Rudolf Steiner (1861-1925):
GA 93 Die Tempellegende und die Goldene Legende
Vortrag Stuttgart 23. Oktober 1905 (zehn Uhr)
Freimaurerei und Menschheitsentwicklung I (nur vor Männern)
Ich habe Sie gebeten, zu einer kleinen Besprechung über okkulte Fragen zu kommen aus dem Grunde, weil man der Ansicht sein muß, daß derjenige, der sich an der theosophischen Bewegung beteiligt, sich nicht nur über die äußeren Dinge, die in Programmen ausgesprochen sind, klar sein muß, sondern auch darüber, wozu diese theosophische Bewegung führen kann. Nun sind diejenigen okkulten Strömungen, die in der theosophischen Bewegung leben, in der Tat in gewisser Beziehung verwandt mit früheren okkulten Strömungen. Namentlich eine derselben, die noch in die Gegenwart hereinreicht, soll es sein, an die wir heute anknüpfen: die Freimaurerei.
Sie wissen, daß es in der Freimaurerei, wenigstens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, streng verpönt war, irgendwelche weiblichen Mitglieder zu haben. Das hatte damals seinen guten Grund. Wenn nämlich einmal in der Weltentwickelung der Grund wegfallen wird, warum die Freimaurer keine weiblichen Mitglieder hatten, dann wird auch die Zeit gekommen sein, daß die Arbeit der Freimaurerei auf dem physischen Plane abgelöst wird von der theosophischen Arbeit. Vorläufig ist die theosophische Arbeit eine Vorbereitungsarbeit. An der theosophischen Arbeit werden Männer und Frauen in gleichem Maße teilnehmen.
Wenn ich nun kurz sagen möchte, warum die Frauen von der Freimaurerei ausgeschlossen sein sollten, so könnte ich das nur so sagen, daß man seine Geheimnisse nicht gerade dem Gegner verrät; daß man ihm nicht gerade seinen Feldzugsplan schickt. Das tut man in keiner Kriegsführung. Und es wird sich uns zeigen, daß es sich in der Freimaurerei in einer gewissen Beziehung um eine Gegnerschaft gegen die Frauenwelt handelt.
Die Freimaurerei ist die Fortsetzung uralter Geheimbünde und Bruderschaften. Solche Geheimbünde, wenigstens in der Form, in der sie fortleben in der Freimaurerei, haben ihren Ursprung genommen
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gleich beim ersten Aufgehen der vierten Unterrasse unserer fünften Wurzelrasse, also derselben Unterrasse, aus der später das Christentum entsprungen ist.
Sie wissen, daß man die äußere Abfassung der Bibel nur ein paar Jahrhunderte vor Christi Geburt zurückverlegt, und das mit Recht. Aber Tradition war die biblische Offenbarung jahrtausendelang schon vorher. Früher war es nicht Usus, daß man solche Sachen aufschrieb, sondern daß man sie von Mund zu Mund fortpflanzte. Daher hat es etwas für sich, anzunehmen, daß die Geheimnisse, die von Moses der Priesterschaft anvertraut worden sind, erst später aufgeschrieben wurden.
Nun fällt in die Zeit, in der die Bibel als Dokument aufgetreten ist in der Weltgeschichte, auch die äußere Abfassung und das Auftreten dessen, was man die freimaurerische Legende nennt.
In der Weltentwickelung ist es immer als ein Gesetz zu betrachten, daß das, was früher geschehen ist, später kurz wiederholt wird. Jeder Mensch wiederholt im Mutterleibe die Stadien, die die Rasse bereits durchlaufen hat. Jeder Planet wiederholt in den ersten Stadien die bereits durchlaufenen Entwickelungsstufen. Immer wird kurz wiederholt, was früher schon da war.
