Ausgewählte Zyklen und Vorträge aus dem Gesamtwerk Rudolf Steiners

 

Rudolf Steiner (1861-1925):

GA 140 Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt

2. Vortrag Mailand 27. Oktober 1912

Nachtodlicher Weg ab Durchgang durch die Sonnensphäre. Menschliche Keimbildung aus dem Weltenschlaf.

Unsere Besprechung hat uns bis zu dem Zeitpunkt geführt, wo das Bewußtsein der Gestorbenen nur noch durch die Erinnerung an das Mysterium von Golgatha aufrechterhalten wird. Alles Leben war bis zu diesem Momente Erinnerungsleben an die Erdenzeit, nicht durch die Sinne, sondern durch Visionen vermittelt. Auch die Realitäten der geistigen Welt können in diesem Zeitpunkt nur durch Visionen wahrgenommen werden.

Allmählich wird es für die Seelen immer schwieriger, die Erin­nerungen an die Erdenzeit zu bewahren; ein Vergessen alles Erleb­ten breitet sich immer mehr aus. Begegnet man zum Beispiel in dieser Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt einem früher bekannten Menschen, so erkennt man ihn zunächst leicht allmäh­lich aber immer schwerer; später kann man sich nur noch an die Beziehung zu ihm erinnern, wenn man an das Mysterium von Gol­gatha anknüpft. Je mehr man von diesem durchdrungen ist, desto leichter erkennt man seine Umgebung wieder.

Ist aber dieser Zeit­punkt erreicht, in welchem wir die Erinnerung an das Mysterium von Golgatha nötig haben, um unser Gedächtnis bewahren zu kön­nen, dann setzt wiederum eine große Veränderung ein. Wir sind dann nämlich nicht mehr imstande, die Visionen von vorher in uns zu erhalten. Wir können bis dahin zum Beispiel von astralen Farb­erscheinungen sprechen, wir können in der Welt, in der wir bis zu diesem Zeitpunkt leben, davon sprechen, daß wir astralische Far­ben sehen; wir können davon sprechen, daß wir auch in visionären Nachbildungen die Wesen um uns sehen. In diesem Zeitpunkt aber, der, wie gesagt, in der Mitte liegt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, fallen die Visionen und die Erinnerungen gleichsam wie Schuppen von uns ab; wir verlieren das Verhältnis zu ihnen, sie lösen sich vollständig von unserem Wesen.



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Um diesen Zeitpunkt nun genauer zu charakterisieren, ist es gut, etwas heranzuziehen, was sich vielleicht für das erste Verständnis schockierend ausnimmt.

Man fühlt in diesem Zeitpunkt sich der Erde entrückt, die Erde gewissermaßen unter sich, weit fort, und fühlt, daß man in dem Hineinleben in die Geisteswelt in der Sonne angekommen ist. Denn so, wie man sich im Erdenleben mit der Erde vereinigt gefühlt hat, so fühlt man sich nun mit der Sonne und ihrem ganzen Planetensystem vereinigt. Und deshalb wird in unserem modernen Okkultis­mus ein so großer Wert darauf gelegt, daß verstanden werde, wie Christus als Sonnenwesen zu uns gekommen ist, weil notwendig ist, zu verstehen, wie er uns durch das Mysterium von Golgatha zur Sonne geleitet. Es wird uns durch den Okkultismus gezeigt, daß der Christus ein Sonnenwesen ist, das uns wieder zurück zur Sonne führt.

Und nun kommt das Schockierende: Wie es notwendig ist, unser Verhältnis zum Christus zu verstehen, so muß nun aber auch ein anderes verstanden werden. Jetzt beginnt die Zeit, wo man, als ein reales Wesen sich gegenüberstehend, dasjenige kennenlernt, was man immer bezeichnet hat als Luzifer.

