Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 105 Welt, Erde und Mensch

2. Vortrag Stuttgart, 5. August 1908

Heilung während des ägyptischen Tempelschlafes durch Anschauung der Verhältnisse vor der Erde-Mond-Trennung; heute durch Einübung in sinnlichkeitsfreie Vorstellungen, durch die apokalyptische Weisheit der Anthroposophie.

Wir werden uns am besten hineinfinden in unser Thema mit dem weiten Horizont, den wir uns gestellt haben, wenn wir versuchen, uns zuerst einmal eine intimere Vorstellung zu bilden von den beiden Gegensätzen, die zunächst für uns in Betracht kommen, wenn wir Welt und Erde miteinander in Beziehung setzen. Diese beiden Gegensätze sind: das Geistig-Seelische und das Physisch-Materielle. Wir wollen versuchen, sie an einer Erscheinung zu erörtern, die für den heutigen Menschen mehr oder weniger rätselhaft ist und die uns gerade aus der alten ägyptischen Weltanschauung und Lebensführung entgegentritt in dem sogenannten Tempelschlaf.

Der Tempelschlaf liegt ja der anderen eigentümlichen Tatsache zugrunde, daß bei den ägyptischen Priesterweisen, und überhaupt in der alten Kultur der Menschheit, die Weisheit in innigem Zusammenhange mit der Heilkunst, mit der Gesundheit gedacht wurde. Von den innigen Beziehungen zwischen Weisheit und Gesundheit, zwischen Wissenschaft und Heilkunst macht sich der heutige Mensch gegenüber jenen alten Vorstellungen doch nur einen sehr schwachen Begriff; und es wird die Aufgabe der Geisteswissenschaft sein, die Menschheit wiederum hinzuweisen auf jenen Begriff des Geistigen, durch den Weisheit und Heilkunst und Gesundheit wieder in einen näheren Zusammenhang gebracht werden.

Wir erinnern uns dabei auch an etwas, das an allerlei Ausführungen anklingt, die wir gestern gemacht haben. Wir erinnern uns dabei jener alten Gestalt, an die wir denken mußten, als wir uns das Bild der Madonna mit ihrem Kinde, so wie Raffael es in der Sixtinischen Madonna gemalt hat, vor die Seele stellten, wir erinnern uns der Isis mit dem Horuskinde. Es ist die Göttin, deren Tempel die Aufschrift trug: «Ich bin, die da war, die da ist, die da sein wird - meinen Schleier kann kein Sterblicher lüften.»

Diese Göttin wurde in einen geheimnisvollen Zusammenhang mit aller Heilkunst gebracht, sie wurde geradezu als die Lehrerin der ägyptischen Priester in bezug auf die Heilkunst betrachtet. Und eine merkwürdige Rede führte man noch in den letzten Zeiten

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des Altertums von jener Isis; in dieser Rede werden wir darauf aufmerksam gemacht, daß Isis sich noch in der Zeit, in der sie unter die Unsterblichen versetzt wurde, für die Heilkunst, für die Gesundheit der Menschen besonders interessiert hat. Das alles deutet auf sehr geheimnisvolle Zusammenhänge hin.

Nun müssen wir mit einigen Strichen uns einmal das Wesen des Tempelschlafs, der zu den Heilmitteln der ägyptischen Priester gehörte, vor die Seele stellen. Derjenige, der in irgendeiner Weise an seiner Gesundheit Schaden gelitten hatte, wurde in der Regel nicht mit äußeren Heilmitteln behandelt in jenen Zeiten; es gab deren überhaupt nur wenig, und nur in seltenen Fällen wurden sie angewendet. Dagegen wurde der Betreffende in den meisten Fällen in den Tempel gebracht und dort in eine Art Schlaf versetzt. Es war das aber kein ge­wöhnlicher Schlaf, sondern eine Art von somnambulem Schlaf, der so gesteigert war, daß der Betreffende fähig wurde, nicht nur chaotische Träume zu haben, sondern regelrechte Gesichte zu sehen. Er nahm während dieses Tempelschlafes ätherische Gestalten in der geistigen Welt wahr, und die Priesterweisen verstanden die Kunst, auf diese ätherischen Bilder des Menschen einzuwirken; sie konnten sie lenken und leiten.

Nehmen wir an, ein solcher Kranker wurde in den Tempelschlaf versetzt. Der heilkundige Priester war an seiner Seite. Wenn der somnambule Schlaf eingetreten war, so daß der Kranke also in einer Welt von ätherischen Gestalten lebte, dann lenkte der Priester durch die Macht, die ihm durch seine Einweihung innewohnte und die nur in jenen alten Zeiten möglich war, wo noch Daseinsbedingungen herrschten, die heute gar nicht mehr oder doch nur ganz selten vorhanden sind, da lenkte er durch diese Macht, durch diese Kräfte den ganzen Schlafzustand. Und er formte und gestaltete die ätherischen Gesichte und Wesenheiten so, daß tatsächlich wie durch einen Zauber vor dem Schlafenden die Gestalten auftauchten, die einst der alte Atlantier als seine Götter gesehen hatte.

