die wir vom Rückenmark ausgehen sehen, die herrühren von den Konstellationen des Mondes während der achtundzwanzig Tage, die der Mond braucht, um zu seiner gleichen Gestalt zurückzukehren. Wir haben das Geheimnis erforscht, wie durch die kosmischen Kräfte im Menschen diese achtundzwanzig Nervenpaare gebildet worden sind von außen. Und nun bitte ich, folgendes recht wohl zu beachten.
Es soll nun - soweit das möglich ist in einer kurzen Andeutung - mit möglichster Genauigkeit geschildert werden, was der ägyptische Schüler lernte in bezug auf die Entwickelung des Menschen in einem noch weiteren Umfange. Von dieser Schilderung werden einige sagen, welche zu stark angekränkelt sind von der modernen Anatomie: Das ist ja der reine Unsinn vom heutigen Standpunkte aus. - Diese mögen das sagen. Sie sollen sich nur bewußt sein, daß es die Lehre ist, die
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der einzuweihende ägyptische Schüler nicht nur gelernt, sondern auch hellseherisch geschaut hat.
Jetzt spreche ich für diejenigen, die in ihren Empfindungen mitgehen können. Diese Lehre ist nicht nur ein Ergebnis früheren Schauens für den Ägypter in den Mysterien gewesen, sondern auch für den heutigen, modernen Okkultisten gilt das als Wahrheit und nimmt sich genau so aus.
Wir wollen das wiederholen, wovon in den letzten Vorträgen schon gesprochen worden ist, daß, als die Erde im Beginne ihrer Entwickelung war, sie sozusagen ganz aus lauter Menschenkeimen bestand, die den Erdenurnebel bildeten. Sowohl der indische als auch der ägyptische Hellseher konnte geistig heraussprießen sehen aus diesem geistigen Menschenkeim die ganze spätere Menschengestalt. Alles das, was später aus diesem Menschenkeim geworden ist, konnte man dazumal hellseherisch schauen.
Aber man konnte auch zurückschauen auf das, was zunächst vom Menschen, aus dem Menschenkeim heraus entstanden ist. Das erste, was aus diesem Menschenkeim heraus entstand, als die Sonne noch lange mit der Erde verbunden war, das war in der Tat wie eine Art Pflanze, die den Kelch wie nach oben öffnete. Diese Formen erfüllten sozusagen die ganze Erde, indem sie sich aus jenem Urnebel heraus bildeten.
Aber in der allerersten Zeit, in der das entstand, wie eine Blütenkrone sich in den Weltenraum eröffnend, in der allerersten Zeit war diese Krone kaum sichtbar; man hätte sie nur so wahrnehmen können, daß man ihre Nähe gespürt haben würde wie einen kelchartigen Wärmekörper. Es war also zunächst ein Wärmekörper da. [Das reine Wärme-Zeitalter der Erde dürfte der polarische Hauptstufe entsprechen.]
Noch als die Erde mit der Sonne verbunden war, fing das Innere dieses Menschengebildes an aufzuleuchten, und es strahlte Lichtstrahlen in den Weltenraum. [Hiermit dürfte der Beginn der hyperboräische Hauptstufe bezeichnet sein.] Wenn man dazumal als ein mit heutigen Augen sehendes Wesen wahrgenommen hätte, und sich einer solchen Leuchtform genähert hätte, so würde man etwas wie eine funkelnde, leuchtende Kugel, wie eine glitzernde Sonne, welche in glimmernden Strahlen in den Weltenraum funkelte, in regelmäßiger Gestalt gesehen haben.
Kaum wird jemand heute noch ein klares Bild sich machen können von dem, was dazumal war. Er würde das nur können, wenn er dächte, daß unsere Erde bei ganz reiner Luft von lauter Leuchtkäferchen erfüllt
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wäre und diese ihr Licht hinaussendeten in den Weltenraum.
