Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 99 Die Theosophie des Rosenkreuzers

13. Vortrag München 5. Juni 1907

Die Zukunft des Menschen

Es obliegt uns heute, einiges zu besprechen über den Fortgang der Menschheitsentwickelung in der Zukunft und über das, was man Einweihung nennt, wodurch der Mensch in der Gegenwart, vorausnehmend, Stufen des Lebens durchmacht, die sonst von der Menschheit erst in der Zukunft durchgemacht werden.

Wenn wir uns zunächst mit der ersten Frage beschäftigen, so kann es Ihnen entweder als eine Vermessenheit erscheinen, über die Zukunft sprechen zu wollen, oder auch als eine Unmöglichkeit, etwas über die Zukunft des Menschen ausmachen zu können. Dennoch, wenn Sie sich die Sache ein wenig überlegen, werden Sie finden, daß die Anschauung, man könne etwas über die Zukunft wissen, doch nicht so ganz unbegründet ist. Sie brauchen ja nur diese Dinge zu vergleichen mit dem, was der gewöhnliche Forscher, zum Beispiel der Naturwissenschafter, in bezug auf die Zukunft wissen kann. Er kann Ihnen genau sagen, daß, wenn er unter irgendwelchen Bedingungen zusammenmischt Sauerstoff, Wasserstoff und Schwefel, immer Schwefelsäure entsteht. Man kann genau sagen, was geschieht, wenn man durch einen Spiegel Strahlen auffängt. Ja, das geht sogar noch viel weiter in bezug auf die Dinge des äußeren Lebens; man kann Sonnen- und Mondfinsternisse für unbestimmt lange Zeiträume voraussagen.

Warum kann man das? Weil und insofern man die Gesetze des physischen Lebens kennt. Wenn nun jemand die geistigen Gesetze des Lebens erkennt, so kann er aus diesen Gesetzen heraus gleichfalls sagen, was in der Zukunft eintreten muß.

Nur bedrückt da den Menschen gewöhnlich eine Frage. Man meint so leicht, daß es im Widerspruch stehe mit der Freiheit, mit dem willkürlichen menschlichen Handeln, wenn man vorauswisse, was da geschieht. Auch das ist eine unrichtige Empfindung. Wenn Sie Schwefel, Wasserstoff und Sauerstoff unter gewissen Bedingungen zusammenbringen, so entsteht Schwefelsäure; das ist bedingt durch das Gesetzmäßige des Zusammenbringens. Ob Sie es aber tun, das hängt von Ihrem Willen ab. Und so ist es auch im geistigen

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Verlauf der menschlichen Entwickelung. Das, was geschehen wird, wird der Mensch aus ganz freiem Willen tun, und je höher der Mensch sich entwickelt, desto freier wird der Mensch sein. Man darf auch nicht denken, daß schon jetzt für den Menschen bestimmt ist, was er in der Zukunft tun wird, weil er es voraussehen kann. Nur haben die meisten Menschen für diese Frage kein rechtes Verständnis, und in der Tat gehört sie zu den schwierigsten.

Seit uralten Zeiten haben sich die Philosophen mit der Frage der menschlichen Freiheit und der gesetzmäßigen Vorherbestimmung der Erscheinungen abgequält. Fast alles, was auf diesem Gebiete geschrieben worden ist, ist höchst ungenügend, denn die Menschen können gewöhnlich nicht unterscheiden zwischen Vorausschauen und Vorausbestimmtsein. Mit dem Vorausschauen verhält es sich nämlich nicht anders als mit dem Hinschauen auf entfernte Raumpunkte. Wenn Sie im Räume hinsehen nach einem fernen Punkte, sagen wir nach der Straßenecke drüben, und Sie sehen, daß da ein Mensch einem ändern zehn Pfennig schenkt, haben Sie dann diese Handlung bewirkt? Ist dadurch, daß Sie es sehen, irgendeine Ursache dafür gegeben worden? Nein; Sie sehen nur, daß er es tut, und das übt keinen Zwang darauf aus, daß er so handelt.