Solche Göttergestalten, an die die verschiedenen Völker nur noch eine Erinnerung bewahrt haben, zum Beispiel in der germanischen, der nordischen und auch in der griechischen Mythologie, besonders aber bestimmte Gestalten, die mit dem heilenden Prinzip verbunden waren, wurden nun vor die Seele dessen

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gestellt, der sich im Tempelschlaf befand. Wäre der Mensch bewußt geblieben wie in seinem Tagesbewußtsein, so wäre niemals die Möglichkeit vorhanden gewesen, solche Kräfte auf ihn wirken zu lassen; das war nur in einem solchen somnambulen Schlaf möglich. Die Priesterweisen lenkten das Traumleben also, daß starke Kräfte in diesem ätherischen Anschauen entfesselt wurden, und diese Kräfte wirkten ordnend und harmonisierend auf die in Unordnung und Disharmonie gebrachten Leibeskräfte. Bei diesem herabgestimmten Ich-Bewußtsein war das möglich.

Der Tempelschlaf hatte also eine sehr reale Bedeutung. Aber wir sehen nun auch, warum eigentlich diese heilende Wirkung der Priesterweisen in solchen Zusammenhang mit der Weisheit gebracht wurde, die den Menschen nur durch ihre Einweihung zuteil werden konnte. Dieser Zusammenhang liegt klar vor uns. Die Priesterweisen waren es ja, die durch Wiederbelebung des alten Hineinschauens in die höheren Welten gerade in ihrer Weisheit die höheren Kräfte hatten, die aus dem Geistigen strömten, wo Geistiges auf Geistiges wirken konnte. So bekamen sie die Fähigkeit, Geistiges auf Geistiges wirken zu lassen, und dadurch kam die Weisheit überhaupt in jenen innigen Zusammenhang mit dem Gesundheitsleben.

In diesem Sich-Hinaufheben zum Geistigen war in alten Zeiten ein gesundendes Element, und es wäre gut, wenn die Menschen so etwas wieder verstehen lernten, denn dann würden sie auch die große Mission der anthroposophischen Bewegung verstehen lernen. Was ist sie denn anderes, diese Mission, als den Menschen hinaufzuführen in die geistigen Welten, daß er wieder hineinschauen kann in die Welten, aus denen er heruntergestiegen ist! Zwar wird in zukünftigen Zeiten kein somnambuler Schlaf über die Menschen verhängt werden, das Selbstbewußtsein wird voll aufrechterhalten bleiben, aber dennoch wird die starke spirituelle Kraft wirksam werden in der Menschennatur, und dann wird der Besitz von Weisheit und Einsicht in die höheren Welten wiederum etwas sein, was ordnend und gesundend auf die Menschennatur einwirken kann.

Heute liegt dieser Zusammenhang des Geistigen mit dem Heilenden so verborgen, daß die Menschen, die nicht in irgendeiner Weise in die tiefere Mysterienweisheit eingeweiht sind, nicht viel davon wissen; sie können eben die feinen Tatsachen, die vorliegen, gar

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nicht beobachten. Wer aber tiefer hineinschauen kann, der weiß, von welchen tief innerlichen Bedingungen eine Heilung abhängen kann.

Nehmen wir zum Beispiel an, ein Mensch wird von einer gewissen Krankheit befallen, von einer Krankheit, die innere Ursachen hat, nicht also etwa Schenkelbruch oder verdorbener Magen, denn dabei handelt es sich auch um äußere Ursachen. Jeder, der tiefer in diese Dinge eindringen will, wird sehr bald einsehen, daß bei einem Menschen, der sich viel und gern mit mathematischen Vorstellungen be­schäftigt, ganz andere Bedingungen der Heilung vorhanden sind als bei einem anderen, der sich nicht damit beschäftigen mag.Das ist eine Tatsache, die Sie darauf hinweist, welch ein merkwürdiger Zusammenhang besteht zwischen dem geistigen Leben eines Menschen und dem, was die Bedingungen seiner äußeren Gesundheit sind.

Natürlich ist das nicht so, als ob das mathematische Denken den Menschen heilte. Wir müssen das genauer erfassen: andere Bedingungen der Heilung sind notwendig bei einem Menschen, der mathematische Vorstellungen aufnehmen kann, als bei einem, der es nicht tut. Setzen wir den Fall, zwei Menschen seien von der ganz gleichen Krankheit befallen. In Wirklichkeit kommt das ja nicht vor, aber als Hypothese können wir es ja hinstellen. Der eine will nichts wissen von mathematischen Vorstellungen, der andere beschäftigt sich intensiv damit. Es könnte dann der Fall ein­treten, daß es ganz unmöglich wäre, den Nichtmathematiker gesund zu machen, während Sie den anderen mit den entsprechenden Mitteln heilen können. Das ist ein ganz realer Fall.