So etwa würde der erste Ansatz vom Menschen in den Weltenraum geleuchtet haben, als die Erde noch mit der Sonne verbunden war. Und nicht nur das war vorhanden, sondern in derselben Zeit ungefähr gliederte sich außen um dieses Kelchgebilde eine Art Gaskörper. Es waren darin viele Substanzen aufgelöst, so wie heute auch im Tier- und Menschenleibe sich flüssige und feste Substanzen finden, die damals aber luftförmig waren.
Bald aber, nachdem dies entstanden war, kamen aus der gemeinschaftlichen Erdenmasse auch noch andere Keime heraus, Keime, welche die erste Anlage wurden zu unserem heutigen Tierreiche. Das Menschenreich war also das erste, dann kamen die Keime, die die Anlage zum Tierreich wurden. Natürlich bestand noch die ganze Erde aus einer Luftmasse, aus leuchtenden und Licht aussendenden Körpern, die in den Weltenraum hineinleuchteten.
Innerhalb dieser Luftmasse kam auch die erste Anlage geschlechtsloser Tiere heraus, welche auf der untersten Stufe des heutigen Tierreiches dazumal standen, und wir werden sehen, daß diese Tiere, die jetzt in ihrer ersten Anlage entstehen, auch eine gewisse Bedeutung für den Menschen erhalten haben.
Es entstanden also die ersten Keimanlagen der Tiere, und es ist uns vor allem wichtig, daß diese Tiere, die da entstanden, die allerdichtesten Gasmassen waren, wie dichte Gaseinschlüsse waren. Diese Tiere entwickelten sich bis zu einer gewissen Höhe herauf durch die verschiedensten Formen; und als die Sonne eben herausgegangen war aus der Erde, da war die höchste Tierform die Fischform, aber nicht die heutige Fischform.
Die Form der damaligen Tiere war eine ganz andere als die der heutigen Fische, aber sie stand auf der betreffenden Stufe der Fische. Diese haben in der Erdenentwickelung das zurückzubehalten in sich, was man werden konnte, als die Sonne noch in der Erde war. Die Erde verdichtete sich nun zu der Wassererde, und die dichtesten Gebilde, die Tiere, schwammen in dieser Wassererde.
Nun trat etwas sehr Eigentümliches ein. Einige dieser Urfischformen blieben Tiere und kümmerten sich sozusagen nicht um den Fortschritt der Evolution. Einige andere waren da, die erhielten ein gewisses Verhältnis zu den Menschengestalten, und zwar folgendes Verhältnis.
In demselben Augenblicke, als die Sonne herausgegangen war aus der Erde, da fing auch die Erde an, sich um ihre Achse zu drehen, so daß sie einmal auf der einen Seite von der Sonne beschienen war, einmal auf dieser Seite unbeschienen war, so daß Tag und Nacht entstand. Dazumal aber waren die Tage und Nächte wesentlich länger als heute.
In der Zeit, als der Mond noch nicht abgespalten war, da gliederte sich jedesmal, wenn ein solches Menschengebilde, das damals wesentlich verdichtet worden war, auf der Sonnenseite war, an diese Gasmasse etwas von einer solchen Tierform unten in der Wassererde an. Es verband sich Mensch- und Tierform so, daß wir oben die Menschenform haben und nach unten die Tierform; so also, daß hinausragte der Sonne zu der obere Teil, der nach unten immer schwächer wurde und an den sich der Tierleib angliederte.
Wir haben also dieses Hinausragen des oberen Teiles über die Wassererde; und dadurch, daß die Sonnenwirkung durch den Blütenmenschen geht, wirkt sie auf die inneren Erden- und Mondenkräfte. Weil hier eine Tierform angegliedert wurde an den Menschenleib, die auf der Höhe der Fischstufe stand, sagte man, die Sonne, die den Menschenleib beschien, stehe im Zeichen der Fische.
