Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 138 Von der Initiation - Von Ewigkeit und Augenblick - Von Geisteslicht und Lebensdunkel

5. Vortrag München, 29. August 1912

Aufstieg in die obere mentale Welt. Stellenwert von Christus und von Luzifer.

Gestern versuchte ich mit Worten, die nun einmal für solche Dinge möglich sind, zu charakterisieren den Unterschied des Herausrückens aus dem physischen Leibe zu dem Erleben, dem Erfühlen im ätherischen oder elementarischen Leibe und im astralischen Leibe. Und ich bemerkte, daß das Erleben so verläuft, daß das Sich-Hineinleben in den elementarischen oder ätherischen Leib sich ausnimmt wie eine Art Hinausfließen in die Weiten der Welt, wobei man das Bewußtsein durchaus behält, daß man von einem Mittelpunkte, nämlich von seiner eigenen Leiblichkeit, nach allen Seiten ins Unbegrenzte ausströmt.

Das Erleben aber im astralischen Leibe stellt sich so dar, daß es sich wie ein Aus-sich-Herausspringen und Hinein-springen in den astralischen Leib ausnimmt, so daß man sich wirklich jetzt erst erlebend fÜhlt so außerhalb seines physischen Leibes, daß man alles, was man war im physischen Leibe, was man «sich selbst» nennt im physischen Leibe, wie etwas empfindet, was man außer sich hat, wie ein Außer-sich-Seiendes. In einem anderen ist man drinnen.

Ich habe schon gestern darauf hingedeutet, daß die Welt, der man sich dann gegenüber befindet, die Bezeichnung des Geisterlandes tragen muß in Gemäßheit zum Beispiel meiner «Theosophie». Man könnte auch sagen, es sei der niedere Mentalplan, denn es wäre unrichtig zu glauben, daß, wenn man in richtiger, selbstloser Weise dazu gelangt, im astralischen Leibe zu leben, man dann in dem wäre, was man gewöhnlich die astralische Welt nennt, indem man mit diesem Worte etwas Niedriges verbindet.

Nun ist der Unterschied gegenüber dem Leben, Beobachten und Erfahren im Sinnensein und dem Erfahren in dem astralischen Leibe gegenüber dem Geisterlande durchaus verschieden, ganz gewaltig verschieden. Denn im Sinnensein stehen wir gegenüber Stoffen, Kräften, Dingen, Vorgängen und so weiter. Wir stehen auch Wesen gegenüber im Sinnensein, stehen ja vor allen Dingen außer den Wesen der anderen Naturreiche - sofern wir berechtigt sind, sie so zu

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nennen - unseren eigenen Mitmenschen gegenüber.

Wir stehen im Sinnensein diesen anderen Wesenheiten so gegenüber, daß wir wissen, diese Wesenheiten nehmen in sich auf die Stoffe und Kräfte der Welt eben des Sinnenseins, durchdringen sich damit und leben dadurch mit dem Leben, welches verläuft in den Naturgesetzen und durch die Naturkräfte der äußeren Welt. Kurz, wir müssen unterscheiden im Sinnensein zwischen dem Naturverlauf und den Wesenheiten, die sich innerhalb dieses Naturverlaufes ausleben und sich mit den Stoffen und Kräften desselben durchdringen. Wir haben den Naturverlauf und die Wesenheiten.

Nehmen wir im astralischen Leibe in der geistigen Welt wahr, so können wir diesen Unterschied auch nicht mehr so machen. Wir stehen eigentlich in dieser geistigen Welt nur Wesenheiten gegenüber, und diesen Wesenheiten steht nicht das entgegen, was man Naturverlauf nennen könnte. Alles ist Wesen, was einem begegnet, wozu man auf die Weise, wie es gestern angedeutet worden ist, geführt wird. Überall wo etwas ist, ist Wesen, und man kann nicht sagen wie im Sinnensein: Dort ist ein Tier und dort sind äußere Stoffe, die von ihm gegessen werden. - Diese Zweiheit gibt es dort nicht, sondern was ist, ist Wesen. Und wie man sich zu diesen Wesen zu stellen hat, habe ich auch schon gesagt: daß es hauptsächlich die Welt der Hierarchien ist, die wir von anderen Gesichtspunkten aus öfter charakterisiert haben.

In ihrer Stufenfolge lernt man die Welt der Hierarchien kennen, von denjenigen Wesenheiten an, die man zunächst kennenlernt als die Angeloi und Archangeloi, Engel und Erzengel, wie sie in unserer Terminologie genannt werden, bis zu den Wesenheiten, die einem fast zu entschwinden scheinen, so undeutlich werden sie, den Cherubim und Seraphim.

Aber es ist eines möglich, wenn man sich in diesen Welten befindet: eine Beziehung zu diesen Wesenheiten zu gewinnen. Was man im Sinnensein ist, das muß man vorher zurücklassen im Sinne der gestrigen Auseinandersetzungen; aber wie ich Ihnen gesagt habe, man behält es doch zurück in der Erinnerung. Man trägt die Erinnerung an das Abgelebte in diese Welten hinein, und wie man im Sinnensein auf die Erinnerungen zurücksieht, so blickt man auf das, was man im Sinnensein

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ist, von der höheren Welt aus zurück, man hat es in der Erinnerungsvorstellung.

Nun ist gut, wenn man die ersten Schritte der Initiation in die höheren Welten hinaufrückt, daß man unterscheiden lernt zwischen einem ersten Schritt und einem folgenden Schritt. Es ist nicht gut, wenn man diese Unterscheidung nicht machen lernt. Sie besteht im wesentlichen darin, daß man sich am besten orientieren lernt in den höheren Welten, wenn man zu den ersten Erinnerungsvorstellungen, die man da hinüberträgt und die einen an das Sinnensein erinnern, nicht die Vorstellung des eigenen physischen Leibes und seiner Gestalt hat. Es ist eben eine Erfahrung, daß es besser ist. Und jeder, der Rat geben soll für diejenigen Übungen, die gemacht werden sollen, um die ersten Schritte der Initiation herbeizuführen, sieht darauf, daß zu den ersten Erinnerungsvorstellungen nach Überschreiten der Grenze, nach dem Vorbeigelangen an dem Hüter der Schwelle nicht eine Anschauung der physischen Leibesform gehört, sondern daß die ersten Erinnerungsvorstellungen im wesentlichen solche sind, die man zusammenfassen könnte mit der Bezeichnung: moralisch-intellektuelle Empfindung seiner selbst. Das sollte man zuerst empfinden, wie man sich moralisch zu taxieren hat, sollte empfinden, welche moralischen oder unmoralischen Neigungen man hat, welches Wahrheitsgefühl oder Oberflächlichkeitsgefühl man hat, empfinden also, wie man sich zu bewerten hat als Seelenmensch.