Ein anderes Beispiel: Es liegen wieder ganz andere Gesundheitsbedingungen vor bei zwei Menschen, von denen der eine ein Atheist im schlimmsten Sinne und der andere ein tief religiös veranlagter Mensch ist. Wieder kann es geschehen, daß, wenn beide von derselben Krankheit befallen werden, Sie mit denselben Heilmitteln den religiösen gesund machen und den anderen nicht. Das sind Zusammenhänge, die dem heutigen Denken - wenigstens bei dem größten Teil der Menschheit - geradezu absurd erscheinen. Und dennoch verhält es sich so.

Woher kommt das? Das beruht darauf, daß ein ganz anderer Einfluß auf die menschliche Natur ausgeübt wird von den sogenannten sinnlichkeitsfreien und von den sinnlichkeitserfüllten Vorstellungen.

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Denken Sie sich einmal den Unterschied zwischen einem Menschen, der die Mathematik haßt, und einem, der sie liebt. Der eine sagt: Das alles soll ich mir denken? Ich will aber nur das haben, was ich äußerlich mit meinen Sinnen anschauen kann! - Es ist jedoch für das innerste Wesen des Menschen von großem Nutzen, in Vorstellungen zu leben, die man nicht anschauen kann; und ebenso ist es nützlich, in religiösen Vorstellungen zu leben, denn auch diese beziehen sich auf Dinge, die man eben nicht mit den Händen greifen kann, die sich nicht auf Außeres, Materielles beziehen, die mit einem Wort sinnlichkeitsfrei sind. Das sind Dinge, die einst, wenn man wieder mehr auf das Spirituelle sehen wird, einen großen Einfluß auf pädagogische Prinzipien haben werden.

Nehmen wir zum Beispiel die einfache Vorstellung drei mal drei ist neun. Am besten bilden sich die Kinder eine solche Vorstellung, wenn es sinnlichkeitsfrei geschieht. Es ist nicht gut, wenn sie zu lange drei mal drei Bohnen nebeneinander legen, denn dann kommen sie gar nicht über die sinnliche Vorstellung hinaus. Wenn Sie aber die Kinder daran gewöhnen, vielleicht zuerst, aber nicht zu lange, an den Fingern abzuzählen, dann es aber mit dem reinen Denken mathematisch zu verfolgen, dann wirkt diese Vorstellung gesundend und ordnend auf die Kinder. Wie wenig die jetzige Zeit von solchen Dingen versteht, das sehen wir daran, daß gerade in der Pädagogik das Gegenteil geschieht. Ist nicht in unsere Schulen die Rechenmaschine eingezogen, wo an allerlei Kugeln die Addition, Subtraktion und so weiter für das sinnliche Auge klargemacht werden soll?

Das, was bloß im Geiste erfaßt werden sollte, will man, wie man sagt, auf diese Weise sinnlich veranschaulichen. Das mag bequem sein, aber wer das für pädagogisch hält, weiß nichts von jener tieferen Heilpädagogik, die in der Kraft des Geistigen wurzelt. Einen Menschen, den Sie von Kindheit auf daran gewöhnt haben, in sinnlichen Vorstellungen zu leben, werden Sie, weil sein Nervensystem unter krankhaften Bedingungen lebt, nicht so leicht heilen können wie denjenigen, der von seiner Jugend auf an sinnlichkeitsfreie Vorstellungen gewöhnt ist. Je mehr Sie den Menschen daran gewöhnen, abgesehen von den Dingen zu denken, desto leichter wird es sein, ihn zu heilen.

Daher war es unter den alten Traditionen immer üblich, allerlei symbolische Figuren,

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Dreiecke, Zahlenkombinationen zu geben; das hatte den Zweck, neben dem übrigen Wert, den diese Dinge hatten, den Menschen zu erheben von dem bloßen Anschauen dessen, was aufgezeichnet ist. Wenn ich ein Dreieck vor mich hinstelle und es bloß anschaue, so hat das keinen besonderen Wert. Wenn ich dagegen in ihm die Symbolisierung der höheren Dreiheit des Menschen erfasse, so ist das eine für den Geist gesundende Vorstellung.

Und nun denken Sie sich, daß die Geisteswissenschaft den Menschen zur Anschauung des Geistigen führen wird. Wir werden hingelenkt von dem, was sich auf der Erde abspielt, zu dem, was sich auf der alten Sonne, dem Monde, dem Saturn abgespielt hat. Mit physisch-sinnlichen Augen können Sie heute die Ereignisse von damals nicht sehen, nicht mit Sinneshänden hinaufgreifen zum alten Mond, zur alten Sonne. Aber wenn Sie ohne Zuhilfenahme der äußeren sinnlichen Krücken sich hinauflieben zu den Dingen, die da einst waren, dann eignen Sie sich Vorstellungen an, die ausgleichend und harmonisierend auf Ihr ganzes Leben einwirken, auch auf das leibliche. Daher wird die Geisteswissenschaft wieder ein großes, umfassendes Heilmittel sein, wie sie es einst war in der Handhabung der alten ägyptischen Priester, die allerdings eine Herabstimmung des Ichs dazu benötigten, wie sie im Tempelschlaf ausgeübt wurde. Die spirituelle Weltanschauung ist eine gesundende Weltanschauung.