Wenn man sich jetzt in der Sonne fühlt, dann fühlt man sich nicht in strömendem physischem Lichte, sondern man fühlt sich in rein geistigem Lichte. Und von diesem Zeitpunkt an empfindet man Luzifer wie ein Wesen, das jetzt nicht mehr gegnerisch ist wie früher, sondern man empfindet ihn immer mehr als ein in der Welt durchaus berechtigtes Wesen. Man fühlt jetzt die Notwendigkeit, im weiteren Verlauf des Lebens nach dem Tode Luzifer und das Christuswesen wie zwei neben­einander gleichberechtigte Mächte anzusehen. So sonderbar diese Gleichbedeutendheit von Christus und Luzifer klingen mag, man gelangt eben dazu, von dem bezeichneten Zeitpunkte an sie einzu­sehen; wie eine Art von Brüdern beide Mächte anzusehen. Wie das zu erklären ist, das geht aus dem hervor, was man noch im weite­ren Verlauf des Lebens nach dem Tode durchmacht.

Wenn Sie die Schilderung nehmen, die von mir oftmals ge­geben worden ist als Schilderung des Lebens von Saturn, Sonne und Mond, dann haben Sie darin den Verlauf des Weges, den man tatsächlich nach dem Tode geistig durchlebt. Merkwürdig ist nur,



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daß man nicht in der Reihenfolge des kosmischen Entstehens die Sache erlebt: Saturn, Sonne, Mond, sondern zuerst das Mondensein er­lebt, dann das Sonnen- und zuletzt das Saturndasein.

Wenn Sie alles das, was von mir als solche Schilderung in der «Akasha-Chronik» gegeben worden ist, durchlesen und vom Monde weiter zurück­gehen, so haben Sie die Welt, welche die Seele erlebt auf dem Wege, den sie zurücklegt nach dem Tode. Und es fällt einem dann auf, daß, wenn man diese Dinge gleichsam aus der geistigen Welt heraus schaut, man etwas hat wie eine Erinnerung an das Leben im vorgeburtlichen Dasein.

Noch viel bedeutsamer aber ist sozusagen das moralische Element des weiteren Lebens in dieser Welt, die eben jetzt charakterisiert worden ist. Wie in der «Akasha-Chronik» geschildert worden ist, verliert man allmählich das Interesse, das man früher, bis zu diesem Zeitpunkt hin, sehr stark gehabt hat für das auf Erden zu Erlebende. Es schwindet das Interesse für die ein­zelnen Menschen, mit denen man Zusammenhänge gehabt hat; es schwinden die Interessen für die einzelnen Dinge.

Man weiß, daß die Erinnerungen, die man jetzt behält, niemand anders weiterträgt als der Christus: der Christus begleitet einen, und infolgedessen kann man die Erinnerung haben. Würde einen der Christus nicht begleiten, so würde die Erinnerung an das Erdenleben schwinden; denn dasjenige, was uns über den geschilderten Zeitpunkt hinaus mit der Erde verbindet, ist tatsächlich das Erlebnis, daß wir uns dem Christus verbunden haben.

Durch unser neues Leben dann in der geistigen Welt gewinnen wir ein ganz neues Interesse für Luzi­fer und seine Welt. Wir finden dann nämlich, daß jetzt, wo wir frei geworden sind von den Erdeninteressen, wir ganz ohne Schaden Luzifer gegenübertreten können. Und wir machen die merkwür­dige Entdeckung, daß Luzifer auf uns nur dann schädlich wirkt, wenn wir selber im Irdischen befangen sind. Jetzt erscheint er uns geradezu als das Wesen, welches uns dasjenige erklären kann, was wir weiter in der Welt des Geistes zu durchleben haben, und eine längere Zeit verweilen wir in dem Erlebnis, uns das zu erobern, was uns Luzifer in diesen Weiten der geistigen Welt dann geben kann.



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Vielleicht ist es jetzt wieder schockierend, das zu sagen, was wir nur subjektiv fühlen; aber wenn auch etwas zunächst Schockierendes ausgesprochen wird, so ist es vielleicht doch in diesem Falle auch das Verständlichste: Wir fühlen uns jetzt nämlich nach einiger Zeit als Marsbewohner.