Nun ist es in der Zeit in einer gewissen Beziehung ebenso, nur können die Menschen es nicht fassen. Nehmen Sie an, Sie sind in ein paar tausend Jahren wieder verkörpert. Sie tun dann etwas aus freiem Willen; das ist dann ebenso wie das Beispiel von den geschenkten zehn Pfennig. Der Seher sieht unter Umständen, was in der Zukunft getan wird, und dieses zukünftige Tun ist ebensowenig durch den jetzigen Zeitpunkt bestimmt wie das Schenken der zehn Pfennig durch den Raumpunkt. Man sagt oft: Wenn man sieht, daß etwas geschehen wird, so ist das doch eigentlich vorherbestimmt. Aber dann verwechselt man die Zukunft mit der Gegenwart. Das würde ja kein Vorausschauen in die Zukunft sein, wenn es schon bestimmt wäre. Sie sehen ja nicht etwas, was schon da ist, sondern etwas, was erst kommt. Sie müssen den Begriff des In-die-Zukunft-Schauens genau erfassen. Es muß das in geduldiger Meditation geübt und gepflegt werden; dann nur findet man die Möglichkeit, diese Dinge richtig zu fassen.


Nach diesen Einleitungsworten wollen wir einiges von dem bespre-

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chen, was man über die Entwickelung der Menschheit in der Zukunft sagen kann.

Wir sind an dem Punkte angelangt, wo die Menschheit am tiefsten in die Materie hinabgestiegen ist, wo sie ihre geistigen Kräfte verwendet zur Konstruktion und Fabrikation von Werkzeugen und Maschinen, die dem persönlichen Leben dienen. Verknüpft damit war ein immer mehr und mehr vor sich gehendes Dichterwerden der Menschheit und der Erde überhaupt. Wir haben gesehen, daß das, was wir heute das Dichteste, das Mineralreich nennen, erst in einem bestimmten Zeitpunkte unserer Entwickelung entstanden ist. Damit ist der Mensch erst eingetreten in seine jetzige irdische Entwickelung. Hand in Hand damit sind die Zweigeschlechtlichkeit und andere Erscheinungen gegangen.

Damals, als der Mensch noch nicht eingetreten war in diese physische Entwickelung, die ein Mineralreich hat, da war er auch noch von viel feinerer, weicherer Natur. Nur um eine Vorstellung davon wachzurufen, sei gesagt, wie in dieser alten Zeit, wo noch keine Zweigeschlechtlichkeit existiert hat, die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes geschah. Damals brachte der noch zweigeschlechtliche Mensch, der von dünnerer, feinerer Körperlichkeit war, ein anderes Wesen aus sich hervor. Nicht auf die heutige Art geschah das, sondern etwa so, wie in spiritistischen Sitzungen aus dem Medium der Ätherleib irgendeines anderen Wesens hervorgeht. Das gibt Ihnen ungefähr ein Bild dieses Aus-sich-heraus-Materialisierens, wie sich in alter Zeit die Menschheit fortgepflanzt hat: wie ein Hinausdrängen von Menschen, die reif waren, ihre eigene Entwickelung fortzusetzen.

So sehen Sie, wie mit dem Dichterwerden des Menschen im Kosmos sein Heruntersteigen in die materielle Welt verknüpft ist. Und damit verknüpft ist die Entwickelung einer anderen Kraft, die sich ohne dieses Heruntersteigen gar nicht hätte entwickeln können: das ist der Egoismus. Er hat eine gute und eine schlimme Seite. Er ist die Grundlage für die menschliche Selbständigkeit und Freiheit, aber in seiner Kehrseite auch der Grund alles Schlechten und Bösen. Damit der Mensch aber lernte, aus freiem Willen das Gute zu tun, mußte er durch diese Kraft des Egoismus durchgehen. Durch die Kräfte, die ihn früher geleitet hatten, mußte er immer wieder zum Guten angetrieben werden; aber es mußte ihm die Möglichkeit gegeben werden, selbst seinen Weg

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zu gehen.

Ebenso nun, wie er herabgestiegen ist, muß er wieder hinaufsteigen in die Geistigkeit, und wie dieses Herabsteigen verbunden ist mit einem Überhandnehmen des Egoismus, so ist das Hinaufsteigen abhängig davon, daß die Selbstlosigkeit, das Gefühl der Sympathie der Menschen untereinander immer stärker und stärker wird.

Die Menschheit hat sich durch verschiedene Zeitalter hindurch entwickelt, zuerst durch das alte indische, dann durch das persische, durch das ägyptisch-chaldäisch-babylonische und durch das griechisch-lateinische hindurch zu dem jetzigen, dem fünften Zeitalter, und dieses wird abgelöst werden von einem sechsten. Und indem die Menschheitsentwickelung dahin arbeitet, arbeitet sie zugleich hin auf die Überwindung desjenigen Prinzips, das am stärksten war seit der Zeit, als der Ätherleib seine Eingliederung gefunden hat in jenem Punkte des Gehirns, von dem ich Ihnen gestern gesprochen habe. Das war die Zeit des Fallens in den tiefsten Egoismus.