Freilich wird da mancher einwenden: Sind denn die Anthroposophen lauter gesunde Menschen, sind unter ihnen nicht auch Kranke? Wir müssen uns darüber klarwerden, daß der einzelne Mensch im Grunde genommen sehr wenig für seine Gesundheit und Krankheit kann. Ein großer Teil der Krankheitsursachen liegt außerhalb der einzelnen Persönlichkeit. Sie können heute die gesündesten Begriffe haben, die, wenn Sie unter ganz gesunden Bedingungen leben würden, Sie niemals von innen heraus krank werden ließen; aber es gibt andere Ursachen, die nicht in der Macht des individuellen Menschen von heute liegen, zum Beispiel die geheimen Ursachen von Vererbung, des Einflusses von Mensch zu Mensch, des Einflusses einer unnatürlichen Umgebung und so weiter. Das alles sind Dinge, die in geheimnisvoller Art äußere Krankheitsursachen sind; sie alle können nur durch eine gesunde anthroposophische Denkweise im Laufe der Zeiten beseitigt werden.

Aber

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wenn man auch sieht, daß heute selbst die innerlich gesündesten Menschen krank, sogar schwer krank werden können, so darf man dennoch darin nicht ein Zeugnis dafür erblicken, daß die Geisteswissenschaft nicht im Laufe der Jahrhunderte - und ich sage Jahrhunderte, nicht Jahrtausende - gesundend auf die Menschheit wirken werde. Oh, es steht vor dem Blicke des Geist-Erkennenden eine Zukunft, wo es innere Krankheitsursachen nicht geben wird für diejenigen, die die inneren und äußeren Bedingungen spiritueller Weisheit herbeiführen. Äußere Ursachen wird es immer geben, die können nur dadurch beseitigt werden, daß eine im geisteswissenschaftlichen Sinne gehaltene Heilkunst immer mehr und mehr Platz greift. Wir sehen: wenn wir die Wirkung des Geistigen richtig verstehen, dann ist der Tempelschlaf nichts Rätselhaftes für uns.

Was also wurde in den ätherischen Gesichten als eine gesundheitlich wirkende Macht vor den Tempelschläfer gezaubert? Die Bilder der atlantischen Götter, die wir selbst als ätherische Gestalten kannten, unter denen die Menschen einst lebten, wenn sie außerhalb ihrer physischen Leiber waren und sich im ätherischen Hellsehen befanden.

Und wenn wir nun noch weiter in der Menschheitsentwickelung zurückgehen, weit hinter die atlantische Zeit zurück, dann gelangen wir in eine Zeit, wo der Mensch erst das wurde, was er heute ist, wo der Mensch erst eintrat in die individuelle Persönlichkeit, die er heute hat. Wir nennen diese Zeit die lemurische Zeit.

Der atlantische Kontinent, von dem aus sich die Völker nach Afrika, Europa, nach Asien hin verbreiteten, ging zugrunde durch gewaltige Wasserkatastrophen. Die Lemuria, jener Erdteil, auf dem die Menschheit vor der atlantischen Zeit wohnte, ging zugrunde durch Feuergewalten, durch vulkanische Katastrophen. In der lemurischen Zeit aber war es, wo der Mensch zum ersten Male überhaupt sein Ich-Bewußtsein erworben hat. Ein gewaltiger Einschnitt in der Menschheitsentwickelung war das. Wodurch erlangt der Mensch sein Ich-Bewußtsein?

Es ist im allgemeinen für das heutige materialistische Denken schwer, sich diesen alten Zustand der Menschheit vorzustellen. Wenn Sie sich den damaligen Menschen so vorstellen würden, wie er heute ist, das heißt mit Fleisch und Blut, Knochen und Muskeln, dann würden Sie eine ganz falsche Vorstellung

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haben. Der Mensch von damals hatte eine weit flüchtigere, weichere Gestalt; fast flüssig war alles. Das, was später zu Muskeln und Knochen geworden ist, hat sich erst im Laufe der Zeiten verhärtet.

Wir kommen da in eine Zeit zurück, wo noch eine ganz andere Art der Menschheitsfortpflanzung war. Der Mensch lebte damals mehr in der Umgebung der Erde, die aber nicht wie heute reine Luft war, sondern die mit allerlei Dämpfen angefüllt war. Als eine wahre Luftgestalt lebte der Mensch da, und es zogen die äußeren Strömungen ein und aus. Es war tatsächlich beinahe so, als ob wir heute eine Wolke ansehen, die fortwährend ihre Gestalt ändert, nur etwas fester und bestimmter war die Gestalt des einstigen Menschen.