Das ist es, was als erste Empfindung auftritt. Es tritt nicht so auf, daß man den Ausdruck dafür am besten wählt mit Worten, die dem Sinnensein entnommen sind, denn es ist das Erleben viel intensiver mit uns verbunden, als im Sinnensein etwas Ähnliches ist, wenn man eben hineintritt in die geistige Welt. Nachdem man etwas getan hat, womit man moralisch nicht einverstanden sein kann, erfüllt sich das ganze Innensein, das man da hat, wie mit einer Bitternis, wie mit etwas, was sich in die Welt, in welche man sich da hineingelebt hat, ausbreitet, was diese Welt erfüllt mit einem Aroma von Bitternis, wobei ich nicht zu denken bitte an ein sinnliches Aroma, aber man fühlt herankommen ein Durchdrungensein mit einem Aroma von Bitternis. Was man moralisch rechtfertigen kann, ist mit

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einem sympathischen Aroma erfüllt. Man könnte auch sagen:

So also sollen sein, damit man sich gut orientieren kann, die Bewertungen moralischer oder intellektueller Art, die man sich angedeihen lassen kann und die einem wie der Luftkreis die Welt erfüllen, in die man eintritt. So ist es am besten, wenn man eben seelisch diese Welt empfindet, und wenn erst, nachdem man sich vertraut und bekannt gemacht hat mit diesem seelischen Erfühlen - sagen wir des geistigen Raumes -, die Erinnerung auftritt, die ganz die Form und Gestalt haben kann auch dessen, was physische Leibesform im Sinnensein ist, so daß sich einem diese gleichsam hineinstellt in die neu gewonnene moralische Atmosphäre.

Was ich Ihnen hier beschrieben habe, kann aber auch nicht nur zum Beispiel mitten aus dem Tagesleben heraus auftreten, daß es so kommt wie ein Eintreten in die geistige Welt, wenn man die entsprechenden Schritte zur Initiation gemacht hat, sondern es kann auch noch anders auftreten. Ob es in der einen oder anderen Weise auftritt, das hängt im Grunde genommen von dem Karma des einzelnen Menschen ab, hängt von der ganzen Art seiner Veranlagung ab. Man kann nicht sagen, daß die eine Art des Auftretens besser oder weniger gut wäre als die andere; es kann das eine und das andere vorkommen. Es kann mitten aus dem Tagesleben heraus der Mensch sich wie hineingezogen fühlen in die geistige Welt, aber es kann auch so auftreten, daß er eine andere Art des Erlebens gegenüber dem Schlafe bekommt.

Das gewöhnliche Erleben gegenüber dem Schlafe ist ja so, daß der Mensch mit dem Eintreten in den Schlaf bewußtlos wird, daß er mit dem Aufwachen sein Bewußtsein wiedergewinnt, und daß er dann im Tagesleben - mit Ausnahme der Erinnerung an die Träume - nicht eine Erinnerung an das Schlafleben hat; er erlebt es bewußtlos. Es kann nun auch das für die ersten Schritte der Initiation auftreten, daß sich etwas anderes in dem Schlafleben ausbreitet, so daß zunächst eine andere Art des Einschlafens eintritt. Man erlebt eine andere Art des Bewußtseins mit dem

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Eintritt in das Schlafleben. Die dauert, mehr oder weniger von bewußtlosen Zeiten unterbrochen, verschieden lange, je nachdem der Mensch weiter fortgeschritten ist, aber dann, wenn es gegen den Morgen zugeht, erlischt sie wieder. Und in der ersten Zeit nach dem Einschlafen tritt das ein, was man nennen kann eine Erinnerung an sein moralisches Verhalten, an seine Seelenqualitäten. Diese Erinnerung ist besonders stark nach dem Einschlafen und nimmt immer mehr und mehr ab, je weiter es dem Aufwachen zugeht.

Es ist also, was da als Folge der Übungen zu den ersten Schritten der Initiation eintreten kann, ein Aufhellen, ein Durchhellen des Schlafbewußtseins, das sonst bewußtlos ist, mit Bewußtheit. Da gelangt man dann auch in die Welten der höheren Hierarchien hinein, fühlt sich ihnen angehörend. Aber es muß jetzt dieses Drinnenleben in der Welt, wo alles Wesenheit ist, gegenüber der gewöhnlichen Welt des Sinnenseins etwa in folgender Weise charakterisiert werden. In der Sinneswelt steht zum Beispiel ein Blumentopf vor dem Beobachter, der Beobachter steht davor, der Blumentopf ist draußen, außer ihm, er beobachtet ihn, indem er sich hinstellt und ihn ansieht.

Mit einer solchen Beobachtung können wir das Erleben in der eben gemeinten höheren Welt gar nicht vergleichen. Sie würden sich eine ganz falsche Vorstellung machen, wenn Sie glaubten, daß man da drinnen herumgeht und die Wesenheiten auch so von außen ansieht, indem man sich vor sie hinstellt und sie beobachtet, wie man in der Sinneswelt etwa einen Blumenstrauß beobachtet. So ist es nicht. Sondern wenn man etwas vergleichen will im Sinnensein mit der Art, wie man zu der Welt der Hierarchien steht, so könnte es nur das Folgende sein. Es ist ja ein Vergleich, den ich brauche, aber man kann es sich dadurch klarmachen.

Nehmen Sie an, Sie setzen sich irgendwo nieder und nehmen sich vor, nicht über dieses oder jenes mühevoll nachzudenken, sondern Sie wollen zunächst eigentlich über gar nichts Besonderes denken. Wie unhervorgerufen erhebe sich in Ihnen irgendein Gedanke, an den Sie zunächst nicht gedacht haben. Er nimmt Ihre Seele so in Anspruch, daß er sie erfüllt, so daß Sie zu dem Gefühl kommen können: Sie können diesen Gedanken gar nicht mehr unterscheiden von

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sich selbst, Sie seien ganz eins mit dem Gedanken, der da aufgetaucht ist.