In früherer Entwickelung war der Mensch auch egoistisch, aber das war in anderer Art. Derjenige Egoismus, der so tief in die Seele hineingeht wie in unserem jetzigen Zeitalter, hängt ganz zusammen mit der Ausprägung der materialistischen Gesinnung, und ein spirituelles Zeitalter wird die Überwindung dieses Egoismus bedeuten. Daher hat das Christentum und haben alle diejenigen Richtungen, die wirklich religiöses Leben hatten, bewußt hingearbeitet auf eine Durchbrechung der alten Blutsverbände; und einen radikalen Satz hat das Christentum hingestellt, der lautet: «Wer nicht verläßt Vater, Mutter, Weib, Kind, Bruder, Schwester, der kann nicht mein Jünger sein.»

Das deutet auf nichts anderes hin, als daß treten muß an Stelle alter Blutsverbände das geistige Band zwischen Seele und Seele, zwischen Mensch und Mensch. Es fragt sich jetzt nur: Welches sind die Mittel und Wege, daß die Menschheit die Spiritualität, das heißt das Überwinden des Materialismus, und zu gleicher Zeit das, was man den Bruderbund nennen könnte, die Ausprägung der allgemeinen Menschenliebe, erlangt?

Man könnte sich nun der Meinung hingeben, daß man nur recht gründlich die allgemeine Menschenliebe zu betonen brauchte, und daß dann diese Menschenliebe schon kommen müßte, oder man müßte Vereine gründen, die sich den Zweck der allgemeinen Menschenliebe zum Ziele setzen. Der

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Okkultismus ist niemals dieser Anschauung. Im Gegenteil!

Je mehr der Mensch spricht von allgemeiner Bruderliebe und Menschlichkeit in dem Sinne, daß er sich daran berauscht, um so egoistischer werden die Menschen. Denn geradeso, wie es eine sinnliche Wollust gibt, gibt es eine Wollust der Seele; und es ist sogar eine raffinierte Wollust, zu sagen: Ich will sittlich höher und höher werden! Es ist im Grunde genommen ein Gedanke, der zwar nicht den gewöhnlichen alltäglichen Egoismus erzeugt, aber einen raffinierten Egoismus, der aus solcher Wollust entspringt.

Nicht dadurch, daß man Liebe und Mitgefühl betont, werden sie im Laufe der Menschheitsevolution erzeugt. Durch etwas anderes vielmehr wird die Menschheit geführt zu jenem Bruderbunde, und das ist die spirituelle Erkenntnis selber. Es gibt kein anderes Mittel, die allgemeine Menschenverbrüderung herbeizuführen, als die Verbreitung der okkulten Erkenntnisse in der Welt.

Man rede immer von Liebe und Menschenverbrüderung, man gründe Tausende von Vereinen, sie werden nicht zu dem Ziele führen, zu dem sie führen sollen, so gut sie auch gemeint sind. Es kommt darauf an, das Richtige zu tun, zu wissen, wie man diesen Bruderbund begründet. Nur Menschen, die in der gemeinsamen, für alle Menschen gültigen okkulten Wahrheit leben, finden sich zusammen in der einen Wahrheit. Wie die Sonne die Pflanzen vereint, die ihr zustreben und deren jede doch eine Individualität ist, so muß die Wahrheit eine einheitliche sein, zu der alle hinstreben; dann finden sich alle Menschen zusammen. Aber energisch nach der Wahrheit arbeiten müssen die Menschen; dann erst können sie in harmonischer Weise zusammenleben.

Man könnte einwenden: Nach der Wahrheit streben doch alle, aber es gibt doch verschiedene Standpunkte, und daher kommen dann wieder Streit und Differenzen. - Das ist eine noch nicht genügend gründliche Erkenntnis der Wahrheit. Man darf sich nicht darauf berufen, daß es verschiedene Standpunkte in der Wahrheit geben kann; man muß es erst erfahren, daß die Wahrheit nur eine einzige sein kann. Sie hängt nicht ab von Volksabstimmung, sie ist wahr in sich selber. Oder würden Sie darüber abstimmen lassen, ob die drei Winkel eines Dreiecks gleich 180 Grad sind?

Ob Millionen Menschen das zugeben oder

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kein einziger, wenn Sie es erkannt haben, dann ist es wahr für Sie. Es gibt keine Demokratie in der Wahrheit. Und die noch nicht harmonieren, sind noch nicht genügend weit vorgedrungen in der Wahrheit. Daher rührt aller Streit über die Wahrheit. Man kann sagen: Ja, aber der eine behauptet das und der andere jenes in okkulten Dingen! Das ist im wirklichen Okkultismus nicht der Fall. Es verhält sich damit wie bei materialistischen Dingen: da behauptet auch einer dies und ein anderer jenes, aber dann ist eines davon falsch. Ebenso ist es im wirklichen Okkultismus; nur daß oft die Ungezogenheit besteht, über okkulte Dinge zu urteilen, bevor man sie verstanden hat.