Nun fiel ja in der Tat die erste Andeutung dieser Bildung zusammen damit, daß die Sonne auch am Himmelsgewölbe im Zeichen der Fische stand, aber sie ging noch oft hindurch durch dieses Sternbild, bis sich das nächste bildete. Jedoch der Ausgangspunkt zu dieser Bildung war der Zeitpunkt, in dem die Sonne auch am Himmel im Tierkreisbilde der Fische stand. Und von da aus, daß die Wesen auf der Fischstufe sich damals angliederten an den Menschen, bekam das Sternbild den Namen.
Nun geht ja, wie wir wissen, die Entwickelung so vor sich, daß Mond und Erde einen Körper bilden. Jahve blieb bei der Trennung von der Sonne bei der Erde mit den Mondkräften, und zu seinen Dienern gehörte die Göttergestalt, welche die Ägypter als Osiris angesprochen haben.
Bis der Mond aus der Erde herausging, gestaltete sich die Entwickelung in höchst eigentümlicher Weise. Wir wissen, die Erde war eine Wassererde, und die Gestaltung im Wasser erreichte einen immer niedrigeren Grad in der Zeit, bevor der Mond herausging. Als der
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Mond herausging, da stand der Mensch in bezug auf seine niedere Natur auf der Höhe etwa eines großen Molches. Das ist das, was die Bibel die Schlange nennt, was genannt ist Lindwurm oder Drache.
Während der Zeit, als der Mond herausging, hatte sich immer mehr vom Tierreich in die untere Menschenform hineingebildet. Als der Mond herausging, da hatte der Mensch unten eine tierartige, häßliche Gestalt, oben aber waren die letzten Überreste einer Lichtgestalt, in welche die Kräfte der Sonne von außen flossen. Das war den Menschen geblieben, daß die Lichtwesen in sie hineinwirkten. Es bewegte sich schwebend, schwimmend in dem Urmeere der Mensch, der diese eigentümliche Lichtgestalt herausragen läßt aus der Wassererde.
Was war diese Lichtgestalt? Sie hatte sich mittlerweile umgebildet zu einem umfassenden, mächtigen Sinnesorgan. Als der Mond herausging, hatte sich die Umwandlung vollendet. Es war so, daß, wenn der Mensch im Urmeere schwamm, er mit diesem Organ wahrnehmen konnte, wenn irgendein gefährliches Wesen in der Nähe war. Namentlich Wärme und Kälte nahm er damit wahr. Dieses Organ ist später eingeschrumpft; es ist heute die sogenannte Zirbeldrüse. In der damaligen Zeit bewegte sich der Mensch schwebend, schwimmend in der Erdenmasse und bediente sich dieses Organs wie einer Art Laterne. Wir können heute noch bei ganz jungen Kindern eine weiche Stelle am Kopfe finden; das ist die Stelle, wo man etwa zu suchen hätte, von wo das Organ sich herauserstreckte in den Weltenraum.
Es waren immer höhere Tierformen, die der Mensch in sich aufnahm. Und in einem bestimmten Zeitpunkt der Menschengestaltung nannte man das, was aus den Fischen mittlerweile geworden war, weil es im Wasser lebte und weil es den Keim des späteren Menschen in sich hatte, den Wassermann.
Eine noch weitere Gestaltung, die sich herausbildete, war das, was man nennen konnte den Steinbock. Nun ist das Eigentümliche, daß in der Tat das, was dem Menschen in seinen unteren Gliedern entspricht, wirklich dem jeweiligen Sternbild den Namen gab. Die Füße sind tatsächlich die ursprünglichen Fische; die Unterschenkel der Wassermann, das, was eine lange Zeit den Menschen befähigte, sich eine Richtung zu geben beim Schwimmen; die Knie des Menschen finden wir im Zusammenhang mit dem Zeichen
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des Steinbocks. Immer mehr entwickelte sich die Tierheit, und dasjenige, was Oberschenkel geworden war, bezeichnet man als Schütze. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen den Ausdruck erklären wollte.