So ist es auch mit den Rassen. Deshalb sind die erste, zweite, dritte Unterrasse [= die indische, die persische, die ägyptische Kulturepoche] unserer fünften Wurzelrasse [= der erste nachatlantische Hauptzustand] die Wiederholung früherer irdischer Verhältnisse, nur auf einem bestimmten höheren Gebiete. Was von der lemurischen Rasse angefangen durch die Atlantis hindurch sich entwickelt hat, wurde auf einem gewissen höheren Gebiete in unseren drei Unterrassen wiederholt. So daß wir also eine Wiederholung dessen haben, was vorher in der lemurischen Zeit auf einem untergeordneten Gebiet vorhanden war.
Es war dies - bevor die Zweigeschlechtlichkeit entstand - eine Art Doppelgeschlechtlichkeit; eine Eingeschlechtlichkeit, insofern als im Einzelwesen beide Geschlechter vertreten waren. Dann folgte erst die Trennung in die zwei Geschlechter. Also Männlich-Weibliches wurde dann erst ein Männliches und Weibliches.
Auf geistigem Gebiete wiederholt sich nun etwas Ähnliches in unserer Wurzelrasse. Tatsächlich hat diejenige Erkenntnis, diejenige Weisheit, die dem alten, dem vorvedischen Indien eigen war, etwas Männlich-Weibliches und
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dadurch zugleich etwas, was ganz unabhängig war von irgendeiner Zweiheit, von irgendeinem äußerlichen Prinzip. Dann kam die Kultur der zweiten Unterrasse. Diese ist eine im eminentesten Sinne zweigeschlechtliche geistige Kultur. Daher tritt da der Dualismus auf: Ormuzd und Ahriman, Gut und Böse. Das alles mischt sich in die Erkenntnisse hinein.
Nun wollen wir uns einmal klar werden, wie das gekommen ist. Das ist so gekommen, daß zunächst, bevor es ein männliches und weibliches Geschlecht gab, eine Zweigeschlechtlichkeit in dem einen Individuum vorhanden war. Wir müssen nun fragen: Was war in dem einen Individuum das Befruchtetwerdende und was war das Befruchtende?
In der alten griechischen Mythologie wird Zeus dargestellt mit mächtigen Frauenbrüsten. Es drückt sich darin eine Wahrheit aus, die in den alten Mysterien bekannt war und die uns auch die Urkunden lehren, daß das Geschlecht - wenn ich es so nennen darf -, das unserem unmittelbar vorangegangen ist, äußerlich-physisch nicht dem männlichen, sondern dem weiblichen Geschlecht ähnelte. So daß wir also vor der äußeren Trennung beide Geschlechter in einem Individuum haben, das äußerlich - im physischen Ausdruck und im ganzen Empfinden und Wesen - weiblich war.
Wir haben es also am Ursprunge des Menschengeschlechtes zu tun mit einem nach der weiblichen Seite hingeneigten, zweigeschlechtlichen Individuum. Das männliche Geschlecht ist erst später hervorgegangen.
Nun müssen wir uns klar sein, daß in diesem Individuum, das die beiden Geschlechter in sich selbst hat, auch ein Befruchtendes, ein männlicher Same da war. Das Weib hatte den Mann in sich. Wenn wir uns das klarmachen, daß das Weib den Mann in sich hatte, dann können wir uns auch nach unseren gewöhnlichen naturwissenschaftlichen Begriffen vorstellen, daß die Fortpflanzung gesichert war. Daß dies damals durch das Weib geschehen ist, das wollen wir einmal festhalten.
Nun trat die Zeit ein, in welcher die Dinge auseinandergehen sollten. Welchen Charakter hatte nun im Weibe eigentlich das Befruchtende, das, was die Weibnatur da auf dem physischen Plan befruchtete? Das, was auf das Weibliche als Same wirkte, das war das Männliche; und das war das Geistige, die Weisheit. Das Weib gab den
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Stoff, der Geist gab die Form. Ausgestaltung auf dem physischen Plan ist verwirklichte Weisheit. Im Weibe wirkte die Weisheit.