Das ist das Ziel, dem das sechste Zeitalter der Menschheit entgegenstreben wird: die Popularisierung der okkulten Wahrheit im weitesten Umkreise. Das ist die Mission dieses Zeitalters. Und diejenige Gesellschaft, die sich spirituell vereint, hat die Aufgabe, diese okkulte Wahrheit überall hineinzutragen in das Leben und unmittelbar dort anzuwenden. Das ist es ja gerade, was unserem Zeitalter fehlt.

Sehen Sie nur, wie unser Zeitalter sucht und wie niemand das Richtige finden kann. Es gibt unzählige Fragen, die Erziehungsfrage, die Frauenfrage, die Medizin, die soziale Frage, die Ernährungsfrage. Und da doktert man herum an diesen Fragen, und zahlreiche Artikel und Bücher werden geschrieben, und jeder redet von seinem Standpunkte aus, ohne daß er das, was das Zentrale ist, die okkulte Wahrheit, studieren will. Nicht darum handelt es sich, abstrakt etwas zu wissen über geisteswissenschaftliche Wahrheiten, sondern sie unmittelbar hineinzutragen in das Leben, zu studieren die sozialen Fragen, die Erziehungsfragen, ja das ganze Menschenleben vom Standpunkte der wirklichen okkulten Weisheit.

Aber da muß man doch die höchste Weisheit erkennen! könnte man einwenden. Das geht von dem Irrtum aus, als ob man immer das wirklich erkennen müßte, was man im Leben anwendet. Das aber ist nicht nötig; das Erkennen der höchsten Prinzipien kommt oft viel später, als man sie anwendet. Wenn die Menschheit hätte warten wollen mit der Verdauung, bis man die Gesetze der Verdauung erkannt hätte, dann wäre die Entwickelung der Menschheit nicht möglich gewesen. So braucht man auch nicht alle geistigen Gesetze zu erkennen, um die Geisteswissenschaft einfließen zu lassen in das tägliche Leben.

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Das gerade ist die Art, wie die rosenkreuzerische Methode das Geistige behandeln will: weniger Abstraktion, dafür die Betrachtung der alltäglichen Lebensfragen. Darauf kommt es nicht an, daß man sagt: Geisteswissenschaft ist Geisteswissenschaft -, sondern daß man im unmittelbaren Leben ernst damit macht. Glauben Sie, daß das Kind alle grammatischen Regeln der Sprache kennt, wenn es sprechen gelernt hat? Erst lernt es sprechen und dann die Grammatik.

Daher muß Wert darauf gelegt werden, daß der Mensch erst mit Hilfe der spirituellen Lehren sich mit dem beschäftigt, was ihn unmittelbar umgibt, ehe er an das geht, was in den höchsten Welten zu finden ist, was über den astralen Plan, über den devachanischen Plan Kenntnis verbreitet. Denn nur dadurch verstehen wir, was in unserer Umgebung existiert und wo wir selber eingreifen müssen. Daher ist es die konkrete Aufgabe, die zerklüftete Menschheit, die aus den alten Bluts- und Stammesverbänden herausgerissen ist, zu verbinden durch die einheitliche okkulte spirituelle Weisheit.

So geht, indem wir uns vom fünften in das sechste und dann in das siebente Zeitalter hinüberentwickeln, der alte Zusammenhang in Stammes- und Blutsverbänden immer mehr verloren. Die Menschheit mischt sich, um sich von geistigen Gesichtspunkten aus zu gruppieren. Es war eine Ungezogenheit, in der Theosophie von den Rassen so zu sprechen, als ob sie immer bleiben würden. Der Begriff der Rasse verliert schon für die nächste Zukunft, womit allerdings Tausende von Jahren gemeint sind, seinen Sinn.

Das ewige Reden, daß immer in der Welt sich sieben und sieben Rassen entwickelt hätten, das ist die spekulative Ausdehnung eines Begriffes, der nur für unser Zeitalter nach rückwärts und vorwärts gilt; von der Sehergabe, vom Okkultismus ist das nie gesagt worden. Wie alles entsteht, so sind auch die Rassen entstanden, und wie alles wieder vergeht, werden auch die Rassen wieder vergehen, und jene, die immer nur von Rassen gesprochen haben, die werden sich daran gewöhnen müssen, ihre Begriffe flüssig zu machen. Das ist nur eine Bequemlichkeit!