Damals trat auch zuerst das ein, was wir heute als die Geschlechter bezeichnen; es wurde in jenen Zeiten innerhalb des Menschengeschlechtes eine alte ungeschlechtliche Fortpflanzungsart ersetzt durch eine geschlechtliche. Das liegt allerdings Millionen und Millionen von Jahren zurück vor der gegenwärtigen Zeit.

Mit der geschlechtlichen Fortpflanzung trat erst die Einverleibung des Ichs im ersten Keime in die Menschheit ein. Früher wurde der Mensch noch durch ganz andere Einflüsse dazu angeregt, seinesgleichen aus sich hervorgehen zu lassen; durch äußere Einflüsse wurde er dazu veranlaßt, durch Einflüsse, die in der Sphäre um ihn herum lagen. Das war die Fortpflanzung jener Zeit, wo der Mensch noch nicht sein Ich hatte, wo er noch mit einem dumpfen, hellseherischen Bewußtsein ausgestattet war, wo er sozusagen noch ganz im Schoße der Gottheit ruhte. Er konnte nicht sagen «ich bin».

Was er empfand, war etwa folgendes: Er sah, daß, wenn er irgend etwas tat, es einen Eindruck auf seine Umgebung machte, und er fühlte sein Dasein in seiner Umgebung. Er konnte nicht sagen: Ich bin da -, sondern er sagte: Meine Umgebung läßt mich da sein. - Er lag im Schoße der lebendigen Erde, und die lebendigen Erdenkräfte strömten aus und ein. Damals gab es noch keine ungesunden Kräfte, da gab es noch nicht Krankheit, nicht einmal Tod in unserer heutigen Auffassung. Erst als dem Menschen mit der geschlechtlichen Fortpflanzung sein Ich ausgeliefert wurde, da erst zogen Krankheit und Tod in die Menschheit ein.

Wenn wir das alles uns richtig vorstellen, dann müssen wir sagen: Damals wurde das Menschenwesen

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nicht von seinesgleichen befruchtet, sondern so, wie es heute atmet, so nahm es damals die Stoffe aus seiner Umgebung in sich auf; und in dieser Umgebung waren die Kräfte der Befruchtung enthalten.
Was da eindrang, das befruchtete ihn, das veranlaßte ihn, seinesgleichen hervorzubringen. Und das waren gesunde Kräfte im Menschen selber und in dem, was er als seinesgleichen hervorbrachte. Die alten ägyptischen Priester aber wußten das, und sie sagten sich: Je weiter man das Anschauen der Menschen zurücklenkt in frühere Zustände, desto mehr bringt man ihn in die Bedingungen, wo es keine Krankheiten gibt.

Schon das Anschauen der alten atlantischen Göttergestalten konnte gesundend wirken, mehr aber noch war das der Fall, wenn die Priester die Gesichte so lenkten, daß der Tempelschläfer jene uralten Menschengestalten vor sich hatte, die noch nicht von ihresgleichen befruchtet wurden, die aus der Umgebung heraus ihre Befruchtung erhielten. Da stand vor dem im Tempelschlaf liegenden Kranken die Gestalt der Gebärerin ihresgleichen ohne die Befruchtung von ihresgleichen. Da stand vor ihm die hervorbringende Frau, die Frau mit dem Kinde, die da jungfräulich ist, die Göttin, die in jener lemurischen Zeit eine Genossin der Menschen war, und die mittlerweile dem Blick der Menschheit entschwunden ist. Die nannte man die heilige Isis im alten Ägypten.

Die Menschheit konnte diese Isis normalerweise nur damals sehen, als der Tod noch nicht eingezogen war; da waren die Menschen in normalem Bewußtseinszustande Genossen solcher Gestalten, die sie umschwebten und die ihresgleichen auf jungfräuliche Art hervorbrachten. Und als die Isis nicht mehr die sichtbare Genossin der Menschheit war, als sie in den Kreis der Götter entrückt wurde, da interessierte sie sich immer noch aus der geistigen Welt heraus für die Gesundheit der Menschen, so sagten die Priester. Und wenn man den Menschen in abnormer Weise, wie im Tempelschlaf, zu einer Anschauung jener alten Gestalten, jenes heiligen Isisbildes brachte, dann wirkte die Göttin immer noch gesundend, denn sie ist das Prinzip im Menschen, das da war, bevor die sterbliche Hülle den Menschen umgab. Ihren Schleier hat kein Sterblicher gehoben, denn sie ist die Gestalt, die da war, als der Tod überhaupt noch nicht in die Welt gekommen war. Sie ist das im Ewigen Wurzelnde, sie ist die große heilende Wesenheit, die die

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Menschheit wieder erringen wird, wenn sie sich aufs neue vertiefen wird in die spirituelle Weisheit.

So sehen wir, was geblieben ist in jenem wunderbaren Symbolum der jungfräulichen Mutter mit dem Kinde, die sich im Madonnenbilde, wir können es auf geisteswissenschaftlichem Boden mit aller Kraft sagen: in dem gesundend wirkenden Madonnenbilde erhalten hat. Denn das Madonnenbild ist - in jenen Grenzen, die erörtert worden sind - ein Heilmittel. Wenn es so behandelt wird, daß die menschliche Seele noch eine Nachwirkung hat, wenn sie im Schlafe liegt und etwa träumen kann von diesem Madonnenbilde, dann hat dieses auch heute noch eine heilende Kraft.