Wenn Sie das Gefühl haben, der Gedanke lebt und zieht Ihre Seele mit sich, die ist mit ihm verbunden; und man könnte ebensogut sagen, der Gedanke ist in der Seele wie die Seele im Gedanken -, so ist das etwas Ähnliches im Sinnensein, wie man sich bekannt macht und benimmt mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Die Worte «man ist neben ihnen, man ist außer ihnen» verlieren allen Sinn. Man ist mit ihnen, wie die Gedanken mit einem leben, aber nicht so, daß man sagen kann: die Gedanken leben in einem -, sondern, daß man sagen muß: der Gedanke denkt sich in einem. - Sie erleben sich, und man erlebt das Erleben der Wesenheiten mit. Man ist drinnen in den Wesenheiten, man ist eins mit ihnen, so daß man sein ganzes Wesen in der Sphäre, in der die Wesenheiten leben, ausgegossen hat und man ihr Sein miterlebt, indem man ganz genau weiß, sie erleben sich darinnen.

Es darf niemand glauben, daß er gleich nach den ersten Schritten auf dem Wege zur Initiation das Gefühl habe, er erlebe alles, was diese Wesenheiten erleben. Er braucht durchaus nicht mehr zu wissen als, er ist diesen Wesenheiten gegenüber, wie er im Sinnensein einem Menschen gegenüber ist, den er zum ersten Male sieht. Die Berechtigung des Ausdruckes «die Wesenheiten erleben sich in einem», bleibt bestehen, und doch braucht man auf die erste Bekanntschaft hin nicht mehr zu wissen, als man bei einem Menschen weiß, dem man zum ersten Male begegnet. In dieser Art also ist es ein Miterleben. Das wird immer intensiver und intensiver, und dadurch dringt man auch immer mehr und mehr in das Wesen dieser Wesenheiten ein.

Nun aber verbindet sich mit dem, was so als ein geistiges Erleben geschildert worden ist, etwas anderes. Es verbindet sich damit ein gewisses Grundgefühl, das eigentlich wie eine Art realen Ergebnisses aller einzelnen Erlebnisse in der Seele sitzt. Es ist ein Grundgefühl, das ich Ihnen vielleicht an seinem Gegensatz darstellen kann. Genau entgegengesetzt diesem Grundgefühl, das man da erlebt, ist in der Sinneswelt das, was man erlebt, wenn man an irgendeinem Orte steht und sich ansieht, was ringsherum ist.

Denken Sie sich, es stände

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jemand in der Mitte des Saales und sähe alles, was hier ist. Da würde er sagen: hier ist der Mensch, dort jener Mensch und so weiter. Das wäre sein Verhältnis zur Umwelt. Das ist aber das Gegenteil der Grundstimmung, die man in der eben charakterisierten Welt hat. Da kann man nicht sagen: ich bin hier, dort ist dieses Wesen, dort jenes -, sondern da muß man sagen: ich bin dieses Wesen.

Denn tatsächlich ist das eine wahre Empfindung. Was ich eben für alle einzelnen Wesenheiten gesagt habe, das empfindet man auch der Gesamtheit der Welt gegenüber. Man ist eigentlich alles selber. Dieses In-dem-Wesen-Sein breitet sich aus über die ganze Seelenstimmung. Diese Seelenstimmung ist in der Tat da, wenn bewußt die Zeit vom Einschlafen bis zum Aufwachen erlebt wird. Da kann man gar nicht beim bewußten Erleben sich anders fühlen als sich ausgegossen über alles, was man erlebt, sich in allem drinnen, bis ans Ende der Welt, die man überhaupt noch wahrnehmen kann.

Ich habe einmal folgendes versucht, und ich möchte das als eine Episode hier einschalten, nicht um Ihnen etwas Besonderes zu sagen, sondern nur, um mich erklärlich zu machen. Es ist mir nämlich vor Jahren schon aufgefallen, daß gewisse mehr oder weniger übersinnliche Zustände in den großen Weltdichtungen wie in einem Abglanz einem entgegentreten. Ich meine nämlich, wenn der Hellseher sich klarmacht, was er in gewissen übersinnlichen Erlebnissen als Grundstimmung der Seele hat, und dann die Weltliteratur durchgeht, so findet er bei den wirklich großen Dichtungen da oder dort solche Stimmungen, die gewisse Kapitel oder Abschnitte von diesen Dichtungen durchziehen. Das brauchen nicht etwa okkulte Erlebnisse der Dichter zu sein. Aber der Hellseher kann sich sagen, wenn er das, was er als Seelenstimmung erlebt hat, wie in einem Nachklange in der Sinneswelt wiedererleben will, so kann er zu diesen oder jenen großen Dichtungen gehen und findet dort etwas wie ein Schattenbild in der betreffenden Dichtung. Wenn der Hellseher mit seiner Erfahrung zum Beispiel Dante liest, so hat er zuweilen dieses Gefühl, daß ein solcher Abglanz, Schatten, die man eigentlich richtig in ihrem ursprünglichen Zustande nur hellseherisch erleben kann, in der Dichtung sind.

Nun versuchte ich also einmal, gewisse

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Zustände, die geschildert werden können, in den Dichtungen aufzusuchen, um eine Art Konkordanz zu bekommen zwischen Erlebnissen in den höheren Welten und dem, was wie im Abglanz in der physischen Welt vorhanden ist. Und zwar fragte ich mich: Könnte es nicht etwa sein, daß jene eigentümliche Seelenstimmung, welche über die Seele ausgegossen ist, wenn ein vollbewußtes Schlafen stattfindet - also ein Sein in den höheren Welten, wie ich es jetzt beschrieben habe, aber in der Stimmung erfaßt -, sich in der Weltliteratur auch im Nachklange in der Stimmung findet?

So direkt hat sich allerdings nichts ergeben. Aber bei einer anderen Stellung der Frage ergab sich etwas. Man kann sich nämlich auch fragen, weil die Erlebnisse es gestatten: Wie würde ein anderes Wesen, das nicht Mensch ist, also zum Beispiel irgendein anderes Wesen der höheren Hierarchien, diese Seelenstimmung empfinden, das Drinnensein in den höheren Welten?