Nun differenzierten sich die beiden, indem die zwei Dinge, die früher zusammengewirkt hatten, als zwei getrennte Pole auftraten. Was früher in ein einziges Organ des Menschen zusammengedrängt war, trennte sich, und dadurch entstand eine Zweiheit in der Menschenbildung. Diese Zweiheit entstand so, daß zunächst in dem einen Individuum die Fruchtbarkeit, die Möglichkeit, daß das weibliche Ei sich fortpflanzte, aufhörte. Das weibliche Ei verlor die Möglichkeit, aus dem eigenen Körper befruchtet zu werden.
So haben wir es zu tun mit einem unfruchtbar gewordenen Weiblichen und einem darüberstehenden Geistigen. Es geschah durch Abspaltung der physischen Organe die Trennung der beiden Geschlechter, und die Möglichkeit der Befruchtung wird nun durch das andere Geschlecht gegeben. Zwei Individuen entstehen, das eine mit physischer Weiblichkeit und das andere mit physischer Männlichkeit: Die Weisheit hat beim Manne weiblichen, beim Weibe männlichen Charakter.
Die Trennung ist ein genauer Vorgang, den man verfolgen kann. Wir müssen uns aber da mit Andeutungen begnügen. Wir haben es also mit männlich gefärbter Weisheit im Weibe und weiblich gefärbter Weisheit im Manne zu tun.
Diese weiblich gefärbte Weisheit ist passiv, ist geeignet aufzunehmen, zu hören, zu schauen, aufzunehmen, was ringsherum ist.Die männlich gefärbte Weisheit, die aktive Weisheit, bringt hervor. Daher haben wir eine zweifache Weisheit: die weibliche Weisheit, die aktiv ist und die natürlich auch auf die Männer übertragen wird; so daß es auch genügend Männer gibt, die die weibliche Weisheit übernehmen.
Unten schreitet das Geschlecht fort, und oben haben wir es mit einer aktiven Intuition zu tun, die vom Weibe stammt und mit einer passiven Erkenntnis, die entschieden männlichen Charakter trägt.
Das stellt die alte Mysterienlehre dar als den Gegensatz der Abelsöhne oder Göttersöhne und der Kainssöhne oder Menschensöhne.
Was vollbringt nun diese Kainsweisheit, diese Kainswissenschaft, da sie als passive Wissenschaft nur aufnehmend ist? Was vollbringt sie?
Es gibt nun eine sehr interessante wichtige Legende, in der diese Wahrheiten für die Freimaurerei symbolisch zum Ausdruck kommen. Das ist die Tempellegende. Und daß es diese gibt, hat folgenden Grund.
Die Bibel selbst, das Alte Testament, ist hervorgegangen aus der weiblichen, der intuitiven Weisheit, sie trägt deren Grundcharakter. Das Alte Testament ist weibliche Weisheit.
Die männliche Weisheit brachte es nicht zur Intuition. Sie beschränkte sich auf das Bauen und Arbeiten; sie nahm Steine und machte Gebäude, sie nahm Metalle und machte Gerätschaften. Die Tempellegende stellt das so dar:
Einer der Elohim befruchtete die Eva, und da entstand Kain. Nachher schuf Jehova - ein anderer der Elohim, auch Adonai genannt - den Adam. Und Adam erzeugte mit Eva den Abel. Diese Legende stellt nun die Kainsweisheit der biblischen Weisheit entgegen, so daß wir beim Aufgehen der vierten Unterrasse zwei einander entgegenstehende Strömungen haben: die Bibel als weibliche Weisheit und die Tempelweisheit als die männliche Opposition dagegen. Das was der Mann [die männliche Weisheit?] wollte, wurde der weiblichen Weisheit schon in der vorchristlichen Zeit entgegengestellt. Das weitere ist so, daß Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Das steht auch in der Tempellegende. Jehova machte Streit zwischen Kains Geschlecht und Abels Geschlecht, und Kain tötete den Abel. Das heißt nichts anderes... [Hier folgen in der Nachschrift einige sehr unklare Sätze.]
Was war die Folge davon, daß diese Kainsweisheit entstand? Die Folge davon war, daß das Fruchtbare, das sich durch die eigene Weisheit fortpflanzte, getötet wurde. Indem Kain den Abel tötete, tötete männliche Erkenntnis in ihm das, was durch die Götter hervorgebracht worden war: die Möglichkeit der Fortpflanzung aus sich
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selbst. Das heißt, es wird dadurch, daß auf den Mann die Erkenntnis übergeht, der Abel in ihm ertötet.