Wir wollen ein Bild davon geben, wie der Mensch aussah, als die Tierheit dem Schauen entsprach. Da war der Mensch ein Tier, das sich zum ersten Male bewegen konnte auf den Inseln, die sich aus dem Wasser bildeten. Nach oben wurde der Mensch immer feiner, zuoberst blieb tatsächlich die Blütengestalt. Die Gestalt blieb oben erleuchtet von einem Organ, das er wie eine Art Laterne auf dem Kopfe trug.
Man würde sich die damalige Gestalt des Menschen richtig vorstellen, wenn man sie sich oben als ätherisch, unten als tierähnlich vorstellte. In älteren Abbildungen des Tierkreises sieht man noch das Zeichen des Schützen unten als Tierform, oben als Menschenform. Diese Zeichen sind etwas, was wiedergibt die Entwickelungshöhe, auf der der Mensch stand, ebenso wie der Kentaur wiedergibt eine wirkliche Entwickelungsstufe des Menschen: nach unten Pferd, nach oben Mensch. Das Pferd müssen wir nur nicht wörtlich nehmen, sondern als Repräsentant der Tierheit.
Das war das Kunstprinzip in früheren Zeiten; da hat man sich das, was man kunstmäßig bilden wollte, von Hellsehern beschreiben lassen oder selbst gesehen. Auch waren Künstler selbst Eingeweihte. Man sagt, Homer war ein blinder Seher, das heißt, daß er ein Hellseher war. Er konnte zurückschauen in die Akasha-Chronik. Der blinde Seher Homer war viel sehender, im geistigen Sinne, als die übrigen Griechen.
Der Kentaur ist also eine wirkliche Menschenform. Als der Mensch so aussah, war der Mond noch nicht aus der Erde heraus, da war die Mondenkraft selbst noch in der Erde. Da war im Menschen noch vorhanden, was früher sich gebildet hatte während der Sonnenzeit: die leuchtende Zirbeldrüse, die er damals wie eine Art Laterne auf dem Kopfe trug.
Als dann der Mond aus der Erde herausging, da trat die Geschlechtlichkeit ein. Der Kentaurmensch war noch ungeschlechtlich. Die Geschlechtlichkeit, die eintrat, die trat ein, als die Sonne stand im Zeichen des Skorpions, und man bringt daher die Sexualität im Menschen in Beziehung zu dem Zeichen des Skorpions.
Der Skorpion
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ist das, was bei der Tierheit der Entwickelungshöhe entsprach, als der Mensch bis zur Sexualität entwickelt war. Der Mensch war in seiner oberen Hälfte den kosmischen Kräften zugewendet, in der unteren Hälfte aber war er als zweigeschlechtliches Wesen vorhanden. Der Mensch war Geschlechtsmensch geworden.
Wenn nun der hellsehende Schüler der ägyptischen Mysterien sein Auge auf diese Zeit der Erdenentwickelung richtete, dann sah er die Erde bevölkert von Menschen, die nach unten eine dichter werdende Leibesform herausbildeten, ihrer niedrigen Natur entsprechend, und die nach oben aber eine lichte Menschengestalt hatten.
Dann begann die Zeit, in der sich eingliederten durch die Kräfte des Mondes längs derjenigen Gegend, die das Rückgrat ausmacht, die Nervenstränge. Die Bildung über dem Rückgrat, die heutige Kopfgegend, war auch verdichtet worden und hatte sich umgebildet zum menschlichen Gehirn: das war das ganz umgebildete Leuchtorgan. Daran gliederte sich das Rückgrat, von dem die Nervenstränge ausgingen, und an dieses gliederte sich der niedere Mensch, wie er beschrieben worden ist. Das zeigte sich dem ägyptischen Schüler, und es wurde ihm klar, daß, welche Wesenheit auch immer sich verkörpern wollte auf der Erde, sie die entsprechende Menschengestalt annehmen mußte.