Oder genauer gesprochen: Der Mensch fühlt sich in dieser Welt drinnen und schaut Wesen der anderen Hierarchien. Wie man nun in der Sinneswelt fragen kann: Was empfindet ein anderer Mensch gegenüber einer Sache, die man selbst empfindet? - so kann man auch gegenüber einem Wesen der höheren Hierarchien diese Frage aufwerfen und hat die Möglichkeit, sich eine Vorstellung zu bilden, was ein anderes Wesen erlebt. Da kann man sich dann gegenüber dem Leben in den höheren Welten, wie es beim wirklich bewußten Schlafe möglich sein würde, eine bestimmte Art von höherem Erleben vorstellen, als es beim Menschen selber der Fall ist, aber von solchem Erleben, das doch allen möglichen Anteil hat an der Menschenseele. Man kann also an ein Wesen denken, das in eine höhere Hierarchienreihe hineingehört, als es der Mensch auf der Erde ist, das aber doch auf höhere Art alles Menschliche noch empfinden kann. Wenn man die Frage so stellt, wenn man also nicht auf den gewöhnlichen Menschen reflektiert, sondern auf einen typischen Menschen, und sich die Stimmung vorstellt, so bekommt man die Möglichkeit, etwas in der Weltliteratur zu finden, von dem man sich immerhin den Begriff bilden kann: es ist ausgegossen eine solche Stimmung im Nachklange, von der man eigentlich nur eine richtige Vorstellung bekommt im ursprünglichen Zustande, wenn

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man sich in die jetzt geschilderte, charakterisierte Welt hineinversetzt.

Nun findet sich allerdings nichts innerhalb der europäischen Literatur, von dem man sagen könnte: Es ist die Seelenstimmung darin fühlbar von dem, was ausgegossen ist über eine Seele, die sich in allem fühlt in der charakterisierten Welt. Aber es ist wunderbar, wie man anfängt in einer neuen Weise zu begreifen und sich aufs neue bewundernd entzückt zu fühlen, wenn man diese Stimmung auf sich wirken läßt im Nachklange, ausgehend von den Reden des Krishna in der «Bhagavad Gita». Ein ganz neues Licht gießt sich aus über diese Zeilen der Bhagavad Gita, wenn man sich vergegenwärtigt, es wäre das nicht in den Worten, sondern in der ausgegossenen Stimmung im Nachklange enthalten, was ich eben jetzt geschildert habe. Ich wollte das nur wie eine Illustration des Hellsehens schildern und es so schildern, daß Sie nun diese Dichtung in die Hand nehmen können und versuchen können die Stimmung aufzufinden, die darin ausgegossen ist, und von da ausgehend ein Gefühl sich erwerben, was das entsprechende Erlebnis des Hellsehers ist, wenn er aus dem Tagesleben bewußt hinüberversetzt ist in die entsprechenden Welten, oder wenn Bewußtheit über den Schlaf sich ausdehnt.

Diese Stimmung, dieses Grundgefühl hat noch etwas anderes beigemischt, es gesellt sich noch etwas anderes hinzu. Und da kann ich allerdings nicht anders, als dadurch einen Begriff davon hervorzurufen, daß ich versuche, in Worten - Worte müssen ja immer aus dem Sinnensein entlehnt werden - so gut es geht das zu schildern, was da erlebt wird. Was erlebt wird, ist etwa folgendes:

Man fühlt sich, soweit man überhaupt von einer Welt etwas fühlt, in diese Welt ergossen. Man fühlt eigentlich nirgends etwas Äußerliches zunächst als nur an dem einen Punkt der Welt, wo man vorher drinnen war. Das fühlt man als das einzige Äußerliche. Was man verbrochen hat, was man Gutes getan hat, das findet man in den einen Punkt der Welt zusammengedrängt. Das ist äußerlich. Im übrigen fühlt man sich mit dem, was man selbst angerichtet hat in der Welt, über die ganze Welt ausgegossen. Namentlich hat man das Gefühl, daß es ein Unding ist, dieses Verhältnis zur Welt so zu erleben, daß man gewisse Worte darauf anwendet, die natürlich sind im

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Sinnensein.

So hören zum Beispiel die Worte «vorher» und «nachher» auf, einen Sinn zu haben. Denn mit dem Einschlafen ist es ja so, daß man nicht empfindet: jetzt ist das vorher, und das Aufwachen wird nachher sein, sondern man empfindet gewisse Erlebnisse, die mit dem Einschlafen eintreten, die dann weiter geschehen. Wenn man aber eine gewisse Summe von Erlebnissen durchlebt hat, steht man in einer gewissen Beziehung wieder an demselben Punkt, aber man steht nicht so an demselben Punkt, wie man beim Einschlafen gestanden hat. Wenn man von vorher und nachher spricht, so ist

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das Vorher, wenn man es graphisch bezeichnet, in A und das Nachher in B. Man hat vielmehr das Gefühl: eingeschlafen bin ich. Dann wäre schon nicht richtig gebraucht. Es haben sich eben Erlebnisse abgespielt. Vorher und nachher verliert den Sinn dabei. Und wenn ich jetzt das Wort anwende - aber es ist nicht richtig! -, nach einer gewissen Zeit steht man da, wo man vorher gestanden hat, so muß man sich denken, man steht sich gleichsam gegenüber, wie wenn man aus seinem Leibe hinausgegangen, herumgegangen wäre und hinschauen würde auf sich selber. Man steht also ungefähr an demselben Punkt, wo man gestanden hat beim Herausgehen, aber man steht sich gegenüber. Man hat die Richtung geändert.

Dann - wieder nur vergleichsweise gebraucht - gehen die Ereignisse weiter, und es geht so weiter, wie wenn man wieder zum Leibe zurückgeht und wieder dann drinnen ist. Man erlebt nicht ein Vorher und Nachher, sondern man kann es nicht anders bezeichnen als eine Kreislaufbewegung, bei welcher Anfang, Mitte und Ende eigentlich nicht anders gebraucht werden können, als wenn man sie zusammen gebraucht. Wie beim Kreise, wenn er fertig gezogen ist, von jedem Punkte gesagt werden muß, da fängt er an, und - wenn man herumgegangen ist - da hört er wieder auf - aber von jedem Punkte kann man das sagen -, so ist es bei diesem Erleben. Man hat nicht das Gefühl, daß man eine Zeit durchlebt, sondern eine Kreislaufbewegung

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durchmacht,
einen Zyklus beschreibt - und verliert bei diesem Erleben vollständig das Gefühl für die Zeit, die man gewöhnlich im Sinnensein hat. Man hat nur das Gefühl: Du bist in der Welt, und die Welt hat zu ihrem Grundcharakter das Zyklische, das Kreishafte. Und ein Wesen, welches nie die Erde betreten haben würde, welches nie im Sinnensein gewesen wäre, sondern nur in dieser Welt immer gelebt hätte, würde nie auf den Gedanken kommen, die Welt habe einmal einen Anfang genommen und könne gegen ein Ende zulaufen, sondern es würde sich ihm immer nur eine in sich geschlossene Kreiswelt darstellen. Ein solches Wesen hätte gar keine Veranlassung zu sagen, es erstrebe die Ewigkeit, aus dem einfachen Grunde, weil überall alles ewig ist, weil nirgends etwas ist, über das man hinaussehen könnte als über etwas Zeitliches in etwas Ewiges hinein. Dieses Gefühl der Zeitlosigkeit, des Zyklischen tritt also auf der entsprechenden Stufe des Hellsehens oder beim bewußten Durchleben des Schlaflebens auf.