Wenn man ein wenig nur in die Zukunft blickt, gelten schon die Begriffe nicht mehr, die man in der Vergangenheit und Gegenwart angewendet hat. Das ist die Hauptsache, daß der Mensch nicht dasjenige, was er einmal in einen schönen Begriff gebracht

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hat, nun für eine ewige Weisheit hält. Man wird sich daran gewöhnen müssen, die Begriffe flüssig zu machen, zu erkennen, daß Begriffe sich verändern, und das wird ein Fortschritt sein. Diese Möglichkeit, von starren, dogmatischen Begriffen überzugehen in flüssige, das ist es, was ausgebildet werden muß in denjenigen Menschen, die die Träger der Zukunft sein wollen. Denn so, wie die Zeiten sich ändern, müssen sich auch unsere Begriffe ändern, wenn wir diese Zeiten verstehen wollen.

Jetzt leben die Seelen in einem Menschenleibe, den Sie klar durch die Sinne betrachten. Wodurch ist er entstanden? Er war früher sehr verschieden vom heutigen, ja für unsere heutige materielle Anschauung sogar komisch verschieden, als die Seele heruntergestiegen ist. Die Seele hat Platz genommen in ihm. Wodurch hat der Mensch sich zu der heutigen Gestalt entwickelt? Dadurch, daß die Seele in dem Leibe selbst gearbeitet hat während aller ihrer Verkörperungen.

Sie können sich einen Begriff davon machen, wie die Seele am Leibe gearbeitet hat, wenn Sie bedenken, was dem Menschen in unserem materialistischen Zeitalter geblieben ist von der Möglichkeit, an seinem Leibe zu arbeiten. Das, was der Mensch an seinem dichten physischen Leibe arbeiten kann, ist verhältnismäßig recht wenig. Nehmen Sie zum Beispiel wahr, wie Sie heute vorübergehend an dem Leibe und seiner Physiognomie arbeiten. Irgend etwas zum Beispiel verursacht Ihnen Schrecken, Angst. Die Eindrücke von Angst und Furcht machen Sie erblassen. Ihr physisches Aussehen wird ebenfalls verändert durch Schamröte. Das geht wieder vorüber, aber Sie sehen, wie das vor sich geht: es wirkt etwas auf die Seele, so daß die Wirkung sich auf das Blut und auf diesem Umwege auf den physischen Leib, auf Ihr unmittelbares Aussehen erstreckt.

Die Wirkung kann noch intensiver sein. Sie wissen, daß Menschen, die ein geistiges Leben führen, es stark in der Hand haben, in ihrer äußeren Physiognomie einen Abdruck zu schaffen von ihrem geistigen Schaffen. Man kann erkennen, ob ein Mensch gedankenvoll oder gedankenlos gelebt hat. So arbeitet der Mensch immer noch an seinem äußeren Ausdruck, und ein Mensch, der edel empfindet, bei dem drückt sich diese Empfindung in edlen Bewegungen aus. Das sind nur geringe Reste von dem, wie durch Jahrtausende hindurch die Menschheit an sich gearbeitet hat.

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Während Sie heute das Blut nur in Ihre Wangen hinein- und wieder wegtreiben können, war der Mensch in früherer Zeit ganz unter dem Einfluß einer Bilderwelt, die der Ausdruck einer geistigen Welt war. Das wirkte so, daß der Mensch in viel stärkerem Maße umgestaltend an seinem Organismus arbeiten konnte. Dabei war der Körper auch noch weicher. Es gab eine Zeit, wo man nicht nur die Hand ausstrecken konnte, wo Sie nicht nur mit dem Finger hinzeigen konnten, sondern wo Sie Ihren Willen in Ihre Hand hineinschicken konnten, und Sie konnten die Hand formen, so daß Sie diese Finger als Fortsätze hinausstrecken konnten. Es gab eine Zeit, wo die Füße noch nicht ständig waren, sondern wo der Mensch sie je nach Bedürfnis als Fortsatz aus sich herausgestreckt hat. So hat der Mensch durch die Bilder, die er von der Umwelt empfangen hat, seinen eigenen Leib gebildet.

Heute, in unserer materiellen Zeit, ist diese Umgestaltung die denkbar langsamste, aber sie wird wieder schneller vor sich gehen. In der Zukunft wird der Mensch wieder mehr Einfluß bekommen auf seine physische Körperlichkeit. Bei der Betrachtung der Einweihung werden wir sehen, mit welchen Mitteln er diesen Einfluß gewinnt. Wenn er das auch nicht in einem Leben erreichen kann, so wird er doch viel tun können für die nächste Verkörperung.