Osiris hat als Geist oft die Erde besucht und sich als Mensch verkörpert. Die Menschen empfanden dann: Ein Gott ist herabgekommen - aber er hatte dann Menschengestalt. Jede hohe Wesenheit, die die Erde besuchte, war in der Gestalt, die der Mensch jeweilig hatte. Damals war die Menschengestalt so beschaffen, daß man noch jenen Leuchtkörper sah, jenen merkwürdigen Kopfschmuck, die Laterne des Osiris, die bildlich als das merkwürdige Polyphemauge bezeichnet worden ist. Das ist jenes Organ, jene Laterne, die erst außerhalb des Menschenleibes war, die dann zu einem inneren Organ im Gehirn sich umbildete. Alles in der ursprünglichen Kunst ist Symbol für tatsächliche Gestalten.
Als die griechischen Eingeweihten bekannt wurden mit diesen Geheimnissen der Ägypter, hatten sie auch schon manches erfahren: im Grunde dasselbe wie der ägyptische Eingeweihte. Sie benannten es nur in ihrer Sprache anders. Die Eingeweihten der Ägypter hatten die
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hellseherischen Gaben in einem hohen Maße ausgebildet, so daß viele ihrer Schüler in jene uralten fernen Zeiten hellseherisch zurückblicken konnten.
Der ägyptische Eingeweihte hatte einen ursprünglichen Zusammenhang mit jenen Geheimnissen; daher kam es auch, daß dem ägyptischen Eingeweihten griechische Priester wie kindliche Stammler vorkamen. Bezeichnend ist daher das Wort, das einst ein ägyptischer Priester, der mit Solon zusammentraf, aussprach, indem er sagte: O Solon, Solon, ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, einen alten Hellenen gibt es nicht! Jung seid ihr alle im Geiste, denn ihr habet in demselben keine auf vieljährige Überlieferung gegründete alte Ansicht, noch irgendeine durch die Zeit ergraute Kunde.
So wies der Ägypter darauf hin, daß die ägyptische Weisheit hoch erhaben darüberstand über dem, was materiell erfahren werden kann.
Nur in den eleusinischen Mysterien war man ebensoweit, aber es hatten nur wenige Teil daran. Aber was für jene Strecken der Erdenentwickelung der ägyptische Eingeweihte sah: daß sich der Gott Osiris von der Sonne getrennt hatte und auf den Mond gegangen war und von dorther das Sonnenlicht zurückstrahlte - das, was dieser Gott tut, das war auch den Griechen heilig. Auch sie wußten, daß dieser Gott Osiris es ist, der die achtundzwanzig Mondesgestalten bildet und dadurch die achtundzwanzig Nervenstränge im Menschen veranlagt.
Durch Osiris wird das Nervensystem gebildet am Rückenmark herunter und dadurch der ganze menschliche Oberkörper geformt. Denn das, was als Muskel entsteht, kann seine Form nur erhalten dadurch, daß die Nerven die Bildner sind. Alles nun, was da ist an Muskeln, Knorpeln, an anderen Organen, wie Herz und Lunge, alle diese erhalten ihre Form nur durch die Nerven. So ist durch die frühere Sonnentätigkeit entstanden, was sich gebildet hat als Gehirn und Rückenmark, und an diesem Rückenmark arbeiten von außen die achtundzwanzig Gestalten des Osiris und der Isis. Also sind Osiris und Isis ihre Bildner, und indem das Gehirn seine Fühlfäden heruntersendet in das Rückenmark, da bearbeitet Osiris das Rückenmark.
Das empfanden auch die Griechen, und die Griechen erkannten, als sie bekannt wurden mit den ägyptischen Mysterien, daß Osiris derselbe Gott war wie der, den sie Apollo nannten. Sie sagten, der ägyptische Osiris ist
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Apollo, und wie er an den Nerven tätig war, damit im Inneren des Menschen das Seelenleben bewirkt wurde, so tut es unser Apollo.