Aber dies vermischt sich mit einer gewissen Sehnsucht. Die Sehnsucht tritt dadurch hervor, daß man nie bei diesem Erleben in der höheren Welt eigentlich in Ruhe ist, man fühlt sich überall in der Kreisbewegung drinnen, fühlt sich immer bewegt, macht nie irgendwo halt. Und die Sehnsucht, die man hat, ist, irgendwo haltmachen zu können, irgendwo in die Zeit hineintreten zu können! Genau, möchte ich sagen, das Umgekehrte von dem, was man im Sinnensein erlebt. In diesem fühlt man sich immer in der Zeit und hat die Sehnsucht nach der Ewigkeit.

In der Welt, von der ich gesprochen habe, fühlt man in der Ewigkeit und hat die einzige Sehnsucht: Wenn doch irgendwo die Welt stille stände und irgendwo in das Zeitensein einrückte! Das ist das, was man als ein Grundgefühl kennenlernt: die immerwährende Beweglichkeit im All und die Sehnsucht nach der Zeit, das Erleben in dem immerwährenden, sich selber für immer garantierenden Werden - und die Sehnsucht: Ach, könnte man doch irgendwo auch einmal irgendwie vergehen!

Ja, man hat volle Berechtigung, wenn man die Begriffe des Sinnenseins anwendet, solche Dinge paradox zu finden. Aber man darf sich an diesen Paradoxien nicht stoßen, denn das würde bedeuten,

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daß man sich nicht einlassen will auf die reale Beschreibung der höheren Welten, bei deren Betreten man nicht nur alles übrige, sondern auch die gewöhnlichen Beschreibungen der Sinneswelt aufgeben muß, wenn man diese höheren Welten in ihrer Wirklichkeit beschreiben will.

Dieses Gefühl, das ich Ihnen geschildert habe, das Sie bitte betrachten wollen als ein Erlebnis, das man in sich selber und an sich selber hat - und es ist wichtig, daß man dieses Erleben in sich selber und an sich selber hat, denn das gehört zu den ersten Schritten auf dem Wege der Initiation -, kann in zweifacher Weise auftreten.

Einmal kann dieses Gefühl so auftreten, daß man das, was man erlebt, so ausdrücken müßte: Ich habe eine Sehnsucht nach der Vergänglichkeit, nach dem Sein, zusammengedrängt in der Zeit, ich möchte nicht ausgegossen sein in die Ewigkeit. Dieses Gefühl, bitte das wohl zu beachten, hat man in der geistigen Welt, also nicht etwa im Sinnensein, sondern es braucht, wenn man wieder zurückkommt in die Sinneswelt, gar nicht dazusein, es ist nur da in der geistigen Welt. So kann man sagen, man habe in der geistigen Welt das Gefühl: du möchtest so recht hinein dich erleben in die Zeitlichkeit, möchtest so recht konzentriert sein in Selbständigkeit an einem Punkt des Weltenseins, und möchtest das so vollenden, daß du sagen kannst: Ach, was ist an aller Ewigkeit gelegen, die sich sonst im Universum ausdehnt, ich will mir dieses eine Selbständige sichern, da drinnen will ich sein!

Denken Sie sich diesen Wunsch, dieses Gefühl in der Welt erlebt. Es ist nur noch nicht so genau ausgedrückt, sondern wir müssen zu einer anderen Charakteristik noch kommen, müssen es noch mit etwas anderem verbinden, wenn der Ausdruck genau sein soll. Wenn man dieses Gefühl an das menschliche Sinnensein heranbringen will, so charakterisiert man mit Anklängen an die Sinneswelt. Aber ich habe ja gesagt, dort oben ist alles Wesenheit, und man kann gar nicht anders davon sprechen. Man hat aber noch nicht ganz recht, wenn man sagt, daß alles Wesenheit wäre.

Wenn man in der SinnesweIt von einem Wunsche ergriffen ist, so kann man sich sagen: Ach, könntest du dir doch diesen einen Punkt sichern. Wenn man von

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den höheren Welten in Wirklichkeit spricht, muß man sagen, man fühlt sich von einem Wesen hingedrängt, und das wirkt in einem und bewirkt in einem, daß man sich so ausdrückt, daß man hinein will in diesen Punkt. Wenn man einen solchen Wunsch verstanden hat - sich diesen Punkt zu sichern, konzentriert zu sein in der Zeitlichkeit - als einen Impuls, der von einem Wesen gegeben wird in der Welt - nur so kann es sein -, so hat man den Einfluß des luziferischen Wesens in der Welt erfaßt.

Jetzt sind wir bei dem Begriff, wo man sagen kann: Wie kann man davon sprechen, man stünde einem luziferischen Wesen gegenüber?

Wenn ein solcher Einfluß in den Welten der höheren Hierarchien auftritt: Hingezogensein von der Ewigkeit zu einem selbständigen Konzentriertsein in der Welt, so erlebt man das luziferische Wirken. Und wenn man es erlebt hat, dann weiß man, wie die Kräfte, die luziferisch sind, beschrieben werden können. Dann werden sie so beschrieben, wie ich es charakterisiert habe, und dann erhält man erst die Möglichkeit, real zu sprechen über einen Gegensatz, der seinen Nachklang auch hineinschickt in unsere Sinneswelt. Es ist der Gegensatz, der sich einfach dadurch ergibt, daß man jetzt weiß, im Sinnensein ist es ganz natürlich, daß man in die Zeitlichkeit hineinversetzt ist.