Das ist ein Vorgang im Menschen selbst. Durch die männliche Erkenntnis wird die hervorbringende Kraft, wird Abel getötet. Nun stehen einander feindlich gegenüber die Nachkommen des Kain und das Geschlecht derer, die an die Stelle des Abel gesetzt werden, die Nachkommen des Seth.
Die Nachkommen des Kain sind diejenigen, welche ihre männliche Weisheit verwenden auf den Bau der äußeren Welt; die passive Weisheit wird zum Bau der äußeren Welt verwendet. Nicht die göttliche Weisheit strömt auf sie hernieder. Aus dem Freien muß sie mauern an der Welt. Sie hat keine göttliche Intuition. Durch Probieren, durch Erfahrung entsteht das Zusammenfügen der rein mineralischen Produkte der Erde. So wird aus diesem Kains-geschlechte Tubal-Kain geboren, und so wird später Hiram-Abiff oder Adon-Hiram aus diesem Geschlecht geboren.
Ich habe mir vorbehalten ...*)
Unter den Abeliten finden Sie den stärksten Repräsentanten in Salomo. In der dritten Unterrasse [= ägyptische Kulturepoche] hatten sie ihre Repräsentanten alle in den Priestern. Die alte Priesterweisheit war die intuitive Weisheit. Diese Weisheit, die vorher im Weibe als Befruchtung gewirkt hat, war umgewandelt auf einer höheren Stufe zu der geistigen Weisheit. Und aus dieser Priesterweisheit ist die Bibel hervorgegangen. Eine weibliche Weisheit ist die Bibel auf diese Weise geworden. Diese weibliche Weisheit ist imstande, über das Göttliche große Offenbarungen zu geben; zu sagen, wie es sich mit den Engeln und Geistern verhält.
Zu schaffen auf der Erde ist Sache der Kainssöhne. Darum ist auch Tubal-Kain der Urvater der Schmiede. Daher muß Salomo den Hiram-Abiff berufen, der ihm den Tempel bauen kann. Er baut dem König Salomo, dem Nachfolger der alten Priesterweisheit, den Tempel, ihm, dem Salomo, der die Priesterweisheit umsetzt in äußere Macht. Es ging das Königtum als äußere Institution aus der Priesterherrschaft hervor.
Salomo ließ also den Hiram-Abiff kommen. Und so wird der Salomonische Tempel gebaut.
Nun kommt aber die Königin von Saba
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an den Hof des Königs Salomo, und es wird dort eine Art Verlobung zwischen beiden gefeiert. Es wird ihr auch der Tempel gezeigt, und sie verlangt den Baumeister dieses herrlichen Tempels kennenzulernen. Als sie den Baumeister dieses herrlichen Tempels kennenlernt, da geht in ihr etwas ganz Eigentümliches vor. Ein Blick von Hiram-Abiff fiel auf sie, und das wirkte in ihr entzündend. Und das zweite, was vorging, war das Folgende. Als sie die Arbeiter sehen will und wie das alles vor sich geht auf dem physischen Plan, da nimmt Hiram-Abiff das Tau-Zeichen, hält es in die Luft empor, und die Arbeiter laufen alle zusammen wie die Ameisen.
Sie wird dadurch dem Salomo abtrünnig. Einige Gesellen des Hiram-Abiff, die Hiram nicht zu Meistern machen wollte, kommen dem Salomo zu Hilfe. Und diese wollten nun das Meisterstück des Hiram, den Guß des Ehernen Meeres, verhindern. Statt daß ein Kunstwerk entstand, strömten nun die Feuerströme nach allen Seiten auseinander. Hiram bemühte sich, das Ganze durch Wasser zu dämpfen; aber er brachte es dadurch erst recht in Verwirrung. Ein Feuerregen sprüht hernieder und alle kommen hinein. Auch Hiram-Abiff. Eine Stimme ruft ihm aber zu, keine Angst zu haben, denn daraus werde sein größter Erfolg hervorgehen.