Nachdem wir uns als Sonnenbewohner gefühlt haben, merken wir allmählich, daß so, wie wir früher die Erde hinter uns gelassen haben, wir nun die Sonne hinter uns lassen, und wir fühlen uns in bezug auf unsere kosmische Wirklich­keit als Bewohner des Mars. Und für das Leben, das wir jetzt durch­machen, scheint es uns in der Tat so, daß Christus uns alles Ver­gangene gegeben hat, das hinter uns liegt, und Luzifer uns vor­bereitet für die künftige Reinkarnation.

Wenn wir dieses Mars-Leben bewußt durchmachen und uns später auf Erden durch In­itiation daran erinnern können, so erfahren wir, daß alles, was wir nicht als Erlebnisse aus dem Erdendasein in uns tragen durch den großen Weltenraum, daß alles, was wir nicht von der Erde aus haben, uns Luzifer gibt.

Unser früheres menschliches Interesse wird jetzt immer kosmischer. Während wir auf Erden das, was uns das Mineral, die Pflanze, das Tier, was uns Luft und Wasser, Berg und Tal gibt, aufnahmen, nehmen wir von diesem Zeitpunkte an die Erfahrungen des Kosmos auf, dasjenige, was von der Welt des Kos­mos auf uns eindringt. Es beginnt jene Form des Wahrnehmens, die man immer bezeichnet hat - die man aber wenig versteht - als die Sphärenmusik. Alles was ist, wird wahrgenommen, indem es uns aus dem Umkreis des Kosmos entgegentönt. Doch so, wie wenn man lauter Harmonien vernehmen würde, tönt es heraus aus dem Kosmos, nicht wie die Klänge aus der physischen Welt. Man gelangt zu einem Punkte des Erlebens, wo man sich selbst wie im Mittel­punkte des Kosmos fühlt, und von allen Seiten hereinklingend nimmt man die Weltentatsachen durch diese Sphärenmusik wahr.

Jetzt haben wir auch das Marsdasein hinter uns gelassen, und der Okkultist spricht davon, daß wir angekommen sind im Jupiterdasein. Wenn wir nun weiterleben, so steigert sich zwar immer die Sphärenmusik; sie wird aber zuletzt so stark, daß sie uns betäubt. Wir leben uns wie in einer Betäubung in die Sphärenmusik hinein.



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Das weitergehende Leben verläuft so, daß, nachdem wir durch das Jupiterdasein gegangen sind, wir auch dieses hinter uns lassen und uns nun tatsächlich dann an der äußersten Grenze unseres Sonnensystems befinden: im Saturn.

Hier angekommen, machen wir eine sehr wichtige moralische Erfahrung: Hat uns bis zu diesem Zeitpunkt der Christus die Erinnerung an unsere früheren Erdenzustände erhalten und dadurch vor den Angstzuständen des schwin­denden Bewußtseins bewahrt, so merken wir gerade in diesem unse­rem jetzigen Seelenzustande nach dem Tode, wie wenig angemessen den höheren moralischen Forderungen dasjenige war, was wir auf der Erde durchgemacht haben, wie wenig angemessen es war der Majestät des ganzen kosmischen Seins.

Wie ein Vorwurf berührt uns das Leben, das wir hinter uns gelassen haben. Und etwas außer­ordentlich Bedeutsames stellt sich jetzt ein. Wie aus einem un­bestimmten nächtlichen Dunkel heraus tritt die ganze Summe un­seres Lebens, wie sie sich karmisch in der letzten Erdeninkarnation geformt hat, vor die Seele. Wenn Sie Ihr jetziges Erdendasein, Ihre jetzige Inkarnation ins Auge fassen, so haben Sie sie in der Tat wieder so, wie sie sich in jenem Zeitpunkt nach dem Tode, der eben gekennzeichnet worden ist, vor die Seele stellt; aber in sich fühlen Sie scharf alles dasjenige, was Sie einzuwenden haben gegen jene Inkarnation. Sie sehen diese letzte Inkarnation vom kosmischen Standpunkte aus.