Und nun fragen wir uns: Wo lagen denn in jener Zeit, als das Menschenwesen noch nicht von seinesgleichen befruchtet wurde, wo lagen denn da die befruchtenden Kräfte?

Stellen Sie sich unsere Erde vor als einen festen Kern, umgeben von allerlei zähflüssigen, brodelnden Substanzen, Wasserdämpfen, und darinnen halbwässerige Bildungen, darinnen den lemurischen Menschen. Dieser Erdkörper wird bestrahlt von der Sonne, die damals noch kein menschliches Auge wahrnehmen konnte, weil die Sinnesorgane noch nicht entwickelt waren. Aber diese Sonne wirkt durch die Nebel- und Wolkenhülle hindurch, und mit der Kraft der Sonnenstrahlen nimmt die Erde auch die Befruchtungskräfte auf.

Das also, was die Menschenwesen einsaugen, das fließt der Erde von den unsichtbaren geistigen Sonnenwesenheiten zu. So haben wir eine Erde, die außen beschienen wird von der Sonne, die der Mensch noch nicht sehen kann, diese Erde wird aber nicht nur von den Kräften der Wärme bestrahlt, sondern zu gleicher Zeit von derselben Kraft, die heute in der Befruchtungskraft lebt. So haben wir Sonne und Erde miteinander in Beziehung. Diese Kraft, die da auf jene ungeschlechtlich sich fortpflanzenden Menschengestalten wirkt, empfand man als eine männliche Kraft, sie war ausgegossen als ein Produkt der Sonne über die ganze Erde. So waren die Verhältnisse in der allerersten lemurischen Zeit.

Und dann schreiten wir in eine Zeit zurück, in welcher wiederum ganz andere Verhältnisse herrschten, in eine urferne Vergangenheit, wo noch verbunden war der heute abgespaltene Sonnenkörper mit unserer

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Erde. Denn einst war unsere Erde und die Sonne ein Leib. Alles Feinere und Ätherische hängt in gewisser Weise noch zusammen in diesem gemeinsamen Körper.

Erde-Sonne-Trennung

Wir betrachten jenen Zeitpunkt, da Sonne und Erde noch wie eine Biskuitform zusammenhängen, und zwar so, daß der eine Teil, eine kleinere Kugel, nämlich die Erde und der Mond, an der Sonne hängt. Also wir stellen uns vor: die Sonne als ein großer ätherischer Leib, und daran hängend Erde und Mond zusammen. Da flossen noch die Kraftstrahlen von der Sonne mit der Erde zusammen, von der Sonne zur Erde, von der Erde zur Sonne, denn beide waren ja in gewisser Weise ein Leib.

Wir verstehen am besten den Sinn dieser Entwickelung, wenn wir uns einmal fragen, was geschehen wäre, wenn die Sonne sich ohne weiteres ganz abgewendet hätte von der Erde, nachdem sie sich herausgespalten hatte; wenn sie nicht mehr ihre Strahlungen und Strömungen der Erde zugesandt hätte, wenn sozusagen die Erde gleich nach der Abspaltung ganz allein geblieben wäre. Vertrocknet, verknöchert, erstarrt wäre alles Leben auf der Erde. Der befruchtende Einfluß der Sonne mußte bleiben. Man muß dieses Zusammenwirken von Sonne und Erde empfinden wie ein Zusammenwirken von zwei Prinzipien: das eine zur Verdichtung, zur Erstarrung führend, das andere anfeuernd, fortschreitendes Leben gebend. Und so war es auch später. Von der Sonne floß immer das, was fortschreitendes Leben ist.

Und jetzt kommen wir in eine noch frühere Zeit zurück, in eine Zeit, wo beide Körper noch eines waren, wo die Kräfte der Sonne und der Erde noch ganz zusammenflossen. Sie sehen: wir haben da verschiedene Entwickelungsstadien unserer Erde absolviert.

  1. Wir haben eine uralte Vergangenheit, wo die Erde noch im Sonnenleib drinnen war, wo sie noch eines mit der Sonne war;
  2. dann eine zweite Zeit, da war die Erde nurmehr lose mit der Sonne verbunden,
  3. dann eine dritte, wo beide Körper sich völlig voneinander getrennt haben.

In dieser dritten Zeit ist das Ich eigentlich erst in den Menschen eingetreten, und da beginnt auch erst die geschlechtliche Fortpflanzung.

Dann folgt die vierte Zeit, die atlantische Zeit, und schließlich die nachatlantische Zeit, in der wir leben.