Nun wird er von einer Gestalt nach dem Mittelpunkt der Erde geführt. Da trifft er Kain selbst, zu dem er durch Tubal-Kain - den Schöpfer der Schmiedekunst - geführt worden ist. Da wird ihm nun eine wichtige Weisheit offenbart. Es wird ihm gesagt: Erkenne du nun den eigentlichen Jehova, der die Ursache ist, daß du da bist. Aber Jehova haßt die Feuersöhne und will sie vernichten; er will seine eigene Hervorbringung vernichten. Aber ihr habt nichts zu fürchten. Dir wird ein Sohn geboren werden, den du nicht selbst sehen wirst, aus dem aber ein Geschlecht hervorgehen wird, aus dem eine neue Feueranbetung auf der Erde entstehen wird.
Mit dem Hammer, der ihm von Tubal-Kain gegeben wird, ist er daraufhin imstande, das projektierte Eherne Meer zustande zu bringen und sich dadurch noch mehr die Zuneigung der Königin von Saba zu erwerben. Dieser erscheint bei einem Spaziergang ein Vogel in der Luft, der das mystische Tau-Zeichen zeigt. Daran erkennt die Amme der Königin, daß unter diesem Zeichen des Tau die Zukunft der Weisheit verborgen ist. Bei
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einem Feste, bei dem sich Salomo berauscht hatte, zieht ihm die Königin von Saba den Verlobungsring wieder von der Hand. Hiram-Abiff aber wird von den Gesellen überfallen und getötet. Er ist nur noch imstande, das verborgene Wort auf ein goldenes Dreieck zu schreiben und dieses zu verbergen. Es wird später gesucht und eingeschlossen in einen Stein, der Würfelgestalt hat. Auf diesem Stein, der das verborgene Wort verhüllt, stehen die Zehn Gebote.
Das ist die Tempelweisheit, welche die männliche Wissenschaft der weiblichen Weisheit entgegengesetzt hat. Das sind Dinge, die nur erklärt, die nur auf ihren okkulten Gehalt hin untersucht zu werden brauchen, um den tiefen Gehalt zu erkennen.
Denken Sie sich, Hiram-Abiff wird zum Urvater seines Geschlechts geführt. Da erhält er eine Instruktion: es wird ihm gesagt, Jehova ist ein Feind der Feuersöhne. Welches sind die Feuersöhne? Das sind die, welche erst entstehen konnten durch die Trennung der Geschlechter, durch die Einwirkung des physischen Mannes auf ein physisches Weib.
Das Feuer ist die Wirkungskraft des männlichen Samens. Im männlichen Samen lebt das Feuer im okkulten Sinne. Diese Grundkraft mußte Jehova schaffen, damit das Geschlecht fortgepflanzt werden konnte. Jehova schuf die Feuersöhne, was nur möglich war auf Grund dieses Feuers. Daher ist er der Feind des Neuen. Er war es, der die alte Art der Fortpflanzung fortlebte. Es war also ein Ausfluchtsmittel, was da geschaffen worden ist, und daher hatte er sich wieder den Priestern zugewendet und hat sie zu seinen Verkündigern gemacht. Er hat seine Macht und die Herrlichkeit der eigenen Weisheit durch die Priesterweisheit verkündigen lassen. Durch die Priesterweisheit ist die Weisheit Jehovas verkündigt worden.
Hiram-Abiff ist also dazu berufen, das Eherne Meer, das heißt, die Verwandlung des Mineralreiches durch die Kunst zu übernehmen. Auch wird ihm gesagt, daß ihm ein Sohn geboren werden wird, der, wenn er ihn auch nicht selbst sehen kann, ein neues Geschlecht hervorbringen wird. Dieser Sohn ist nichts anderes als das neue Geschlecht, das einmal treten soll an die Stelle des alten, des jetzigen; das neue Geschlecht, bei dem es nicht mehr nötig ist, daß beide Geschlechter sich miteinander verbinden, sondern wiederum die Fortpflanzung durch
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das eine menschliche Individuum bewirkt werden kann. Da wird auf eine ferne Zukunft hingewiesen. Die alte weibliche Kultur wurde abgelöst von der männlichen. Das Weibliche als physische Gestalt wird absterben. Dann muß das Männliche eine Kraft in sich haben, ein Individuum aus sich selbst hervorzubringen. Und wo sitzt diese Kraft?