Von diesem Zeitpunkt an kann nun nichts mehr, weder das Christus-Prinzip noch das Luzifer-Prinzip, unser Bewußtsein auf­rechterhalten, sondern es tritt unter allen Umständen - wenn nicht im Leben vorher eine Initiation eingetreten ist - eine Herabdäm­merung des Bewußtseins ein. Ein gewisser geistiger Schlaf beginnt, der notwendig ist für das menschliche Leben, nachdem bis zu die­sem Zeitpunkt eine Art Bewußtsein vorhanden war, das aufrechterhalten wurde durch die geschilderten Verhältnisse.

Dieser geistige Schlaf ist aber nun mit etwas anderem verbunden. Dadurch, daß der Mensch nichts mehr fühlen kann, nichts mehr sich vorstellen kann, können alle kosmischen Einflüsse unmittelbar auf ihn wir­ken, mit Ausnahme desjenigen des Sonnensystems. Denken Sie sich



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das ganze Sonnensystem ausgeschaltet und nur das allein vorhan­den, was außer ihm da ist, dann haben Sie die Wirkungen, die jetzt eintreten. Und da kommen wir an den Punkt, von welchem gestern die Ausführungen ausgegangen sind.

Was jetzt zu untersuchen wichtig ist, das ist nämlich der Zusam­menhang zwischen diesem zweiten Teil des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt und dem Embryonalleben des Menschen. Sie wissen ja, daß das Embryonalleben des Menschen mit dem kugelrunden kleinen Keim beginnt.

Nun ist das Merkwürdige für die okkulte Betrachtung, daß dieser Menschenkeim ganz im Anfang sich als ein Spiegelbild dessen darstellt, was der Mensch in der eben geschilderten Weise aus dem Kosmos heraus erlebt. Im Beginne des Embryonallebens ist tatsächlich der Keimling des Menschen ein kosmisches Produkt, ein Spiegelbild des kosmischen Lebens, in wel­chem nicht das Leben innerhalb des Sonnensystems zum Ausdruck kommt.

Und das Merkwürdige ist, daß alles das, was jetzt mit dem Keime während des Embryonallebens geschieht, sich erweist als ein Ausscheiden des kosmischen Einschlags und ein Hineinnehmen der Einflüsse des Sonnensystems. Erst in einer verhältnismäßig späteren Zeit, wenn die Vorgänge während des Lebens nach dem Tode wie­derum zurückgegangen sind den Weg durch die Saturn-, Jupiter-und Marszustände, beginnen jene Einflüsse in dem Keim zu wirken, welche die sogenannten vererbten sind.

So dürfen wir sagen, daß der Mensch sein Keimleben schon in einem kosmischen Sein vor dem Embryonalleben vorbereitet, in einer Art auch ihn umfangen­den Weltenschlafs. Wenn man dann die Vorgänge nehmen würde, die so im Embryonalleben stattfinden während dieser Art von kos­mischem Sein, von Weltenschlaf, wenn man nacheinander nehmen würde die Zustände des vorgeburtlichen Menschen, des Keimes, und sie zeichnerisch jetzt so betrachten würde, daß man hier ein Spiegelbild machte, also so:


Spiegelbild im Kosmos
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dann müßte man alle die Zustände, die im Keime sich am spätesten zeigen, im Bilde später haben, und was früher im Embryonalleben ist, hier im Spiegelbilde früher sehen.

So würde man ein geistiges Spiegelbild des Embryonallebens nach rückwärts hin bekommen. Wenn ich Ihnen aufzeichnen würde das Keimleben in der einen Richtung und für jeden Zustand ein anderes Spiegelbild in der anderen Richtung, so würde sich dieses auf der Tafel tatsächlich ausnehmen wie Bild und Spiegelbild, und der Punkt, worin gespie­gelt wird, ist die Empfängnis.

Würde ich nun zeichnen, dann müßte ich die Zeichnung so machen, daß das eine, das Embryonalleben, klein gezeichnet wird und das andere Spiegelbild nach hinten furchtbar vergrößert wird; denn was der Mensch in zehn Monden­monaten vor der Geburt erlebt, das wird tatsächlich in seiner Spie­gelung in vielen Jahren erlebt. Nehmen Sie nur all dasjenige, was der Mensch nach den geschilderten Andeutungen bis zu seiner Wiederverkörperung in der geistigen Welt erlebt.