Für denjenigen, der tiefer hineinsieht in das Weltengewebe, steht alles das, was äußerlich sichtbar geschieht, unter der Einwirkung von geistigen Wesenheiten. Einstmals waren Sonne und Erde eines. Auf die Mondentwickelung wollen wir später noch eingehen. Da war auch dieser gemeinsame Körper von einheitlich wirkenden geistig-göttlichen Wesenheiten durchzogen. Da waren hohe geistige Wesenheiten notwendig, die das Regiment über die damals noch ungeteilten Kräfte ausüben konnten.

Und nun denken wir uns die Entwickelung ein Stück fortgeschritten, den Sonnenleib sich herausziehend. Was geschieht da? Mit der Sonne gehen die höchsten Wesenheiten und die feinsten Substanzen fort; sie wirken alsdann von außen auf die Erde ein. Diejenigen Wesenheiten, die das eigentlich Lebendige, das immer sich beflügelnde Leben darstellen, sie wohnen auf der Sonne; und auf dem Erdengebiet wohnen die Wesenheiten, die, wenn sie allein bleiben würden, die Verdichtung, die Erstarrung, die Finsternis herbeiführen müßten. In diesem zweiten Stadium wirken also Licht und Finsternis zusammen.

Im dritten Stadium der Erdentwickelung tritt für den Menschen die Begabung mit dem Ich ein. Es beginnt für ihn die Zeit, wo in ihm sein selbstbewußtes Ich wohnt. Er empfindet dieses selbstbewußte Ich namentlich in seinem Gegensatz: der Mensch verfällt immer mehr in einen Zustand, wo er ein Bewußtsein hat, das heller ist, und ein anderes, dunkles; das eine kommt ihm von der Sonne, das andere vorzugsweise von der Erde. Das Ich, der ewige Kern, muß wechseln zwischen einer Gestalt, wo er in einer ewigen Form ist, und einer solchen, die geboren werden kann und stirbt. Diejenigen Wesenheiten aber, die das, was der Mensch nur abwechselnd haben kann, immer haben, die gehen heraus aus dem Erdenkörper.

Zunächst geht diejenige Wesenheit heraus, welche befruchtend wirkt, sie nimmt vorzugsweise ihren Aufenthalt auf der Sonne. Und diejenige Wesenheit, welche die Gestalt in

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Ständigkeit, in der Dauer erhält, die geht hinaus mit dem Monde. Es trennen sich Sonne und Mond nach und nach von der Erde ab.

Mit der Sonne gehen alle die Wesenheiten hinaus, welche die Erde in ein sich überstürzendes Leben gebracht hätten, wenn sie mit ihr vereint geblieben wären; mit dem Monde ziehen die Kräfte hinaus, die Verhärtung und Erstarrung bewirkt hätten, die dauernd in ihrer Gestalt bleiben. Die Erde ist wie in der Mitte zwischen beiden. Der Mensch auf der Erde wechselt also ab in Verrichtungen, die auf der einen Seite von der Sonne und auf der anderen Seite von den Kräften des Mondes beeinflußt werden. Diese Gestalten, die früher Genossen der Menschen waren, sind sozusagen jetzt zur Sonne und zum Monde hin entrückt.

In der vierten Periode sind diejenigen Genossen da, welche selbst schon bis zu einem ätherisch-göttlichen Leibe verdichtet sind, und die in gewisser Beziehung menschlichen Schwächen unterworfen sind. Das sind ätherische Götter, und mit ihnen lebte der Mensch während der atlantischen Zeit zusammen. Und in der nachatlantischen Zeit verliert er auch mit diesen ätherischen Göttern den Zusammenhang, er ist ganz herausgestellt in die physische Welt; wie zugeschlossen ist das Tor, das zur höheren geistigen Welt führt.

Aber aus diesen alten Zeiten verbleibt ihm etwas, was wie eine Erinnerung an die geistigen Welten wirkt, und nacheinander tritt im Menschen durch das Gesetz der Wiederholung alles das in der Erkenntnis auf, was er einst im Leben durchgemacht hatte. Im Leben hatte er einst durchgemacht eine Anzahl von Perioden, in denen er in immer verschiedenem Verhältnis zu den Göttern gestanden hatte. Jetzt macht er dieselben Perioden noch einmal durch, aber in der Erkenntnis.

Auf die große atlantische Flut folgte eine Zeit der uralten indischen Kultur, wo die Menschen in ihrer Seele, in ihrem Geiste noch einmal durchlebten jene Zeit mit ihren hohen Göttern, da Erde und Sonne noch vereinigt waren. Die hohe erhabene Gottheit, die damals alles, was war, leitete und lenkte, sie durchlebte der Mensch in der ersten nachatlantischen Kulturepoche, und er nannte diese Gottheit mit einem Namen, der für spätere Zeiten als Tradition blieb: Brahman, das All-Eine. Die Gottheit, die wirklich einmal da war unter den Menschen - denn der Mensch war in der ersten Zeit der Erdenentwickelung ein Genosse des

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Brahman gewesen -, sie wurde in der uraltindischen Kultur verehrt; der Mensch erlebte sie erkennend, in hoher Abstraktion.