Der Mensch selbst also ist es, der die zukünftige Gestalt seines Leibes herbeiführen wird. Indem der Mensch immer weicher und weicher wird, das heißt indem er sich absondern wird von den harten Teilen, geht er seiner Zukunft entgegen. Es kommt ein Zeitalter, wo der Mensch wie in verflossener Zeit gleichsam über seinem irdischen Teile leben wird. Dieser Zustand, der Ihrem heutigen Schlafzustande vergleichbar ist, wird alsdann abgelöst werden von einem ändern, wo der Mensch seinen Ätherleib wird willkürlich herausziehen können aus seinem physischen Leibe.

Es wird gleichsam der dichtere Teil des Menschen hier unten auf Erden sein, und der Mensch wird ihn wie ein Instrument von außen benutzen. Der Mensch wird seinen Leib nicht mehr so an sich tragen, daß er in ihm wohnt, sondern er wird darüber schweben; der Leib selbst wird feiner und dünner geworden sein. Das erscheint heute als ein phantastischer Gedanke, aber man kann es aus den geistigen Gesetzen mit Bestimmtheit wissen, ebenso wie man aus

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den Gesetzen der Astronomie Sonnen- und Mondfinsternisse für die Zukunft berechnet.

Und umgestaltend wird der Mensch vor allen Dingen wirken auf die Hervorbringungskraft. Viele können sich nicht vorstellen, daß je eine andere Fortpflanzungskraft als heute da sein wird. Aber sie wird da sein, die Art der Fortpflanzung wird sich ändern. Alles, was heute Fortpflanzung ist und im Zusammenhang mit diesem Triebe steht, wird in Zukunft an ein anderes Organ übergehen.

Dasjenige Organ, das sich heute schon darauf vorbereitet, das zukünftige Fortpflanzungsorgan zu werden, ist der menschliche Kehlkopf. Heute kann er nur Luftschwingungen hervorbringen, er kann nur dasjenige, was in einem Worte liegt, der Luft mitteilen, so daß die Schwingungen dem Worte entsprechend sind.

Später wird aus diesem Kehlkopfe nicht nur das Wort in seinem Rhythmus hervordringen, sondern dieses Wort wird vom Menschen durchleuchtet werden, es wird durchdrungen werden vom Stoffe selber. So wie heute das Wort nur zur Luftwelle wird, so wird in Zukunft des Menschen inneres Wesen, sein eigenes Ebenbild, wie es heute im Worte ist, aus dem Kehlkopfe herausdringen. Der Mensch wird aus dem Menschen hervorgehen, der Mensch wird den Menschen aussprechen. Und das wird zukünftig die Geburt eines neuen Menschen sein, daß er ausgesprochen wird von einem anderen Menschen.

Solche Dinge werfen ein bestimmtes Licht auf Erscheinungen, die in unserer Umgebung leben, die Ihnen keine Naturwissenschaft erklären kann. Jene Verwandlung des Fortpflanzungstriebes, die wiederum eine ungeschlechtliche sein wird, übernimmt alsdann die Funktionen der alten Fortpflanzung. Daher tritt beim männlichen Organismus in der Zeit der Geschlechtsreife auch eine Umwandlung des Kehlkopfes ein. Die Stimme wird tiefer. Das weist Sie unmittelbar darauf hin, wie diese beiden Dinge zusammenhängen. So leuchtet der Okkultismus immer wieder in die Tatsachen des Lebens hinein und bringt Licht in die Erscheinungen, für die Ihnen die materialistische Wissenschaft keine Erklärung zu bringen vermag.

Und ebenso, wie dieses Organ des Kehlkopfes umgestaltet werden wird, so wird auch umgestaltet werden das menschliche Herz. Es ist dasjenige Organ, welches mit dem Blutkreislauf in innigem Zusammen-

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hange steht. Nun glaubt die Wissenschaft, daß das Herz eine Art von Pumpe ist. Das ist eine groteske phantastische Vorstellung. Niemals hat der Okkultismus eine solch phantastische Behauptung aufgestellt wie der heutige Materialismus. Das, was die bewegende Kraft des Blutes ist, sind die Gefühle der Seele. Die Seele treibt das Blut, und das Herz bewegt sich, weil es vom Blute getrieben wird. Also genau das Umgekehrte ist wahr von dem, was die materialistische Wissenschaft sagt. Nur kann der Mensch sein Herz heute noch nicht willkürlich leiten; wenn er Angst hat, schlägt es schneller, weil das Gefühl auf das Blut wirkt und dieses die Bewegung des Herzens beschleunigt.