In diesem Erleben zwischen dem Tode und der neuen Geburt ist vieles darinnen, nur eines ist nicht darinnen: Wir erleben tatsächlich alles wieder, was wir seit der vorigen Inkarnation bis zur jetzigen erlebt haben; wir erfühlen das kos­mische Sein, wir erleben aber während des ersten Teiles unseres Lebens zwischen Tod und neuer Geburt nicht dasjenige, was sich auf der Erde zwischen den zwei Inkarnationen schon zugetragen hat.

Bis zum Sonnensein sind wir mit den Erinnerungen an das, was vor dem Tode war, so beschäftigt, daß unser Interesse völlig abgezogen ist von dem, was auf der Erde geschieht. Wir leben mit denjenigen Menschen, die ebenso wie wir im Leben nach dem Tode in der geistigen Welt sind; wir leben uns in alle Verhältnisse hinein, die wir zu diesen Menschen auf Erden schon gehabt haben, und leben in diesen Verhältnissen weiter, gestalten sie in ihren Kon­sequenzen aus. Und weniger Interesse können wir - weil wir fort­während abgelenkt sind - in dieser Zeit uns erhalten für die Menschen,



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die wir auf der Erde noch haben. Nur wenn uns diese Men­schen mit ihrer ganzen Seele suchen, ist ein Verbindungsband mit ihnen geschaffen.

Dieses ist als ein sehr wichtiges moralisches Ele­ment zu betrachten. Denn es wirft Licht auf das Verhältnis zwi­schen den Gestorbenen und den Zurückgebliebenen. Jemand, der vor uns hinweggestorben ist und den wir vollständig vergessen, hat es außerordentlich schwierig, zu uns ins Erdenleben zurückzudrin­gen. Unsere Liebe, unsere fortdauernde Sympathie, die wir dem Ver­storbenen bewahren, die liefert einen Weg dazu, weil sie eben eine Verbindung mit dem Erdendasein herstellt.

Und aus dieser Verbin­dung heraus müssen in diesen ersten Zeiten nach dem Tode die Hingeschiedenen mit uns leben. Und es ist wirklich eine über­raschende Tatsache, wie sehr der instinktive Gedächtniskultus für die Toten durch den Okkultismus in seinem tiefen Sinne bestätigt wird. Unsere Hingestorbenen erreichen uns am leichtesten, wenn sie auf Erden hier an sie gerichtete Gedanken, Gefühle, Empfindungen finden können.

Für den zweiten Teil des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt stellt sich allerdings wiederum etwas anderes dar. Wir sind so sehr dann eingesponnen in unsere kosmischen Interessen, daß wir über­haupt nur äußerst schwierig in diesem zweiten Zeitraum einen Zu­sammenhang mit der Erde finden. Dasjenige, was uns außer den kosmischen Interessen beschäftigt, ist: mitzuarbeiten an der rich­tigen Herstellung unseres weiteren Karma. Neben unseren kosmi­schen Eindrücken bewahren wir uns am allerbesten dasjenige, was wir gewissermaßen karmisch zu korrigieren haben, und wir arbei­ten mit an der Herstellung eines solchen nächsten Lebens, das dazu beitragen kann, unsere karmischen Schulden auszugleichen.

Mancher Mensch sagt, er könne nicht an die Reinkarnation glau­ben, weil er nicht wiederum in das irdische Leben zurückkommen möchte. Dies ist zum Beispiel ein Einwand, der oftmals gemacht worden ist: Ich wünsche mir durchaus nicht mehr das Zurückkom­men in das Irdische. Das sagen manche.