Früher war Männliches und Weibliches in einem Individuum. Und als diese beiden sich trennten, entstand ein Herauswinden des heutigen Individuums. Es entstand der obere Teil. Das was [heute] oberer Teil ist, war damals mit den Sexualorganen vereinigt. Das was heute Sexualorgan ist, ist die Hälfte der damaligen [Hervorbringungs-]Kraft.
Daher ist auch die Kraft, die im Kehlkopf sitzt, die andere Hälfte. Die Sprache bringt heute noch nichts hervor. Sie muß erst durchdrungen werden von der Kainsweisheit und muß dann so hervorbringen. Wenn der Mensch die Kraft erlangt haben wird, daß sein Kehlkopf so weit sein wird, daß sein Wort schaffend wird, so daß er durch das Wort seinesgleichen hervorbringen wird, dann wird die ganze produktive Kraft übergehen auf das männliche Geschlecht. Es wird dann auf die Menschen übergehen, was einstmals durch die Götter geschaffen wurde.
Wann ist das Wort verlorengegangen? Als die Zweigeschlechtlichkeit entstand. Es ist vergraben, verborgen. Die Kainssöhne haben es nur bei ihrem Urvater gehabt. Hiram-Abiff sollte wenigstens die Prophetie davon erhalten. Er wurde aber gleich darauf getötet.
Das Wort ist vergraben, aber es ist da. Wäre es nicht vergraben, so wäre der Mensch selbstschöpferisch, wie der Elohim selbstschöpferisch ist. Daher ist das «Wort» in der Freimaurerei nicht das richtige, sondern das falsche «Wort». Das richtige Wort ist verborgen. Die Zehn Gebote sind eingegraben auf dem Stein, der das verborgene Wort enthält. Was sind die Zehn Gebote? Das sind die Gesetze der sittlichen Weltordnung. Die halten den äußeren Verkehr aufrecht, wie er jetzt ist unter dem Einfluß von Menschen aus beiden Geschlechtern. Solcher Gebote bedarf es nicht, wenn es keine zwei Geschlechter mehr gibt. Es ist diejenige Menschenordnung, die unter dem Einfluß der beiden Geschlechter entstanden ist.
So haben wir in dem Freimaurertum die Bewahrung des Andenkens an das verlorengegangene Wort, das errungen werden soll innerhalb
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derjenigen, die in der Freimaurerei arbeiten, und das nur dann errungen werden kann, wenn die passive männliche Weisheit in sich selbst die Aktivität erweckt.
Deshalb sagt die Freimaurerei: Alles, was nicht aus der eigenen über die Welt verbreiteten Wissenschaft hervorgebracht wird, stammt noch aus den alten Zeiten weiblicher Priesterherrschaft. Diese wollen wir nicht bloß übernehmen [überwinden?], sondern auch einen neuen Wirbel des Daseins beginnen; wir sollen selbst der männlichen Kainserkenntnis die Intuition geben. Das würde unmöglich sein, wenn man dem Manne die Kraft nehmen würde dadurch, daß man das Weib zum Mitwisser des Geheimnisses machte. In dem Augenblick, wo vor Frauen gesprochen würde, würde das Ganze unwirksam sein müssen.
Es ist also eine Notwendigkeit gewesen, daß das ganze weibliche Geschlecht von der Freimaurerei ausgeschlossen war. Es hängt das damit zusammen, daß das Organ des Wortes mit der Geschlechtlichkeit, der Sexualität zusammenhängt. Deshalb mutiert auch der Mann, wenn er geschlechtsreif wird. Das Mutieren ist nichts anderes als der Ausdruck der alten Zusammengehörigkeit von Sprachorgan und Geschlechtsorgan.