Aber das, was der Mensch heute unwillkürlich erleidet, wird er später auf höherer Stufe der Entwickelung in der Gewalt haben. Er wird später sein Blut willkürlich treiben und sein Herz bewegen wie heute die Handmuskeln. Das Herz mit seiner eigentümlichen Konstruktion ist für die heutige Wissenschaft eine Crux, ein Kreuz. Es besitzt quergestreifte Muskelfasern, die sonst nur bei willkürlichen Muskeln gefunden werden. Warum? Weil das Herz heute noch nicht am Ende seiner Entwickelung angelangt, sondern ein Zukunftsorgan ist, weil es ein willkürlicher Muskel werden wird. Daher zeigt es heute schon die Anlage dazu in seinem Bau.

So verändert alles, was in der Seele des Menschen vorgeht, den Bau des menschlichen Organismus. Und wenn Sie sich jetzt den Menschen denken, der imstande ist, durch das ausgesprochene Wort seinesgleichen zu schaffen, dessen Herz zu einem willkürlichen Muskel geworden ist, der auch noch andere Organe verändert haben wird, dann haben Sie eine Vorstellung von der Zukunft des Menschengeschlechtes auf künftigen planetarischen Verkörperungen unserer Erde.

Auf unserer Erde wird die Menschheit so weit kommen, wie sie unter dem Einfluß eines Mineralreiches kommen kann. Dieses Mineralreich wird, trotzdem es am letzten entstanden ist, in seiner heutigen Form am ehesten wieder verschwinden. Der Mensch wird dann seinen Leib nicht mehr aus mineralischen Substanzen aufbauen wie heute; der künftige Menschenleib wird sich zunächst nur das eingliedern, was pflanzlicher Substanz ist. Alles, was heute im Menschen mineralisch wirkt, wird verschwinden.

Um Ihnen ein grotesk ausschauendes Beispiel zu geben: Heute spuckt

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der Mensch seinen gewöhnlichen Speichel aus. Es ist ein mineralisches Produkt, denn des Menschen physischer Leib ist ein Ineinanderwirken von mineralischen Vorgängen. Wenn der Mensch seine mineralische Entwickelung vollendet haben wird, wird er nicht mehr einen mineralischen Speichel spucken, sondern dieser Speichel wird pflanzlicher Natur sein, und der Mensch wird sozusagen Blumen spucken. Keine Drüse wird mehr Mineralisches absondern, sondern nur Pflanzliches. Dadurch wird das mineralische Reich überwunden, daß der Mensch sich wieder zum pflanzlichen Dasein entwickelt.

So lebt der Mensch hinüber auf den Jupiter, indem er alles Mineralische ausscheidet und zum pflanzlichen Schaffen übergeht. Und indem er dann später übergeht zum Tierschaffen - es werden ja andere Tiere sein als heute -, wenn sein Herz soweit sein wird, daß es schöpferisch wirken kann, dann wird er in der Tierwelt schaffen, wie er heute im Mineralreich schafft; dann wird der Venuszustand eintreten. Und wenn er dann seinesgleichen schaffen kann, indem er sein Ebenbild spricht, dann ist der Sinn unserer Evolution vollendet, dann ist das Wort: «Lasset uns Menschen schaffen ...» erfüllt.

Nur dadurch, daß der Mensch diesen Gesichtspunkt beobachtet, daß von der Seele aus umgeschaffen wird der Leib, wird er das Menschengeschlecht wirklich umwandeln. Nur durch ein im okkulten, im spirituellen Sinne gehaltenes Denken wird das eintreten, was beschrieben worden ist als die Umgestaltung des Herzens und des Kehlkopfes. Was die Menschheit heute denkt, das wird sie in der Zukunft sein. Eine Menschheit, die materialistisch denkt, wird furchtbare Wesen in der Zukunft hervorbringen, und eine Menschheit, die spirituelle Gedanken denkt, wirkt so umgestaltend auf den Organismus der Zukunft ein, daß schöne Menschenkörper daraus hervorgehen werden.