Für die geistige Welt, die, bildlich gesprochen, oberhalb der astralen Welt liegt, ist es ganz natürlich, daß man dort nichts mehr von Zeitlichkeit, sondern nur noch Ewigkeit verspürt. Und der Nachklang der devachanischen Erfahrung, der als Sehnsucht im Zeitlichen auftritt, ist die Sehnsucht nach der Ewigkeit.

Das Zusammenspielen der wirklich erlebten Zeit - der wirklich erlebten Zeit im Augenblick - mit der Sehnsucht nach der Ewigkeit kommt davon her, weil unsere Sinneswelt die devachanische Welt durchdringt, die Welt des Geisterlandes. Und wie hinter unserer Sinneswelt das Geisterland selber für das gewöhnliche sinnliche Wahrnehmen verborgen ist, so ist hinter dem Augenblicke das Ewige verborgen. Und wie man nirgends sagen kann, da hört die Sinneswelt auf, und da beginnt die geistige Welt, sondern wie überall die geistige Welt das Sinnensein durchdringt, so durchdringt jeden Augenblick ihrer Qualität nach die Ewigkeit. Man erlebt nicht die

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Ewigkeit, wenn man hinauskommt aus der Zeit, sondern wenn man im Augenblick selber die Ewigkeit hellseherisch erleben kann. Sie ist im Augenblick selber garantiert, denn sie steckt in jedem Augenblick drinnen.

Wenn Sie irgendwo die Welt nehmen, so können Sie nicht sagen, wenn Sie vom Standpunkt des hellseherischen Bewußtseins aus sprechen, insofern irgendwo in der Welt ein Wesen ist, dieses Wesen sei ein zeitliches, oder dieses Wesen sei ein ewiges. Für das geistige Bewußtsein hat der Ausdruck keinen Sinn: Hier ist ein Wesen, das zeitlich ist -, oder: Hier ist ein Wesen, das ewig ist - sondern etwas ganz anderes hat einen Sinn. Was dem Dasein zugrunde liegt - Augenblick und Ewigkeit -, ist immer und überall. Die Frage kann nicht anders gestellt sein als: Wie kommt es, daß die Ewigkeit einmal als Augenblick erscheint, daß das Ewige einmal zeitlich erscheint, und daß ein Wesen in der Welt die Gestalt des Zeitlichen annimmt?

Das kommt von nichts anderem als davon her, daß unser Sinnensein überall, wo es auftritt, von luziferischen Wesenheiten zugleich durchsetzt ist. Und soweit das luziferische Wesen hereinspielt, soweit wird die Ewigkeit zur Zeitlichkeit gemacht.

Sie müssen also sagen: Ein Wesen, das irgendwo in der Zeit auftritt, ist soviel ein ewiges Wesen, als es sich zu befreien vermag von dem luziferischen Dasein, und es ist ebensoviel ein zeitliches Wesen, als es unterliegt dem luziferischen Dasein. Man hört auf, wenn man geistig zu charakterisieren beginnt, die Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens zu gebrauchen. Wenn man im gewöhnlichen Leben anwendet, was die Religionen lehren und was die Theosophie lehrt, so würde man sagen: Der Mensch hat seinen Leib als äußere Hülle, und er hat in sich sein Seelen- und Geistessein; der Leib ist vergänglich, das Seelen- und Geistessein ist ewig und unsterblich.

So ist es richtig gesprochen, insofern man in der Sinnenwelt drinnen ist und dort die Dinge charakterisieren will. Es ist nicht mehr richtig gesprochen, wenn man den Gesichtspunkt der geistigen Welt anwenden will, sondern da muß man sagen: Der Mensch ist ein Wesen, zu dessen ganzer Natur fortschreitende göttliche Wesen und luziferische Wesen mitwirken müssen. Und insofern fortschreitende göttliche Wesen in ihm sind, ringt sich ein Teil

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seines Wesens so los von allem, was daran luziferisch ist, daß es der Ewigkeit teilhaftig ist. Insofern die göttlichen Wesen wirken, hat der Mensch Anteil an dem Ewigen; insofern die luziferische Welt in ihm wirkt, gliedert sich an die Menschenwesenheit alles an, was mit Vergänglichkeit und Zeitlichkeit verbunden ist.

Also als ein Zusammenwirken verschiedenartiger Wesenheiten erscheinen Ewigkeit und Zeitlichkeit. In den höheren Welten hat es auch keinen Sinn mehr, von solchen abstrakten Gegensätzen zu sprechen wie Ewigkeit und Zeitlichkeit; die hören auf, in den höheren Welten einen Sinn zu haben. Da muß man von Wesenheiten sprechen. Deshalb spricht man von fortschreitenden göttlichen Wesenheiten und von luziferischen Wesenheiten. Weil die in den höheren Welten da sind, spiegelt sich ihr Verhältnis zueinander als der Gegensatz von Ewigkeit und Zeitlichkeit.

Ich habe gesagt, es ist gut, wenn der Mensch bei seinem Aufrücken in die Welt, die hier gemeint ist, zunächst mehr moralische Erinnerungen fühlt und nicht so sehr seine äußere physische Gestalt. Der Mensch soll nach und nach erst - mit den fortgesetzten Übungen für die ersten Schritte der Initiation - auch so hellseherisch werden, daß das Erinnerungsbild an die äußere physische Gestalt auftritt.

Mit diesem Auftreten des Erinnerungsbildes der eigenen physischen Gestalt ist aber noch etwas anderes verbunden: daß eigentlich erst von da ab der Mensch - und so ist es gut - nicht nur im allgemeinen sein Seelenleben als Erinnerung fühlt, nicht nur im allgemeinen seine guten und schlechten Taten, seine moralischen und dummen Taten, sondern sein ganzes Ich fühlt.

Sein ganzes Selbst fühlt er in dem Moment als Erinnerung, wo er auf seinen Leib als Form zurückschauen kann. Da fühlt er dann sein Wesen wie gespalten. Er schaut auf einen Teil, den er beim Hüter der Schwelle abgelegt hat, und schaut auf das, was er sein Ich nennt in der Sinneswelt. Jetzt ist man, wenn man auf sein Ich zurückblickt, auch in bezug auf sein Ich gespalten und sagt sich mit aller Ruhe: Was du dein Ich früher genannt hast, daran erinnerst du dich jetzt nur; jetzt lebst du in einem übergeordneten Ich, und das verhält sich so zu dem früheren Ich, wie du dich als Denker verhältst in bezug auf die Erinnerungen

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zum Leben im Sinnensein.