Jetzt werden Sie auch fassen, was der Freimaurer sagt: Es ist überhaupt nur der Mann dazu berufen, das verlorengegangene Wort auszusprechen und es umzugießen; nur der männlich gebaute Kehlkopf ist imstande, dasjenige zu sagen und zu wissen, was durch das verlorengegangene Wort wieder erreicht werden kann. Wenn wir es so auffassen, wird man begreifen, daß man es dem Weibe nicht gestattete, das Neue durch den Mund zu führen. - Es ist komisch, von Gelehrten als Grund angeführt zu sehen: die Frauen werden nicht aufgenommen, weil sie alles ausklatschen. - Der weibliche Kehlkopf ist als ein Rudiment stehengeblieben. Der männliche Kehlkopf ist es aber, der sich zum Zukunftsorgan bildet.
Sie sehen, daß es sich um tiefe und bedeutsame Zusammenhänge handelt, und daß der Ausdruck «Maurer» in einem möglichst wörtlichen Sinne zu nehmen ist. Daher waren die Maurer in der griechischen und römischen Zeit die Erbauer dessen, was Schönheit ausdrücken soll. Dome, Tempel und andere bedeutende Bauwerke wurden von diesen Baumeistern erbaut.
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Die Sache ist nun so, daß selbstverständlich ein Teil dessen, was geleistet worden ist durch den Freimaurerbund, doch wieder von der alten Priesterweisheit her genommen werden mußte. So haben Sie wieder eine Mischung von weiblicher Weisheit und männlichem Streben. Im Grunde genommen ist das Geheimnis der Freimaurerei dasjenige, was noch nicht enthüllt ist, was noch gar nicht da ist, was man also auch nicht verraten kann, da es noch nicht da ist. Es ist dasjenige, was ausgesprochen werden wird, wenn einmal dem Worte die Produktionskraft innewohnen wird.
Das sind einige Worte, welche dem Okkultisten den Gedanken der Freimaurerei klarmachen werden. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein hat man gewußt, daß die Dinge so sind. Erst als man den Zusammenhang mit den höheren Welten verloren hatte, verlor man auch in der Freimaurerei das Bewußtsein dessen, was man verloren hatte. Und doch wieder nicht. Man verwässerte die Maurerei, man sagte, man wisse nicht mehr die Bedeutung.
Man muß sich aber klar sein darüber, daß alles, was da existiert als Symbole, der alten Priesterweisheit entstammt, und daß das, was in den Symbolen darinnensteckt, erst noch herauskommen muß. Die eigentliche weibliche Weisheit geht allmählich ganz verloren. Daher hat man die sogenannten Hochgrade, die Bewahrer der weiblichen Weisheit, verschwinden lassen. Übriggeblieben ist nur noch das, was man die Johannesmaurerei nennt, die sich nur noch mit weltlichen Dingen beschäftigt und nur davon etwas versteht.
Das ist aber doch auch wieder ganz natürlich, denn es mußte ja, indem der Materialismus sich entwickelte, die Priesterweisheit verlorengehen. Was kann nun geschehen? Die alte Weisheit ist fort. Wir sollen im Äußeren leben. Was ist die Folge davon? Dies, daß erst dann wieder etwas Besseres hineinkommen kann, wenn eine Weisheit kommt, die wiederum ungeschlechtlich ist, die nicht mehr zusammenhängt mit der weiblichen und männlichen Weisheit, nicht mehr mit dem weiblichen Bibeltum, nicht mehr mit der männlichen Tempellegende.