Noch ist nicht vollendet, was die materialistische Denkweise bewirkt. Wir haben heute zwei Strömungen, eine große materialistische, welche die ganze Erde erfüllt, und die kleine spirituelle, welche auf wenige Menschen beschränkt ist. Unterscheiden Sie zwischen Seelen- und Rassenentwickelung. Glauben Sie nicht, daß, wenn die Rassen zu einer grotesken Form übergehen, dann auch die Seelen dasselbe tun. Alle materialistisch denkenden Seelen arbeiten an der Hervorbringung böser

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Rassen, und was spirituell gearbeitet wird, bewirkt die Hervorbringung einer guten Rasse. So wie die Menschheit hervorgebracht hat das, was sich zurückgebildet hat als Tiere, Pflanzen und Mineralien, so wird ein Teil sich abspalten und den bösen Teil der Menschheit darstellen, und in dem mittlerweile weich gewordenen Leibe wird sich äußerlich ausdrücken die innerliche Bösheit der Seele. So wie ältere Zustände, die zum Affengeschlechte heruntergestiegen sind, uns heute grotesk erscheinen, so bleiben materialistische Rassen auf dem Standpunkte der Bösheit und werden als böse Rassen die Erde bevölkern. Es wird ganz bei der Menschheit liegen, ob eine Seele bleiben will bei der bösen Rasse oder hinaufsteigen will durch eine spirituelle Kultur zu einer guten.

Das sind Dinge, die wir wissen müssen, wenn wir mit wirklicher Erkenntnis in die Zukunft hineinleben wollen. Sonst gehen wir mit verbundenen Augen durch die Welt, denn es arbeiten Kräfte in der Menschheit, die man erkennen muß und die man beachten muß, und derjenige würde seine Pflicht an der Menschheit versäumen, der sich nicht bekannt machen wollte mit den Kräften, die nach der einen oder der anderen Seite gehen. Das Erkennen um des Erkennens willen wäre Egoismus. Wer erkennen will, um hineinzuschauen in die höheren Welten, der handelt egoistisch. Wer aber diese Erkenntnis hineintragen will in die unmittelbare Praxis des täglichen Lebens, der arbeitet an der Fortentwickelung der kommenden Evolution der Menschheit. Das ist außerordentlich bedeutsam, daß wir immer mehr und mehr lernen, in die Praxis umzusetzen, was als geisteswissenschaftliche Anschauung existiert.

So sehen Sie, daß die spirituelle Bewegung ein ganz bestimmtes Ziel hat, nämlich die künftige Menschheit vorauszugestalten. Dieses Ziel kann nicht anders erreicht werden als durch die Aufnahme der spirituellen okkulten Weisheit. So denkt derjenige, der Geisteswissenschaft als die große Aufgabe der Menschheit erfaßt. Er denkt sie im Zusammenhange mit der Entwickelung, und er betrachtet sie nicht als Begierde, sondern als eine Pflicht, die er erkannt hat.

Und je mehr wir das anerkennen, desto rascher gehen wir der zukünftigen Gestaltung der Menschheit im sechsten Zeitalter entgegen. Wie damals in der alten Atlantis, in der Nähe des heutigen Irland, die fortgeschrittenen Men-

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schen nach Osten gezogen sind, um die neuen Kulturen zu begründen, so haben wir die Aufgabe jetzt, hinzuarbeiten auf den großen Moment im sechsten Zeitalter, wo die Menschheit einen großen spirituellen Aufstieg unternehmen wird.

Wir müssen versuchen, wieder herauszukommen aus dem Materialismus, und so müssen spirituelle Gesellschaften daran denken, eine solche führende Rolle zu spielen in der Menschheit, nicht aus Unbescheidenheit und Hochmut, sondern aus Pflicht. So muß eine gewisse Gruppe von Menschen zusammengehen, um die Zukunft vorzubereiten. Aber nicht örtlich ist dies Zusammengehen aufzufassen. Alle Begriffe von Örtlichkeit haben dann ihren Sinn verloren, weil es sich nicht mehr um Stammesverwandtschaften handelt; sondern darauf kommt es an, daß sich auf der ganzen Erde die Menschen spirituell zusammenfinden, um die Zukunft positiv zu gestalten. Deshalb wurde, als unser Zeitalter am tiefsten in die Materie hineinsegelte, vor vierhundert Jahren von der Bruderschaft der Rosenkreuzer jene praktische geistige Wissenschaft begründet, die über alle Fragen des alltäglichen Lebens Bescheid geben will. Da haben Sie die aufsteigende Entwickelung zu der absteigenden.

Ebenso, wie die alte Erkenntnis zersetzend wirkt, wie es sich in der «Kritik der Sprache» von Mauthner zeigt, so sucht die spirituelle Richtung das einigende Band der spirituellen Weisheit. Daher die neue Einweihungsschulung, die direkt rechnet mit dem Hinüberleiten der Menschheit in einen neuen Zeitenzyklus. So verbindet sich das Prinzip der Menschheitsentwickelung mit dem Begriff der Einweihung.