Auf das also, was der Mensch eigentlich ist als Erdenmensch, auf seinen Ich-Menschen sieht man erst auf dieser Stufe herunter. Man ist aber da zugleich entrückt in eine noch höhere Welt, die man das höhere Geisterland oder - wenn man will - die höhere Mentalwelt nennen kann, eine etwas von den anderen verschiedene. Da ist man darinnen, wenn man das Ich zwiegespalten fühlt und das gewöhnliche Ich nur noch als Erinnerung fühlt. Da hat man erst die Möglichkeit, in richtiger Weise den Menschen auf der Erde zu beurteilen.

Wenn man von dort zurückschaut, fängt man an zu wissen, was der Mensch seiner tiefsten Wesenheit nach ist. Da bekommt man auch die Möglichkeit, ein erlebtes Urteil zu gewinnen über den Verlauf der Geschichte. Da gliedert sich einem die erlebte Menschheitsentwickelung in den Fortgang der Seelen als Ich-Wesen, da ragen heraus aus dem gewöhnlichen Fortgange die Wesen, welche die führenden im Fortgang der Menschheit sind. Da ist es so, wie ich es im zweiten Vortrage charakterisiert habe, daß man wirklich die Impulse erlebt, die fortwährend in die Evolution der Menschheit hineinfließen durch die Initiierten, die überall aus dem Sinnensein in das Geistessein zu gehen haben, damit sie ihre Impulse geben können. Mit dem Punkt, wo man den Menschen als Ich-Wesen erlebt, erlebt man auch erst die wahre Einsicht in das Menschenwesen als solches. Nur eine Ausnahme gibt es dabei.

Fassen wir das schon Gesagte zusammen. Wenn der Mensch die ersten Schritte zur Initiation durchmacht, kann er sich hellseherisch zur Welt des niederen Geisterlandes erheben; er erlebt die Vorstellungen des Seelischen, des Moralischen, des Intellektuellen, sieht hinunter auf das, was in den Seelen vorgeht, auch wenn sie sich nicht zusammenfassen würden als Ich-Wesen.

Das Zusammenfassen der Wesen als Ich-Wesen erlebt man im höheren Geisterlande und damit auch alle Blüten des Geisteslebens in den Initiierten - mit einer einzigen Ausnahme, die richtig und gut ist, wenn sie als Ausnahme eintreten kann und dadurch die allgemeine Regel durchbrochen wird: Vom niederen Geisterlande aus sieht man die ganze Wesenheit des Christus Jesus! So daß man zurückblickend, rein menschlich sehend

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und die Erinnerungsvorstellungen festhaltend, die Erinnerung hat an den Christus Jesus, an alle Ereignisse, die mit ihm vorgegangen sind, wenn die andere Bedingung erfüllt ist, von der ich im zweiten Vortrage gesprochen habe. Die Wahrheit über alle anderen Initiierten erlebt man erst in dem höheren Geisterlande.

Da haben wir einen Unterschied von einer ungeheuren Tragweite. Wenn der Mensch hinaufkommt in die geistige Welt, dann sieht er - zurückblickend - auf das Irdische, das er zunächst seelisch sieht, wenn er nicht so die Erinnerung hat, daß er zurückblickend auf das Erdensein sich erinnert an die physisch herumgehenden Menschen in Gestalt und Form. Das soll er erst erleben, wenn er den charakterisierten höheren Punkt erlebt. Nur den Christus Jesus darf und soll er bei den ersten charakterisierten Schritten auf dem Wege zur Initiation sehen! Und er kann ihn sehen, wenn er hinaufrückt und sich überall umgeben sieht von nur Seelischem, das zunächst nicht durchtränkt ist von Ich-Wesenheit, da drinnen aber wie eine Art von Mittelpunkt die Christus-Wesenheit, vollbringend das Mysterium von Golgatha, mit dem Ich durchdrungen.

Was ich Ihnen jetzt gesagt habe, kann natürlich nicht irgendwie aufgefaßt werden als ein Ausfluß einer der bestehenden christlich konfessionellen Weltanschauungen, denn ich glaube nicht, daß es sich irgendwo charakterisiert fände. Aber wohl findet sich in einer gewissen Weise, weil das Christentum eben durchaus nicht in seinem bisherigen Verlauf das erreicht hat, was es erreichen muß, man möchte sagen, das Gegenteil von dem Charakterisierten, aber auf eine sehr eigentümliche Weise, auf die man erst kommt, wenn man die Dinge okkult genau einsieht.

Vielleicht werden doch einige von Ihnen wissen, daß es unter den offiziellen Vertretern des Christentums viele gibt, die eine heillose Angst vor allem haben, was man Okkultismus nennt, und alles dieses als ein reines Teufelszeug betrachten, das dem Menschen nur Verderben bringen kann. Warum ist das so? Warum erlebt man es immer wieder und wieder, wenn man mit den Vertretern irgendwelcher Priesterschaft spricht und auf Okkultismus oder Theosophie die Rede kommt, daß sie das abweisen?

Und wenn man einem solchen Herrn sagt: Sehen Sie doch

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einmal ein, daß die christlichen Heiligen immer die höheren Welten erlebt haben und daß dies in den betreffenden Biographien dargestellt ist -, dann bekommt man zur Antwort: Ja, das ist zwar so, aber das darf nicht angestrebt werden. Man darf zwar das Leben der Heiligen lesen, aber wenn man sich nicht der Gefahr der Teufelei aussetzen will, darf man es nicht nachleben. - Woher kommt das?

Wenn Sie das zusammennehmen, was ich gesagt habe, werden Sie es begreifen: Es ist eine Art Angstgefühl, das sich darin ausdrückt, ein recht starkes Angstgefühl. Die Leute wissen nicht, woher es kommt, aber der Okkultist kann es wissen. Der Mensch kann - wie ich Ihnen im zweiten Vortrag gesagt habe - in den höheren Welten diese Erinnerung an den Christus nur haben, wenn er ihn richtig hier in der physisch-sinnlichen Welt auf der Erde erfaßt hat. Und richtig ist es, schon in der allernächsten Welt ihn zu haben, in die man eintritt, wo man noch das übrige Menschliche als Erinnerungsvorstellung hat. Es ist auf der einen Seite nötig, daß man die Erinnerungsvorstellung hat, auf der anderen Seite kann man sie nur haben, wenn man sich hier schon damit durchdrungen hat.