Und dann folgte eine Kultur, da erlebte der Mensch erkennend die zweite Zeit, wo die Sonne mit den allbelebenden Kräften getrennt war von den Kräften der Finsternis. Daher empfand der Mensch dieser zweiten Kulturepoche in seiner Erkenntnis eine Gott-Zweiheit. Er wiederholte, was einst im Leben da war, in der religiösen Erkenntnis, und diese Zweiheit hat sich erhalten, als sich der Gegensatz zwischen Ormuzd und Ahriman, die gute und die verneinende Gottheit, als die persische Kultur ausbildete. Sie war nichts anderes als ein nochmaliges Durchleben dessen - aber jetzt in der Erkenntnis -, was der Mensch einst wirklich durchlebt hatte.

Und dann kommen wir in die Zeit, wo Sonne und Mond herausgetreten waren, die Sonne mit den befruchtenden Kräften, der Mond mit den Kräften, die Gestalt gaben: für den Menschen eine vergängliche allerdings, für die Götter aber eine dauernde Gestalt. Und der Mensch empfand diesen Unterschied wiederum in dem Gegensatz zwischen jenen früheren Sonnenkräften und denen, die jetzt wirkten, und anders wirkten als vorher. Und er empfand diese Sonnenkräfte als die Kräfte des Osiris in Ägypten.

Und in der vierten Epoche, in der griechisch-lateinischen Kultur, erlebte die Menschheit in ihrem Polytheismus einen erinnernden Nachklang an die atlantische Zeit mit ihren vielen ätherischen Göttergestalten.

Und wir nun, in der fünften Kulturepoche, wir haben nichts zu wiederholen. Diesen Gedanken lassen Sie uns vor die Seele führen: wir haben nichts zu wiederholen, keine alte Erinnerung. Denn wir haben herausgeboren eine in die Zukunft wirkende fünfte Zeit, während die vier früheren Zeiten Wiederholungen waren. Unsere Zeit muß nicht eine uralte Weisheit gebären, sondern eine neue Weisheit, die nicht nur

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in die Vergangenheit hineinweisen kann, sondern die prophetisch, apokalyptisch wirken muß in die Zukunft hinein.

Wir sehen eine uralte Weisheit, bewahrt in den Mysterien der vergangenen Kulturepochen; eine apokalyptische Weisheit, zu der wir den Samen legen müssen, muß unsere Weisheit sein. Wir brauchen wieder ein Einweihungsprinzip, damit die ursprüngliche Verbindung mit der geistigen Welt wieder hergestellt werden kann. Das ist die Aufgabe der anthroposophischen Weltbewegung.

Kein Wunder, daß so viele Menschen die Weisheit verloren haben, denn ohne das Einweihungsprinzip ist es heute schwer, Weisheit zu erringen, schwerer als früher, wo nur die Erinnerung an alte Erlebnisse aufgefrischt werden durfte, wo die Früchte früherer Entwickelungen erlebt werden konnten. Heute ist es schwer - daher begreifen wir, daß heute für den Menschen die Sinneswelt ohne Gott öde und leer ist.

Aber wenn es auch erscheint, als ob die alte Geisteswelt erstorben wäre, sie ist dennoch da, wirksam und befruchtend ist sie da, und wenn die Menschen wollen, werden sie wieder Zusammenhang finden mit der geistigen Welt. Gesorgt ist dafür worden, indem gerade da, als auszugehen schienen in der griechisch-lateinischen Zeit die alten Erinnerungen, ein wunderbarer Keim für alle folgenden Zeiten in den kalten Boden der Erde gelegt wurde, der Keim, den wir als das Christus-Prinzip bezeichnen. In der Anknüpfung an dieses Christus-Prinzip wird die apokalyptische Weisheit, die wahre, neue Geist-Erkenntnis, gefunden werden, die nicht nur erinnernd zurückweist auf vergangene Zeiten, sondern die prophetisch auf die Zukunft hindeutet und gerade dadurch den Menschen zur Tätigkeit, zum Schaffen ruft. Jene tätige, jene produktive Weisheit ist freilich hervorgegangen aus dem, was in der Vergangenheit als Same gelegt worden ist.

So sehen wir den Zusammenhang zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, die uns auch heute schon als ein Arbeitsfeld vorliegt. Wir sehen vor uns auftauchen den ganzen Horizont der Zukunft, und wenn wir von Welt, Mensch und Erde sprechen, werden wir nicht bloß von der Vergangenheit zu sprechen haben, sondern auch von den Kräften der Zukunft; denn die Welt ist nicht bloß etwas, was mit der Vergangenheit zu tun hat, sondern was sich hineinentwickelt in die Zukunft, und unsere Erde hat noch ein großes Stück Zukunft zu absolvieren.

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Der Mensch aber wird noch zukünftiger sein als die Erde, und wenn wir ihn ganz kennenlernen wollen, dann müssen wir nicht nur hineinschauen in die Vergangenheit, dann müssen wir studieren, was heute wirkt und was wirken wird im großen Weltenmorgen.