Die Betrachtung des eben angeführten Zeitpunktes zwischen Tod und neuer Geburt korrigiert diese Ansicht beträchtlich. In diesem Zeitraum wollen wir eben mit



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aller Gewalt wieder ins Leben hinein, um unser Karma zu korrigie­ren, und wir vergessen nur, wenn wir aus dem geschilderten kosmi­schen Schlaf wieder erwachen in der Gegenwart, daß wir das gewollt haben, dieses Wiedergeborenwerden. Ob wir während des Lebens zwischen Geburt und Tod nochmals auf Erden wiedererscheinen wollen, darauf kommt es nicht an, sondern ob wir es wollen zwischen Tod und neuer Geburt. Und da wollen wir es.

Wir müssen uns eben vorstellen, daß in vielfacher Beziehung, wie wir es eben gesehen haben, das Leben zwischen Tod und neuer Geburt geradezu das Entgegengesetzte ist von dem, was wir hier auf Erden erleben zwischen Geburt und Tod. Geradeso, wie wir in diesem physischen Leben durch den Schlaf gestärkt und mit neuen Kräften ausgerüstet werden, so werden wir durch den angedeuteten Weltenschlaf mit neuen Kräften für die neue Inkarnation ausgerüstet.

Noch eine andere wichtige Frage wird sich uns durch die ge­schilderten Tatsachen beantworten lassen. Es wird oftmals gefragt: Warum muß der Mensch, wenn er sich so oft reinkarniert, immer wieder von Kindheit an lernen und kommt nicht schon mit alle­dem zur Welt, was er von Kindheit an lernen muß?

Diese Frage beantwortet sich dann, wenn man eines berücksichtigt: daß man ja nicht miterlebt - mit Ausnahme dessen, was angedeutet ist: des Zusammenhanges mit dem Leben, den Menschen und dem ganzen Karma -, daß man nicht erlebt dasjenige, was sich zwischen unseren Inkarnationen auf dieser Erde abgespielt hat.

War also jemand zum Beispiel vor der Erfindung der Buchdruckerkunst auf der Erde in­karniert, und er inkarniert sich heute wieder, so hat er alles das nicht miterlebt, was sich in der Zeit zwischen der Erfindung der Buchdruckerkunst und jetzt entwickelt hat. Und in der Tat, wenn man kulturhistorisch genauer untersucht, so sieht man, daß man in jeder Inkarnation als Kind dasjenige lernt, was sich auf der Erde inzwischen abgespielt hat. Man braucht nur zu betrachten, was eben ein altrömischer Knabe von sechs Jahren gelernt hat: das war etwas ganz anderes, als was ein Kind von sechs Jahren heute lernt. Es vergeht zwischen zwei Inkarnationen ein so langer Zeitraum, daß in der Tat das Kulturbild der Erde dann vollständig verändert



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ist. Wir kommen nicht herunter zu einer Inkarnation, bevor sich die Verhältnisse auf der Erde so weit verändert haben, daß sie fast keine Ähnlichkeit zeigen mit dem Leben in der vorherigen Inkarnation.

Was ich eben geschildert habe, bezieht sich auf das Durch­schnittsleben der Menschen. Aber es ist eben ein Durchschnitt, und es kann zum Beispiel das Bewußtsein bei einem Menschen nach dem Tode schon früher erlöschen, der Schlaf kann schon früher eintreten, wie Sie ja aus einigen Tatsachen, die gestern angeführt worden sind, ersehen können.

Nun besteht aber das kosmische Gesetz, daß dieser Weltenschlaf die Zeit kürzt, die wir im Kosmos nach dem Tode verbringen: der­jenige, der früher in den Zustand der Unbewußtheit hineinkommt, der durchlebt sie schneller, die Zeit vergeht für ihn in schnellerem Tempo, sie ist kürzer als für den, der sein Bewußtsein weiter hinaus erweitert. Ja wir können, wenn wir das Menschenleben unter­suchen zwischen Tod und neuer Geburt, die Bemerkung machen, daß ungeistige Menschen verhältnismäßig am schnellsten wieder­kommen. Wenn jemand nur seinen sinnlichen Genüssen, seinen sinnlichen Leidenschaften, also demjenigen lebt, was man das Tie­rische im Menschen nennen kann, so vergeht ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum zwischen zwei Inkarnationen. Es geschieht dieses aus dem Grunde, weil bei ihm eine verhältnismäßig frühe Bewußt­losigkeit eintritt, ein Schlafzustand, und er dann schnell durch die­ses Leben zwischen Tod und neuer Geburt hindurchgeht.