Dieser Weisheit begegnen wir in der Theosophie. In dieser Weisheit verstehen sich beide Geschlechter. Da arbeitet am Weibe der Mann, der im Weibe ist, und da arbeitet am Mann dasjenige, was
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wiederum ungeschlechtlich ist. Da begegnen sich in der Erkenntnis des höheren Planes das Männliche und das Weibliche. Es ist also ganz natürlich, daß die eigentliche okkulte Grundlage als Freimaurerei gebracht worden ist, und daß ein neuer Ansatz gemacht worden ist. So etwas nennt man einen «Wirbel»:
So schlingen sich wirklich die Dinge in unserer Zeit zusammen. So müssen wir das ineinanderlaufend denken. Daher hat sich die Theosophie weder gestützt auf die Bibellegende, noch auf die Tempellegende, sondern den Weisheitskern in allem aufgesucht, der wieder hergestellt werden muß, ungeschlechtlich. Nun sehen Sie, wie die Theosophie das Friedenstiftende, das Harmonie-Herbeiführende ist.
Wie ist in unserer Wurzelrasse dies zusammengefügt? Unsere Wurzelrasse wiederholt, was früher schon da war. Den Gegensatz dessen, was in der lemurischen Zeit schon da war, brachte sie zum deutlichen Ausdruck auf geistigem Gebiet. Opposition mußte sich deshalb herausstellen, weil das weibliche Geschlecht früher war und in absteigender Linie ist, während das männliche Geschlecht in aufsteigender Linie ist und die Samenkraft in sich sucht, die das Weib in sich hat.
Wenn wir in den unteren Regionen bleiben, so müssen wir durch den Okkultismus genau unterscheiden: Wer Rassenmensch der Atlantier ist, braucht nicht zugleich auch Seelenmensch der Atlantier zu sein. So ist auch die Seele nicht an das Geschlecht gebunden. Die Seelen des weiblichen Geschlechts bewegen sich hindurch, bis sie die von den Männern sich selbst gemachten Körper mitbewohnen können und ein [einziges, nämlich das männliche] Geschlecht auf der Erde sein wird.
Solange die Männer noch dem Weiblichen in Opposition gegenüberstanden, mußten sie schweigen. Der Zusammenhang der Geschlechter wurde dadurch vorbereitet, daß im 18. Jahrhundert die Adoptionslogen gegründet wurden. Im Jahre 1775 wurde die erste
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gegründet. Da wurde eine Maurerei getrieben, welche andere Symbole als die männliche Maurerei hatte. Dadurch aber, daß solche Adoptionslogen der männlichen Freimaurer auch Frauen aufnahmen, wurde der Zusammenhang der Geschlechter vorbereitet. Mitglied einer solchen Adoptionsloge war auch die Begründerin unserer Gesellschaft. Da spielt also auch die Sache hinein, die als Anfang der Theosophie bezeichnet werden muß. Die Theosophie ist also eine Weltaufgabe, die mit okkulten Strömungen zusammenhängt und aus dem Freimaurertum heraus arbeiten muß. Es könnte sogar noch einmal aufgeweckt werden und uns helfen können.
Aber das ist der tiefere Gedanke: daß auf theosophischem Gebiete diese einseitige männliche Bestrebung überwunden werden muß. Es gibt schon im ganzen Mittelalter eine großartige Vorbereitung für das Erzeugen des anderen Geschlechts im Manne auf geistige Weise. Der Mann erzeugt durch Konzentration in sich zuerst als Gedanke, was später in ihm als Sein entstehen soll. Daher entstand im ganzen Mittelalter als Vorbereitung dazu der Marien-Kultus. Der ist nichts anderes als die Konzentration zur Erzeugung des Weiblichen im Männlichen, während beim Weibe der Jesus-Kult dem gleichen Zweck dient. Der Marien-Kult hat aus dieser Grundlage seinen Ursprung.
Nun werden Sie einsehen, welche Verwirrung eintreten mußte, als ein Orden auftrat, der mit alle dem brach und die weibliche Weisheit wieder zurückerobern will. Es geht um die Herrschaft der Welt, die erobert werden soll. Will jemand die alte Weisheit lassen, wie sie ist, so muß er die Welt für die alten Kräfte erobern. Einen solchen Orden gibt es: Es ist der Jesuitenorden. Er hat sich bewußt diese Aufgabe gestellt. Daher stehen sich so schroff gegenüber Jesuiten und Freimaurer.