Deshalb kommt es vor, daß die, welche etwas mit dem Okkultismus bekannt geworden sind, aber gewisse wichtige und eklatante Tatsachen nicht durchdrungen haben, es für einerlei halten, ob der Mensch in unseren jetzigen Zeiten, wenn er in die höheren Welten hinaufdringt, mit der Christus-Vorstellung bekannt geworden ist oder nicht. Denn sie glauben, was dort oben ist, hinge doch nicht so stark von dem ab, was man unten erlebt hat, obwohl sie es sonst immer betonen. Es hängt aber gerade die Art, zu dem Christus sich in den höheren Welten zu stellen, davon ab, wie man sich zu ihm verhalten hat in der physischen Welt. Wenn man es nicht versucht, die richtige Vorstellung von ihm in der physischen Welt hervorzurufen, so kommt man in einer gewissen Weise unreif hinauf und kann ihn dort nicht finden, trotzdem man ihn finden sollte; so daß einem, wenn man nicht auf diese ganz bedeutsame, eklatante Sache bedacht ist, in der Tat durch das Hinaufrücken in die höheren Welten die Christus-Vorstellung vollständig verlorengehen kann.

Wenn es also jemand verschmähen würde, schon innerhalb des Sinnenseins ein

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Verhältnis zu dem Christus zu gewinnen, so könnte er ein großer Okkultist werden und nichts von dem Christus durch seine Wahrnehmungen in den höheren Welten wissen, denn er würde ihn dort nicht finden und würde nichts lernen können von ihm. Seine Vorstellungen über ihn würden immer mangelhaft sein. Das ist das Bedeutsame.

Ich sage Ihnen damit nicht irgend etwas, was ich Ihnen aus einer subjektiven Meinung heraus sage, sondern was ein gemeinsames objektives Resultat derer ist, die darüber Forschungen angestellt haben. Bei den Okkultisten kann es objektiv beschrieben werden, daß es so ist; bei dem, der keine Nötigung dazu empfindet, Okkultist zu werden, sondern der nur ein braver Vertreter seines Religionsbekenntnisses ist, äußert es sich mit all jener Unbewußtheit, die ich jetzt als Angstzustand geschildert habe. Und wenn jemand dann den Weg in die höheren Welten unternehmen will, ist das ein großes Teufelszeug, und solche Menschen meinen, der könnte doch vielleicht nicht das richtige Verhältnis zum Christus gewonnen haben, also soll er nur ja nicht aus der gewöhnlichen Welt hinausgeführt werden.

Es ist also diese Angst in einer gewissen Weise eine begründete. Diese Menschen wissen nicht, wie es zum Christus hingeht und wenn sie dann in die höheren Welten hineinkommen, geht ihnen der Christus verloren. Es ist das etwas, was man als eine Art Angst bei einer gewissen Priesterschaft verstehen kann, dem man aber in keiner Weise entgegenkommen kann. Ich bitte diesen kleinen Exkurs, der kulturhistorisch interessant ist, weil man dadurch vieles versteht von dem, was sich im Leben abspielt, als bedeutend zu betrachten und sich nachdenkend im Leben damit zu beschäftigen.

Von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus habe ich Ihnen sozusagen Ausläufer zu dem Christus gezeigt und habe versucht, ein paar Lichter auf die Christus-Wesenheit zu werfen. Alles, was ich gesagt habe, kann auch ohne diese zwei Ausläufer gesagt werden und ist dann auch gültig und verständlich. Aber es ist notwendig, sich objektiv den Tatsachen entgegenzustellen und sie ganz unbeeinflußt von den konfessionellen Richtungen als kosmische Tatsachen ins Auge zu fassen.

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Damit haben wir versucht, ein gewisses Licht zu werfen auf die Begriffe Zeitlichkeit, Vergänglichkeit, Augenblick und Ewigkeit auf der einen Seite, Sterblichkeit und Unsterblichkeit auf der andern Seite. Und es haben sich zusammengebunden die Begriffe Vergänglichkeit und Zeitlichkeit mit dem luziferischen Prinzip.

Mit dem Christus-Prinzip werden sich uns Begriffe wie Ewigkeit, Unsterblichkeit zusammenfügen.

Es könnte jemand glauben, daß dies im allermindesten wenigstens irgendeine Geringwertung des luziferischen Prinzips sein könnte, eine Abweisung unter allen Umständen, indem bei dem Luziferischen auf das Zeitliche, Vergänglichere, auf das Konzentriertsein auf einen Punkt hingewiesen wird. Für heute möchte ich das eine nur sagen, daß man nicht unter allen Umständen recht hat, den Lichtträger als etwas zu betrachten, vor dem man sich zu fürchten hätte, daß man Luzifer abzuweisen hat als etwas, von dem man unter allen Umständen loskommen soll. Wenn man das tut, bedenkt man nicht, daß der wahre Okkultismus lehrt, daß es ein ähnliches Gefühl gibt hier in der Sinneswelt wie in der übersinnlichen Welt.

Im Sinnensein fühlt der Mensch:

Und verfolgen Sie jetzt die Mitteilungen aus der Akasha-Chronik. Ist nicht in der alten Zeit, die wir oft als die lemurische bezeichnet haben, das Mensch-Werden eine Art Übergang aus einem solchen Zustande, wie wir ihn im Schlafe haben, in die Zustände des Wachens? Verfolgen Sie genau, was in der lemurischen Zeit geschehen ist, und Sie können sich sagen: Indem der Mensch einen Übergang durchmachte aus einem geistigen Schlafzustand in die wachen Erdenzustände, ging die ganze Evolution damals vom Geistigen in das Sinnliche über.

Da ist ein Übergang, und unser jetziges Sinnensein bekommt erst einen Sinn seit der lemurischen Zeit. Und überlegen Sie sich, ob es so unnatürlich ist, daß der Mensch, als er aus der höheren Welt herausschlüpfte, um von dem Luziferischen ergriffen zu sein, etwas mitnahm wie eine Sehnsucht nach dem Ewigen! Dann haben Sie in bezug auf das Luziferische eine Art Erinnerung an einen vorirdischen

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Zustand, eine Erinnerung an das, was der Mensch gehabt hat, bevor er in das Sinnensein kam, und was sich nicht hätte erhalten sollen: die Sehnsucht nach dem Augenblick, nach dem Zeitlichen. Inwiefern diese an der Gesamtevolution des Menschen beteiligt ist, davon morgen weiter.