Außerdem habe ich nur von einer durchschnittlichen Erschei­nung erzählt, weil ich Rücksicht genommen habe vorzugsweise auf diejenigen Menschen, welche sozusagen ein normales Lebensalter erreichen. Es ist im Grunde ein großer Unterschied zwischen Verstorbenen, die nach dem 35. Jahr gestorben sind, und jenen, die vorher aus diesem Leben geschieden sind. Es lebt eigentlich nur der, welcher das 35. Jahr in seinem Erdenleben überschritten hat, alle die Zu­stände mehr oder weniger bewußt durch, die wir beschrieben haben. Bei einem früheren Tode tritt tatsächlich eine Art früheren Schlafzustandes zwischen Tod und neuer Geburt ein.



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Wenn jemand einwenden wollte, daß man für einen frühen Tod doch nichts kann und daher unverschuldet einem früheren Weltenschlaf anheimfällt, so wäre dieser Einwand doch nicht richtig. Er wäre aus dem Grunde nicht richtig, weil ein früher Tod durch frühere karmische Ursachen schon vorbereitet worden ist und durch früheres Wiedereintreten in die kosmischen Welten die Weiterentwickelung nun gefördert werden kann.

Wie sonderbar und eben­falls schockierend dies auch klingen mag, wir wissen aus ganz ob­jektiven Untersuchungen des kosmischen Lebens: Von einem ge­wissen Zeitpunkt an ist der Mensch ein Wesen, das in weite Wel­tensphären hinein ausgedehnt ist und ausgesetzt den Wahrneh­mungen des Kosmos, des Makrokosmos. Wie der Mensch in der Mitte seines physischen Erdenlebens gleichsam am meisten ver­strickt ist mit der Erde, so ist er in der Mitte des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt am meisten verstrickt in das kosmische Sein.

Nehmen Sie das Kind: es lebt sozusagen noch nicht völlig auf der Erde, es lebt mit all den Erbstücken, die es von früher her erhalten hat, und es muß sich erst das Erdenleben erobern. Nehmen Sie jetzt das Leben des Menschen nach dem Tode: er lebt in einer gewissen Weise mit dem, was er aus der Erde herausgetragen hat, und muß sich erst die Wahrnehmungsfähigkeit in dem Leben des Kosmos erringen. In der Mitte des Erdenlebens sind wir ja am meisten in irdische Verhältnisse hinein versponnen; in der Mitte zwischen Tod und neuer Geburt sind wir am meisten in kosmische Verhältnisse hineingesponnen.

Je mehr es dem Ende unseres Lebens auf Erden zugeht, desto mehr ziehen wir uns aus den Erdenverhältnissen im physischen Sinne heraus. Je mehr wir die Mitte des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt überschreiten, desto mehr ziehen wir uns aus dem Kosmos heraus und neigen uns wieder hin zum Erdenleben.

Das, was ich Ihnen zuletzt als eine Art Analogie gesagt habe, betrachten Sie aber nicht so, als wenn es zugrunde gelegen hätte der geisteswissenschaftlichen Untersuchung. Dem Okkultisten fällt eine solche Analogie erst auf, wenn er die okkulten Untersuchun­gen gemacht hat und mit den vorhandenen Tatsachen vergleicht.



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Eine solche Analogie hat auch insofern noch einen Fehler: Sollten wir das Leben in der ersten Periode nach dem Tode das kindliche Leben nennen und die zweite Periode zwischen Tod und neuer Geburt das Greisenleben, so würden wir einen Fehler machen. Im geistigen Dasein zwischen Tod und neuer Geburt sind wir nämlich zuerst Greise und werden dann in der zweiten Hälfte eben Kinder in bezug auf das geistige Leben. Das geistige Leben verfließt umge­kehrt. Zuerst tragen wir die Fehler und Gebrechen des physischen Lebens da hinein; dann werden sie während des kosmischen Lebens allmählich herausgeworfen.