Und nun nehmen wir uns skizzenhaft diese Gestaltung heraus. Denken wir uns das Gehirn schematisch gezeichnet: das setzt sich fort ins Rückenmark, da greifen ein die achtundzwanzig Hände des Osiris, da spielt der Osiris mit seinen achtundzwanzig Armen in dem, was als Rückenmark vom Gehirn sich herunterzieht, wie auf einer Leier. Die Griechen gaben davon ein bedeutungsvolles Bild: das ist die Leier des Apollo.
Man braucht sich das bloß umgekehrt zu denken. Die Leier ist das Gehirn, die Nerven sind die Saiten, in welche die Hände des Apollo eingriffen. Apollo spielt auf der Weltenleier, auf dem großen Kunstwerke, das der Kosmos gebildet hat, und läßt im Menschen erklingen die Töne, die sein Seelenleben ausmachen. Das war für die eleusinischen Eingeweihten das, was die Ägypter in ihren Bildern gegeben haben.
Aus einem solchen Bilde können wir ersehen, daß diese nicht schematisch gedeutet werden dürfen, sonst würde man nur etwas hineinphantasieren. Denn man wird in der Regel erleben, daß die Bilder in der Tat viel tiefer sind als das, was man irgendwie durch den Verstand hineinträumen kann. Wenn der griechische Hellseher von Apollo sprach, dann hatte er das Geheimnis des Osiris-Apollo und des Menschheitsinstrumentes vor sich. Und Osiris stand vor dem ägyptischen Schüler, wenn er eingeweiht wurde in die Geheimnisse des Erdendaseins.
So müssen wir uns sagen, daß diese Symbole, daß diese Bilder, die uns erhalten sind, welche das charakterisieren, was aus den Urgeheimnissen entnommen ist, daß all die Ausdrücke der Urgeheimnisse viel mehr bedeuten als etwas, was man mit dem Verstande deuten kann. Gesehen wurde diese Leier, gesehen wurden die Hände des Apollo. Und daß wir jedes Symbolum auf irgendein wirkliches Gesicht, auf eine reale Schauung zurückführen, darauf kommt es an, das ist das Wesentliche. Denn es gibt kein Symbol, keine Legende, die nicht geschaut worden wäre.
Der ägyptische einzuweihende Schüler konnte erst nach langer, langer Zeit zu solchen Geheimnissen dringen. Der Schüler wurde erst durch eine ganz bestimmte Lehre vorbereitet, die eine ähnliche war
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wie unsere elementare Theosophie. Dann wurde er erst zu den eigentlichen Übungen zugelassen. Da erlebte er Zustände einer Art Ekstase, die noch kein eigentliches Hellsehen war, aber die mehr war als ein Traum. In ihr sah er das, was er später im Bilde sehen sollte. Wahrhaftig, dieses Hinausgehen des Mondes und mit ihm des Osiris, dieses Arbeiten desselben vom Monde aus auf die Erde herunter, das sah der Schüler als gewaltigen lebendigen Traum. Er träumte in der Tat die Osiris-Isislegende. Jeder Schüler träumte diesen Osiris-Isistraum.
Er mußte ihn träumen. Hätte er ihn nicht geträumt, er hätte nicht zur Anschauung der wahren Tatsachen kommen können. Durch das Bild, durch die Imagination, mußte der Schüler hindurchgehen. Die Osiris- und Isislegende wird innerlich durchlebt. Diese ekstatische Seelenverfassung war eine Art Vorstufe zum wahren Schauen, das Vorspiel zum Schauen dessen, was sich in der geistigen Welt abspielt. In der Akasha-Chronik konnte der Schüler das, was heute beschrieben wurde, nur lesen, wenn er in einen so hohen Grad eingeweiht war, wie wir es heute nur angedeutet haben, und von dem wir morgen weiter reden wollen. Dann wollen wir auch von den anderen Bildern des Tierkreises und ihrer Bedeutung sprechen.