Ich war sehr überrascht, in alten Traditionen einen Ausdruck zu finden wie eine Art - ich will nicht sagen Bestätigung, aber wie eine Art Hinweis auf diese Erfahrungen. Wenn wir auf der Erde im physischen Leben sind, so sagen wir: Wir werden alt. Im geisti­gen Leben zwischen Tod und neuer Geburt müssen wir ganz sinn­gemäß sagen: Wir werden jung. So daß man also sagen könnte, wenn jemand geboren wird da oder dort und man sein geistiges Dasein betrachtet: Er ist da und dort jung geworden.

Nun finden sich merkwürdigerweise im zweiten Teil des « Faust» die Worte: Er ist «im Nebellande jung geworden». Warum braucht Goethe für Geborenwerden den Ausdruck: «Jung werden»? Wenn wir weiter zurückgehen würden, dann würden wir finden, daß dies eine Tradition ist der Menschheit, die empfand, daß man mit der geistigen Geburt jung wird. Wir finden überhaupt - was in unse­rem Okkultismus immer betont wird -, daß, je weiter wir zurück­gehen in der Entwickelung, wir immer mehr auf hellseherische Zu­stände treffen. Wir finden sie überall bestätigt.

Nehmen Sie zum Beispiel dasjenige, worauf gestern hingedeutet worden ist. Von dem Tode an lösen wir uns allmählich aus den irdischen Verhältnissen heraus, aber wir erleben mitten drinnen in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt die kosmischen Zu­stände. Wir erleben sie in Visionen, die an die Stelle der Sinneswahrnehmung treten; dann, habe ich gesagt, fällt auf das, was wir erleben, das Licht der Hierarchien. Es tritt da tatsächlich nach dem Tode eine Art von Zustand ein, den wir in folgender Weise



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charakterisieren können:

Denken Sie, Ihr Bewußtsein wäre nicht in Ihnen, sondern außerhalb in der Umgebung, und Sie würden nicht das Gefühl haben, daß das Leben in Ihrem Körper, sondern daß das Leben außerhalb Ihres Körpers sei, und würden von außen fühlen: dies ist mein Auge, dies meine Nase, dies mein Bein. Dann müßten wir dasjenige, was wir außen im Geistigen erleben, auf uns hin beziehen, müßten auch das Leben Gottes auf uns hin be­ziehen und es in uns reflektieren lassen. Ein solcher Zeitpunkt tritt auf, wenn nach dem Tode, indem wir - gleichsam zurückblickend auf den Menschen - alles das, was in der Umgebung ist, sich in ihm zurückspiegeln sehen: so daß selbst die Gottheit sich im Men­schen reflektiert.

Wäre es deshalb gar zu gewagt, es als eine Erkenntnis hinzuneh­men, wenn ein Dichter sagt, daß das Leben nach dem Tode eine Spiegelung des Göttlichen ist? Das wissen wohl alle, daß Dante diesen Ausspruch gebraucht hat, daß im geistigen Leben der Zeit­punkt eintritt, wo man Gott als Menschen sieht.

Es mag gewiß zuweilen solch ein Hinweis wie unberechtigt er­scheinen, vielleicht als eine Spielerei einem vorkommen. Derjenige aber, der in die tiefen Zusammenhänge der Menschheit hinein­blickt, wird diese Dinge nicht mehr als Spielerei ansehen. Bei den großen Dichtern leben eben Nachklänge alter heliseherischer Er­kenntnis der Menschheit immer wieder auf, und durch Initiation werden solche Nachklänge aufgefrischt und zu menschlicher Er­kenntnis erhoben.

Damit, meine lieben Freunde, habe ich Ihnen einige Tatsachen angeführt, die zu den zuletzt gemachten Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt gehören, und ich hoffe, daß wir in nicht zu ferner Zeit weitersprechen können über solche Er­kenntnisse über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt.